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hasirasi2
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Dresden

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Bewertung vom 22.09.2019
Fritz, Astrid

Die Tote in der Henkersgasse / Begine Serafina Bd.5


ausgezeichnet

Familienbande

Freiburg 1417: Nachts wird in der Henkersgasse eine tote junge Frau gefunden. Für Stadtarzt Achaz ist schnell klar, dass sie erschlagen wurde. Als sich dann auch noch herausstellt, dass sie die Frau eines reichen Kaufherren war, kann Serafina es nicht lassen und beginnt wieder zu ermitteln ...

Die ehemalige Begine Serafina und Stadtarzt Adalbert Achaz sind seit einem halben Jahr verheiratet. Während Adalbert sich um die Zipperlein und Wehwehchen der Reichen kümmert, hat Serafina ihre Erfüllung in ihrer Armenapotheke gefunden. Ihr Mann hofft, dass sie dadurch zu beschäftigt ist, um ihren kriminalistischen Neigungen nachzugehen und sich wieder in Gefahr zu begeben. Doch die Tote in der Henkersgasse interessiert Serafina sehr. Ablenkung kommt in Form ihres Bruders Peter daher, den sie vor 16 Jahren zum letzten Mal gesehen hat. Damals hat er ihr in einer schweren Stunde nicht beigestanden, jetzt steht er vor ihrer Tür und bittet um Hilfe – hat Serafina ihm nach so vielen Jahren verziehen? Ihre Magd traut ihm nicht und auch Serafina und Achaz haben bald Zweifel an seiner Geschichte.
Zudem macht auch der Stadtapotheker Johans Serafina das Leben schwer. Er will ihre Armenapotheke schließen lassen, weil sie ihm angeblich die Kunden wegnimmt.

Auch der 5. Fall rund um Serafina hat mich wieder restlos begeistert. Astrid Fritz schließt nahtlos an die bisherigen Bände an. Geschickt streut sie wichtige Informationen und Rückblicke in die Handlung ein, um den Leser an wichtige Vorgänge zu erinnern. Sie schreibt sehr spannend, lässt den Leser um Serafina und Achaz bangen. Dabei macht sie (Freiburger Stadt-)Geschichte lebendig und hat wieder einen realen historischen Fall als Hintergrund verwendet. Zudem räumt sie mit den gängigen Vorurteilen gegen die Huren dieser Zeit auf.

Die Wortgefechte zwischen Serafina und Achaz sind sehr amüsant. Man merkt ihnen an, dass sie ein glückliches Paar sind. Er lässt ihr ihre Freiheiten und akzeptiert ihre Eigenheiten, versucht nicht, sich als Herr im Haus aufzuspielen. Mir hat sehr gefallen, dass er jederzeit hinter ihr stand, als auch es für ihn und seinen Ruf gefährlich wurde. Serafina schafft es aber auch immer wieder, ihn irgendwie um den Finger zu wickeln. Ihr Bruder bringt diesmal die besondere Würze und Spannung in die Geschichte. Zum einen erfährt man durch ihn wieder etwas aus ihrer Vergangenheit und zum anderen könnte er zur Bedrohung für ihre Zukunft werden (mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten).

Schade, dass auch dieser Fall wieder viel zu schnell geklärt und das Buch ausgelesen war. Ich hoffe, bald wieder von Serafina zu lesen.

Bewertung vom 20.09.2019
Busch, Ulrike

Der Stalker von List


sehr gut

Alles Lüge?

Vor Jahren musste Lennard Feddersen Sylt verlassen, weil er die berühmte Liebesromanautorin Marete de Buhr stalkte, kurz nach seiner Rückkehr wird er am Strand erschlagen aufgefunden.
Verdächtige gibt es viel und fast alle verstricken sich in Widersprüche, das erschwert die Arbeit der Kommissare Knudsen und Zander. Dann mischt sich auch noch Inselreporter Friedrich Fliegenfischer in die Ermittlungen ein ...

„Der Stalker von List“ ist bereits der 7. Fall für die Kripo Wattenmeer und lässt die Ermittler diesmal direkt vor ihrer eigenen Haustür auf Sylt ermitteln. Das Setting ist Autorin Ulrike Busch wieder sehr gut gelungen. Obwohl ich noch nie auf Sylt war, konnte ich mir jederzeit genau vorstellen, wie die einzelnen Orte auf der Insel aussehen. Auch das Zwischenmenschliche der beiden Ermittler passt einfach – sie kabbeln sich gern und nehmen sich immer selbst ernst.

Der Fall ist ziemlich verzwickt. Lennard Feddersen hatte viele Feinde, allen voran Marete de Buhr und ihr ehemaliger langjähriger Lebensgefährte Tom Uecker. Deren Beziehung ist an Maretes Angst vor Lennard zerbrochen. Auch ihr aktueller Freund, Sönke Boysen, kennt Lennard zumindest aus deren Schilderungen und wollte sie unbedingt schützen. Am meisten irritieren aber Lennards Adoptiveltern die Ermittler: „Das Leben unseres Sohnes war uns fremd.“ (S. 43) Sie haben nie eine warme, liebevolle Beziehung zu im aufgebaut, obwohl sein Stiefvater Psychologe und Familientherapeut war. Er hat sich zeitlebens geschämt, dass Lennard ein Stalker war – wollte er sich von ihm befreien?

Geschickt hat Ulrike Busch im vorliegenden Fall viele Aspekte zum Thema Stalking aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Sie zeigt, wie sich die Täter hineinsteigern und die Betroffenen meist hilflos nach Auswegen suchen und das auch die Familien der Täter oft nicht mehr weiter wissen.

Mein Fazit: Wieder ein spannender Fall mit viel Lokalkolorit und psychologischem Hintergrund für die Kripo Wattenmeer – leicht und unterhaltsam geschrieben.

Bewertung vom 18.09.2019
Lefteri, Christy

Das Versprechen des Bienenhüters


ausgezeichnet

Gestrandet

„Wir wohnen ungefähr zu zehnt in dieser heruntergekommenen Pension am Meer, alle aus verschiedenen Gegenden, und alle warten wir auf etwas.“ (S. 11)
Nuri und seine Frau Afra sind endlich in Großbritannien angekommen, ihre Flucht hat hoffentlich ein Ende. Nur der Termin bei der Einwanderungsbehörde trennt sie noch von seinem Cousin Mustafa, der vor ihnen angekommen ist. Und dann können sie endlich wieder Bienen züchten – genau so wie in Aleppo.
Dort beginnt Nuris Geschichte, dort waren sie glücklich. Er als Bienenzüchter, ausgebildet von Mustafa, und Afra, die Liebe seines Lebens, als berühmte Malerin: Sie trug eine ganze Welt in sich ... Afras Seele war so groß wie die Felder und die Wüste und der Himmel und das Meer auf ihren Bildern und genau so geheimnisvoll.“ (S. 25) Sein Sohn Sami hatte die Familie komplett gemacht. Doch Sami wurde durch einen Bombe getötet und Afra ist dabei erblindet. Trotzdem gehen sie nicht sofort, weil Afra die Reste dessen, was mal ihr Haus war, nicht verlassen will.

„Das Versprechen des Bienenhüters“ ist ein sehr bewegendes Debüt von Christy Lefteri. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin ihre Erfahrungen / Erlebnisse aus Athenern Flüchtlingslagern einfließen lässt, in denen sie mehrfach gearbeitet hat. Sie schreibt mit viel Herzblut und rüttelt den Leser auf.
Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wie so eine Flucht funktioniert, was es für die Betroffenen bedeutet. Nuri und Afra haben Glück – sie haben früher gut verdient und genügend Geld für Schleuser, falsche Papiere etc. gespart. Trotzdem müssen sie sich zum einen erst einmal aufraffen und wirklich losgehen und zum anderen dann auch bis zum Ende durchhalten. Sie dürfen nie den Mut verlieren oder ihre Angst siegen lassen. Dabei erleben sie Dinge, die jenseits meiner Vorstellungskraft liegen und mich erschüttert haben.

Christy Lefteri erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Während Nuri und Afra in der Pension auf ihren Termin warten, hat Nuri immer wieder Flashbacks, erinnert sich an die grausamen Details des Krieges, an die abenteuerliche und gefährliche Flucht, an das wochen- bis monatelange Warten bis es zur nächsten Station weitergeht. Da Afra blind ist, muss er sie anziehen, führen und auf sie aufpassen. Diese Belastung wird manchmal so groß, dass er nicht weiß, wie er es weiter ertragen soll. Er kann sie nicht mehr als (seine) Frau ansehen, nicht mehr als nötig anfassen oder berühren – werden sie je wieder zusammenfinden? Doch auch er hat die Flucht nicht unbeschadet überstanden. „Manchmal vermag unser Geist sehr überzeugende Illusionen zu erschaffen, damit wir uns nicht in der Dunkelheit verlieren.“ (S. 345) Halt geben ihm die Mails seinen Cousins und die Hummel ohne Flügel, die im Innenhof der Pension lebt und um die er sich kümmert. „Wo es Bienen gibt, gibt es auch Blumen und wo es Blumen gibt, gibt es Hoffnung und neues Leben.“ (S. 34)

Nuris und Afras Geschichte hat mich so gefesselt, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Man weiß zwar, dass sie am Ende in Großbritannien ankommen, aber durch die Rückblenden und Flashbacks erfährt man immer nur Bruchstücke ihrer Vergangenheit und der Erlebnisse auf der Flucht. Ich war froh, dass die Autorin einige Dinge nur angedeutet und nicht ausgeschrieben hat, sie waren auch so barbarisch genug.

Bewertung vom 17.09.2019
Riebe, Brigitte

Wunderbare Zeiten / Die Schwestern vom Ku'damm Bd.2


sehr gut

Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind.

Berlin 1952: Dank Rikes Erbe konnte das Kaufhaus Thalheim erfolgreich wieder aufgebaut werden. Rike liebt ihre Arbeit und ist traurig, dass ihr Vater ihren Bruder Oskar vorzieht, der nach 7 Jahren aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft heimgekehrt ist. Zwischen beiden tobt ein erbitterter Machtkampf, den Oskars Zwillingsschwerter Silvie nur zu gern stoppen möchte.
Oskar ist zwar zurück, hat den Krieg aber mitgebracht. Er kann keine Nacht durchschlafen, rast lieber in schnellen Autos durch Berlin und kennt jeden Nachtklub.
Silvie ist die einzige, die sich nicht im Kaufhaus engagiert. Sie liebt ihr freies Leben, ihre Arbeit und den Erfolg beim Radiosender RIAS. Und sie hat eine gute Nase für Trends. Außerdem kann sie sehr gut mit Menschen umgehen, wie sie in ihrer Sendung „Stimmen“ jeden Freitageabend beweist. Doch privat sieht es weniger gut aus. „Kein Mann. Kein Haus. Kein Kind.“ (S. 21) Ihr Lebensgefährte ist im Stasi-Gefängnis Weißensee verstorben. Da begegnet ihr der aufstrebende junge Schauspieler Wanja – könnte er ihre Zukunft sein?

Brigitte Riebe schließt mit „Wunderbare Zeiten“ fast nahtlos an den ersten Teil der Familiensaga „Jahre des Aufbaus“ an. Das Modekaufhaus läuft gut. Dank Rikes Mann und seiner Verbindung zu Italien kommen sie an ausgefallene Stoffe und Miriam, die in Jerusalem nicht glücklich ist, entwirft wieder ausgefallene Kleider für sie. (Interessant waren in diesem Zusammenhang die Passagen über die Grenzgänger – Menschen, die im Ostteil der Stadt, also der DDR, lebten und im Westen arbeiteten.)
Aber intern kriselt es. Oskar kennt sich nicht mit dem Geschäft aus, ist unzuverlässig, trifft allein externe Absprachen und lässt sich von ihrem ehemaligen Geschäftspartner Werner Brahm einwickeln, dem Rike und Silvie nicht trauen.

Während sich im ersten Band die Handlung um Rike und den Erhalt bzw. Wiederaufbau des Modekaufhauses drehte, steht diesmal Silvie etwas mehr im Vordergrund. Sie steht für die modernen Frauen der damaligen Zeit, ohne Mann und Kind, aber auf der Suche nach der großen Liebe, sehr intelligent und mit einer eigenen Karriere. Sie interessiert sich sehr das aktuelle Geschehen, Kunst und Kultur und so kann die Autorin geschickt Tages- und Welt-Politik (wie z.B. die Aufstände in der DDR und Ungarn), angesagte Schlager und Filme oder die Frankfurter Buchmesse in die Handlung einflechte. Ihr Lebensgefühl, ihre Sehnsucht nach Freiheit und ihre Freude über den Aufschwung jetzt endlich nach dem Krieg sind in jeder Zeile spürbar. Ich habe mich Silvie nahe gefühlt und mich stets in sie einfühlen.

Silvies kleine Wohnung wird zum Unterschlupf all derer, die sich gerade heimat- oder haltlos fühlen. Neben ihrem Bruder Oskar wohnen auch ihrer Nichte Florentine oder deren Freundinnen aus dem Ostteil der Stadt kurzzeitig bei ihr. Dabei wird deutlich, wie sehr die Bürger der DDR zum Teil unter ihrem Staat leiden. Lebensmittel sind noch immer knapp und es gibt sie nur auf Marken und wer sich dem System nicht anpasst bekommt Ärger. Davon sind sogar schon Jugendliche betroffen, wenn sie z.B. aus religiösen Gründen nicht in die FDJ eintreten wollen. Für solche Menschen engagiert sich Silvies Onkel Carl sehr. Er lebt und arbeitet als Anwalt in der DDR und will auch dort bleiben.

Die Familie Thalheim ist insgesamt sehr groß und weitverzweigt. Die Autorin hat versucht, jedem Teil der Familie gerecht zu werden und ihn in der Handlung zu berücksichtigen. Das war mir an einigen Stellen zu viel, auch hat hier der Zufall etwas zu oft mitgemischt.
Von diesen kleinen Kritikpunkten abgesehen hat mich „Wunderbare Zeiten“ wieder sehr gut unterhalten und ich bin gespannt, wie es im 3. Teil weitergeht – steht dann Florentine im Mittelpunkt?

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2019
Falk, Rita

Guglhupfgeschwader / Franz Eberhofer Bd.10


ausgezeichnet

Ein echtes Dreamteam

10 Jahre Eberhofer, 10 Jahre Niederkaltenkirchen – das muss natürlich gebührend gefeiert werden. Nicht nur, dass das Kreisverkehr in Richtung Frontenhausen nach dem Franzl benannt wird, auch eine große Party muss zum Dienstjubiläum her. Natürlich ist der Birkenberger Rudi sauer, dass er nicht auch geehrt wird, schließlich haben sie die Fälle immer zusammen gelöst.
Mitten in dem ganzen Trubel bitte Lotto-Otto den Franz um Hilfe. Er hat Spielschulden und wird bedroht, hat Angst um sein Leben und das seiner Mutter. Doch bevor Franz reagieren kann, geht der Lotto-Laden in Flammen auf und es gibt eine Leiche. Natürlich holt Franz den Rudi wieder ins Boot – schließlich sind sie ein eingespieltes Dreamteam.

Seit „Winterkartoffelknödel“ bin ich ein echter Eberhofer-Fan und freue mich, wenn ich die sich stetig vergrößernde Familie wieder in Niederkaltenkirchen „besuchen“ kann. Sie sind mir einfach ans Herz gewachsen. Die Oma kocht und backt halt am allerbesten (ich habe ihre Rezepte schon mehrfach ausprobiert) und rückt ihren drei Männern (Papa, Franz und „Schleimsau“ Leopold) den Kopf zurecht, wenn es sein muss. Susi und Franz haben sich endlich zusammengerauft und sind mit dem Paul eine richtige Familie – so wie es sein muss und die Oma es sich wünscht.

Auch abseits der Familie Eberhofer gibt es diesmal viel Zwischenmenschliches, was endlich geklärt werden muss – findet zumindest Rudi, der sich vom Franz nicht verstanden fühlt und dabei von seiner neuen Bekannten unterstützt wird. Die Beziehungsgespräche mit ihm sind wirklich sehr amüsant – zumindest für den Leser.
Aber es wird auch gesellschaftskritisch – natürlich lustig verpackt. Franz muss sich mit Helikoptermüttern und Väter aus dem Randbezirk rumschlagen, die sich über Buengo als (schwarzen!) Kinderfußballtrainer aufregen.

Die Ermittlungen rund um Lotto-Otto sind sehr verzwickt und ziehen weite Kreise bis über die tschechische Grenze. Richter Moratschek fällt vom Glauben ab, Franz bedient sich nicht immer ganz legaler Mittel, um ans Ziel zu gelangen und den entscheidenden Tipp bekommt er ausgerechnet vom Leopold – mehr verrate ich hier aber wirklich nicht ;-).

Der Eberhofer-Jubiläumsfall hat mich wieder bestens unterhalten. Es wird viel gemenschelt, gelacht, gefeiert, gegessen, getrunken, gestritten und natürlich auch ordentlich ermittelt. Dabei wird es sehr gefährlich, denn es wird scharf geschossen ...

Bewertung vom 13.09.2019
Saller, Tom

Ein neues Blau


ausgezeichnet

Das seltsame Fräulein

Berlin 1919: Lili ist sechs Jahre alt, als ihre Mutter stirbt und ihr Vater die Hilfe seines Freundes Takeshi bei ihrer Erziehung annimmt. Takeshi ist Halb-Japaner / Halb-Chinese und wurde von Jesuiten aufgezogen. Sowohl Takeshi als auch Alexander, der Name, den Jesuiten ihm gegeben haben, bedeutet Beschützer. Als solcher sieht er sich fortan für Lili, sie wird zu seiner Bestimmung. Er bringt ihr die Teezeremonie, Kalligraphie und Zen bei, bildet ihren Geist und weckt die Sehnsucht nach der Schönheit bzw. Perfektion der Dinge.
Lilis Vater ist nicht praktizierender Jude und besinnt sich nach dem Tod seiner Frau, einer Christin, auf seinen Glauben, will ihn auch Lili nahebringen. Doch der Rabbi macht ihm klar, dass Lili keine Jüdin ist – weil ihre Mutter keine war.
Lili ist jetzt also Halbwaise, halb Christin, halb Jüdin, halb Europäerin und halb Japanerin, durch Takeshis Erziehung. Sie fühlt sie nie als Ganzes. Immer nur halb. Über den Tee (ihr Vater betreibt einen Teehandel) beginnt sie sich auch für Porzellan zu interessieren und lässt sich als Porzellanmalerin und Töpferin ausbilden.

Fast 70 Jahre später ist Takeshi verstorben und Lilis Sohn findet, dass sie eine Gesellschafterin braucht. An zwei Nachmittagen in der Woche besucht Anja sie. „Anja. Na ja. Ein Name wie ein Achselzucken.“ (S. 22) Anja steht kurz vor ihrem Abitur und die Ehe ihrer Eltern vor dem Aus. Sie ist ein Punk, entspricht nicht der Norm und hat selber große Probleme, die sie (noch) sehr gut verbirgt.
Das Innere von Lilis Haus erinnert Anja an ein Museum für Moderne Kunst. Und die Porzellanskulpturen, die Lili herstellt, gefallen ihr sofort. „Töpfern Sie, damit etwas von Ihnen bleibt?“ „Nein, ich töpfere, damit es mich überhaupt gibt.“ (S. 237)
Auch der japanische Garten mit dem Teehaus beeindruckt sie. Anja begreift schon beim Kennenlernen: „ ... sie braucht gar keine Gesellschafterin. Stattdessen benötigt sie eine Zeugin. Für all die Dinge, die sie erlebt hat. Und die sie sonst niemandem erzählen kann oder will.“ (S. 31)

Tom Saller hat mich wieder überrascht. Wie schon in „Wenn Martha tanzt“ ist sein Schreibstil wieder sehr poetisch, sehr ruhig und trotzdem fesselnd. Er erzählt eine Geschichte von Suchenden – nach ihren Wurzeln, nach ihrer Zukunft, nach ihrem Selbst, nach ihrer Ganzheit, denn sie alle fühlen sich verloren. Geeint werden sie durch den Tee und Porzellan. Durch Takeshi lernen sie die japanische Höflichkeit – Lili scheint im Alter eine Meisterin darin zu sein. Sie sagt sagt Dinge nicht direkt, lässt Sachen weg, oder umschreibt sie bzw. antwortet mit einem Gleichnis. Das ist für Anja und den Leser zu Beginn zwar ungewöhnlich, macht aber auch den besonderen Reiz des Buches aus.
Nach und nach erzählt Lili ihre Geschichte, eng verbunden mit der Geschichte Berlins in der 20er Jahre, bis sie vor den Nazis fliehen musste. Auch hier hält sich Tom Saller an seinen Stil, mit nur kleiner Andeutungen der Grausamkeiten der Nazizeit verrät er alles.
Zudem geht er auf die Entwicklung der Staatlichen Porzellan-Manufaktur und einer ganz besonderen Schale von König Friedrich ein, mit einer Blüte in „in Lila gehendes ersterbendes Blau“. Diese Schale wird auch Lilis Schicksal.

Noch nie hat mich ein Buch so geerdet und gleichzeitig berührt wie dieses!

Bewertung vom 11.09.2019
Voosen, Jana

Für immer die Deine


sehr gut

Stille Heldin

„Wenn ich groß bin, dann wirst Du meine Frau.“ (S. 14) verspricht Fritz 1928 seiner Klara beim Mutter-Vater-Kind-Spiel. Und 11 Jahre später, mit 17, heiraten die beiden wirklich, denn Klara ist schwanger. Es ist eine Sandkastenliebe, die Fritz und Klara verbindet. Sie ist die Tochter eines großen Obstbauern im Alten Land und er der Sohn des Pfarrers. Fritz möchte Medizin studieren, doch er muss Geld für seine kleine Familie verdienen und als der Krieg ausbricht, wird Fritz eingezogen. Klara bleibt mit Söhnchen Paul allein in Hamburg zurück. Die Versorgungslage wird immer schwieriger und sie beginnt, auch für den alten Herrn Wiechert in der Wohnung über ihr mit einzukaufen. Doch dann entdeckt sie dessen Geheimnis, und muss entscheiden, ob sie weiter wegsieht, oder hilft, ob sie sich und ihre Familie für einen Fremden in Gefahr bringt ...

2019 möchte ein Hamburger Magazin ein Sonderheft zum 50. Jahrestag des Beginns des 2.Weltkrieges mit Zeitzeugenberichten herausbringen. Marie ist relativ neu dort und möchte sich unbedingt profilieren. Sie erzählt ihrem Fast-Ex-Mann Simon davon und er berichtet ihr von Freunden seiner Oma, die letztes Jahr ihren 79. Hochzeitstag gefeiert haben – sie haben also kurz vor Kriegsbeginn geheiratet. Es sind Klara und Fritz, bei den Marie kurz darauf vor der Tür steht und sie um ein Interview bittet.

Jana Vossen hat eine sehr berührende Liebesgeschichte über ein Paar geschrieben, welches sich schon sein ganzes Leben, also fast 100 Jahre, kennt und immer noch verheiratet ist. Journalistin Marie, deren Ehe gerade gescheitert ist, möchte wissen, wie sie das geschafft haben, was das Geheimnis einer langen Beziehung ist.

Ich mochte die Geschichte sehr. Jana Vossen schreibt sehr flüssig und empathisch, ich konnte jederzeit mit Klara und Fritz mitfühlen.
Klara ist zu Beginn von Hitlers Machtergreifung noch sehr naiv. Sie ist froh über ihr Glück mit Fritz und versucht ansonsten, sich aus allem rauszuhalten. Aber als Herr Wiechert ihr sein Schicksal erzählt, beweist sie echte Courage und wird zu einer stillen Heldin. Bei Fritz haben mir vor allem sein leiser Humor gefallen und seine Fähigkeit, zu Verzeihen: „Man muss Kompromisse schließen. Und wenn man unterschiedlicher Meinung ist, dann muss einer nachgeben.“ (S. 125)
Die Dreiecksgeschichte zwischen Marie, Simon und Jost (ihrem Liebhaber) hat mich nicht wirklich gepackt, die hätte das Buch für mich auch nicht gebraucht. Marie kommt viel zu blass rüber, fungiert nur als Chronistin und auch die beiden Männer tauchen jeweils nur kurz auf.

Die Grauen des Krieges, die (Selbst-)Vorwürfe, Zweifel und Ängste ihrer Protagonisten beschreibt die Autorin sehr anschaulich und nachvollziehbar. Besonders Herrn Wiecherts Schicksal hat mich sehr erschüttert. Leider waren mir einige Aspekte der Geschichte zu vorhersehbar und das Ende nicht wirklich überraschend.

Fazit: Eine sehr berührende Liebes- und Lebensgeschichte auf zwei Zeitebenen, aber der Erzählstrang der Jetztzeit konnte mich nicht durchgängig fesseln.

Bewertung vom 10.09.2019
Blasberg, Jeanne M.

Eden


ausgezeichnet

Die Frauen von Eden

„Wahrscheinlich würde dieser Sommer für sie der letzte in dieser exklusiven Nachbarschaft sein.“ (S. 20)
„Eden“ nennt Bunny Meister das mondäne Sommerhaus, das er 1915 für seine Familie in Long Harbor direkt hinter den Dünen erbauen lässt. Als Sohn jüdischer Einwanderer hat er sich alles hart erarbeitet. Er kann das Haus über den Börsencrash retten und nach einem Tornado wieder aufbauen. Doch 85 Jahre später sieht es so aus, als müsste seine Tochter Becca dem Verkauf des Hauses zustimmen, da ihr verstorbener Mann ihr nur Schulden hinterlassen hat. Zusammen mit ihrer Tochter Rachel, ihrer Enkelin Sarah und der langjährigen Haushalthilfe Lilly verbringt sie einen letzten Sommer auf Long Harbor und bereitet eine große Party wie zu alten Zeiten vor, auf der sie endlich ihr größtes Geheimnis lüften will.

„Eden“ erzählt die Geschichte der Familie Meister über mehrere Generationen. Es sind vor allem die Frauen, welche die Autorin Jeanne M. Blasberg zu Wort kommen lässt. Schließlich verbringen sie den ganzen Sommer in Long Harbor und nicht nur die Wochenenden (wie ihre Männer). Sie halten die Familie zusammen – immer unterstützt von dienstbaren Geistern – und präsentieren, was ihre Männer hart erarbeiten. Dass ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte dabei oft auf der Strecke bleiben, wird natürlich nicht nach außen getragen.

Geschickt wechselt der Blickwinkel zwischen den aktuellen Ereignissen und Rückblenden und enthüllt langsam die Geheimnisse der Frauen von Eden.
Sadie, Bunnys Frau, will die perfekte Ehefrau sein, doch ihre vierte, späte Schwangerschaft und die Geburt ihrer Tochter Becca werfen sie aus der Bahn – Wochenbettdepression würde man heute sagen. Becca wird von einem Kindermädchen aufgezogen, ist es gewöhnt, ihrer Mutter keinen Ärger zu machen und sich immer zu fügen. Sie ist sich nicht sicher, ob Dan wirklich sie liebt oder nur das Haus und das Ansehen ihrer Familie, aber sie heiratet ihn, weil ihre Eltern es wünschen. Nach dem Tod von Sadie und Bunny schwingt sie sich zum Familienoberhaupt auf und übernimmt die Herrschaft über Eden. Beccas Tochter Rachel flüchtet sich in den Alkohol, gibt ihrer Mutter und ihrer Tochter Sarah die Schuld an ihrer frühen Scheidung und ihrem verkorksten Leben. Sarah wiederum überrascht ihre Mutter und Großmutter mit der Ankündigung, dass sie von ihrem Professor schwanger ist und das Kind bekommen wird, obwohl er es nicht möchte. Sie hat keine Ahnung, was auf sie zukommt, aber den Mut, es als Alleinerziehende zu wagen.

Sehr fesselnd und bildlich beschreibt Jeanne M. Blasberg das extravagante Haus und seine verschiedenen Bewohner, die Exklusivität von Long Harbor, die trägen Tage am Strand und die rauschenden Partys, aber auch die Eifersüchteleien und Machtspiele innerhalb der Familie, die großen Lieben und Schicksalsschläge. Und obwohl man als Leser relativ früh weiß, welches Geheimnis Becca nicht mehr verbergen möchte, ist es bis zuletzt sehr spannend.
„Von diesem Tag an war nichts mehr wie früher. Nichts konnte mehr so sein wie früher. Es war, als wäre eine kühle Meeresbrise durch die Glastür ins Haus geweht und hätte hundert Jahre Spinnweben hinweggefegt.“ (S. 392)

„Eden“ bildet die mondäne Kulisse für eine ganz besondere Familiengeschichte voller Geheimnissen und Lügen, Eifersüchteleien und Machtspiele, aber auch Liebe und Zusammenhalt.

Bewertung vom 04.09.2019
Pasini, Brigitte

Bella Stella


sehr gut

Spannende und kurzweilige Familiensaga

Stella lebt als Tochter des Verwalters auf einem Holsteinischen Gut auf, ihre Mutter ist bei der Geburt gestorben. Sie ist zusammen mit Carsten, dem Sohn des Gutsherrn aufgewachsen, der seine Mutter ebenfalls im Kleinkindalter verloren hat. Stella ist seit Jahren in ihn verliebt, aber er soll eine Andere heiraten. Kurz nachdem Stellas Vater bei einem Unfall ums Leben kommt, taucht eine junge Frau – Luna – auf dem Gut auf und behauptet, ihre Halbschwester zu sein. Stella geht mit Luna nach Hamburg und arbeitet in deren kleinen Lebensmittelladen mit.

Lorenzo Casadio lebt in Predappio in Italien. Früher betrieb die Familie eine erfolgreiche Trattoria, jetzt müssen sie für den Gutsherrn schuften. Lorenzo ist gegen diese soziale Ungerechtigkeit und will mehr vom Leben. Als sich Mussolini 1922 Ministerpräsident wird, muss Lorenzo aus politischen und privaten Gründen fliehen. Da sein Onkel Rosario seit vielen Jahren in Hamburg lebt, wird Lorenzo zu ihm geschickt. Zufällig lebt Rosario im gleichen Haus wie Stella – sie ist die Erste, die Lorenzo bei seiner Ankunft sieht. Aber in Italien wartet eine Verlobte auf ihn ...

Hinter dem Pseudonym Brigitte Pasini steckt Brigitte Kanitz, die auch als Brigitte Janson (Historische und Liebes-) Roman schreibt. Ihr Ehrzählstil ist sehr flüssig und anschaulich, man fliegt geradezu durch die 528 Seiten, es wird nie langweilig oder langatmig.

„Bella Stella“ spielt in den 1920er Jahren überwiegend in St. Pauli. Stella landet nach ihrem behüteten Leben auf dem Gut im Rotlichtviertel und entwickelt sich von der grauen Maus zur erfolgreichen Geschäftsfrau. Leider kann sie Carsten all die Jahre nicht vergessen und hält darum Lorenzo auf Abstand, der ihr vorsichtig den Hof macht.

Das Flair des Vergnügungsviertels mit seinen Bordellen und unterschiedlichsten Bewohner wird sehr gut beschrieben, auch wenn es mir an einigen Stellen manchmal etwas zu ausführlich war. Stella findet vor allem in ihrem Mietshaus neue Freunde, trifft auf Huren, Homosexuelle, Zigeuner, Juden, Kriegsversehrte und Sozialisten – Menschen verschiedener Hautfarben, Herkunft und Hintergründe. Die Autorin hat es geschafft, dass man trotz deren Vielzahl die Lebenswege von Stellas Freunden und Bekannten gern verfolgt. Auch die Inflation und das Erstarken des Nationalsozialismus in Italien und Deutschland fließen in die Geschichte ein.
Stella selbst hab ich gemocht, auch wenn mir ihre Fixierung auf die Liebe zu Carsten und später dann auf die wahrscheinlich unerfüllbare Liebe zu Lorenzo etwas zu überspitzt erschien.
Lorenzo ist leider etwas konturlos geblieben. Ich hatte schon mit seinem erzwungenen Weggang aus Italien Probleme und auch in Hamburg ist er mir etwas zu sehr in den Nebenhandlungen untergegangen.

„Bella Stella“ ist eine spannende und kurzweilige Familiensaga mit einigen überraschenden Geheimnissen, die Deutschland und Italien in den 1920er Jahren lebendig werden lässt.

Bewertung vom 02.09.2019
Wahl, Maxim

Aufbruch einer Familie / Das Savoy Bd.1


ausgezeichnet

Eine gekonnte Mischung aus Krimi und Familiensaga

„Das Savoy war ein Kosmos für sich, der jeden Tag seinen eigenen Sonnenauf- und Untergang erlebte. Hier arbeiteten, bedienten, genossen und vergnügten sich Menschen, die nicht nur aus der ganzen Welt kamen, sondern auch für die ganze Welt standen.“ (S. 12)
London 1932: Sir Laurence Wilder ist der Inhaber des wohl berühmtesten Hotels der Stadt und obwohl er schon über 70 ist, hat er es fest im Griff. Seine Angestellten achten und ehren ihn, denn er ist ein guter Arbeitgeber. Darum ist seine Enkelin Violet Masson auch erstaunt, als Laurence nach einem Zusammenbruch behauptet, seine Sekretärin Dorothy würde ihn vergiften wollen. Der Hoteldetektiv Oppenheim nimmt sich des Falls an, kann aber kein Gift oder Hinweise auf einen Anschlag entdecken. Kurz darauf erleidet Laurence einen Schlaganfall und betraut zur Überraschung aller nicht etwa seinen Sohn Henry (der sich sowieso nicht für das Hotel interessiert) sondern Violet mit der Leitung des Hotels. Violet ist zwar im Savoy aufgewachsen, arbeitet aber als Schriftstellerin für den Radiosender BBC. Ihre plötzliche Berühmtheit und die Fülle an Aufgaben überfordern sie: „Sie wollte nicht von jedermann wie die Fürstin vom Savoy begrüßt werden, wollte jung und unbedeutend sein. ... Violet taugte nicht zum Vogel im goldenen Käfig.“ (S. 270) Außerdem fürchtet sie inzwischen, dass es wirklich jemand auf ihren Großvater abgesehen hat, aber wer und warum?

„Das Savoy - Aufbruch einer Familie“ ist der Auftakt einer Trilogie rund um das berühmte Hotel und seine Besitzer. Maxim Wahl schreibt sehr spannend und involviert geschickt reales Zeitgeschehen wie das Erstarken des Nationalsozialismus und berühmte Persönlichkeiten in die Handlung und lässt dabei Menschen aller Herren Länder und mit den verschiedensten Interessen auftreten. Die Welt befindet sich im Umbruch und alles schaut nach Deutschland – auch die Hotelgäste. Vor allem Liftboy Otto, der aus Bayern stammt, bekommt das zu spüren.
Violet ist zwischen der Sorge um ihren Großvater bzw. das Hotel und ihren eigenen Lebens- bzw. Karriereplänen hin- und hergerissen. Sie liebt die Arbeit beim Radio und möchte einen Roman schreiben. Aber sie respektiert Laurence Wunsch. Zudem steht sie zwischen 2 Männern: Max war der Mann ihrer Zukunft... John dagegen war Violets Liebe, was sollte sie dagegen nur machen?“ (S. 56) Max ist ihr Chef bei BBC und macht ihr eindeutige Avancen, John ist der Hausmeister des Savoy und kennt ihre geheimsten Sehnsüchte und Wünsche, versteht sie wie kein anderer. Wie soll sie sich entscheiden?
Im Zuge von Violets Ermittlungen geraten mehrere Angestellte und Gäste des Hotels in ihr Visier, getreu dem Tipp eines Freundes: „Meistens ist der Schurke derjenige, von dem man es am wenigsten erwartet.“ (S. 212)

Mein Fazit: „Das Savoy“ ist eine gekonnte Mischung aus Krimi und Familiensaga. Sehr spannend, unterhaltsam, mit viel mondänem Flair zeigt es, wie die guten Geister unauffällig den Alltag des Hotels bewältigen und dabei einige Intrigen aufdecken. Ich bin schon sehr gespannt, wie es im nächsten Band weitergeht.
Für Fans von „Downton Abbey“ oder „Die Schwestern von Mitford Manor“.

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