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Igelmanu
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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 29.10.2015
Ferri, Jean-Yves;Conrad, Didier

Der Papyrus des Cäsar / Asterix Bd.36


gut

»Was ist los, Asterix?« »Sein Horoskop hat Obelix völlig verstört, o Druide...« »Ja, viele Leute neigen dazu, zu glauben, was geschrieben steht. Ein seltsames Phänomen!«

Große Sache! Julius Cäsar hat für die Nachwelt seine gesammelten Erinnerungen zum Papyrus gebracht, seine "Kommentare zum Gallischen Krieg". Diese dürften auch heute noch jedem Latein-Schüler ein Begriff sein, es fragt sich nur, ob in der zensierten oder der unzensierten Fassung ;-) Auf Anraten seines Verlegers Syndicus wird das Kapitel mit dem Eingeständnis, dass doch nicht ganz Gallien besiegt wurde, gestrichen. Dumm nur, dass ein umtriebiger Kolporteur namens Polemix das gestrichene Kapitel in die Finger bekommt und damit schleunigst ins Dorf der unbesiegbaren Gallier flieht - dicht verfolgt von einem Zensurkommando...

Anfang der 70er Jahre zogen bei mir die ersten Asterix-Bände ein. Jeder neu erschienene Band stellte sich im Regal neben seine Vorgänger und somit war klar, dass auch "Der Papyrus des Cäsar" gleich erworben werden musste. Obwohl er ganz unterhaltsam war, kann er sich für mich nicht mit früheren Bänden messen.

Wie in beinahe jedem Asterix fließen auch hier aktuelle Themen ein, konkret sind das beispielsweise Abhörskandale, Lauschangriffe, moderne Medien und Zensur. Besonders nett fand ich die Kurznachrichten via Taube (einschließlich der Darstellung des dazugehörenden Servers) und einen ständig twitternden Druiden. Römer tragen klangvolle Namen wie "Datenflus" oder "Antivirus" und die üblichen Running Gags, wie beispielsweise das Bankett am Ende, die Prügelei zwischen Automatix und Verleihnix und Troubadix Gesang, sind alle vollständig angetreten. Lustig wird es auch, wenn es um das Thema "Horoskope" geht (was unsere Gallier eigentlich viel mehr interessiert als Julius' Kommentare ;-) Und doch wollte sich beim Lesen die ganz große Begeisterung nicht einstellen, vermutlich, weil automatisch der Vergleich mit früheren Bänden erfolgte - und da fehlte einfach was. Vielleicht ist das unfair, aber ich glaube einfach, dass da noch mehr geht (weshalb ich mir Band 37 auf jeden Fall ebenfalls kaufen werde).

Fazit: Lustig, aber nicht der ganz große Wurf. Ich vergebe 3,5 Sterne, die ich (da ich mit früheren Bänden vergleiche) aus diesem Grund abrunde.

»Hier Julius, nimm dies als Andenken. Das sind meine persönlichen Kommentare zum "Gallischen Krieg"! Mit ein paar Verbesserungsvorschlägen für dein Buch.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.10.2015
Doh, Rainer

1990


sehr gut

Deutschland, in den spannenden Jahren 1989/1990. Die Wiedervereinigung bedeutete nicht nur, dass die Mauer gefallen war und jeder - nach Belieben - von West nach Ost und von Ost nach West reisen konnte. Lange getrennte Familien fanden sich wieder zusammen und so mancher überlegte, unter diesen neuen politischen Voraussetzungen noch mal ein neues Leben anzufangen. Was das alles bedeuten konnte, wird in diesem Buch am Beispiel einer Familie geschildert.

Die Familie Käfer lebt in einer Kleinstadt nahe des Schwarzwalds. Käfer senior hat ein solides Reiseunternehmen aufgebaut, von dem sich gut leben lässt und das später von Tochter Veronika und Schwiegersohn Paul weitergeführt werden soll. Die neuen Bundesländer liefern Anlass, schnellstens zu expandieren! Und schon frühzeitig zu überlegen, wie man die zu erwartenden Gewinne wieder rentabel investieren kann! Obwohl Veronika und Paul auch ganz andere Sorgen haben, denn mit dem ersehnten Nachwuchs, der schließlich auch Teil des großen Familienplans ist, will es einfach nicht klappen. Und dann sind da auch noch die Verwandten "von drüben", die zwecks Neubeginn ins Heckental gekommen sind...

Wer sich bewusst an diese Zeit erinnern kann, wird vermutlich ganz bestimmte Dinge haben, die ihm beim Stichwort "Wiedervereinigung" sofort einfallen. Zu den Dingen, die man persönlich erlebte, kommen all die, die man aus den Medien erfuhr oder bei Verwandten, Freunden und Nachbarn mitbekam. Dieses Buch kam mir vor wie ein satirisch überzeichnetes "Best of", noch ausgeschmückt mit einem kleinen Streifzug durch die menschliche Doppelmoral.
So erleben wir beispielsweise mit, wie "Wessis" ein Wohnhaus im Osten besichtigen und sich dabei aufführen wie eine Reisegruppe, die einen Zoobesuch macht. Gegenseitige Vorurteile werden auf die Spitze getrieben, es gibt große Erwartungen und manchmal auch große Enttäuschungen. Sehr schön wird dargestellt, wie sehr viele Menschen versuchten, aus der geänderten politischen Situation Nutzen zu ziehen (Stichwort: Aufbau Ost) Auch hier erleben wir einige drastische Schilderungen mit, die, wenn man sie liest, fast schon absurd komisch wirken und mich doch sofort an tatsächliche Vorfälle erinnerten.
Was den kleinen Streifzug durch die menschliche Doppelmoral angeht... Ist es nicht immer wieder erstaunlich, wie Menschen ihre bisherigen Wertvorstellungen über Bord werfen können, weil zum Beispiel das große Geld winkt? Oder die Erfüllung eines privaten Traums? Es gibt einige Beispiele im Buch, die dies (ebenfalls stark übertrieben) zeigen und mich damit sehr gut unterhalten haben. Und ganz nebenbei: Wer sich einbildet, dass dieses große Ereignis der Wiedervereinigung in den Gedanken aller Deutschen oberste Priorität hatte, der irrt gewaltig. Wie der Titel des Buchs schon sagt: Manche hatten ganz andere Sorgen...

Die Handlung des Buchs beginnt im Jahr 1985 mit der Vorstellung der Hauptcharaktere. Der Schwerpunkt liegt dann bei den Ereignissen zu Beginn der 90er Jahre, einige Schicksale werden bis in die 2000er Jahre weiterverfolgt. Zusammen mit dem Schreibstil, der mir sehr gefiel, sorgte die ganze Geschichte dafür, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen mochte.

Fazit: Ironischer und unterhaltsamer Streifzug durch ein Stück Deutscher Geschichte und menschliche Doppelmoral.

"In ein paar Wochen ist die Währungsunion ... Bis dahin muss die Sache stehen. Büroräume, Personal, alles..." "Das wird schwierig ... Es gibt ja nicht mal Telefon drüben! Und bis wir einen Maler ..." Er winkte ab. Herrenausstatter Eugen Schäufele hatte kürzlich vergeblich versucht, in Gera einen Malermeister aufzutreiben. "Wir nehmen ein paar Eimer Farbe und streichen einfach selber." "Da müssen wir alles mitbringen. Auch die Pinsel." "Und wenn wir die Putzlappen mitbringen müssen!" So eine Gelegenheit, das war klar, kam nie wieder.

Bewertung vom 23.10.2015
Li, Kunwu

Lotusfüsse


ausgezeichnet

Chunxiu ist noch ein kleines Mädchen, als ihre Mutter es gut mit ihr meint. Sie soll es einmal besser haben, sie soll die Möglichkeit haben, einen wohlhabenden Ehemann zu bekommen. Ein gutes und sicheres Leben soll sie haben und niemals sich bei schwerer Feldarbeit abmühen müssen! Es wird eine Menge Geld kosten und Chunxiu wird viele Tränen weinen müssen, aber dafür mit einem wundervollen Leben belohnt werden...

Ende der 1950er Jahre bekommt der damals 4jährige Autor dieses Buchs ein neues Kindermädchen. Chunxiu heißt sie, ist eine alte Frau und schwere Arbeit gewöhnt, obwohl sie nur mit Mühen und langsam laufen kann. Mit viel Liebe kümmert sie sich um den Kleinen und seine Schwester - und sie erzählt den Kindern die Geschichte ihres Lebens. Der Autor, der bekannt und ausgezeichnet wurde für seine in drei Bänden erschienene autobiografische Graphic Novel "Ein Leben in China" möchte mit diesem Buch an Chunxiu und ihr Schicksal erinnern.

Gebundene Füße galten in China fast 1000 Jahre lang als Schönheitsideal. Kleine Füße sollten dem Mädchen eine gute Zukunft und ein Leben im Wohlstand sichern. Quer durch alle Schichten ließen Mütter ihren Töchtern die Füße binden, so wie sie es selbst durch ihre Mütter erfahren hatten. Nur die ärmsten Bauern konnten sich nicht anschließen, da die Mädchen dort ihre Füße bei der Feldarbeit brauchten. Nach dem Binden konnte das Mädchen/die Frau nie mehr weite Strecken gehen und litt lebenslang unter Schmerzen. Das Haus wurde nur noch selten verlassen, wer reich war, ließ sich in einer Sänfte tragen. Das Schönheitsideal wurde so gleichzeitig zum Zeichen des Wohlstands, denn ganz offenbar hatte die Frau es ja nicht nötig, arbeiten zu gehen! Und praktischerweise musste man sich auch um die Moral eines Mädchens oder einer Frau keine Sorgen mehr machen, die kaum in der Lage war, das Haus zu verlassen. Die im "Idealfall" nur zehn Zentimeter langen Füße (ungefähr Schuhgröße 17) galten als ungemein erotisch, es hieß, dass Männer bei der Wahl einer Frau als erstes darauf achteten, ob ihre Füße klein waren. Auch im Buch schwärmen Männer von der unglaublichen Anziehungskraft der "kleinen Lotusse" und ihrem angeblichen Wohlgeruch. Mir persönlich erschließt sich nicht, was an völlig verkrüppelten Füßen, die sich immer wieder entzündeten, erotisch sein soll. Und was den Wohlgeruch angeht: Die Bandagen wurden parfümiert, um faulige Gerüche zu überdecken. Der Vollständigkeit halber: Zu den Folgen der gebrochenen und eingeschnürten Klumpfüße gehörten eingewachsene und entzündete Fußnägel, eitrig infizierte Knochensplitter, verfaulte Haut und abgestorbene Zehen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lehnten immer mehr gesellschaftliche Bewegungen das Füßebinden ab, ab 1911 verbot die Republik China die Praxis, die sich mit abnehmender Tendenz trotzdem noch lange hielt und erst 1949 unter Mao Zedung endgültig verboten wurde. Plötzlich galten die zuvor bewunderten Frauen als Huren, wurden geächtet und manchmal gezwungen, ihre Füße wieder aufbrechen zu lassen.
Heute leben immer noch ältere Frauen mit gebundenen Füßen in China. Die letzte Fabrik, die Spezialschuhe für abgebundene Füße herstellte, schloss 1988.
Der Leser dieser Graphic Novel erlebt in eindringlichen Bildern die wesentlichen Stationen von Chunxius Leben mit.
Ich finde es höchst beeindruckend, wie Li Kunwu mit dieser Geschichte an das Schicksal seines Kindermädchens erinnert und damit gleichzeitig das Leiden unzähliger Mädchen und Frauen uns, die wir weitab leben, drastisch vor Augen führt. Die Dialoge wirken authentisch, die durchgehend schwarzweißen Zeichnungen sind von großer Intensität und vermitteln einen guten Einblick in die chinesische Kultur, in diese für uns so fremde Welt. Gleichzeitig zeigt die Novel den politischen und gesellschaftlichen Wandel im China des 20. Jahrhunderts.

Bewertung vom 23.10.2015
Röder, Hilda

Henning flieht vor dem Vergessen


ausgezeichnet

Amsterdam, im Frühsommer 2009. Henning ist gerade erst 68 Jahre alt, ausgesprochen lebensfroh und agil. Die Diagnose "Alzheimer" trifft ihn wie ein Schlag! Viel zu präsent ist ihm immer noch die Leidensgeschichte seines Großvaters, die er als Junge miterlebte. Auf gleiche Weise seine Würde und die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben zu verlieren, ist für ihn ein unerträglicher Gedanke. Er bittet seinen Hausarzt um eine begleitete Sterbehilfe und erfährt, dass diese, wenn sie von der niederländischen Euthanasie-Kontroll-Kommission genehmigt wird, schon sehr bald erfolgen muss - also lange vor dem Stadium, das er so fürchtet. Soll er unter diesen Umständen schon sein Leben beenden? Wo er doch so gerne lebt? Und wie soll er das bloß seinen Angehörigen, die ihn lieben und gerne umsorgen würden, mitteilen? Seiner Frau, den Kindern und Enkelkindern? Die folgenden Tagen und Wochen sind geprägt von Hennings Erinnerungen, Gefühlen und Ängsten. Wie wird er sich entscheiden?
Ich habe lange überlegt, ob ich mir dieses Buch „antun“ soll. Jetzt bin ich froh, dass ich es getan habe.
Im Vorwort schreibt die Autorin, „dass in ihrem Buch keine Position für oder gegen Tötung auf Verlangen bezogen wird. Nein, im Gegenteil, der Leser soll sich seine eigene Meinung bilden.“
Das gelingt definitiv!
Das Thema wird so umfassend behandelt, von so vielen Seiten beleuchtet, unter so vielen Gesichtspunkten betrachtet, dass jeder Leser sich selbst irgendwo wiederfindet. Gut möglich ist auch, dass er sich nach und/oder während der Lektüre hin- und hergerissen fühlt, in seinen Ansichten schwankt oder sich einfach nicht vorstellen kann, wie er sich im Falle des Falles entscheiden würde. Auch dies ein Standpunkt, der sich im Buch wiederfindet, der völlig normal ist und erneut verdeutlicht, wie schwierig dieses Thema ist und dass man sich als Außenstehender nicht leichtfertig anmaßen sollte, über die Entscheidung eines anderen Menschen zu urteilen.

Sowohl Henning als auch seinen Familienangehörigen habe ich mich zu jeder Zeit nah gefühlt. Obwohl der Schwerpunkt auf Hennings Empfindungen liegt, wird auch klar beschrieben, wie seine engsten Angehörigen mit der Situation umgehen, wie sie damit klar kommen. Da gibt es völlig unterschiedliche Ansichten und jeder muss seinen ganz persönlichen Weg finden, damit weiterzuleben. Henning selbst wird von der anstehenden Entscheidung förmlich zerrissen...
»Weißt du, ich mache die ganze Familie unglücklich! Fange mehr und mehr an zu zweifeln, ob ich das Richtige tue.«
Es wird auch nicht nur Hennings Sichtweise dargestellt. Durch seine Erinnerungen erfahren wir vieles über andere wichtige Menschen in seinem Leben, die ebenfalls durch eine schwere Zeit der Krankheit und der Schmerzen gegangen sind. So werden auch Alternativwege aufgezeigt, sowohl was die Betreuung zuhause als auch in Pflegeeinrichtungen angeht. Jeder mag für sich entscheiden, welcher Weg für ihn persönlich der richtige ist. Und natürlich ist es auch in Ordnung, einen einmal eingeschlagenen Weg zu verlassen, um sich noch einmal neu zu orientieren.
Es gibt eben keine Standardlösung, keine allgemeingültige Antwort.

Trotz des sehr komplexen Themas ist alles sehr leicht und in einfachen Worten geschrieben. Der Stil und das große, gut lesbare Schriftbild, ermöglichen eine mühelose Lektüre. Die traurige Thematik wird durch viele – auch sehr schöne und lustige – Erinnerungen durchbrochen. Ob sie nun ein Symptom der Erkrankung sind oder ob Henning sich bewusst erinnern will, sei dahingestellt. Aber diese vielen und intensiven Erinnerungen an all die schönen und schlimmen Momente, an all das, was wichtig war im Leben, helfen ihm bei seiner Entscheidung und ermöglichen dem Leser, Henning auf seinem Weg zu begleiten.

Fazit: Hochemotional und sehr berührend. Ein schwieriges Thema wird hier umfassend und gut verständlich angegangen. Unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 15.10.2015
Robinson, Barbara

Achtung, die Herdmanns sind zurück / Herdmanns Bd.2


gut

»BÜRGERMEISTER SAGT HALLOWEEN AB! ... aus Besorgnis um die öffentliche Sicherheit, erläuterte der Artikel, und um mögliche Sachschäden zu verhindern. Die ortsansässigen Händler werden die üblichen Süßigkeiten für Halloween weder bestellen noch vorrätig haben.«

Die Ursache für die "Besorgnis um die öffentliche Sicherheit" sind sechs Kinder. Die stadtbekannten Herdmann-Kinder, auch genannt "die schlimmsten Kinder aller Zeiten". Nach den leidvollen Erfahrungen der Vorjahre befürchten Polizei, Feuerwehr und Geschäftsleute, dass die Herdmanns auch an diesem Halloween wieder zu Höchstform auflaufen werden. Ohnehin ist bekannt: Egal ob Brandstiftung, Diebstahl oder grober Unfug - die Herdmanns sind mit Sicherheit dabei! Erst jüngst zwängten sie acht Kinder in die Drehtür der Bank, die daraufhin ihre Schalter schließen musste, bis die Feuerwehr die Türe auseinandergenommen und die Kinder wieder befreit hatte. Und an Halloween erst...
»An Halloween lauerten sie hinter jeder Ecke und jedem Baum. Sie trugen keine Kostüme - mussten sie auch nicht, denn sie sahen das ganze Jahr über wie Halloween aus. Manche Kinder verkleideten sich sogar wie sie. Sie gingen auch nicht auf Süßes-oder-Saures-Tour - das mussten sie auch nicht, solange alle anderen Süßigkeiten und Kaugummis und Kleingeld sammelten, das die Herdmanns ihnen dann wegnehmen konnten.«

Auch, wenn die Herdmanns sie regelmäßig beraubten: Die Kinder lieben Halloween und das abgesagte Fest sorgt für Entsetzen. Um die Enttäuschung zu mildern (und die Herdmanns vernünftig unter Kontrolle zu haben) soll in der Schule ein Fest stattfinden. Ohne Süßigkeiten, aber dafür mit sämtlichen Lehrern und Eltern als Aufsichtspersonen, ist das allerdings keine sonderlich verlockende Vorstellung! Die Begeisterung hält sich daher in argen Grenzen. Und abgesehen davon: Kann man die Herdmanns überhaupt unter Kontrolle haben?


Ich bin ein großer Fan des Weihnachtsklassikers "Hilfe, die Herdmanns kommen!", entsprechend neugierig war ich auf dieses Buch. Nach dem Lesen muss ich sagen, dass es zwar sehr amüsant war, aber an "das beste Krippenspiel aller Zeiten" nicht herankommt. Wenn man aber einfach ein lustiges Kinderbuch zum Thema "Halloween" sucht, kann man hier ruhig zugreifen.

Halloween ist lustig und soll Spaß machen. Die fortwährenden Streiche der Herdmanns werden Kinder beim Lesen sicher begeistern! Der Stil ist absolut kindgerecht und die Erzählerin und ihr kleiner Bruder als Sympathieträger und Identifikationsfigur geeignet. Die Probleme der beiden gehen vom ersten Schock (Was? Keine Süßigkeiten???) über befürchtete Peinlichkeiten (kostümierte Eltern!) bis hin zum Schulfest, das so einige Überraschungen und gruselige Momente liefert. Die etwas über 100 Seiten sind mit witzigen Zeichnungen aufgelockert und sollten für jeden Grundschüler gut zu bewältigen sein.

Was fehlt, ist der besondere Charme des ersten Bandes, der ganz nebenbei noch die weihnachtliche Botschaft vermittelt, Themen wie Toleranz und Vorurteile aufgreift und zeigt, dass man auch in "schlimmen" Kindern Gutes entdecken kann. Zum Verständnis dieses Buchs muss man ihn nicht gelesen haben, ich möchte ihn aber jedem, der ein lustiges Weihnachtsbuch (nicht nur für Kinder) sucht, sehr ans Herz legen.

Fazit: Witzig und kindgerecht. Der besondere Charme des ersten Bandes fehlt jedoch.

»Man kann sie ja schlecht außen vor lassen, aber wenigstens muss sich keiner ihretwegen sorgen. Was können sie schon anrichten, mitten in der Schule, umgeben von Eltern und Lehrern? Was können sie schon anrichten?«

Bewertung vom 09.10.2015
Storks, Bettina

Die Stimmen über dem Meer


ausgezeichnet

»Das Haus hatte ihre Seele berührt, das Meer, der Wind, die Landschaft ihrer Kindheit. Der einzige Ort auf der Welt, an dem Morganes Mutter in jeder Welle, die ans Ufer schwappte, spürbar war.«

Finistère, ein kleiner Küstenort in der Bretagne. Ein altes Steinhaus an den Klippen hat Morganes Tante Fanny ihr dort hinterlassen. Seit vielen Jahren war Morgane nicht mehr dort gewesen, schon lange mied sie den Ort, mit dem sie so viele glückliche Kindheitserinnerungen verband. Den Ort, an dem ihre Mémé ihr so viele wundervolle Geschichten erzählt hatte, den Ort, den sie so oft gemeinsam mit ihrer Mutter, einer gebürtigen Bretonin besucht hatte. Und an dem ihre Mutter eines Tages bei einem Badeunfall ums Leben gekommen war.
Eigentlich will Morgane nur ihr Erbe antreten, das Haus dann verkaufen und nach Deutschland zurückkehren. Aber das Meer und die ganz eigene Landschaft üben einen starken Reiz aus, dem sich die Halbbretonin nicht entziehen kann. Was, wenn sie hierbleibt? Ein neues Leben beginnt? Wenn sie endlich versucht, die Wahrheit über den mysteriösen Tod ihrer Mutter herauszufinden?

Was für ein Buch! Ich sitze hier, habe es beendet, zugeklappt und bekomme es nicht aus meinem Kopf. Immer noch schwingt seine ganze Atmosphäre in mir, immer noch habe ich das warme Gefühl im Bauch, das sich beim Lesen eingestellt hatte.
Bettina Storks hat es mit wundervollen Worten geschafft, die Küste der Bretagne vor meinem geistigen Auge entstehen zu lassen. Ich war noch nie dort und habe doch das Gefühl, als müsste ich mich auskennen, würde ich jetzt dorthin fahren. (Was ich übrigens am liebsten sofort tun würde ;-) So, wie sie die raue Schönheit der Landschaft beschreibt und den besonderen Charme der Bretonen, vermute ich, dass sie die Gegend sehr lieben muss.
»Die Menschen hier sind anders. Sehr direkt. Sie sagen, was sie meinen, und sie meinen, was sie sagen. Dies ist nicht Paris, hier ist ein anderes Frankreich, die wahre Bretagne, Madame … Sie müssen hinter die touristische Maske blicken, um uns zu finden. Hier sind die Rebellen zu Hause, die Kämpfer. Sie werden sich an diesen Menschenschlag gewöhnen und uns, wenn es erst einmal so weit ist, nicht mehr missen wollen.«

Sehr intensiv begleitet der Leser Morgane auf ihrem Weg. Einem Weg, der nicht nur zur Wahrheit führt, sondern auch zu sich selbst. Deutlich spürt man, was der plötzliche Tod der Mutter bei der damals Zehnjährigen angerichtet hat. Wie all die unbeantworteten Fragen eine Wunde rissen, die bis zum heutigen Tag nicht heilen konnte. Wird die Wahrheit ihr helfen können? Oder vielleicht alles noch schlimmer machen? Wie kann es sein, dass sie hier immer wieder Menschen begegnet, die mehr über ihre Mutter wissen, als sie selbst?
Bis zum Ende wird Morgane – und der Leser mit ihr – eine Achterbahn der Gefühle durchleben. Sie wird hoffen und verzweifeln, neu anfangen und aufgeben, glücklich sein und trauern. Neue Menschen werden in ihr Leben treten, neue Beziehungen werden entstehen, andere sich verändern oder enden. Das Ende wird sie mit einer Gewissheit belohnen, die auch dem Leser in chaotischen Zeiten Mut machen und den Blick in die Zukunft erleichtern kann.

Fazit: Ganz großes Kino! Ein wundervolles Leseerlebnis, das ich nur empfehlen kann.

»Nirgendwo auf der Welt liegen Himmel und Erde so nah beieinander wie in der Bretagne.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2015
Flix

Faust / Graphic Novel Paperback Bd.1


ausgezeichnet

»Ich komme von Happy Life. Wir sind die Coachingagentur für die Elite. Wir sind ein internationales Unternehmen, diskret, effizient und nicht für Jedermann. Josef Ackermann, Heidi Klum, Diego Maradona, Kurt Cobain, Tom Cruise, um nur ein paar Namen zu nennen.«

Heinrich Faust schlägt sich als Taxifahrer in Berlin mehr schlecht als recht durchs Leben. Nach einem Streit mit seinem Mitbewohner Wagner (hier ein Rollstuhlfahrer mit Migrationshintergrund) ist seine gesamte finanzielle Existenz bedroht. Wie kann er so hoffen, dass Margarethe (hier eine Muslima und Tochter eines türkischen Bioladenbesitzers, der immer so gerne "Schreinemakers" geschaut hat) ihn erhört? Da kommt ihm der Vertreter der Couchingagentur namens "Happy Life" gerade recht, der ihm eine kostenlose rundum-sorglos-Betreuung verspricht, an deren Ende er wunschlos glücklich und Margarethe in ihn verliebt sein wird. Es gibt nur einen winzig kleinen Haken...
»§6.6.F.: Bei erfolgreicher Erfüllung des vom „Opfer“ genannten Wunsches innerhalb des vereinbarten Erfüllungszeitraums überträgt das „Opfer“ automatisch für die Zeit nach seinem Tod der Firma „Happy Life“ die exklusiven Nutzungsrechte an seiner unsterblichen Seele.«

Endlich habe ich diesen Flix-Comic gelesen - und ich fand es herrlich!

Der Vertreter von "Happy Life" ist natürlich niemand anders als Mephisto, der mit Gott eine Wette abgeschlossen hat und bei mir für einen Lacher nach dem anderen sorgte. Er agiert mit einer schier grenzenlosen Kreativität, benutzt heimlich Allahs Skype-Account, zitiert Goethe und verwandelt sich bei Bedarf in die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch. Wenn er gerade mal Wartezeit zu überbrücken hat, liest er ein gutes Buch. Zum Beispiel eins aus dem Bücherregal unseres Taxifahrers mit dem Titel: "Faust"
Den Liebenden bei Flix steht weniger ihre eigene Religion im Weg, sondern vielmehr Mütter und andere Verwandte. Aber Flix hat ein Herz für die beiden und beschert ihnen ein passendes Ende ;-)
"Faust" nach Flix wurde erstmals von Juli bis Dezember 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Die Buchausgabe ist geringfügig überarbeitet und um einige Seiten ergänzt.

Was Goethe wohl zu diesem neuzeitlichen "Faust" gesagt hätte? Eins muss man ihm lassen: Er greift alle möglichen aktuellen Themen auf, ist frech, politisch und kritisch, hält viele kleine Überraschungen für den Leser bereit - und macht einfach Spaß!

Fazit: Ein Klassiker ganz und gar neuzeitlich. Wer Comics mag, sollte sich den hier nicht entgehen lassen.

Goethe: »Schönes Fräulein, darf ich wagen, meinen Arm und Geleit ihr anzutragen?« - Flix: »Äh… m-meine H-Hobbys sind Chrismon lesen, Yoga und Müll trennen… Glas k-kommt in die Küche, Plastik in den Flur und Papier ins Schlafzimmer. Und du?«

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.10.2015
Fitzek, Sebastian

Die Therapie


sehr gut

»Als die halbe Stunde verstrichen war, wusste er, dass er seine Tochter nie wiedersehen würde. Sie hatte die Tür geöffnet, sich noch einmal kurz zu ihm umgedreht und war dann zu dem alten Mann hineingegangen. Doch Josephine, seine kleine zwölfjährige Tochter, würde nie wieder herauskommen. Er war sich sicher. Sie würde ihn nie wieder strahlend anlächeln, wenn er sie zu Bett brachte. Er würde nie wieder ihre bunte Nachttischlampe ausknipsen, sobald sie eingeschlafen war. Und nie wieder würde er von ihren grauenhaften Schreien mitten in der Nacht geweckt werden.«

Der Alptraum eines Vaters. Der Alptraum jeder Eltern. Ein Kind ist verschwunden und das Leben wird nie mehr so sein, wie es war.

Dr. Viktor Larenz war ein erfolgreicher Psychiater, wohlhabend und geachtet. Als plötzlich seine 12jährige Tochter Josephine unter mysteriösen Umständen verschwindet, bricht seine Welt zusammen. Es gibt keine Zeugen, niemand verlangt Lösegeld. Josys Leiche wird auch nicht gefunden. Sie ist weg. Einfach weg.
Vier Jahre danach ist Viktor immer noch weit davon entfernt, den Verlust zu verarbeiten. In der Abgeschiedenheit seines Ferienhauses erhält er eines Abends Besuch von einer unbekannten Frau, die ihn um Hilfe bittet. Sie leidet unter einer besonderen Form der Schizophrenie und obwohl Viktor eigentlich nicht mehr praktiziert, reizt ihr Fall ihn so, dass er sich zu einigen Therapiesitzungen mit ihr trifft. Was dann kommt, wird alles in den Schatten stellen, was er zuvor erlebt hat…

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an gepackt. Natürlich führt der Verlust eines Kindes jedem Leser, der eigene Kinder hat, ein absolutes Horrorszenario vor Augen, aber das ist es nicht allein. Es ist die Art, wie Fitzek seinen Protagonisten in Ängste verwickelt, wie er ihn Alpträume und Wahnvorstellungen erleiden lässt, wie er ihn immer mehr, Stückchen für Stückchen, an seinen eigenen Wahrnehmungen zweifeln lässt, die den besonderen „Thrill“ ausmacht. In Rückblenden arbeitet man sich weiter vor bis zu dem Tag, der als „der Tag der Wahrheit“ bezeichnet wird. Das macht mehr als neugierig und genau wie Viktor fragt man sich als Leser, was jetzt eigentlich real ist und wie sich all das Furchtbare, das schon geschehen ist, noch weiter steigern lassen soll.
»Du weißt schon, wie sich das für mich anhört?« »Natürlich«, antwortete Viktor. »Du musst glauben, dass ich endgültig den Verstand verliere.«

Fazit: Spannend und verstörend. Ein Buch, das ohne Pause gelesen werden möchte.

»Zwischen Ahnen und Wissen liegen Leben und Tod.«

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