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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 10.12.2015

Paternoster - Vom Auf und Ab des Lebens


ausgezeichnet

»Wenn Dinge mal nicht laufen wie du dachtest, schier entgleiten vielleicht und dich trifft fast der Schlag: Dann ärgere dich nicht, steht ja auch so auf dem Pappkarton dieser Heimsuchung von Spiel. Ist doch mancher Ärger die Vorstufe zu echter Erkenntnis und wahrhafter Größe.«

Das "Auf und Ab des Lebens" - was bedeutet das? Für jeden Menschen etwas anderes. Auch für die Autoren und Künstler, die Texte und Graphiken zu diesem Buch beigetragen haben. Allesamt honorarfrei, der Erlös aus dem Verkauf kommt dem Kinderhospiz Burgholz zugute.

Wer sich auf dieses Buch einlässt, bekommt viel Stoff zum Nachdenken. Abwechslungsreiche Geschichten - wie das Leben selbst. Die Autoren wissen sehr gut mit dem geschriebenen Wort umzugehen. Das Ergebnis ist mal einfach unterhaltsam, mal verlangt es einen zweiten oder dritten Blick. Manche Erzählungen sind sehr persönlich, schildern eigene Erfahrungen. Beim Lesen staunte ich immer wieder über die große Vielfalt an Themen. Natürlich hat nicht jedes für jeden Leser die gleich starke Bedeutung, aber alle sind sie sehr beeindruckend geschrieben. Ganz aktuell in der derzeitigen Situation: "Die Flucht" - ging mir sehr ans Herz und ich wünschte mir, dass viele Menschen diese Geschichte ebenfalls lesen würden. Auch die Bilder sind eindrucksvoll! Farbintensiv und ausdrucksstark, sind sie manches Mal auf den ersten Blick verwirrend und locken zum genaueren Betrachten.

Das Auf und Ab, Licht und Schatten, gehören zum Leben dazu. So lese ich also Geschichte für Geschichte, denke darüber nach, was einem im Leben an guten und schlechten Dingen widerfahren kann. Dann diese besondere Geschichte: Irgendwie zieht sie sich zunächst. Ich denke: Meine Güte, was für Formulierungen! Ich fühle mich überhaupt nicht angesprochen, bin ein wenig gelangweilt und nach zwei Seiten versucht, den Rest zu überfliegen. Aber dann! Was für eine Entwicklung! Was für eine tolle Wendung nimmt die ganze Geschichte! Ich freue mich, lese sie gleich noch ein zweites Mal, habe einen Riesenspaß, der Anfang stört mich überhaupt nicht mehr. Was wäre mir entgangen, wenn ich mich nicht zunächst durch diese zwei zähen Seiten gebissen hätte! Ich werde nachdenklich. Ob man das auch aufs Leben übertragen kann? Eigentlich denkt man ja immer, es wäre schön, wenn es die ganzen "Abs" nicht gäbe. Aber vielleicht würde man dann auch schöne Dinge verpassen? Oder sie gar nicht richtig wahrnehmen können? Sie nicht zu würdigen wissen?

Ich blättere zurück, ganz nach vorne, zu der Widmung...
»Zugedacht all den Menschen, die sowohl des Lebens Auf wie auch sein Ab erfahren.«

Ich fühle mich angesprochen.

Im Begleitwort wird das Kinderhospiz Burgholz und seine wichtige Aufgabe vorgestellt. Im Anhang gibt es dann Infos zu sämtlichen Autoren und zu dem Graphiker - das ist sehr schön und hilfreich, da man beim Lesen zwangsläufig auf den ein oder anderen Autor/Künstler und sein weiteres Werk neugierig wird.

Fazit: Ein beeindruckendes Buch - und mit dem Kauf tut man auch noch ein gutes Werk. Klasse also zum Verschenken und Selberlesen.

Bewertung vom 03.12.2015
Hill, Will

Das Gefecht / Department 19 Bd.3


gut

In 52 Tagen wird Dracula (jawohl, "der" Dracula) wieder zu voller Kraft zurückgefunden haben. Dass er nicht weniger als die Weltherrschaft anstrebt, liegt auf der Hand. Seine Anhänger sind schon zahlreich und werden immer mehr. Auch, weil sie in Hochsicherheitsgefängnisse und geschlossene Kliniken eindringen und die Insassen (bzw. Patienten) in Vampire verwandeln. Jamie Carpenter und seine Mit-Agenten vom Department 19, der streng geheimen Organisation, die sich von ihren Gründungsvätern an (Van Helsing, Harker, Seward usw.) dem Kampf gegen Vampire verschrieben hat, jagen von Kampfeinsatz zu Kampfeinsatz - und müssten sich doch eigentlich noch von dem schweren Schlag aus dem letzten Band erholen, wohlwissend, dass die Uhr tickt...

Dieser Band aus der Reihe Department 19 heißt "Das Gefecht" - ein sehr zutreffender Titel. Noch mehr als in den beiden Vorgängern steht der aktive Kampf gegen Vampire im Vordergrund. Das ist ohne Zweifel spannend und wie immer sehr blutig geschrieben. Da zerplatzen Körper, da gibt es riesige Blutlachen, Eingeweide, Verbrennungen und Folter. Die Vampire haben enorme Fähigkeiten, vor allem was Kraft und Stärke angeht. Die "alten" Vampire beeindrucken zudem durch hohe Intelligenz und häufig auch abgrundtiefe Boshaftigkeit. Und auch die Agenten dürfen nicht zimperlich sein...
»Agentin Ellison«, sagte Jamie und wandte sich ihr zu. »Welche Erkenntnisse hat die Identifizierung der Zielperson geliefert?« »Der Mann ist seit Langem als gewalttätig bekannt, Sir«, antwortete Ellison. »Paranoide Schizophrenie, vor gut zehn Jahren diagnostiziert. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes, mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung.« »Was bedeutet das alles zusammengenommen?« »Sofort schießen, Sir. Und weiter draufhalten.«
Passend dazu: Vereinzelt klingt schon mal an, ob man als Department nicht seine generelle Vorgehensweise überdenken müsste. Ob es nicht vielleicht unrecht sein könnte, jeden Vampir zu vernichten? Interessanter Ansatz, ich bin gespannt, ob und in welcher Weise er fortgesetzt wird.

Neben den vielen Kämpfen gilt es - mal wieder - einen Verräter in eigenen Reihen zu suchen und weiter nach einem Mittel gegen den Vampirismus zu forschen. Diese Abschnitte fand ich besonders interessant und hätte gern mehr davon gelesen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass gerade der Punkt Forschung auch in weiteren Bänden noch ein großes Thema sein wird. Vermisst habe ich die Blicke in die Vergangenheit, die mir in den vorherigen Bänden so gut gefielen und auch von Dracula und Frankenstein gab es leider nur wenig zu lesen.

Ein Punkt, der mich wirklich gestört hat, war der unglaublich tolle Trainingszustand unserer jungen Protagonisten. Nach wenigen Wochen Training und Kampf haben sie eine Kraft und Erfahrung, für die man normalerweise Jahre brauchen würde. Gut, die Reihe läuft als Jugendbuch und deshalb müssen die jungen Leute besser, schlauer und toller sein als alle, die schon die 30 hinter sich gelassen haben, aber sooo sehr übertreiben wäre trotzdem nicht nötig gewesen. Ich habe mich an einigen Stellen dabei ertappt, dass ich den durch die Luft fliegenden Vampir als weniger unlogisch empfand als seinen menschlichen jugendlichen Gegenspieler ;-) Überhaupt hat zum Charme der ersten Bände gehört, dass die Jugendlichen in vielen Punkten auch noch wie wirklich junge Menschen wirken, das blitzte hier - für mein Empfinden - nur noch sehr selten durch.

Fazit: Bislang der schwächste Band der Reihe. Weiterlesen werde ich trotzdem, ich will schließlich wissen, wie es ausgeht ;-) Wer noch nichts vom Department 19 gelesen hat: Die Reihe unbedingt von vorne lesen.

Bewertung vom 03.12.2015
Alba, Johanna;Chorin, Jan

Hosianna! / Papst Petrus Bd.3


ausgezeichnet

»Verwüstet. Ein anderes Wort fiel Petrus nicht ein. Ein Luftzug wirbelte die Papiere auf, die überall verstreut lagen. Die Vorhänge bauschten sich in Fetzen ins Zimmer. Die Türen des Kleiderschranks standen offen, Wäsche, Hemden, Soutanen lagen zusammengeknüllt auf dem Boden. Der Teppich war mit Scherben übersät. Flecken bedeckten den braunen Teppich. Petrus bückte sich instinktiv und berührte die dunklen Schatten. Sie fühlten sich feucht an.«

Papst Petrus II ist wieder gefordert! Zwar ist es kurz vor Weihnachten und eigentlich müsste er sich auf seine Weihnachtspredigt vorbereiten und das Urbi et orbi in diversen Sprachen üben, aber wenn seine Schwestern ihm berichten, dass ein junger spanischer Priester, der in ihrem Palazzo wohnt, unter mysteriösen Umständen verschwunden ist, dann muss er schließlich nach dem Rechten sehen! Erst recht, als sich der Verdacht erhärtet, dass der Priester Opfer eines Verbrechens geworden ist, denn noch einen Skandal kann seine Kirche nicht gebrauchen. Nein, Polizei und Öffentlichkeit sollten davon nichts erfahren, darum kümmert man sich besser selbst. Als es zu weiteren ungewöhnlichen Vorkommnissen im Palazzo kommt, spitzt sich die Lage zu...

Einen solchen Papst müsste man haben! Ich finde ihn absolut wunderbar, denn er ist herrlich menschlich! Sehr zum Leidwesen übrigens seiner strengen Haushälterin Immaculata, die sich berufen fühlt, an vorderster Front gegen alle nur erdenklichen Laster zu kämpfen. Und Petrus hat davon (ihrer Meinung nach) reichlich, verwandelt den Vatikan in einen regelrechten Sündenpfuhl! Man stelle sich nur vor: Ein Heiliger Vater, der allmorgendlich in der Gazzetta dello sport die Fußballtabellen studiert, mit einem alten Priestermantel getarnt durch Rom streift, gerne auch mal als Sozius auf der Vespa seines Privatsekretärs und der der teuflischen Genusssucht frönt...
»Und jetzt gehen wir schlafen«, sagte Petrus, trank aus und sammelte die leeren Bierflaschen ein. »Ich verstecke sie in meiner Privatkapelle. In der Sakristei. Einer von uns muss sie morgen aus dem Vatikan schmuggeln.« »Aber Immaculata wird merken, dass im Kühlschrank Bier fehlt.« »Wir sagen, dass Kardinal Rizzoli geklingelt und Bier geschnorrt hat. Das ist völlig glaubhaft. Seine Haushälterin ist noch strenger als Immaculata und duldet keine Flasche im Haus. Normalerweise kauft er nachts an der Tankstelle, aber die hat heute früher zu, weil Feiertag ist.« »Aber ... das wäre ... nicht ganz die Wahrheit.« »Kardinal Rizzoli hätte demnächst geklingelt - ich bin mir ganz sicher.«

Petrus tatkräftige Mitstreiter sind seine Pressesprecherin Giulia und sein Privatsekretär, ein junger Franziskanermönch namens Francesco. Die beiden haben ihn schon bei "Halleluja!" und "Gloria!" unterstützt, bilden in Sachen Detektivarbeit ein tolles Team. Allerdings stellt die gute und enge Zusammenarbeit vor allem Francesco vor ein gewaltiges Problem - nun ja, man kann keinen Papst-Krimi schreiben, ohne irgendwo das Thema "Zölibat" mit einzubringen. Auf jeden Fall sind die beiden mir sehr sympathisch, wie übrigens auch die leicht schrägen Schwestern von Petrus, die sich samt Kater Monsignore im Vatikan einquartieren und Immaculata an den Rand der Verzweiflung bringen.

Abgesehen von diesen sehr unterhaltsamen Aspekten gibt es natürlich auch noch eine Krimihandlung. Eins muss man diesem Papst lassen: Er ist ein toller Ermittler, hat Ideen und setzt diese kreativ um. Daraus ergibt sich eine intelligente Krimihandlung, bei der man ruhig miträtseln kann. Am Ende schafft Petrus es, die Auflösung mit einer weihnachtlichen Note zu verbinden - das muss ihm erst mal einer nachmachen ;-)

Fazit: Wo bekommt man einen solchen Papst her? Ich hatte viel Spaß an diesem Buch und hoffe, dass es noch weitere Fälle für Petrus geben wird.

»Es ist immer verdächtig, wenn sich alle gern mögen«, sagte Petrus. »Meine Kardinäle mögen sich auch alle gern. Trotzdem haben wir in diesem Kreis immer wieder unerklärliche Todesfälle zu beklagen.«

Bewertung vom 28.11.2015
Borowiak, Simon

Bring mir den Kopf vom Nikolaus


sehr gut

Was tut man, wenn gerade Weihnachten ansteht, man aber von der Frau seines Lebens verlassen wurde? Unser Held muss sich dieser Herausforderung stellen und er ist gewillt, sie anzunehmen. Er wird sich das Fest nicht vermiesen lassen, er nicht! Trotzdem kommt ihm die Fee, die plötzlich samt Rentier vor seiner Tür steht, gar nicht ungelegen. Schließlich bietet sie ihm an, ihm drei Wünsche zu erfüllen - ganz zuverlässig, ohne Risiko. Na, das ist doch die Chance, das Weihnachtsfest doch noch mit der geliebten Bernadette zu verbringen! Oder...?

Wenn der Eichborn Verlag ein Weihnachtsmärchen herausbringt, dann darf man auf richtig gute Unterhaltung hoffen. Die stellt sich hier auch von der ersten Seite an ein. Die Fee und ihr "Kollege", das Rentier, zuständig für die notarielle Beglaubigung der Wunschzettel, nehmen wirklich alles aufs Korn, was man gewöhnlich über gute Feen, weihnachtliche Rentiere und Wünsche weiß. Das Büchlein liest sich viel zu schnell, bietet dazu noch witzige Zeichnungen und macht einfach Spaß! Und ganz nebenbei erfährt man auch noch, worauf man unbedingt achten sollte, wenn eines schönen Tages mal eine Fee an der eigenen Haustür klingeln sollte ;-)

Fazit: Sehr spaßig! Wer ein etwas anderes Weihnachtsbuch sucht, dem sollte das hier gefallen :)

»Um unseres lieben Heilands willen ... dürfte ich mal ihr Klo benutzen?«

Bewertung vom 23.11.2015
Thiel, Sebastian

Sei ganz still


ausgezeichnet

»Häftlinge, die andere Insassen verrieten - ein Terrorregime, das jeden Widerstand auslöschte, indem sich niemand mehr sicher sein konnte. Das Reich hatte es wahrlich weit gebracht. Und das Schlimmste war, ihn hatte es eigentlich nicht mal sonderlich interessiert. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, bis auch er die volle Dosis der mächtigen Obrigkeit zu spüren bekam.«

Deutsches Reich, 1938. Noch vor einem halben Jahr stand Friedrich Wolf selber auf der Seite des Gesetzes, war er Oberwachtmeister mit einer hohen Verhaftungsquote und großem Bekanntheitsgrad, wobei Letzterer vor allem aus seinem Hang zu Alkohol, Prostituierten und Schlägereien resultierte und ihn am Ende in ein Strafgefangenenlager, eben auf die andere Seite, brachte. Dort schuftet er unter schlimmsten Bedingungen, erleidet Hunger, Kälte und Folter und hat schon fast mit seinem Leben abgeschlossen, als ihm der SS-Arzt Ernst Kampa mit einem Spezialauftrag die Chance zur Rehabilitation gibt...
»Also hörte ich mich um. Ich suchte nach dem verschlagensten, korruptesten Soldaten oder Polizisten, der sich mit Ungeziefer und Abschaum im Milieu umgibt.« »Und so kamen Sie auf mich.« »Exakt.«
Dr. Kampa sucht seine Verlobte, ihre Spur führt ins Rotlichtmilieu und womöglich wurde sie Opfer eines Verbrechens. Wolf, der sich in diesen Kreisen bestens auskennt, macht sich an die Arbeit, nicht im Entferntesten ahnend, worauf er sich da eingelassen hat...

Meine Güte, war das spannend! Ich liebe ja Krimis, die gleichzeitig eine ordentliche Portion Zeitgeschichte beinhalten - und dieser hier ist ein besonders tolles Exemplar! Das Buch zeigt in sehr eindringlichen Schilderungen einige der furchtbaren Facetten des Naziregimes. Angefangen bei den Grausamkeiten des Strafgefangenenlagers, in dem täglich Menschen sterben und täglich neue Häftlinge - die meisten von ihnen "politische" - ankommen. Weiter über die allerorts herrschende Angst, die dafür sorgt, dass jeder jeden bespitzelt und verrät, hin zu dem besonders dunklen und menschenverachtenden Thema des "unwerten Lebens". Der Leser muss sich auf Abschnitte gefasst machen, die teils sehr blutig sind und teils im Innersten erschüttern und betroffen machen, selbst wenn es sich um Dinge handelt, von denen man (natürlich) schon gehört oder gelesen hat.

Der Ermittler ist noch mal eine Klasse für sich. Im Grunde ist er ein Anti-Held, ein Schläger, ein Trinker. Jemand, der erst dann beginnt nachzudenken, wenn er selber betroffen ist. Jemand, bei dem man überlegt, ob man ihn überhaupt sympathisch finden darf. Höchst aggressiv sind seine Gedankengänge, in denen man aber auch die Spuren eines erlebten Traumas ausmachen kann. Kein einfacher Charakter, aber sehr interessant. Zumal ein solcher Charakter die Spannung weiter erhöht, denn man fragt sich bei ihm (im Gegensatz zu einem "richtigen Helden") immer wieder, wie er sich wohl entscheiden, welche Seite er einnehmen wird.

Die Handlung selbst sorgt ebenfalls dafür, dass es spannend bleibt. Ständig fragt man sich, wer nun eigentlich gut und wer böse ist. Wer jetzt eigentlich wen jagt und/oder bespitzelt und wem man überhaupt glauben kann. Mal ist man überrascht, mal schockiert. Und zum rasanten Ende hin fast schon atemlos.

Fazit: Spannend und schockierend. Große Klasse!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.11.2015
Leino, Marko

Wunder einer Winternacht


sehr gut

»Man braucht kein echter Weihnachtsfan zu sein, um diese Geschichte zu lesen, man muss nicht einmal an den Weihnachtsmann glauben. Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die an 365 Tagen im Jahr an Nächstenliebe und Uneigennützigkeit glauben.«

In einer kalten und stürmischen Nacht, kurz vor Weihnachten, verliert der fünfjährige Nikolas durch einen tragischen Unfall seine Familie, seine Eltern und die kleine Schwester Ada, die er so liebte. Die Dorfgemeinschaft nimmt sich des kleinen Waisen an, doch die Menschen in Korvajoki sind arm und der zusätzliche Esser eine schwer zu stemmende Belastung. Jede Familie nimmt Nikolas für ein Jahr auf, immer zu Weihnachten wird gewechselt. Nikolas ist erfüllt von Dankbarkeit für all die Menschen, die sich um ihn gekümmert haben und schnitzt für die Kinder „seiner Familien“ kleine Geschenke, die er ihnen zum Fest vor die Tür legt. Doch in einem besonders harten Jahr wird er dem Tischler Iisakki anvertraut, der außerhalb des Dorfes lebt und ein ständig schimpfender, kinderhassender Mann ist...

Das war eine wunderschöne Weihnachtsgeschichte – dieses Buch werde ich in kommenden Jahren sicher immer mal wieder lesen! Die Geschichte rund um den „wahren Weihnachtsmann“ ist eingebettet in eine ebenso schöne Rahmenhandlung, die in der heutigen Zeit spielt.

Die Handlung geht so richtig ans Herz, sorgt manchmal für ein warmes Gefühl im Bauch und lässt einen an anderer Stelle zum Taschentuch greifen. Emotionen eben, wie sie zu einer schönen Weihnachtsgeschichte dazugehören. Christliche Hintergründe fehlen zwar, dafür geht es umso mehr um Werte wie Dankbarkeit, Menschlichkeit, das Sorgen füreinander und selbstloses Handeln. Und natürlich erfährt man alles über den „wahren Weihnachtsmann“…
»Aber warum bringt er uns überhaupt Geschenke?« »Weil der Weihnachtsmann möchte, dass wir uns über das freuen, was wir geschenkt bekommen, und so lernen, wie wichtig es ist, geben zu können. Wenn man einem anderen etwas gibt, bekommt man etwas viel Größeres zurück.«

Die Geschichte ist sowohl für kleine, als auch für große (bzw. erwachsene) Kinder geeignet. Aufgeteilt in 24 Kapitel eignet sie sich ideal als Adventskalendergeschichte (die Kapitel sind auch passend als „Türchen“ bezeichnet). Gelegentlich eingestreute Schneeflocken auf den Buchseiten machen alles noch ein bisschen stimmungsvoller.

Fazit: Wer eine richtig schöne und altmodische Weihnachtsgeschichte sucht, liegt mit diesem Buch goldrichtig. Alle Jahre wieder zu lesen ;-)

»Aus heiterem Himmel hatte das Schicksal dem kleinen Nikolas eine ungeheure Bürde aus Verlust und Einsamkeit auf die Schultern gelegt, so schwer, dass er sie auch später, als er größer und kräftiger war, nie ganz abschütteln konnte. Die Bürde seiner Kindheit würde Nikolas sein ganzes Leben lang mit sich tragen. Doch diese Last war es, die ihn zu der Gestalt werden ließ, als die man ihn heute überall auf der Welt kennt.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.11.2015
Lee, Harper

Gehe hin, stelle einen Wächter


gut

Jeder, der „Wer die Nachtigall stört“ gelesen hat, kennt Scout. Nun, aus der kleinen Scout ist die erwachsene Frau Jean Louise geworden, die mittlerweile 26 Jahre alt ist, fern der Südstaaten in New York lebt und jährlich ein paar Wochen zu Besuch in die alte Heimat reist. Wochen, auf die sie sich immer gefreut hat, die ihr glückliche Kinderzeiten in einer heilen Welt in Erinnerung rufen. Aber in diesem Jahr ist nichts mehr heil…
Die Handlung spielt in der Mitte des 20. Jahrhunderts, das Thema „Aufhebung der Rassentrennung“ ist in aller Munde. Während in New York bereits kleine Fortschritte zu erkennen sind, hat Jean Louise in Maycomb den Eindruck, dass das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß sich drastisch verschlechtert hat. Und auch die Menschen, die sie liebte, die ihr in ihrem Leben Sicherheit gegeben hatten, sind nicht mehr die alten…

Rassismus ist natürlich auch in „Wer die Nachtigall stört“ ein großes Thema, aber während es dort in die übrige Handlung eingebettet wird, dominiert es hier. Während die „Nachtigall“ (die zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt) mich am Ende mit einem Gefühl der Hoffnung verabschiedet, habe ich nach der Beendigung des „Wächters“ ein Zorngefühl im Bauch.
Natürlich und unbestritten: Rassismus ist und bleibt ein wichtiges – und leider auch ständig aktuelles – Thema. Da braucht auch keiner auf die USA zu schielen, Rassismus funktioniert nicht nur mit Schwarzen und Weißen. Wir Deutschen sollten das wissen. Dieses Thema ist mir ein richtiges Herzensanliegen und ich freue mich eigentlich über jedes Buch, das es aufgreift. Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Umsetzung hier so gut ist.

Anstatt einfach nur die Tatsachen für sich sprechen zu lassen, wird unglaublich viel diskutiert. Jean Louise ist engagiert und bereit, für ihre Ansichten einzutreten – das ist super und verdient Anerkennung. Manchmal können wir beim Lesen einfach nur ihren Gedankengängen folgen, dann ist alles gut, denn die spielen sich auf der emotionalen Ebene ab und erreichen den Leser direkt.

Aber über viele Seiten hinweg wird über amerikanische Geschichte gesprochen, über Demokraten und gestrichene Zusatzartikel in Verfassungen. Mal ganz davon abgesehen, dass sicher nicht wenige Menschen hier Personen, Schauplätze und Artikel der amerikanischen Geschichte erst mal nachlesen müssen, drängt sich doch zwangsläufig das Gefühl auf, dass dies alles „weit weg und lang her“ ist und mit einem selber in der heutigen Situation nichts zu tun hat. Und eben das ist ein Irrtum. Zudem sind solche Abschnitte nicht immer leicht zu lesen und verleiten dazu, sie nicht sorgfältig zu lesen.

In einem anderen Abschnitt ist mir die Lektüre noch erheblich schwerer gefallen. Dabei ging es darum, dass Jean Louise (ja, sogar sie) ein Problem mit den Reformen in ihrer Kirche hat. Sicher, das sollte wohl verdeutlichen, wie tief in beinah jedem Menschen der Wunsch nach gewissen Inseln der Sicherheit, der alten Gewohnheit, vorliegt. Aber die detaillierten Ausführungen über Methodisten, Baptisten, Presbyterianer, Kirchenlieder, Riten und Prediger fand ich im Umfang schon ermüdend.

Versöhnt haben mich die Kapitel, in denen sich Jean Louise an Ereignisse ihrer Kindheit erinnerte. Da war er dann auch, der Charme und das gute Gefühl, das sich bei mir beim Lesen der „Nachtigall“ regelmäßig einstellt. Auch die erwachsene Scout kann Sätze sagen, die so einfach und so klar sind, dass sie direkt ans Herz gehen.

Fazit: Vom Grundansatz her ein gutes Buch, das gerade in der heutigen Zeit deutlich machen kann, dass sich „die armen Südstaatler“, die mittels ihrer Bürgerräte sich „lediglich zu verteidigen suchten“, nicht von den „besorgten Bürgern“ unserer Zeit unterscheiden. Allerdings habe ich meine Zweifel, dass das Buch die Menschen, die es erreichen müsste, auch tatsächlich ansprechen kann. Die sehr viel einfachere, emotionale Art der „Nachtigall“ kann den Wächter im Menschen, sein Gewissen, sicher leichter ansprechen.

Bewertung vom 12.11.2015
Ruff, Matt

Fool on the Hill


ausgezeichnet

»Verstehen Sie mich recht, ich bin kein gewöhnlicher Erzähler, kein Schreiberling, der mit billigen Erfindungen tändelt. Ich bin ein Geschichtenerzähler; ich schreibe ohne Papier, und alle meine Dichtungen … sind wahr.«

An einem windstillen Sommertag besteigt Stephen Titus George, ein Schriftsteller, ein „professioneller Lügner“, einen Hügel auf dem Campus der Cornell University in Ithaca, um einen Drachen steigen zu lassen. Ein Mischlingshund und ein Kater machen sich auf den Weg, um den Himmel zu suchen. Der Kobold Puck versucht, das Herz der Kobolddame Zephyr zurückzuerobern und Kobold Hobart, der Älteste und Hüter des Glockenspiels spürt, dass sich auf dem nahen Knochenacker ein Unheil neu erhebt, das hundert Jahre lang geschlafen hatte.

Zugegeben, wer diese recht grobe Inhaltsangabe liest, wird sich womöglich fragen, was der Autor wohl so geraucht haben mag ;-) Ich habe mich noch nach den ersten Kapiteln gefragt, wie all diese Handlungsstränge zusammenpassen sollen – um später festzustellen, dass die große Geschichte hinter all diesen Bruchstücken sie am Ende zu einem wunderbaren und faszinierenden Ganzen zusammenfügen wird.

Dass diese Geschichte mich so verzaubert hat, hat mich wirklich überrascht. Fantasy gehört zu den Genre, die ich nicht so häufig lese – und nun mag ich mir gar nicht vorstellen, was mir entgangen wäre, wenn ich dieses Buch nicht gelesen hätte! Zu all den phantastischen Elementen, wie kämpfenden Kobolden, sprechenden Tieren, Menschen mit gewissen magischen Fähigkeiten und plötzlich zum Leben erwachenden Gegenständen gesellen sich wie selbstverständlich (mehr oder weniger) normale Menschen mit ihren Erlebnissen und Problemen und eine hinter den Kulissen agierende Göttlichkeit. Ein besonderes Kunststück dabei ist zudem, dass sämtliche Handlungsstränge absolut gleichwertig erscheinen und die jeweiligen Charaktere (egal, ob sie nun klein oder groß, zwei- oder vierbeinig daherkommen) dem Leser schon nach wenigen Seiten ans Herz gewachsen sind.

Ein absolutes Highlight ist die Sprache! Ich konnte mich gar nicht sattlesen an den zahllosen großartigen Formulierungen im Text. Winzig kleines Beispiel: Da stürzt jemand (im Verlauf einer Prügelei) mit der „vollendeten Anmut eines zusammenbrechenden Gebirges“ zu Boden und ein anderer kippt, in Folge eines Faustschlags, „wie eine Blechente auf einem Schießstand in Coney Island“ um. Hinter dem ganzen Buch steckt eine solch unglaubliche Phantasie und Kreativität, man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht gelesen hat.

Ganz nebenbei geht es auch noch um ernsthafte Dinge wie Vergangenheitsbewältigung, Rassenhass und Vorurteile. Sehr interessant umgesetzt übrigens! Auf menschlicher Seite gibt es eine ungewöhnliche Perspektive auf dieses Thema und was auf Seiten der Vierbeiner abgeht, im Verhältnis zwischen Reinrassigen und Mischlingen, sollte jeden denkenden Menschen in seinem Herzen erreichen können. Und wenn es erst um den großen Dichter hinter all diesen Geschichten geht…

Fazit: Es wird geliebt, es wird gekämpft. Es gibt Fantasy, Action, Magie, Humor und Spannung. Faszinierend! Großartig! Unbedingt lesen!

»Letzten Endes dient das alles der Geschichte. Darum solltest du dir Gedanken machen. Nicht um mich, nicht um die Liebe. Die Liebe ist nur ein Teil der Handlung.«

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Bewertung vom 06.11.2015
Schulze Gronover, Sabine

Die Flucht der blauen Pferde


sehr gut

»Wieder an der eigenen Wohnungstür, sah er, dass Goofy sich hingelegt hatte, aber noch immer zur Tür starrte. Nun öffnete er sie doch leise und lauschte ins Dunkel. Nichts. Er stieg vorsichtig eine Treppe höher, aber auch dort herrschte Stille. Kein Laut drang aus der Wohnung von Susanne oder von Schuberts, was er um halb drei Uhr nachts völlig normal fand. Während er auf dem Balkon gestanden hatte, war der nächtliche Besucher wahrscheinlich längst in seiner Wohnung angekommen. Doch irgendetwas hatte er in den Hausflur geschoben.
... Er eilte so leise wie möglich hinterher und erschrak ganz furchtbar, als Goofy erst einen lang gezogenen Jaulton von sich gab und dann dreimal kurz, aber leider sehr laut bellte.
Konstantin wollte schon ärgerlich auffahren, doch tatsächlich verspürte er selbst kurz danach das Bedürfnis, laut zu schreien. ... Vor ihm neben den Briefkästen im Flur lag leblos eine Person, die Augen starr aufgerissen.«

Der Fund einer Leiche im eigenen Treppenhaus gehört zu den Dingen, die man sich - frisch aus dem Gefängnis entlassen - nicht gerade wünscht. Zumal, wenn es sich bei der Leiche auch noch um ein Mordopfer handelt! Schließlich war Konstantin Neumann extra in diese ruhige Wohngegend von Münster gezogen, um ein neues Leben anzufangen. Als Haftentlassener (und noch dazu auf Bewährung), gehört er schnell zum Kreis der Verdächtigen. Da akribisches Forschen und Beobachten zu Konstantins Stärken (manchmal auch Schwächen) gehört, macht er sich selber auf die Suche nach dem Täter und stößt dabei auf seltsame Fragen: Wieso hält sich die Bestürzung bei seinen Nachbarn scheinbar in Grenzen? Was ist mit seinem Vormieter geschehen, der offenbar verschwunden ist? Ist der alte Mann im Erdgeschoß ein Altnazi? Und wie passen die Hinweise auf geraubte Kunstwerke und ein seit siebzig Jahren als verschollen geltendes Gemälde von Franz Marc in diesen ganzen Zusammenhang?

Dieser neue Krimi der Autorin, die mich schon mit „Rote Schatten über Münster“ begeistert hatte, hat mich erneut gut unterhalten. Das Thema Raubkunst wurde sehr schön in die Krimihandlung eingesponnen und mit diversen geschichtlichen Hintergrundinformationen versehen. Ich mag es ja sehr, wenn die Ausgangslage des Verbrechens eine eher ungewöhnliche ist – daher kam ich hier voll auf meine Kosten. Das zweite Ungewöhnliche an diesem Krimi ist der Ermittler, nämlich ein Ex-Häftling auf Bewährung. Seine im Gefängnis gesammelte Erfahrung macht er sich einige Male zunutze, außerdem steht im beratend ein Freund zur Seite, den er ebenfalls während der Haft kennenlernte und der seines Zeichens ein Experte im Bereich Kunstfälschung ist.

Neben diesen beiden gibt es noch weitere eindrucksvolle Charaktere: Eine recht burschikose Kommissarin, vor der sich Konstantin manchmal richtig fürchtet, seine schwer gestresste Schwester, die eigentlich dafür kämpft, dass ihr Bruder sich wieder in die Gesellschaft einlebt, ein sehr sympathischer 16jähriger mit Downsyndrom und ein griesgrämiger, dauernd schimpfender alter Mann im Rollstuhl, bei dem man die ganze Zeit über das Gefühl nicht loswird, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Nur was? Ach ja, nicht vergessen will ich Hund Goofy, einen Polizeihund in Frührente (er ist so goldig!)

Die junge Frau vom Anfang bleibt übrigens nicht die einzige Tote! Es wird also spannend und der Handlungsverlauf sorgt immer wieder für Überraschungen. Und wenn ich nicht rätselte oder mich überraschen ließ, hab ich gelacht, zum Beispiel über den häufig nett sarkastischen Stil…
»Viel schlimmer konnte es nicht werden. Nachts um halb fünf Tee trinken allein mit einer Frau. Mit dieser Frau! Bestimmt neunzig Kilo Lebendgewicht, Millionen kleiner grauer Zellen, die ihm mit Spott und Hohn Informationen entlockten, und dazu noch ein Blick, bei dem auch ein hungriger Geier sein Essen fallen lassen würde.«

Fazit: Das Thema Raubkunst im Krimi – spannend, unterhaltsam und ungewöhnlich. Kann ich sehr empfehlen!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.