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Xirxe
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Hannover
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Insgesamt 872 Bewertungen
Bewertung vom 15.08.2010
Fournier, Jean-Louis

Wo fahren wir hin, Papa?


sehr gut

Kinder sind ein Geschenk des Himmels - wer es wagt diesem Satz zu widersprechen, sollte damit rechnen zumindest scheel angeblickt zu werden. Klar, so etwas kann nur aus dem Munde eines/r Kinderlosen kommen, Egoisten, Hedonisten oder dergleichen. Doch ein Elternteil das einen solchen Widerspruch äußert? Undenkbar!
Jean-Louis Fournier riskiert es, 156 Seiten lang (wobei man es durchaus auf die Hälfte zusammenrücken könnte, soviel Leerraum beinhaltet dieses Buch). Er ist Vater zweier Söhne, zweier schwerstbehinderter Söhne, die 'nichts als Stroh im Kopf haben'. Und nie käme es ihm in den Sinn zu sagen, er ist ein 'stolzer Vater'. Fournier leidet: Leidet an dem Unglück das über ihn hereinbrach, das es ihm unmöglich macht, sein Wissen und seine Erfahrungen weiterzugeben, nie Enkelkinder an der Hand zu halten, nie stolz sein zu können auf seine Nachgeborenen. Er leidet auch mit, nein, für seine Söhne: dass ihnen so viele Dinge unbekannt bleiben, so viel Schönes und Gutes. Es ist ein einziger Schmerz der aus ihm spricht und dem er offenbar nichts entgegenzusetzen hat als seinen zynischen Humor.
Er liebt seine Kinder, doch es ist keine selbstlose Liebe wie sie Müttern vielleicht leichter fällt. Für ihn sollte es eine Liebe auf Gegenseitigkeit sein: Er würde ihnen das Fundament für ein eigenständiges selbstverantwortliches Leben vermitteln und im Gegenzug würde es ihn mit Stolz erfüllen. Er gibt ihnen Zärtlichkeit und Zuwendung und erhielte Gleiches zurück. Er 'opfert' ihnen einen Abschnitt seines Lebens und bekäme dafür von ihnen (oder deren Kinder) gemeinsame Zeit in der Zukunft. Doch nichts davon wird geschehen. Seine Liebe ist vertane Liebe, denn es kommt nichts (oder so gut wie nichts) zurück - so ist seine Sicht.
Fournier schildert zu kurzen Momentaufnahmen aus dem Zusammenleben mit seinen Söhnen seine Gedanken und Überlegungen, die locker leicht daher kommen und durchaus ein Schmunzeln bei den Lesenden erzeugen, aber die Unzufriedenheit und das Hadern mit seinem Schicksal nicht verbergen können. Interessant ist ein Blick auf die Website seiner Exfrau, die im Gegensatz zum ihm durchaus einen Sinn in der Liebe zu ihren Söhnen sieht (http://wherearewegoingmum.monsite.orange.fr/).
Fazit: Ein sehr ehrliches und offenherziges Buch, das einem eine völlig neue Sicht auf die Belastung der Eltern behinderter Kinder eröffnet.

Bewertung vom 10.08.2010
Radiguet, Raymond

Den Teufel im Leib


ausgezeichnet

Das Erscheinen des Buches 1923 war ein Skandalon: Ein 15jähriger und eine verheiratete 18jährige beginnen ein amouröses Verhältnis, während der betrogene Gatte als Soldat im 1. Weltkrieg kämpft. Was heute vermutlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken würde, sorgte damals für weitreichendes Entsetzen in Frankreich. Nicht genug der moralischen Verwerflichkeit, nein, auch dass einer der in Frankreich hoch verehrten Kämpfer von 1914/18 schamlos hintergangen wurde, man ihm den Tod wünschte und zuguterletzt ein Kuckuckskind unterschob - das war mehr als ausreichend für einen Aufschrei in der Gesellschaft dieser Nachkriegszeit.
Doch ist das Grund genug dieses Buch auch heute noch zu lesen? Wohl kaum, wenn es nicht bemerkenswerte Einblicke in eine Liebesbeziehung gewähren würde, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Radiguet beschreibt in einem klaren, nüchternen fast schon kalt zu nennenden Ton aus der Sicht des heranwachsenden Liebhabers die Entwicklung dieses jugendlichen Verhältnisses. Schnell wird klar, dass diese Liebe geprägt ist durch seinen Egoismus, wie wohl in diesem Alter nicht unüblich. Doch auch wenn dem jungen Mann dies stets auf's Neue bewusst wird und er reumütig versucht sein Verhalten zu ändern, tritt seine Ichbezogenheit alsbald wieder zu Tage.
Radiguet vermittelt Einsichten und Erkenntnisse (nicht nur) über die Liebe, deren Bedeutung ebenso damals wie heute Gültigkeit haben und wohl auch alle Zeit überdauern werden.
Ich habe sowohl das Buch wie das Hörspiel 'konsumiert' und empfehle trotz eines hervorragenden Vorlesers (ideal besetzt: die etwas blasiert klingende Stimme von Christian Erdmann) die Papierversion: Dem leicht altertümlichen Stil (der sich jedoch flüssig lesen lässt) ist in der Audioversion nur konzentriert zu folgen, zu leicht verliert man den Faden. Auch liest man manche Passagen gerne ein zweites Mal was beim Hörbuch nur etwas umständlich möglich ist.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.08.2010
Suter, Martin

Der Koch


gut

Hinter dem eher nichtssagenden Titel 'Der Koch' verbirgt sich eine vielschichtige Geschichte, reich an Überraschungen und Unglaublichkeiten, die sich aber genau so im Hier und Jetzt zugetragen haben könnte.
Maravan, tamilischer Asylant in der Schweiz und ein begnadeter Koch, eröffnet nach dem Verlust seiner Arbeit als Küchenhilfe gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea einen ganz speziellen Cateringservice: Erotische Menüs, die selbst eingefleischte Lesben ihre Neigungen vergessen lassen. Schnell avancieren sie zu einem Geheimtipp in der Wirtschaftselite, doch Maravan hadert mit seiner Tätigkeit die seiner Lebens- und Moralauffassung fundamental widerspricht. Zudem plagen ihn die Sorgen um seine Familie in Sri Lanka, die vom dort herrschenden Bürgerkrieg direkt betroffen ist. Parallel dazu erhält man einen Einblick in die Welt der Schweizer 'Hochfinanz', die sich mit allem abgibt, was einen stattlichen Gewinn verspricht und auch vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckt. Es ist kein schönes Bild das Suter entwirft, schnell ist klar wo seine Sympathien liegen.
Ein zwiespältiges Buch: Es macht Spass es zu lesen, es regt den Appetit an, aber zuguterletzt bleibt man doch mit fast leerem Magen zurück. Vielleicht ist es die überdeutliche Schwarz-Weiß-Darstellung seiner Figuren, hier die Guten, dort die Schlechten, die ein Gefühl der Belanglosigkeit hinterlässt. Obwohl Suter sicherlich gut recherchiert hat, seine Bezugnahme zum realen Weltgeschehen kaum aktueller sein könnte, bleibt nach dem Lesen ein schales Gefühl zurück. Ein gut geschriebener Unterhaltungsroman mit ernstem Hintergrund - schnell gelesen, aber auch schnell wieder vergessen.
PS: Falls jemand weiß wo man diese herrlich beschriebenen Sachen essen kann: Bitte mitteilen! Danke :-)

10 von 15 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.07.2010
Brown, Helen

Cleo


ausgezeichnet

Katzen sind geheimnisvoll. In ihnen geht mehr vor als wir gewahr werden. Das wusste schon der ehrenwerte Sir Walter Scott vor mehr als 200 Jahren.
Auch Helen Brown, eigentlich eher ein Hundemensch, macht diese Erfahrung. Und nicht nur diese dank ihres widerstrebend aufgenommenen neuen Familienmitglieds: Cleo, eine kleine, schwarze aber dennoch sehr aristokratische Katze. Sam, ihr ältester Sohn, hatte sich das kleine struppige Fellbündel ausgesucht und starb kurz darauf mit neun Jahren bei einem Autounfall. Die Familie versinkt in bodenlosem Schwermut, nichts scheint die Finsternis erhellen zu können in der sie nun ihr trauriges Leben verbringt. Doch Cleo gelingt es bei ihrer Ankunft, Rob, dem kleinen Bruder von Sam, endlich wieder ein Lächeln in sein Gesicht zu zaubern. Im Sturm erobert sie die Herzen aller und lehrt die Familie das Leben wieder zu lieben, trotz (oder vielleicht gerade wegen) all der Schicksalsschläge die noch kommen.
Na super, noch so ein rührseliges Familienepos mit Katzenanhang, mag nun manche/r denken. Doch weit gefehlt, wenn auch Familie mit Katze durchaus zutreffend sein mag. Aber von rührselig keine Spur! Trotz der allüberwältigenden Trauer, die nach diesem Todesfall alle Angehörigen beherrscht, gelingt es der Autorin ihre Selbstironie zu bewahren und diese entsprechend schriftlich festzuhalten. So lesen sich die 379 Seiten ungeachtet der Schwere des Themas unerwartet leicht. Helen Brown gelingt ein wahrer Balanceakt: Den Tod eines Kindes und den damit verbundenen Schmerz ernsthaft, aber dennoch mit heiteren Aspekten zu erzählen, ohne jedoch damit etwas ins Lächerliche zu ziehen. Überzeugend schildert sie ihre Erkenntnis (dank Cleo!), dass die Trauer um einen geliebten Menschen nicht bedeuten muss, auf Freude im Leben zu verzichten. Und dass nichts wichtiger ist wie das Leben im Hier und Jetzt - es zu leben und zu genießen!
Ein wundervolles Buch, zum Lachen und Weinen.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2010
Radiguet, Raymond

Den Teufel im Leib


ausgezeichnet

Anfang des letzten Jahrhunderts ist dieses Buch erschienen – weshalb sollte man das jetzt noch lesen? Gibt es nicht genügend aktuelle Bücher mit vermutlich weniger altmodischer Sprache?
Weil es Ansichten und Darstellungen vermittelt wie es auch heute nur wenigen Büchern gelingt. Und nicht zu vergessen: geschrieben von einem 17jährigen!
Der 15jährige Ich-Erzähler verliebt sich in die 18jährige Marthe, die kurz darauf Jacques heiratet, der Soldat im ersten Weltkrieg ist. Dennoch beginnen die Beiden eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die eine Vielzahl unterschiedlichster Gefühle in dem jungen Mann hervorruft.
Radiguet beschreibt sehr gelungen die unsteten Empfindungen, wie sie für Pubertierende nicht unüblich sind. Es ist keine unschuldige, selbstlose Liebe, sondern von seiner Seite meist mehr von Egoismus und Narzissmus geprägt, was der junge Mann aber auch immer wieder selbst erkennt ohne dass er sein Verhalten jedoch langfristig ändert. Man möchte diesen Menschen schütteln für Sätze wie „Es beleidigte mich aber, dass Marthe in einem Trennungsbrief nicht von Selbstmord sprach. Ich fand sie kalt.“, aber kurz darauf in die Arme nehmen für Aussagen wie diese: „Wer wegen der Liebe nicht arbeitet, ist darum kein Faulenzer. Die Liebe spürt dunkel, dass einzig die Arbeit wirklich von ihr ablenken kann.. Daher sieht sie die Arbeit als Rivalin. Und Rivalen duldet sie nicht.“
Das Hörbuch ist mit Christian Erdmann wunderbar besetzt. Seine jugendliche Stimme verkörpert auf gelungene Art und Weise die Arroganz wie auch die Ratlosigkeit des jugendlichen Liebhabers – man kann sich kaum einen besseren Sprecher vorstellen. Dennoch ziehe ich das Buch vor: Es gibt so viele Sätze und Aussagen in diesem Roman die man zweimal lesen möchte (oder auch dreimal ;-)), sich anstreichen und herausschreiben möchte – bei einem Hörspiel ist das eher schwierig. Also werde ich nun noch das Buch lesen :-)

Bewertung vom 11.07.2010
Hoffman, Jilliane

Mädchenfänger / Bobby Dees Bd.1


weniger gut

Obwohl nicht spektakulär (keine Toten, Folterszenen oder ähnliches) ist der Auftakt des neuen Buches von Jiliane Hoffman gelungen: Ein Psychopath beobachtet die 13jährige Lainey und tritt über ein Pseudonym mittels Internet mit ihr in Kontakt. Ein heißer Flirt entfaltet sich, ein Treffen bahnt sich an - und die Lesenden zittern mit, weil sie ahnen was geschehen wird. Doch das war's dann für die nächsten 100 Seiten mit der Spannung. Ausführlich wird die Suche nach der verschwunden Lainey beschrieben, es folgen weitschweifende Erklärungen über vermisste Kinder und die Psyche der Beamten, die sich damit befassen. Über Laineys Schicksal liest man gerade mal fünf Seiten, die zudem eher vage formuliert sind.
Doch dann wird die erste Leiche gefunden, angekündigt durch ein grauenvolles Gemälde. Schon bald ahnen die Ermittler, dass dies nicht das einzige Opfer war/ist. Besondere Brisanz hat dieser Fall für Bobby, den in diesem Fall leitenden Special Agent, dessen Tochter ziemlich genau ein Jahr zuvor verschwunden ist. Der Psychopath scheint ein übles Spiel mit ihm zu treiben...
Das Buch liest sich gut und flüssig, schön ist der realistische Bezug zur heutigen Zeit (die Vorliebe der Teenager für Hannah Montana und Twilight, wie wenig Eltern von ihren Kindern wissen...). Allerdings hält sich für meinen Geschmack die Spannung in Grenzen. Der Aufbau zweier zeitgleicher Szenarien, die scheinbar auf einen gemeinsamen Punkt zulaufen, die allmähliche Annäherung des Psychopathen an Billy - alles Spannungsmomente, die man so oder so ähnlich schon dutzendfach anderweitig gelesen hat. Zudem tauchen immer wieder Ungereimtheiten auf, über die man nur den Kopf schütteln kann: Innerhalb kürzester Zeit wird anhand eines Gemäldes erkannt, wo es entstanden ist. Der Boss der Special Agents (recht weit oben also :-)) hat keine Ahnung was ein Trojaner ist, usw. Es gibt noch mehrere solche Fragwürdigkeiten, die einem die Freude an diesem Thriller doch etwas verdrießen. Auch die Hintergründe der Verbrechen bleiben nebulös: was den Täter antrieb, welche Grausamkeiten er den Mädchen tatsächlich antat - nichts wird wirklich aufgeklärt.
Somit bleibt nach dem Lesen der letzten Seite die Erkenntnis: Ganz ok, aber mehr auch nicht.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.07.2010
Reiche, Dietlof

Freddy. Ein wildes Hamsterleben


sehr gut

Nachdem ich den dritten Band als erstes gelesen hatte, wurde ich neugierig auf den Auftakt dieser Reihe. Und auch diese Ausgabe enttäuschte mich nicht.
Freddy, als Sechster eines Zehner-Wurfs in einer Zoohandlung zur Welt gekommen, ist ein außergewöhnliches Exemplar seiner Art. Statt sich ausschließlich dem Fressen und der körperlichen Ertüchtigung auf dem Laufrad zu widmen, denkt er nach: Wieso leben Goldhamster in Käfigen? Wie kann er ins Gelobte Land Assyria finden, dort 'wo ein jeglicher Goldhamster seinen Ursprung hat in der Goldenen Trinität'? Auf dem Weg dorthin gelangt er zu Sophie, einer außergewöhnlichen Sechsjährigen und ihrem Vater Georg. Zusammen mit ihr lernt er lesen (ohne dass sie davon weiß) und alles könnte so wundervoll sein, wenn, ja, wenn nicht Sophies Mami solch ein falsches Frettchen wäre.
Wie Freddy sich vor ihr rettet, sich dafür sogar auf zwei singende Meerschweine und einen adligen Riesenkater einlässt und ihm zuguterletzt ein Dasein als frei laufendes, kultiviertes Haustier beschieden ist mit Buddenbrooks als Lektüre, ist humorvoll und mit viel Sinn für Feinheiten beschrieben (auch die Biologielehrer werden bedacht :-)).
Ein richtig schönes Kinderbuch, das auch für Erwachsene lesenswert ist.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.07.2010
Pehnt, Annette

Mobbing


sehr gut

Ein irreführender Titel. Bei einem Buch mit dieser Überschrift erwartet man eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit diesem Thema. Doch behandelt wird es 'nur' aus der Sicht der Ehefrau des Betroffenen. Die Leserinnen und Leser wissen so viel, wie sie von ihrem Mann erfährt, man lernt ihre Gefühls- und Gedankenwelt kennen. Und so entsteht ein recht bruchstückhaftes Bild wie es zu diesem 'Kriegszustand' (lt. ihrem Mann) in seinem Büro kommen konnte, aber im Gegensatz dazu ein umso vollständigeres über eine Beziehung, die díeser Belastung (und vermutlich auch anderen) wohl nicht standhalten wird.
In Rückblenden und Momentaufnahmen beschreibt die namenlose Ich-Erzählerin das gemeinsame Leben mit ihren beiden kleinen Kindern, ihrem Mann Jo und die immer stärker werdende Zerrüttung an seinem Arbeitsplatz. Seine neue Chefin ist die Ursache des Ganzen, sie mag ihn nicht, versucht ihn kaltzustellen ebenso wie seinen Kollegen und Freund. Doch ganz so einfach ist es nicht mit der Schuldzuweisung: Immer wieder klingt durch, dass auch Jo kein einfacher Charakter ist. Er wirkt rechthaberisch, unnachgiebig, geht direkt auf Konfrontationskurs. Von seiner Frau erwartet er von Beginn an dass sie uneingeschränkt auf seiner Seite steht. Kommen kritische Fragen blockt er ab und redet nicht weiter, sein eigenes Verhalten scheint er nicht zu reflektieren . Doch auch als die Sache eskaliert, er seine Kündigung erhält, steht sie noch immer nicht völlig hinter ihm, sie kann sein Verhalten nicht nachvollziehen (Ein häufig wiederkehrender Satz ist: '...obwohl er doch jetzt Zeit hätte.') Doch auch sie ist nun ohne Rückhalt: Das wofür sie ihn geliebt hat, existiert nicht mehr (ihr Kraft und Rückhalt zu geben, seine Entschlossenheit usw.).
Dass eine Liebe nicht nur im Alltag sondern gerade auch unter besonderen Belastungen zerbricht, zeigt dieses kleine Büchlein mehr als deutlich. Beiden Seiten gelingt es nicht, sich in die Position des jeweils Anderen zu versetzen, ohne das eigene Ich in den Vordergrund zu stellen. Jeder sieht sein eigenes Leid als das jeweils Schwerste an, die Unverstandenheit der eigenen Bürde wächst und das Verständnis für die Last des Anderen sinkt. So währt es nicht lange und die Schuldzuweisungen beginnen.
Alles in allem ein ausgesprochen bedrückendes Buch - aber gerade deshalb sehr lehrreich.

Bewertung vom 02.07.2010
Harig, Ludwig

Der Gott aus der Maschine


sehr gut

Es ist Weihnachten, nicht nur das Fest der Liebe sondern auch das des Glaubens. Doch Ludwig und sein Bruder sind in einem Alter, in dem sie beginnen zu zweifeln: an der Existenz des Nikolaus, des Christkinds, des Klapperstorchs undundund. Ihr Vater, der mehr einer mechanistischen Erklärung der Welt anhängt, plant dennoch die Rettung des Glaubens seiner Söhne. Ganz im Sinne seiner Überzeugung, des mechanistischen Materialismus, schmiedet er einen Plan um das baufällige Glaubensbild seiner Kinder wieder herzustellen. Und siehe da...
Ludwig Harig beschreibt in seinem ihm ganz eigenen Stil, manchmal vielleicht etwas manieriert klingend, diese humorvolle Weihnachtsgeschichte. Mit viel Sinn für's Detail ('Gütermanns Nähseide Extra stark' spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle) schildert er liebevoll dieses wohl unvergeßliche Fest. Daniela Bunge, deren Zeichnungen die Erzählungen begleiten, ergänzt das Ganze in gelungener Form. Wie Harigs Text sind auch ihre Bilder voller kleiner und feiner Details, dennoch nie überladen. Mal bunt, mal eher im Sepiaton, erstrecken sie sich über jede Doppelseite.
Auch wenn der Text nicht wirklich kindertauglich ist (zu viel 'Unbekanntes' kommt vor wie: Descartes' Zirbeldrüsenautomat, Goethes Sonnensystematik usw.), die Bilder sind es allemal. So ist es ein Buch an dem sich wirklich die ganze Familie freuen kann.

Bewertung vom 30.06.2010
Henrichs, Bertina

Die Schachspielerin


ausgezeichnet

Welch liebenswerte und bezaubernde Lektüre für diejenigen, die bereit sind sich auf dieses Buch einzulassen. Wer dagegen Unterhaltung sucht, die sich ggf. auch quer lesen lässt, wird dieses Buch sicherlich schnell gelangweilt zur Seite legen. Alle Anderen aber...
Eleni, Anfang 40, verheiratet, zwei Kinder, Zimmermädchen, lebt in der Gemeinschaft der Insel Naxos ein Leben voller Gewohnheit und Vertrautheit, man begnügt sich mit dem was man kennt und hat. Durch Zufall entdeckt sie ihre Begeisterung für das Schachspiel und beginnt heimlich mit ihrem ehemaligen Lehrer regelmäßig Schach zu spielen. Diese Entscheidung bringt nicht nur in Elenis Leben große Veränderungen, sondern auch in das vieler anderer.
Für Eleni ist Schach ein ganzer Kosmos, in den sie beim Spiel völlig versinkt. Es ist eine eigene Welt, aus der sie aber immer wieder Bezüge zum echten Leben herstellt: 'Die Esel...sind wie die Bauern beim Schachspiel...Sie gingen Schritt für Schritt, langsam, geduldig, ohne andere Bestimmung als zu dienen...', 'Die einzig weibliche Figur hatte also die meiste Macht. Diese subversive Vorstellung gefiel Eleni.' Das Spiel verleiht ihr Selbstbewusstsein und als ihre Leidenschaft im Dorf bekannt und sie von allen verspottet und misstrauisch beäugt wird, stärkt dies ihren Willen eher. Sie erkennt ihre Einsamkeit inmitten der Gemeinschaft und findet Kraft beim Schach, diese zu ertragen.
Ein schönes Plädoyer für den Mut Veränderungen zu wagen, notfalls auch gegen den Widerstand der Andern - und natürlich auch für 'Das königliche Spiel'.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.