Benutzer
Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 876 Bewertungen
Bewertung vom 26.08.2010
Ramuz, Charles Ferdinand

Die große Angst in den Bergen


ausgezeichnet

Bis vor wenigen Jahren noch führten Hörbücher ein Nischendasein, doch mittlerweile erscheint kaum ein halbwegs erfolgversprechendes Buch, das nicht gleichzeitig eine Audioversion im Schlepptau mit sich führt. Doch manche dieser Audiobooks sind weit mehr als nur ein Anhängsel einer papiernen Neuerscheinung: Sie sind ein Erlebnis ganz eigener Art. ,Die große Angst in den Bergen' von Charles Ferdinand Ramuz ist ein solches Erlebnis.
Zwanzig Jahre, nachdem sich ein schreckliches Unheil auf der Alp Sasseneire ereignete, beschließt die nächste Generation gegen den Willen der Alten, wieder Vieh dort hinaufzutreiben. Und das Unfassbare geschieht erneut: Eine Seuche ergreift die Kühe, die Sennen dürfen die Alp nicht verlassen und das Dorf wird von neuem von furchtbaren Unglücksfällen erfasst.
Was sich für uns rational denkende, moderne Menschen nur als eine Verkettung verhängnisvoller Ereignisse darstellen mag, ist für die Bewohner dieses Dorfes die Heimsuchung des Unbekannten, die Bestrafung dafür, dass sie ein verbotenes Stück Land erneut aufgesucht haben.
Christian Brückner liest diese Geschichte - und wie er sie liest. Stellenweise vorsichtig, zögerlich, fast leise erzählt er, um dann unvermittelt wieder hervorzubrechen mit seiner rauen, etwas heiser klingenden Stimme. All das Grauen, das Unheil, das nur darauf zu warten scheint, über das kleine Dorf hereinzubrechen, hört, nein, man beginnt es zu fühlen, wenn er spricht. Es ist meisterhaft, wie seine Stimme, obwohl unverwechselbar, den unterschiedlichen Charakteren ihre Besonderheit verleiht: den Männern auf der Alp; dem unheimlichen Klu, der etwas zu verbergen scheint; Joseph, dem Liebenden, voller Verzweiflung und Sehnsucht nach seiner Braut; Bartholomä, der trotz Furcht vor dem was da kommen mag, voller Zuversicht an den Schutz seines Papieres glaubt, das er um den Hals hängen hat. Irgendetwas ist da in diesen Bergen, es wartet - und Christian Brückner bringt es einem so nahe, dass es einen schaudert und fröstelt. Schlicht und einfach: GENIAL!

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.08.2010
Dahl, Arne

Falsche Opfer / A-Gruppe Bd.3 (6 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Für ein Hörbuch viel zu spannend und anspruchsvoll!! Und dieser Satz ist genauso gemeint wie ich ihn geschrieben habe. Nur kurz abgelenkt, schon fehlen einige Worte die nicht unwesentlich zum Verstehen des Ganzen beitragen. Da das 'Zurückblättern' oder '-spulen' bei einer CD doch etwas schwerer fällt, bleibt einem nichts anderes übrig, als wirklich ganz genau zuzuhören.
Die Handlung beginnt bereits etwas verworren: Das A-Team wurde aufgelöst, verstreut in alle Landesteile, und jede/r betreut unterschiedliche Fälle. Es gilt einen Mord unter Fußballfans aufzuklären, in einem Gefängnis explodierte eine Bombe und hinterließ einen Toten, ein wildes Gemetzel zweier Banden ergab ein Massaker und zuguterletzt ein Pädophilenring der hochgenommen werden soll. Der scheinbare Bandenkrieg wird zum Politikum und um baldige Ergebnisse aufweisen zu können, wird die A-Gruppe wieder in Amt und Würden gesetzt. Bei den weiteren Ermittlungen werden Verbindungen zu den anderen Ereignissen sichtbar und nach und nach fügen sich die einzelnen Teile wie ein Puzzle zu einem unglaublichen Bild zusammen.
Manche RezensentInnen kritisieren, all dies wäre zu sehr an den Haaren herbeigezogen, doch genau das habe ich nicht so empfunden. Das allmähliche Zusammenströmen der einzelnen Handlungsabläufe wirkte an keiner Stelle konstruiert, vielmehr fügte sich alles so logisch und klar zueinander, dass man sich gar nicht vorstellen kann, dass es auch anders hätte ablaufen können.
Im Gegensatz zu den beiden Vorläuferromanen sind Hjelm und Holm etwas in den Hintergrund gerückt, was der Geschichte aber keinen Abbruch tut. Dahls Figuren bleiben herrlich klischeefrei und für die kleinen Sätze wie (sinngemäß) 'der Pädophile erlebte in seiner Kindheit genau das, was er jetzt seinen Kindern antat' liebe ich seine Romane. Er schildert wie in den vorigen Büchern ein deutliches Bild der Gesellschaft ohne in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen. Das Ganze noch dazu in einer schönen und durchaus anspruchsvollen Sprache - einfach genial.
Till Hagen liest auch dieses Buch akzentuiert und spannend, aber ich werde beim nächsten Mal dennoch lieber zu einem Buch greifen. Das Zurückblättern ist doch einfacher :-)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.08.2010
Alexie, Sherman

Das absolut wahre Tagebuch eines Teilzeit-Indianers


ausgezeichnet

Hi, ich heisse Arnold, zumindest nennnen mich die Weißen an meiner Schule so (also alle in Springdale). Daheim, im Spokane-Reservat wo ich mit meiner Familie lebe, rufen sie mich Junior, für einen Spokane-Indianer ein völlig normaler Name. Wie beinahe alle im Reservat sind wir arm, richtig arm. Damit meine ich nicht, dass ich keinen i-Pod oder nur das vorletzte Modell der Nike-Treter habe, nein, wir sind so arm dass immer wieder mal das Essen ausfällt oder ich die 35 km von der Schule zu Fuss heimgehen muss. Und wie fast alle Familien haben wir ein Alkoholproblem: Mein Vater säuft, aber immerhin verprügelt er mich nicht. Als ob das alles nicht reichen würde für ein glückliches Leben, wurde ich regelmäßig verdroschen weil ich ein 'Schwachkopf' bin (Ich seh' ein bisschen merkwürdig aus und lisple und stottere). Deshalb blieb ich meistens daheim und zeichnete Karikaturen und Comics.
Wie ich dann als einziger Indianer an eine 'weiße' Schule gekommen bin? Das habe ich Mr. P zu verdanken, meinem Mathematiklehrer dem ich in der ersten Stunde in der Highschool im Reservat mein Geometriebuch ins Gesicht geworfen hatte (er hatte danach ein gebrochenes Nasenbein). Ohne seine Hilfe hätte ich mich nie getraut nach Springdale zu gehen, ich wäre kein guter Basketballspieler geworden, hätte nie Penelope kennengelernt (das schönste Mädchen an der Highschool) und wüsste nicht, dass man auch mit Büchern einen Ständer bekommen kann (nein, nicht solche Bücher ;-)) Aber bis dahin zu kommen war nicht leicht. Wie das genau abging, kannst du in meinem Tagebuch nachlesen. Ein paar Comics und Karikaturen habe ich auch 'reingemalt. Vielleicht trifft man sich ja wieder. Und damit du dir deine Mäuse sparen kannst, schreibe ich noch ein paar Sätze für deine Eltern - dann bekommst du das Geld für das Buch bestimmt von ihnen.

Es ist kaum zu glauben, wieviel ernste Themen Sherman Alexie in diesem Buch anspricht ohne auch nur ansatzweise mit dem allseits bekannten Zeigefinger zu winken. Rassismus (und zwar sowohl Weiß gegen Rot wie Rot gegen Weiß), das Armuts- und Alkoholproblem der (Spokane-)Indianer, nichtexistente Eltern (insbesondere Väter), Magersucht undundund. All dies und noch mehr mündet immer wieder in ein Plädoyer, für seine Träume zu kämpfen, Grenzen auch gegen Widerstände zu überschreiten, sich nicht unterkriegen zu lassen egal wie hart es kommt und sich darüber im Klaren zu sein, dass Freundschaften nicht von der Hautfarbe abhängig sind. Erzählt wird dies alles in einer wunderbar schnoddrigwitzigen Form sowie durch Comiczeichnungen und Karikaturen, dass einem selbst bei den betrüblichsten Ereignissen zumindest etwas die Mundwinkel zucken.
Uneingeschränkt empfehlenswert ab ca. 12, 13 Jahren.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2010
Fournier, Jean-Louis

Wo fahren wir hin, Papa?


sehr gut

Kinder sind ein Geschenk des Himmels - wer es wagt diesem Satz zu widersprechen, sollte damit rechnen zumindest scheel angeblickt zu werden. Klar, so etwas kann nur aus dem Munde eines/r Kinderlosen kommen, Egoisten, Hedonisten oder dergleichen. Doch ein Elternteil das einen solchen Widerspruch äußert? Undenkbar!
Jean-Louis Fournier riskiert es, 156 Seiten lang (wobei man es durchaus auf die Hälfte zusammenrücken könnte, soviel Leerraum beinhaltet dieses Buch). Er ist Vater zweier Söhne, zweier schwerstbehinderter Söhne, die 'nichts als Stroh im Kopf haben'. Und nie käme es ihm in den Sinn zu sagen, er ist ein 'stolzer Vater'. Fournier leidet: Leidet an dem Unglück das über ihn hereinbrach, das es ihm unmöglich macht, sein Wissen und seine Erfahrungen weiterzugeben, nie Enkelkinder an der Hand zu halten, nie stolz sein zu können auf seine Nachgeborenen. Er leidet auch mit, nein, für seine Söhne: dass ihnen so viele Dinge unbekannt bleiben, so viel Schönes und Gutes. Es ist ein einziger Schmerz der aus ihm spricht und dem er offenbar nichts entgegenzusetzen hat als seinen zynischen Humor.
Er liebt seine Kinder, doch es ist keine selbstlose Liebe wie sie Müttern vielleicht leichter fällt. Für ihn sollte es eine Liebe auf Gegenseitigkeit sein: Er würde ihnen das Fundament für ein eigenständiges selbstverantwortliches Leben vermitteln und im Gegenzug würde es ihn mit Stolz erfüllen. Er gibt ihnen Zärtlichkeit und Zuwendung und erhielte Gleiches zurück. Er 'opfert' ihnen einen Abschnitt seines Lebens und bekäme dafür von ihnen (oder deren Kinder) gemeinsame Zeit in der Zukunft. Doch nichts davon wird geschehen. Seine Liebe ist vertane Liebe, denn es kommt nichts (oder so gut wie nichts) zurück - so ist seine Sicht.
Fournier schildert zu kurzen Momentaufnahmen aus dem Zusammenleben mit seinen Söhnen seine Gedanken und Überlegungen, die locker leicht daher kommen und durchaus ein Schmunzeln bei den Lesenden erzeugen, aber die Unzufriedenheit und das Hadern mit seinem Schicksal nicht verbergen können. Interessant ist ein Blick auf die Website seiner Exfrau, die im Gegensatz zum ihm durchaus einen Sinn in der Liebe zu ihren Söhnen sieht (http://wherearewegoingmum.monsite.orange.fr/).
Fazit: Ein sehr ehrliches und offenherziges Buch, das einem eine völlig neue Sicht auf die Belastung der Eltern behinderter Kinder eröffnet.

Bewertung vom 10.08.2010
Radiguet, Raymond

Den Teufel im Leib


ausgezeichnet

Das Erscheinen des Buches 1923 war ein Skandalon: Ein 15jähriger und eine verheiratete 18jährige beginnen ein amouröses Verhältnis, während der betrogene Gatte als Soldat im 1. Weltkrieg kämpft. Was heute vermutlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen vorlocken würde, sorgte damals für weitreichendes Entsetzen in Frankreich. Nicht genug der moralischen Verwerflichkeit, nein, auch dass einer der in Frankreich hoch verehrten Kämpfer von 1914/18 schamlos hintergangen wurde, man ihm den Tod wünschte und zuguterletzt ein Kuckuckskind unterschob - das war mehr als ausreichend für einen Aufschrei in der Gesellschaft dieser Nachkriegszeit.
Doch ist das Grund genug dieses Buch auch heute noch zu lesen? Wohl kaum, wenn es nicht bemerkenswerte Einblicke in eine Liebesbeziehung gewähren würde, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Radiguet beschreibt in einem klaren, nüchternen fast schon kalt zu nennenden Ton aus der Sicht des heranwachsenden Liebhabers die Entwicklung dieses jugendlichen Verhältnisses. Schnell wird klar, dass diese Liebe geprägt ist durch seinen Egoismus, wie wohl in diesem Alter nicht unüblich. Doch auch wenn dem jungen Mann dies stets auf's Neue bewusst wird und er reumütig versucht sein Verhalten zu ändern, tritt seine Ichbezogenheit alsbald wieder zu Tage.
Radiguet vermittelt Einsichten und Erkenntnisse (nicht nur) über die Liebe, deren Bedeutung ebenso damals wie heute Gültigkeit haben und wohl auch alle Zeit überdauern werden.
Ich habe sowohl das Buch wie das Hörspiel 'konsumiert' und empfehle trotz eines hervorragenden Vorlesers (ideal besetzt: die etwas blasiert klingende Stimme von Christian Erdmann) die Papierversion: Dem leicht altertümlichen Stil (der sich jedoch flüssig lesen lässt) ist in der Audioversion nur konzentriert zu folgen, zu leicht verliert man den Faden. Auch liest man manche Passagen gerne ein zweites Mal was beim Hörbuch nur etwas umständlich möglich ist.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.08.2010
Suter, Martin

Der Koch


gut

Hinter dem eher nichtssagenden Titel 'Der Koch' verbirgt sich eine vielschichtige Geschichte, reich an Überraschungen und Unglaublichkeiten, die sich aber genau so im Hier und Jetzt zugetragen haben könnte.
Maravan, tamilischer Asylant in der Schweiz und ein begnadeter Koch, eröffnet nach dem Verlust seiner Arbeit als Küchenhilfe gemeinsam mit seiner Kollegin Andrea einen ganz speziellen Cateringservice: Erotische Menüs, die selbst eingefleischte Lesben ihre Neigungen vergessen lassen. Schnell avancieren sie zu einem Geheimtipp in der Wirtschaftselite, doch Maravan hadert mit seiner Tätigkeit die seiner Lebens- und Moralauffassung fundamental widerspricht. Zudem plagen ihn die Sorgen um seine Familie in Sri Lanka, die vom dort herrschenden Bürgerkrieg direkt betroffen ist. Parallel dazu erhält man einen Einblick in die Welt der Schweizer 'Hochfinanz', die sich mit allem abgibt, was einen stattlichen Gewinn verspricht und auch vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckt. Es ist kein schönes Bild das Suter entwirft, schnell ist klar wo seine Sympathien liegen.
Ein zwiespältiges Buch: Es macht Spass es zu lesen, es regt den Appetit an, aber zuguterletzt bleibt man doch mit fast leerem Magen zurück. Vielleicht ist es die überdeutliche Schwarz-Weiß-Darstellung seiner Figuren, hier die Guten, dort die Schlechten, die ein Gefühl der Belanglosigkeit hinterlässt. Obwohl Suter sicherlich gut recherchiert hat, seine Bezugnahme zum realen Weltgeschehen kaum aktueller sein könnte, bleibt nach dem Lesen ein schales Gefühl zurück. Ein gut geschriebener Unterhaltungsroman mit ernstem Hintergrund - schnell gelesen, aber auch schnell wieder vergessen.
PS: Falls jemand weiß wo man diese herrlich beschriebenen Sachen essen kann: Bitte mitteilen! Danke :-)

10 von 15 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.07.2010
Brown, Helen

Cleo


ausgezeichnet

Katzen sind geheimnisvoll. In ihnen geht mehr vor als wir gewahr werden. Das wusste schon der ehrenwerte Sir Walter Scott vor mehr als 200 Jahren.
Auch Helen Brown, eigentlich eher ein Hundemensch, macht diese Erfahrung. Und nicht nur diese dank ihres widerstrebend aufgenommenen neuen Familienmitglieds: Cleo, eine kleine, schwarze aber dennoch sehr aristokratische Katze. Sam, ihr ältester Sohn, hatte sich das kleine struppige Fellbündel ausgesucht und starb kurz darauf mit neun Jahren bei einem Autounfall. Die Familie versinkt in bodenlosem Schwermut, nichts scheint die Finsternis erhellen zu können in der sie nun ihr trauriges Leben verbringt. Doch Cleo gelingt es bei ihrer Ankunft, Rob, dem kleinen Bruder von Sam, endlich wieder ein Lächeln in sein Gesicht zu zaubern. Im Sturm erobert sie die Herzen aller und lehrt die Familie das Leben wieder zu lieben, trotz (oder vielleicht gerade wegen) all der Schicksalsschläge die noch kommen.
Na super, noch so ein rührseliges Familienepos mit Katzenanhang, mag nun manche/r denken. Doch weit gefehlt, wenn auch Familie mit Katze durchaus zutreffend sein mag. Aber von rührselig keine Spur! Trotz der allüberwältigenden Trauer, die nach diesem Todesfall alle Angehörigen beherrscht, gelingt es der Autorin ihre Selbstironie zu bewahren und diese entsprechend schriftlich festzuhalten. So lesen sich die 379 Seiten ungeachtet der Schwere des Themas unerwartet leicht. Helen Brown gelingt ein wahrer Balanceakt: Den Tod eines Kindes und den damit verbundenen Schmerz ernsthaft, aber dennoch mit heiteren Aspekten zu erzählen, ohne jedoch damit etwas ins Lächerliche zu ziehen. Überzeugend schildert sie ihre Erkenntnis (dank Cleo!), dass die Trauer um einen geliebten Menschen nicht bedeuten muss, auf Freude im Leben zu verzichten. Und dass nichts wichtiger ist wie das Leben im Hier und Jetzt - es zu leben und zu genießen!
Ein wundervolles Buch, zum Lachen und Weinen.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2010
Radiguet, Raymond

Den Teufel im Leib


ausgezeichnet

Anfang des letzten Jahrhunderts ist dieses Buch erschienen – weshalb sollte man das jetzt noch lesen? Gibt es nicht genügend aktuelle Bücher mit vermutlich weniger altmodischer Sprache?
Weil es Ansichten und Darstellungen vermittelt wie es auch heute nur wenigen Büchern gelingt. Und nicht zu vergessen: geschrieben von einem 17jährigen!
Der 15jährige Ich-Erzähler verliebt sich in die 18jährige Marthe, die kurz darauf Jacques heiratet, der Soldat im ersten Weltkrieg ist. Dennoch beginnen die Beiden eine leidenschaftliche Liebesbeziehung, die eine Vielzahl unterschiedlichster Gefühle in dem jungen Mann hervorruft.
Radiguet beschreibt sehr gelungen die unsteten Empfindungen, wie sie für Pubertierende nicht unüblich sind. Es ist keine unschuldige, selbstlose Liebe, sondern von seiner Seite meist mehr von Egoismus und Narzissmus geprägt, was der junge Mann aber auch immer wieder selbst erkennt ohne dass er sein Verhalten jedoch langfristig ändert. Man möchte diesen Menschen schütteln für Sätze wie „Es beleidigte mich aber, dass Marthe in einem Trennungsbrief nicht von Selbstmord sprach. Ich fand sie kalt.“, aber kurz darauf in die Arme nehmen für Aussagen wie diese: „Wer wegen der Liebe nicht arbeitet, ist darum kein Faulenzer. Die Liebe spürt dunkel, dass einzig die Arbeit wirklich von ihr ablenken kann.. Daher sieht sie die Arbeit als Rivalin. Und Rivalen duldet sie nicht.“
Das Hörbuch ist mit Christian Erdmann wunderbar besetzt. Seine jugendliche Stimme verkörpert auf gelungene Art und Weise die Arroganz wie auch die Ratlosigkeit des jugendlichen Liebhabers – man kann sich kaum einen besseren Sprecher vorstellen. Dennoch ziehe ich das Buch vor: Es gibt so viele Sätze und Aussagen in diesem Roman die man zweimal lesen möchte (oder auch dreimal ;-)), sich anstreichen und herausschreiben möchte – bei einem Hörspiel ist das eher schwierig. Also werde ich nun noch das Buch lesen :-)

Bewertung vom 11.07.2010
Hoffman, Jilliane

Mädchenfänger / Bobby Dees Bd.1


weniger gut

Obwohl nicht spektakulär (keine Toten, Folterszenen oder ähnliches) ist der Auftakt des neuen Buches von Jiliane Hoffman gelungen: Ein Psychopath beobachtet die 13jährige Lainey und tritt über ein Pseudonym mittels Internet mit ihr in Kontakt. Ein heißer Flirt entfaltet sich, ein Treffen bahnt sich an - und die Lesenden zittern mit, weil sie ahnen was geschehen wird. Doch das war's dann für die nächsten 100 Seiten mit der Spannung. Ausführlich wird die Suche nach der verschwunden Lainey beschrieben, es folgen weitschweifende Erklärungen über vermisste Kinder und die Psyche der Beamten, die sich damit befassen. Über Laineys Schicksal liest man gerade mal fünf Seiten, die zudem eher vage formuliert sind.
Doch dann wird die erste Leiche gefunden, angekündigt durch ein grauenvolles Gemälde. Schon bald ahnen die Ermittler, dass dies nicht das einzige Opfer war/ist. Besondere Brisanz hat dieser Fall für Bobby, den in diesem Fall leitenden Special Agent, dessen Tochter ziemlich genau ein Jahr zuvor verschwunden ist. Der Psychopath scheint ein übles Spiel mit ihm zu treiben...
Das Buch liest sich gut und flüssig, schön ist der realistische Bezug zur heutigen Zeit (die Vorliebe der Teenager für Hannah Montana und Twilight, wie wenig Eltern von ihren Kindern wissen...). Allerdings hält sich für meinen Geschmack die Spannung in Grenzen. Der Aufbau zweier zeitgleicher Szenarien, die scheinbar auf einen gemeinsamen Punkt zulaufen, die allmähliche Annäherung des Psychopathen an Billy - alles Spannungsmomente, die man so oder so ähnlich schon dutzendfach anderweitig gelesen hat. Zudem tauchen immer wieder Ungereimtheiten auf, über die man nur den Kopf schütteln kann: Innerhalb kürzester Zeit wird anhand eines Gemäldes erkannt, wo es entstanden ist. Der Boss der Special Agents (recht weit oben also :-)) hat keine Ahnung was ein Trojaner ist, usw. Es gibt noch mehrere solche Fragwürdigkeiten, die einem die Freude an diesem Thriller doch etwas verdrießen. Auch die Hintergründe der Verbrechen bleiben nebulös: was den Täter antrieb, welche Grausamkeiten er den Mädchen tatsächlich antat - nichts wird wirklich aufgeklärt.
Somit bleibt nach dem Lesen der letzten Seite die Erkenntnis: Ganz ok, aber mehr auch nicht.

7 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.