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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 14.06.2016
Willmann, Urs

Stress


sehr gut

Stress und seine Bedeutung

„Ohne Stress wäre unsere Spezies nie entstanden, und es gibt kaum einen Bereich des Lebens, in dem Stress nicht in Erscheinung tritt.“ (10)

Das Ziel des Buches besteht darin, die Sicht auf das Phänomen Stress zu verändern. „Er macht uns gesund, glücklich und stark, er verlängert das Leben.“ (37) Autor Urs Willmann stellt Untersuchungsergebnisse und Erfahrungsberichte vor, die veranschaulichen, welche Bedeutung Stress für den einzelnen Menschen und die Entwicklung der Menschheit hat.

Die Leser erfahren, warum Glücksspieler nicht überzeugend bluffen können, wenn sie sichtbar vor Stress frösteln (89), dass Schüchternheit keine psychische Störung ist (128) und welchen Einfluss Männerschweiß auf die Empfindlichkeit von Schmerz hat. (134) Der Autor erläutert die Aufgaben von Botenstoffen, beschreibt psychische und physische Reaktionen auf Stress und stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Verhalten in Stresssituationen und der Evolution.

Angst und Stress stehen in engem Zusammenhang. Beide Zustände können Euphorie auslösen, wie der Autor anhand zahlreicher Beispiele deutlich macht. Auf Adrenalin folgt als Belohnung Endorphin und das führt zur Euphorie und manchmal zur Sucht. Natürlicher und auch künstlicher Rausch ist auch in der Tierwelt bekannt, wie der Autor nicht nur am Beispiel tasmanischer Känguruhs (170) deutlich macht.

In „Zumutungen“ untersucht Willmann menschliche Abgründe und liefert Erklärungsansätze für das Böse im Menschen. Der Körper honoriert, was dem eigenen Überleben hilft und das ist ein zweischneidiges Schwert. „In der Geschichte der Menschheit wurden Dominanz, Macht und Aggressivität immer durch eine Endorphinausschüttung im Gehirn belohnt.“ (203) Die Erregung durch das Böse ist physiologisch nicht von einer (positiven) Stressreaktion zu unterscheiden.

Welche Schlussfolgerungen für den Alltag können aus den Untersuchungen des Phänomens Stress gezogen werden? Willmann gibt hierzu, unterstützt von dem Mediziner und ehemaligen Leistungssportler Thomas Wessinghage, den er interviewt hat, aufschlussreiche Antworten. Es ist ein Mythos, dass Manager den größten Stress haben. Ob man sich gestresst fühlt, korreliert mit dem Grad der Autonomie, der sich bei einer Verkäuferin an der Kaufhauskasse oder bei einem Arbeiter am Fließband auf einem niedrigen Level befindet.

Entspannung ist auf verschiedenen Wegen möglich und hängt davon ab, was für ein Typ man ist. Umgekehrt sind herausfordernde Tätigkeiten auch im Alter sinnvoll, um Demenz vorzubeugen. Die Einsichten und Rezepte im Buch sind nicht spektakulär, wenngleich die These „Stress macht glücklich“ provokativ wirkt. Willmann untermauert seine These durch Erkenntnisse aus Psychologie, Hirnforschung und Medizin. Entstanden ist ein verständlich aufbereitetes Buch, welches aktuelle Erkenntnisse zusammenfasst und insgesamt lesenswert ist.

Bewertung vom 13.06.2016
McCann, Colum

Die große Welt


sehr gut

Facetten einer Großstadt

Der Roman spielt (überwiegend) in New York und besteht aus zehn Einzelgeschichten und der sie zeitlich und räumlich verknüpfenden Rahmenhandlung über das Leben und den Auftritt eines Hochseilartisten. Dieser spannt heimlich ein Seil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers und führt auf diesem Kunststücke vor. Auch inhaltlich gibt es in diesem Werk Verknüpfungen, da manche Akteure in mehreren Episoden vorkommen.

Colum McCann zeigt Facetten einer Großstadt auf. Seine Protagonisten stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten (Artisten, Computerhacker, Ordensleute, Straßenmädchen, Richter, Altenpfleger); ein Hang zu Milieubeschreibungen sozialer Unterschichten – ähnlich wie in „Der Himmel unter der Stadt“ - ist unverkennbar. Die Einzelgeschichten sind zwar in sich abgeschlossen, aber auch gleichzeitig Teil eines größeren Zusammenhangs.

Das Vorhaben des Hochseilartisten ist riskant. Die Frage, ob er stürzt taucht mehrfach auf. Die Spannung, die der Akrobat erzeugt, ist ein Spiegel für die Spannungen der Protagonisten in ihrem Lebensalltag. Dieser Alltag in New York, insbesondere in der Bronx, ist gefährlich, wie einige Akteure erfahren müssen. Zwischen Hoffnung und Realität klaffen Lücken. Einige Retrospektiven sind in die Handlungen eingewoben. Autor McCann moralisiert nicht und klagt nicht an.

Die Verbindungen zwischen den Geschichten wirken natürlich und ausgereift. Es entsteht nicht der Eindruck von Konstruktionen wie z.B. in Daniel Kehlmanns "Ruhm", der das gleiche Stilmittel einsetzt. Nicht alle Erzählungen fesseln gleichermaßen. Zu den Highlights gehören die Geschichten über John Corrigan ("Nichts gegen den Himmel, aber mir gefällt's hier") und Tillie Henderson ("Auf H gebaut").

Bewertung vom 13.06.2016
Reinwarth, Alexandra

Hape


gut

„Das ganze Leben ist ein Quiz …“

Hape Kerkeling zählt seit Mitte der 1980er Jahre (Känguru) zu den erfolgreichsten Entertainern Deutschlands. Sein Auftritt als Double von Königin Beatrix der Niederlande ging in die TV-Geschichte ein. Er hat ein bemerkenswertes Talent für Sprachen (5 Fremdsprachen) und verfügt über besondere Qualitäten als Comedian, Moderator, Schauspieler, Sänger, Parodist und Kabarettist.

Das Buch ist eine Liebeserklärung an Hape Kerkeling, wie bereits im Vorwort ("Warum wir Hape lieben") angedeutet wird. Alexandra Reinwarth ist zweifelsohne ein großer Fan von Hape Kerkeling. Sie stellt seine Erfolge als solche dar und versteht es auf sympathische Weise, auch den Flops in seiner Karriere etwas Positives abzugewinnen. Das Leben, auch das von Hape Kerkeling, ist ein Lernprozess.

Die Autorin reflektiert Hape Kerkelings Leben, berichtet über seine Schulzeit, erläutert seine beruflichen Projekte (Filme, Fernsehen) und geht auch auf schwierige Phasen in seinem Leben (Das Outing) ein. Erkennbar ist eine Entwicklung von einem begabten Comedian hin zu einem galanten Entertainer, der im Laufe der Jahre nicht nur das Publikum unterhalten, sondern (auf dem Jakobsweg) auch sich selbst gefunden hat.

Von diesem „Selbst“, welches die Leser interessieren würde, wird leider zu wenig vermittelt. Das Buch gleicht eher einer lexikalischen Zusammenstellung wichtiger Informationen über Hape Kerkeling. Auf einige Detailbeschreibungen und Fakten zu den Filmen und Fernsehsendungen hätte ich verzichten können. Was ich vermisse, ist das, was nur in einer Autobiografie möglich ist, die Reflexion der betroffenen Person über sich selbst, die Eigenanalyse der Stationen des Lebens.

Bewertung vom 13.06.2016
Schalansky, Judith

Der Hals der Giraffe


sehr gut

Abenddämmerung

Inge Lohmark unterrichtet seit dreißig Jahren Biologie an einem kleinen Gymnasium im hinteren Vorpommern. Sie ist eine Lehrerin der alten Schule, autoritär, distanziert und unnachgiebig. Kritiker halten ihre Lehrmethoden für veraltet und werfen ihr fehlende Sozialkompetenz vor. Belege dafür gibt es zur Genüge, z.B. ihr Plan mit zynischen Beschreibungen ihrer Schüler oder ihr (damaliges) Verhalten gegenüber ihrer Tochter im Unterricht. Autorin Judith Schalansky hat den Roman aus der Perspektive von Inge Lohmark verfasst.

Mangels Nachwuchs soll die Schule in vier Jahren geschlossen werden. Das drückt auf die Stimmung. Ort, Zeit, Protagonistin und Situation wurden bewusst gewählt, so mein Eindruck, um diese desillusionierende Stimmung, die sich durch den gesamten Roman zieht, aufrechtzuerhalten. Die Schüler sind sich der realen Situation nicht bewusst, die Lehrer konstruieren sich ihre eigenen Scheinwelten, so z.B. der Direktor in seiner Rede an die Schüler.

Die Biologie spielt in diesem Roman eine große Rolle. Es werden nicht nur Themen aus der Biologie verarbeitet, sondern biologische Grundsätze steuern auch das Verhalten und die Sicht der Protagonistin. Dabei dreht sie die Sachverhalte so, dass sie in ihr Weltbild passen. So überwiegt in ihrer Vorstellung das Konkurrenzverhalten in der Natur gegenüber der Kooperation. Auch unterrichtet sie den Lamarckismus, die Vererbung von erworbenen Eigenschaften, obwohl diese Lehre längst von der Synthetischen Evolutionstheorie verdrängt wurde. Die „alte Schule“, also die Rückständigkeit der Biologie-Lehrerin, wird hier auf die Spitze getrieben.

Man kann Inge Lohmark, die gefangen ist in ihrem Weltbild, bedauern. Ihr Versuch aus dieser Welt auszubrechen (ihre Annäherung an die Schülerin Erika) geht in die falsche Richtung und scheitert kläglich. Judith Schalansky hat einen Roman kreiert, deren Bestandteile (Rahmen, Protagonistin, Situation etc.) wohl aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig verstärken. Es ist ein sozialkritischer aber auch ein psychologischer Roman. Für Interpretationen bietet er reichlich Stoff.

Bewertung vom 12.06.2016
Eschbach, Andreas

Ein König für Deutschland


sehr gut

Ein spannender Politthriller

Andreas Eschbach ist es nach „Der Nobelpreis“ und „Ausgebrannt“ wieder einmal gelungen, ein brisantes Thema ideenreich aufzuarbeiten. Wer anfängt, den Roman zu lesen, legt ihn erst wieder weg, wenn das Ende erreicht ist. Dies gilt, obwohl Eschbach im Klappentext sehr viel vom Inhalt verrät. Warum er das tut, bleibt rätselhaft. Jedoch werden die Leser durch das „Wie“ der Beschreibungen entlohnt.

Eschbach hat Erfahrungen als Programmierer. Seine informationstechnischen Erklärungen sind präzise und überzeugen. Der Roman ist gut recherchiert, was durch zahlreiche Fußnoten belegt wird. Auf Basis des aktuellen technischen Wissensstandes und begründeter Zweifel an den Wahlergebnissen der US-Präsidentschaftswahlen 2000 konstruiert er ein mögliches Wahlszenario.

Beeindruckend, wie der biedere Gymnasiallehrer Simon König in die neue Rolle hineinwächst. Seine Fähigkeit, sich spontan auf neue Situationen einzustellen und provokative aber wohl begründete Reden zu halten, macht ihn zu einem bemerkenswerten Menschen. Selbst seine Frau Helene, von der er seit 20 Jahren getrennt lebt, kann sich seinem Charme nicht entziehen. Autor Eschbach beschreibt überzeugend, wie extreme Situationen bewirken können, dass Menschen über sich selbst hinauswachsen.

Auch die anderen Protagonisten sind schillernde Figuren. Sie fallen charakterlich und auch äußerlich aus dem Rahmen. Dies gilt für Benito Zantini, den exzellenten Magier, und auch für seine Mitarbeiter Furry und Pictures, die einem Zirkus entsprungen sein könnten. Alex und seine Computerfreunde sind echte Freaks. Die Teilnehmer seiner Computerspiele bewegen sich auf einer Gratwanderung zwischen virtueller und realer Welt.

Während Eschbach ausführlich beschreibt, wie Simon Königs Umfeld auf seinen Wandel reagiert, vermisse ich entsprechende Reaktionen aus Helenes Umgebung zu ihrer neuen Rolle. Eigentlich Schade. Hier hätten weitere Pointen gesetzt werden können. Verständnis habe ich dafür, dass nicht alle Folgen einer solchen Bundestagswahl beleuchtet werden können. Das wäre Stoff für einen eigenständigen Roman. Das Groteske der Situation wird auch so deutlich genug.

Andreas Eschbach ist ein begnadeter Schreiber, der aus den Zutaten Politik, Technik und Krimi einen facettenreichen Thriller mit aktuellem Bezug kreiert hat. Er besticht durch Ideenreichtum und Konsequenz im Denken.

Bewertung vom 12.06.2016
Gaarder, Jostein

Maya oder Das Wunder des Lebens


weniger gut

Das Ende einer Erfolgsserie?

In diesem Buch vermischt Jostein Gaarder Ideen, die er bereits in früheren Werken umgesetzt hat. „Maya oder Das Wunder des Lebens“ ist ein Roman, in dem Realität und Fantasie ineinander übergehen (vgl. „Das Kartengeheimnis“) und der gleichzeitig ein wissenschaftliches Thema behandelt (vgl. „Sofies Welt“). Die Fantasiefiguren erinnern sehr an „Das Kartengeheimnis“ und die Aufarbeitung der Evolutionstheorie ist nicht annähernd vergleichbar mit den Erläuterungen zur Philosophie in „Sofies Welt“. Auch wenn ich die Idee, Wissenschaft, Fantasie und Roman miteinander zu vermischen für genial halte, ist die Umsetzung in diesem Fall nicht gelungen. Die Dialoge sind schwerfällig und ich hatte Mühe, den Überblick zu bewahren. Ich halte Jostein Gaarder für einen großen Buchautor. „Maya oder Das Wunder des Lebens“ ist nach meinem Empfinden unter gewaltigem Zeit- und Erfolgsdruck entstanden.

Bewertung vom 11.06.2016
Otte, Max

Stoppt das Euro-Desaster!


ausgezeichnet

Otte spricht Klartext

Keine fünfzig Seiten umfasst das Büchlein von Max Otte zur Euro-Krise, aber der Inhalt ist prägnant und besteht aus Klartext. Otte spricht die Bürger direkt an und ruft zum Widerstand auf. „Lassen Sie nicht zu, dass man uns zu verwirrten, resignierten Subjekten macht und wir ein ums andere Mal für Krisen geradestehen, die wir nicht verursacht haben. Es reicht – wehren Sie sich!“

Er spricht von einer „Herrschaft der Finanzoligarchie“ und meint damit die Machtstrukturen und Verquickungen der „Investmentbanken, Hedgefonds, Schattenbanken, Ratingagenturen und weiteren Akteuren“. Diese bilden die derzeit dominierende zivile Weltmacht. Wie kann es sein, dass diese Gruppen auf Kosten der Staaten leben, ohne sich angemessen an der Wertschöpfung in der Wirtschaft zu beteiligen?

Viele Investmentgesellschaften arbeiten extrem spekulativ, wohl wissend, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Franz Müntefering prägte 2005 den Begriff „Heuschrecken“ und wurde dafür massiv kritisiert. Die Dummen sind die Steuerzahler, die immer wieder zur Kasse gebeten werden.

Otte hinterfragt, warum Griechenland zur Schicksalsfrage für Europa hochstilisiert wird. Warum kann Griechenland nicht in die Staatsinsolvenz gehen? Die Gläubiger müssten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Diese Gläubiger sind nicht nur, aber primär griechische Milliardäre und Oligarchen.

Wie kann es sein, dass in den letzten Jahrzehnten einerseits die Vermögen der Reichen um Billionen gestiegen sind und andererseits die Staaten sich horrend verschuldet haben? Otte schlägt einen Schuldenschnitt vor und favorisiert klare Regeln und Gesetze, die auch eingehalten werden müssen, zwecks Beschneidung der Macht der Finanzoligarchie.

Reformen wurden bereits 2008 angedacht, aber nicht umgesetzt. Otte schlägt Reformen vor, die das Finanzsystem deutlich gerechter und stabiler gestalten würden. Er hatte 2006 den Crash vorhergesagt und gilt als unabhängiger Aufklärer. Auch dieses Werk wird sich zu einem Bestseller entwickeln, wenngleich ich hoffe, dass eine ausführliche Variante folgen wird.

Bewertung vom 11.06.2016
Teilhard de Chardin, Pierre

Der Mensch im Kosmos


ausgezeichnet

Der Versuch einer ganzheitlichen Sicht

„Von denen, die versucht haben, diese Seiten bis ans Ende zu lesen, werden viele das Buch unbefriedigt und nachdenklich schließen und sich fragen, ob ich sie in einer Welt der Tatsachen, der Metaphysik oder des Traumes herumgeführt habe.“ (Teilhard de Chardin)

Bei diesem Buch handelt es sich um den Versuch einer zusammenfassenden Weltschau. Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) war gleichzeitig Naturwissenschaftler und Theologe, was auch sein Lebenswerk bestimmte. Er beschäftigte sich mit dem Ursprung des Kosmos, der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Lebens und präsentierte eine ganzheitliche Darstellung des Universums. Der Preis für diese Synthese ist hoch. Seine Ausführungen stehen einerseits im Widerspruch zum biblischen Fundamentalismus und überschreiten andererseits den Rahmen der etablierten Naturwissenschaften. Er verknüpfte auf visionäre Weise Kausalität und Sinn miteinander, baute eine Brücke zwischen empirischen Forschungen und Offenbarungen und befand sich damit – bildlich gesprochen - zwischen allen Stühlen.

Zahlreiche Autoren haben Gedanken von Teilhard de Chardin in ihre Werke einfließen lassen. So beeinflusste er maßgeblich die New Age- Bewegung. Fritjof Capra beschreibt in „Wendezeit“ (S. 338) Ähnlichkeiten mit seiner Systemlehre. Nach Teilhard de Chardin verläuft die Evolution in Richtung zunehmender Komplexität, die wiederum von einem entsprechenden Aufstieg des Bewusstseins begleitet wird und ihren Höhepunkt in der menschlichen Spiritualität erreicht. Diese Auffassung einer Teleologie - muss man deutlich sagen - steht nicht im Einklang mit den Naturwissenschaften. Kritiker sehen in dem Buch daher eine Art Naturphilosophie. Kritik kam auch seitens der Kirche. Für die Kirche stellte seine evolutionäre Synthese eine Bedrohung traditioneller Theologie dar. Das führte dazu, dass viele seiner Werke zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht werden durften.

Hoimar von Ditfurth schreibt in „Im Anfang war der Wasserstoff“ (S. 246), dass sich die Entwicklung der Welt in kosmischen Maßstäben abspielt und dass sie nicht zum Stillstand kommen würde, wenn die Menschheit eines Tages aus ihr ausschiede. Dies steht im Gegensatz zu Teilhard de Chardins Ausführungen (S. 285), dass Leben einmal und nur einmal fähig war, die Schwelle zum Ich-Bewusstsein zu überschreiten. Hoimar von Ditfurth bezeichnet diese Sicht als anthropozentrische Missdeutung, da sie davon ausgeht, dass sich Leben und Bewusstsein im ganzen Universum nur auf der Erde gebildet haben könnten.

Unabhängig davon, wie man persönlich zu Teilhard de Chardins Thesen steht, handelt es sich um ein zentrales Werk, mit dem sich an Ursprungsfragen interessierte Menschen auseinandersetzen können. Eine ganzheitliche Beschreibung, in die die Erkenntnisse der Evolution und auch der Glaube an einen transzendenten Endpunkt der Evolution einfließen, hat es meines Wissens in Kontinentaleuropa vor Teilhard de Chardin nicht gegeben. Wer mehr über die Wirkung von Teilhard de Chardins Thesen wissen möchte, findet Antworten in dem 1966 erschienenen Tagungsband „Perspektiven Teilhard de Chardins“, herausgegeben von Helmut de Terra.