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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 18.03.2016
Alba, Johanna;Chorin, Jan

Gloria! / Papst Petrus Bd.2


ausgezeichnet

»In der Heiligen Schrift heißt es: Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht.«
»Ich weiß. Matthäus, 6. Kapitel. Dort heißt es übrigens auch: „Jeder Tag hat genug eigene Plage.“ Vermutlich hatte Jesus auch eine Haushälterin.«

Wer hier so unter der Fastenzeit leidet, ist niemand anderes als Papst Petrus II. Der Verzicht auf seine geliebten Süßspeisen fällt arg schwer und selbst der allmorgendliche Blick in die Gazzetta dello Sport macht bei den aktuellen Leistungen der Squadra Azzurra keinen Spaß. Währenddessen ruht das wachsame Auge seiner strengen Haushälterin Schwester Immaculata auf dem großen Frühjahrsputz, der auch die entlegensten Winkel der päpstlichen Residenz beinhaltet. Und in einem solchen findet sie eine Kiste mit Knochen - Anlass genug für eine sofortige Krisensitzung:
»Ich möchte sofort wissen, wessen Leiche hier auf dem Fußboden liegt. Sollte es sich um einen Heiligen handeln, werden wir die Knochen einer ordnungsgemäßen Verehrung zuführen. Ansonsten verschwinden sie sofort aus meiner Wohnung.«
Nun, die Zukunft der Knochen wird wohl in besagter ordnungsgemäßen Verehrung liegen, denn es muss sich bei ihnen um die seit ewigen Zeiten gesuchten Gebeine des heiligen Petrus handeln. Diese kostbare Reliquie will Petrus II gleich bei der in Kürze anstehenden Karfreitagsprozession präsentieren. Doch die triumphale Prozession wird zum Chaos: Ein Schuss fällt, die päpstliche Fotografin verschwindet und ebenso der Schädel von Petrus wertem Vorgänger. Wer hat den Anschlag verübt und wo sind Fotografin und Reliquie? Ein neuer Fall für Roms bestes Ermittlerteam…

Ich liebe diesen Papst! Ich habe nun alle drei bislang erschienenen Bände gelesen und bin rundum begeistert. Auch diese Geschichte wird mit einer solchen Leichtigkeit erzählt, dass man förmlich durch die Handlung fliegt. Trotz der vielen lustigen Abschnitte habe ich mich über eine intelligente Krimihandlung gefreut, die lange spannend bleibt und logisch aufgeschlüsselt wird. Wer beim Krimi nicht zwingend Brutalität, viel Blut und Thrill braucht, dem dürfte nichts fehlen.

Das besondere bei den Papst-Krimis sind natürlich die Charaktere. Allen voran Petrus II. Was ihn so liebenswert macht, sind die menschlichen Schwächen, die er gerne auslebt. Oder besser, die er gerne ausleben würde, denn um ein leckeres Essen zu genießen oder ungestört die Fußballberichte lesen zu können, muss zuvor Schwester Immaculata ausgetrickst werden, die ihrerseits aber auch nicht auf den Kopf gefallen ist. Zudem ist Petrus II. so, wie man sich eigentlich ein geistliches Oberhaupt wünscht. Er ist ein herzensguter Mensch, der seinen Mitmenschen mit Zuneigung, Verständnis und vorurteilsfrei begegnet und sich zudem mit ihnen am liebsten auf Augenhöhe befindet. Daher nutzt er gerne und oft einen alten Priestermantel, um sich so getarnt mitten unter seinen Schäfchen in seinem geliebten Rom bewegen zu können. Und diese Tarnung ist natürlich auch perfekt geeignet, wenn man - mal wieder - kriminalistisch ermitteln muss...
»Petrus rückte seine dunkle Sonnenbrille zurecht und ließ schnell den päpstlichen Fischerring in der Tasche verschwinden. Seine verbliebenen Haarsträhnen hatte er liebevoll über den kahlen Schädel drapiert, was sein rundliches Römergesicht immerhin so stark verfremdete, dass ihn niemand erkennen würde.«

Zum päpstlichen Ermittlerteam gehören zudem Francesco, ein junger Franziskanerpater und seines Zeichens Privatsekretär des Papstes und Giulia, eine der attraktivsten Frauen Roms und päpstliche Pressesprecherin. Auch diese beiden sind enorm sympathisch und leiden unter sehr menschlichen Problemen, die man kurz mit den Begriffen "Zölibat" und "elterliche Erwartungshaltung" umschreiben kann. Am Ende ist nicht nur der Fall gelöst, sondern Petrus konnte - ganz nebenbei - auch noch ordnend in die Welt des Fußballs eingreifen.

Fazit: Herrlich! Humorvoll, liebenswert und trotzdem ein spannender Krimi. Ich hoffe, dieses Team hat noch viel zu ermitteln!

Bewertung vom 05.03.2016
Sturm, Andreas M.

Leichentuch


ausgezeichnet

»Burkhard Eichler versteifte sich, wollte bitten, doch bevor es ihm gelang, spürte er einen Ruck an seinem Hals und fühlte, wie das scharfe Metall an seiner Kehle entlangfuhr. Schnell füllte sich sein Mund mit Blut und sein trüber werdender Blick erfasste, wie ein Blutschwall über das Armaturenbrett spritzte. Dass seine Füße in einem wilden Tanz gegen die Pedale hämmerten, registrierte er bereits nicht mehr.
Eine einzelne Schneeflocke trudelte vom Himmel herab und schmolz auf der Frontscheibe von Burkhard Eichlers Opel. Sie war der Vorbote einer gewaltigen Heerschar dieser zarten Eiskristalle, die sich wie ein Tuch über das Fahrzeug breiten und so den grausigen Inhalt vor den Blicken der weihnachtlich gestimmten Dresdner verbergen würden.«

Dass diesem blutigen Verbrechen schon bald ein weiteres folgen wird, kann Hauptkommissarin Karin Wolf noch nicht ahnen. Ohnehin fällt es ihr schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren, denn ihr aller Feind, der Schwerverbrecher Wittkowski, der dank ihr eigentlich eine lange Haftstrafe absitzen sollte, ist aus der JVA entwichen und Karin kennt ihn gut genug um zu wissen, dass nun ihr Leben in höchster Gefahr ist. Und als ob dies noch nicht schlimm genug wäre, wird ihr schon bald klar, dass einer ihrer engsten Mitarbeiter ein Informant Wittkowskis sein muss…

Dieser Krimi war einfach großartig! Es gibt allein drei spannende Erzählstränge, die den Leser fesseln. Die Ermittlungen rund um die eingangs erwähnten Morde bieten einen tiefen Blick in menschliche Abgründe, die Suche nach dem Verräter in eigenen Reihen ist nervenaufreibend, denn schließlich handelt es sich dabei um die Menschen, die Karin als Freunde betrachtet und denen sie vertraut. Und dann erst die Jagd auf Karin durch Wittkowski! Schon im ersten Band (Vollstreckung) konnten wir ihn kennenlernen und auch hier zeigt er, was für ein skrupelloser und absolut gefühllos taktierender Mensch er ist und dass ihn ein tiefer Hass auf Karin antreibt.

In Karins Privatleben entwickelt sich die Beziehung zu ihrer Partnerin Oberkommissarin Sandra König weiter. Ich mag beide sehr, sie ergänzen sich in ihrer Gegensätzlichkeit und sind auch beruflich ein tolles Team. Mit Oberkommissarin Heidelinde Grün kommt erneut eine weitere interessante Ermittlerin hinzu, die mir immer besser gefällt. Ich glaube, sie ist noch für einige Überraschungen gut!

Der Stil liest sich angenehm und leicht, die Spannung bleibt durchgehend hoch und die Handlung baut sich logisch auf, ohne vorhersehbar zu wirken. Überhaupt konnte ich keinerlei Logikfehler entdecken und die gesamte Handlung einschließlich Tat und Ermittlungsarbeit erschien sehr realistisch.

Nach „Vollstreckung“ und „Albträume“ war dies der dritte Fall für das Dresdner Team. Für das Verständnis ist es nicht notwendig, die Vorgängerbände zu kennen, da alles Wesentliche kurz dargelegt wird.

Fazit: 5 Sterne für diesen großartigen Krimi, dem es an nichts fehlte. Jetzt freue ich mich auf Band 4 (Trauma)

Bewertung vom 04.03.2016
Saint-Exupéry, Antoine de

Der Kleine Prinz


ausgezeichnet

»Die großen Leute haben eine Vorliebe für Zahlen. Wenn ihr ihnen von einem neuen Freund erzählt, befragen sie euch nie über das Wesentliche. Sie fragen euch nie: Wie ist der Klang seiner Stimme? Welche Spiele liebt er am meisten? Sammelt er Schmetterlinge? Sie fragen euch: Wie alt ist er? Wie viele Brüder hat er? … Wie viel verdient sein Vater? Dann erst glauben sie, ihn zu kennen.«

Beim Versuch, sein nach einem Motorschaden in der Sahara notgelandetes Flugzeug wieder zu reparieren, trifft unser Erzähler dort überraschend auf den kleinen Prinzen. Dieser kommt von einem fernen Planeten und öffnet dem Erzähler die Augen für das Wesentliche…

„Der kleine Prinz“ ist eins von diesen Büchern, aus denen man schon Zitate kennt, selbst wenn man sie noch nie in der Hand hatte. Häufig begegnen einem die Zitate in Kombination mit Todesanzeigen, nicht selten handelt es sich dabei auch noch um solche, mit denen der viel zu frühe Tod eines Menschen oder sogar der eines Kindes angezeigt wird. Für mich war das viele Jahre lang Grund genug, das Buch zu meiden. Irgendwann siegte dann aber doch die Neugier, das Buch zog ein - um gleich darauf für weitere Jahre im Regal zu landen. Erst nachdem mir ein besonders lieber Mensch das Hörbuch schenkte, begann (zum Glück) mein ganz persönliches Erlebnis mit dem kleinen Prinzen.

Befürchtet hatte ich einen Tränenschocker, tatsächlich jedoch überwiegt bei weitem die Freude über die wunderschönen Geschichten und die Beharrlichkeit, mit der immer wieder der Blick auf das Wesentliche gelenkt wird. Das berühmte Zitat: »Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.« kennt vermutlich jeder. Beim Lesen bzw. Hören dieses Buchs erfährt man viele Beispiele, die diese Wahrheit ganz einfach verständlich machen. Sogar für Erwachsene…
»Die großen Leute verstehen nie etwas von selbst, und für die Kinder ist es zu anstrengend, ihnen immer und immer wieder erklären zu müssen.«

Die großen Leute… Herrlich, wie hier über Erwachsene geschrieben wird! Für Kinder sind dies vermutlich Textstellen zum Draufloskichern, und für große Leute vielleicht mal ein Anlass, die eigenen Sichtweisen zu überdenken. Ich glaube, das kann sich lohnen!

Mittlerweile habe ich das Buch einmal gehört, danach gelesen und anschließend noch mal gehört und dabei hin und wieder ins Buch geschaut. Warum? Na, wegen der Bilder! Die sind einfach schön und witzig, vor allem die von offenen und geschlossenen Riesenschlangen haben es mir angetan ;-) Das Hörbuch hat aber zweifelsfrei auch seine Vorzüge, der Sprecher ist einfach großartig und ich stelle jetzt – Tage nach dem letzten Hören – fest, dass mir seine Stimme immer noch im Ohr ist. Je nachdem, wen oder was er gerade spricht, verändert er seine Stimme, so dass eine Schlange beispielsweise richtig schön zzzzzzzzischt. Gleichzeitig ist es aber eine im Ganzen sehr ruhige Erzählung und vermutlich (ich konnte es nicht ausprobieren) hervorragend als Gute-Nacht-Geschichte geeignet. Dazu passt auch eine sanfte musikalische Überleitung zwischen den einzelnen Kapiteln.

An ein paar Stellen ist der Text gekürzt. Manchmal habe ich das verstanden, wenn beispielsweise im Buchtext auf eine Zeichnung hingewiesen wird. An anderen Stellen habe ich es nicht verstanden und kann nur spekulieren, dass bei einer vollständigen Lesung vielleicht eine dritte CD nötig gewesen wäre. Andererseits sind die gekürzten Stellen für das Verständnis ohne Belang, das Wesentliche wird gesagt.

Fazit: Zeitlos, wunderschön und sowohl für kleine, als auch für große Leute geeignet.

Bewertung vom 04.03.2016
Ludwig, Stephan

Zorn - Wie sie töten / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.4


gut

»Ist er tot? – Ja. – Hat er geschrien? – Nein. Es ging schnell. – Wie sah er dabei aus? – Es war dunkel. Ich habe kaum etwas gesehen. – Hat es lange gedauert, bis er tot war? – Nein, das Gift wirkt schnell. – Erzähl mir mehr! Ich will mehr wissen! – Es gibt nicht viel mehr zu erzählen. – Dann war es sinnlos. Wenn du mir nichts erzählen kannst, war es sinnlos.«

In Zorns früher mal ruhiger Stadt gibt es erneut einige Todesfälle zu beklagen. Allerdings ist keiner dabei, an den er Arbeit verschwenden müsste, alles nur Selbstmorde und natürliche Todesursachen. Und der junge Mann, der nachts angeblich verfolgt wurde und nur mit Glück mit dem Leben davongekommen ist, war doch sicher betrunken. Oder verrückt. Oder beides. Außerdem hat Hauptkommissar Zorn ohnehin keine Zeit, denn er muss zum einen versuchen, seinen Kollegen Schröder zur Rückkehr zu bewegen und zum anderen gibt es in seinem Privatleben mal wieder Veränderungen. Als Zorn bemerkt, dass ein Serientäter am Werk ist, ist dieser ihm schon sehr nahe gekommen…

Dieser 4. Band aus der Reihe hat mich nicht so überzeugt wie seine Vorgänger. Der Beginn war absolut großartig, hätte nicht besser sein können. Ich habe dieses Eingangskapitel gleich zweimal gelesen, weil ich es so toll fand. Der Autor weiß genau, was der Leser vor seinem geistigen Auge sieht und spielt damit. Zwischen diesem furiosen Einstieg und dem Ende, das eine wirkliche Überraschung präsentierte, tat sich die Handlung allerdings nicht besonders hervor.

Gut, es fließt Blut und es gibt reichlich Grausamkeiten. Wem das Thrill genug ist, der kann zufrieden sein. Ich fand die Handlung allerdings ziemlich vorhersehbar, für mein Empfinden wurde zugunsten von Blut auf einen ausgefeilteren Ablauf verzichtet.

Was mir ebenfalls fehlte, waren diese Momente, in denen ich richtig lachen konnte. Momente, die in den Vorgängerbänden immer wieder vorkamen, häufig durch die Wortgefechte zwischen Zorn und Schröder. Aber Zorn ändert sich, hat seit Band 1 eine ziemliche Entwicklung durchgemacht. Das ist menschlich sympathisch, aber eben nicht mehr so unterhaltsam. Aber ich will nicht ungerecht sein: Es gab lustige Stellen und schöne Wortspiele, zum Beispiel wenn bei Zorn der Kaffee „nach einer Mischung aus verbrannten Autoreifen und verwesenden Gummibärchen“ schmeckt oder Zorn sich verspricht und einen Mann namens Laurinck mit Ludwig anredet. Aber mit der Erwartungshaltung aus den ersten Bänden habe ich nun mal auf mehr gehofft.

Wer noch keinen Zorn gelesen hat, sollte meiner Meinung nach zuerst die Vorgängerbände lesen. Für die Thrillerhandlung braucht man zwar keine Vorkenntnisse, aber um Zorns Persönlichkeit und sein Verhältnis zu Schröder nachzuvollziehen, ist das anzuraten. Wie es wohl in Band 5 weitergeht? Ich werde es in Kürze herausfinden. Diesem Zorn gebe ich 3,5 Sterne, die ich auf 3 abrunde, um ihn von den Bänden, denen ich 4 gegeben habe, abzugrenzen.

Fazit: Ziemlich blutig, aber für mich bislang der schwächste Band der Reihe.

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Bewertung vom 26.02.2016
Bergmann, Emanuel

Der Trick


sehr gut

Prag, 1934. Der 15jährige Mosche Goldenhirsch leidet noch immer unter dem frühen Tod seiner Mutter. Zudem sucht er seinen eigenen Weg, denn eins ist ihm klar: Ein Leben als Rabbiner, so wie sein Vater, kommt für ihn nicht in Frage. Als er in einem Wanderzirkus einen Zauberer sieht, ist er fasziniert von dieser ihm völlig fremden Welt. Kurzentschlossen läuft er von zuhause fort und schließt sich dem Zirkus an…
Los Angeles, 2007. Max Cohn steht vor der größten Krise seines 10jährigen Lebens. Seine Eltern wollen sich scheiden lassen und damit seine kleine glückliche Welt zerstören. In den alten Sachen seines Vaters findet er die Schallplatte eines Zauberers und ist von diesem Moment an davon überzeugt, dass „Der Große Zabbatini“ mit seinem Zauber der „Ewigen Liebe“ seine Eltern wieder versöhnen kann. Er muss ihn nur noch finden…

Dieses Buch hat mich von der ersten Seite weg in seinen Bann gezogen. Abwechselnd wird aus dem Leben zweier Jungen berichtet, die in völlig verschiedenen Zeiten und unter ganz anderen Umständen aufwachsen und deren Leben sich trotzdem eines Tages kreuzen werden. Der Autor schreibt sehr lebendig und ich fühlte mich beiden Protagonisten zu jeder Zeit nah. Das heißt allerdings nicht, dass beide zu jeder Zeit sympathisch wirkten. Der alte Mosche pflegt ein paar Verhaltensweisen, bei denen man den Kopf schütteln kann. Womöglich resultieren sie aus dem, was ihm so im Leben widerfahren ist, das Thema „Verdrängung“ spielt eine große Rolle dabei. Auf jeden Fall ist er ein interessanter Charakter, der ein ungewöhnliches Leben vorzuweisen hat. Und Max? Man könnte ihm vorwerfen, dass ein Junge seines Alters mehr Reife haben müsste, dass es in seinem Alter nicht realistisch ist, an „echten“ Zauber zu glauben. Andererseits – auch Erwachsene sind in einer verzweifelten Situation nicht selten gewillt, etwas zu glauben, das ihnen als einziger Ausweg erscheint.

Was man nicht erwarten darf, sind Überraschungen. Die Handlung erscheint vorhersehbar und entwickelt sich entsprechend. Gestört hat mich das hier aber nicht, denn mir gefiel die Geschichte und gelegentlich ein Buch mit einem richtig schönen Happy End muss auch mal sein. Wären da nicht einige schlimme Szenen aus der Nazizeit, könnte man glatt von einem Wohlfühlbuch sprechen. Es gibt lustige Szenen und emotionale, es gibt die Welt des Zirkus und der Magie mit ihrem ganz eigenen Reiz. Und es gibt im Buch so einige Sätze, die mir in ihrer einfachen Schlichtheit direkt ans Herz gingen.
»Er lebte nicht, er tat nur so.«

Eins sollte man beim Lesen allerdings nicht tun: Man sollte nicht aus den Worten „Jude“ und „1934“ sofort auf ein komplettes Holocaust-Drama schließen. Natürlich geht es auch um Judenverfolgung und die Schrecken der Naziherrschaft (bei einem Judenschicksal aus dieser Zeit geht das gar nicht anders), aber die Betonung liegt eben auf dem Wort „auch“.

Wenn es etwas gab, für das ich wirklich einen Punktabzug vergeben muss, dann sind das einige wenige Textpassagen, die sich hauptsächlich in der Gedankenwelt des alten Mosche abspielen. Wenn er beispielsweise „das Innere von Mickey’s Pizza Palace“ mit der Rampe von Auschwitz vergleicht, bekomme ich eine Gänsehaut. Gut, ich ordne diesen Gedanken in die gleiche Reihe ein wie die üblichen unflätigen Äußerungen von Gerichtsmedizinern, Notaufnahmeärzten oder Polizisten, mit denen diese verhindern wollen, dass das erlebte Grauen Zugang zu ihrem Inneren erhält. Und trotzdem frage ich mich, ob man so etwas schreiben sollte, ob man da Mosches Gedankenwelt nicht ein wenig sensibler hätte gestalten sollen.

Fazit: Schön erzählte Geschichte über zwei interessante Charaktere und die Macht der Magie.

»Ein Roman über die Zerbrechlichkeit des Lebens und den Willen, sich verzaubern zu lassen.« [Klappentext]

Bewertung vom 19.02.2016
Ransmayr, Christoph

Die Schrecken des Eises und der Finsternis


ausgezeichnet

Die Suche nach der Nordostpassage, auch der nordöstliche Traum genannt, beschäftigte über Jahrhunderte hinweg Forscher, Händler, Politiker und Abenteurer. Irgendwo entlang der sibirischen Polarküste suchten sie nach einem kurzen Seeweg nach Japan, China und Indien, einer Durchfahrt vom Atlantik in den Pazifik. Als im Jahr 1872 die k.u.k. Nordpolexpedition unter dem Kommando von Carl Weyprecht und Julius Payer startet, waren bereits ganze Flotten im Packeis verschwunden. Auch an Bord der Admiral Tegetthoff ist man sich darüber im Klaren, dass diese Reise eine ohne Wiederkehr sein könnte. Zumindest in den Reihen der Offziere…

Weyprecht und Payer träumten von großen Entdeckungen und Berühmtheit, die Matrosen erlagen vermutlich der flammenden Rede, mit der Weyprecht sie anwarb und der in Aussicht gestellten Prämien. Im Laufe der Reise wird nichts mehr davon von Bedeutung sein, wird nur noch das Überleben zählen, das Bestehen gegen die gnadenlose Kälte, gegen „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“.

Der Autor nimmt sich sehr zurück, berichtet sachlich und lässt in großen Zügen die Teilnehmer der Expedition berichten. Es existieren Tagebücher von Weyprecht und Payer, vom Maschinisten Otto Krisch und dem Jäger und Hundetreiber Johann Haller, aus denen er zitiert. Außerdem bringt er drei Exkurse ein, die sich ausführlich mit der Vorgeschichte des nordöstlichen Traums befassen (die „Chronik des Scheiterns“), er listet die Teilnehmer der Expedition auf (einschließlich der Schlittenhunde und Bordkatzen) und zitiert Hinweise für Touristen. Diese vielen, für ein gutes Sachbuch sprechenden Fakten, vermag er zu einem fesselnden Roman zu verknüpfen, bei dessen Schilderungen man geneigt ist, zur wärmenden Decke zu greifen. Zudem integriert er die fiktive Geschichte von Josef Mazzini, einem Nachkommen eines der Expeditionsmitglieder, der im Jahr 1981 die Reise seines Vorfahren nacherleben möchte und im Eis verloren geht.

Beide Handlungsstränge sind packend geschrieben und stellen zudem schön die Unterschiede einer Nordpolfahrt im Jahre 1872 einer solchen über 100 Jahre später gegenüber. Gelegentliche kritische Töne fließen ebenfalls ein, beispielsweise wenn den 1981 mitreisenden Geologen zugeschrieben wird, dass sie „dem Eismeergrund unermüdlich Bodenproben [entnehmen] und … ihr Interesse an allfälligen Erdölvorkommen nur mühsam hinter der Reinheit der Wissenschaft verbergen [können]“. Oder wenn Weyprecht in späteren Jahren die arktische Forschung als ein „sinnloses Opferspiel“ bezeichnet, das sich „in der rücksichtslosen Jagd nach neuen Breitenrekorden im Interesse der nationalen Eitelkeit [erschöpft]“.

An die alte Sprache in den vielen Tagebuchauszügen muss man sich kurz gewöhnen, aber sie ist gut verständlich und sorgt natürlich für ein besonders realistisches Miterleben der damaligen Geschehnisse. Und wenn man vom „entsetzlichen Wuthgeheul der Eisschollen“, aber auch von den „Lichtwundern des arktischen Himmels“, von der Mitternachtssonne und den Nordlichtern liest, dann entsteht eine ganz besondere Atmosphäre, die ich überaus faszinierend fand.

Neben Bildern der Charaktere finden sich zahlreiche Abbildungen aus dem 1876 erschienenen Buch „Die österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition in den Jahren 1872-1874“.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.02.2016
Dankert, Birgit

Michael Ende


gut

Dieses Buch hat mich beim Lesen durch ein Wechselbad der Gefühle geschickt. Mit großem Interesse habe ich viele neue Informationen aufgenommen und noch unbekannte Texte Endes in Auszügen entdeckt – aber ich habe mich auch geärgert, mich mehr als einmal durch einen Textabschnitt gequält.
Im Klappentext war zu lesen: „Birgit Dankert ist ein einfühlsames Porträt gelungen, das uns Michael Ende so nahe bringt wie nie zu vor.“ Gewöhnlich gebe ich nicht viel auf Klappentexte, aber diesmal hätte ich mich besser gründlich informieren sollen, bevor ich mich für das Buch bewarb. Aber der Name „Michael Ende“ löste bei mir sofort eine Gedankenkette aus, ich sah mich als junges Mädchen, träumend vor der „Unendlichen Geschichte“, mir fiel der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch ein, ich kringelte mich vor Lachen und versuchte wieder einmal, das Wort unfallfrei auszusprechen. Ich erinnerte mich an den Zauber von „Momo“ und war – in Verbindung mit dem Klappentext – sofort davon überzeugt, dass mich dieses Buch genauso verzaubern würde. Leider tat es das nicht.
Ich glaube, dass mich außerdem das Wort „Biographie“ in die Irre führte. Das Wort ist für mich gleichbedeutend mit etwas Lebendigem, befasst es sich doch mit dem Leben eines ganz bestimmten Menschen. Es wäre ungerecht zu sagen, dass es dies in diesem Fall nicht tut, denn das Leben Endes wird von frühester Kindheit an verfolgt, seine frühen Jahre, seine Erfolgsphase, Krankheit und Tod werden beschrieben. Nein, es ist die Art und Weise, wie dies geschieht.
Die Autorin hat ohne Zweifel gründlich recherchiert. Mein Eindruck ist, dass – was die reine Faktenlage angeht – vermutlich nichts fehlt. Aber streckenweise kam mir das Buch vor wie eine einzige große literaturwissenschaftliche Erörterung, gespickt mit Fremdwörtern und gewandet in Schachtelsätze, die das Lesen für den nicht Studierten anstrengend machen können. Wie es sich für eine ordentliche wissenschaftliche Arbeit gehört, führt Frau Dankert viele Quellen auf, bringt Zitate, Textauszüge aus Büchern, Briefen oder Interviews. Das ist zweifelsfrei gründlich, bremst aber den Lesefluss ebenfalls aus.
Gut, wenn man sich durch den Text kämpft, kann man vieles Interessante entdecken. Endes Lebensgeschichte ist zweifelsfrei faszinierend! Die Kindheit eines phantasiebegabten Kindes in NS-Zeiten, sein Elternhaus und der Künstler-Vater, seine Startschwierigkeiten als Autor, die viele Kritik, die er erfahren musste, die vielen Auseinandersetzungen, denen er sich zu stellen hatte – ein Mann, der viel Anerkennung aber auch viel Ablehnung erfahren durfte bzw. musste. Differenziert wird auch sein Charakter angegangen, der Leser muss sich darauf gefasst machen, nicht nur Positives über Ende zu erfahren.
Die Textauszüge aus seinen bekannten und weniger bekannten Werken und die Vorstellung einiger seiner Gedichte haben mir ebenfalls gut gefallen. Im Grunde waren auch die Interviews und Briefwechsel interessant, aber für mein Empfinden wäre etwas weniger hier mehr gewesen. Von dem privaten Menschen Michael Ende hätte ich hingegen gerne mehr erfahren. Beispiel: Ende hatte eine schwer kranke Frau, die dann auch irgendwann stirbt. Sie hat ihm über viele Jahre zur Seite gestanden, mit ihm gearbeitet, sich selbst mit in sein Werk gelegt und nun stirbt sie und im Buch wird dies nur mit einem sehr geringen Umfang bedacht. Was soll ich daraus schlussfolgern? Die eine Möglichkeit ist, dass es der Autorin primär um die literarische Auseinandersetzung mit Endes Werk ging und weniger um den Menschen. Die andere Möglichkeit wäre, dass diese Priorität auch so in Endes Leben bestand. Ich weiß nicht, was mir lieber sein soll...
Fazit: Sehr interessant und umfassend - aber nicht leicht zu lesen. Vor dem Kauf unbedingt reinlesen und feststellen, ob man mit dem Stil klarkommt! Von mir leider nur 3,5 Sterne für dieses Buch.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.