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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1219 Bewertungen
Bewertung vom 23.03.2020
Barns, Anne

Kirschkuchen am Meer


ausgezeichnet

Die Kirschen aus Nachbars Garten

Wenn ihr dem Alltag mal wieder in ein schönes Buch entfliehen wollt, kann ich Euch „Kirschkuchen am Meer“ von Anne Barns empfehlen. Ein echter Wohlfühlroman mit viel Herz, Meer und leckeren Rezepten.

Marie war noch ein Kleinkind, als ihr Vater Enno die Familie für eine andere Frau verlassen hat. Ihre Mutter und ihre ältere Schwester Lena waren seitdem immer für sie da. Lena ist es auch, die sie anruft und ihr erzählt, dass Enno plötzlich gestorben ist. Ilonka, Papas „Neue“ (die „Hexe“), hat sie informiert. Da Lena hochschwanger ist, kann sie nicht mit zur Beerdigung fahren und allein will Marie nicht, aber ihre Mama und Oma begleiten sie, schließlich gehörte Enno mal zur Familie.
Bei der Seebestattung in Hooksiel fällt Marie eine Frau auf, die sich abseits hält. Was verbindet sie mit Enno? Marie folgt ihrer Spur nach Norderney und Juist …

Bereits der Einstieg in Anne Barns neues Buch hat mich in einen Kosmos aus frisch gekochter Erdbeermarmelade und selbst gebackenem Hefezopf gezogen – ihre Bücher sind definitiv nichts für schmale Hüften oder Diätzeiten.

Marie ist mit ihrem Leben eigentlich zufrieden. Sie arbeitet als Drogistin, die Kollegen sind nett, nur der Chef ist manchmal schwierig. Mit Marc, ihrem Verlobten, kriselt es etwas, seit er nach einem Burnout arbeitslos ist. Um abzuschalten backt Marie leidenschaftlich gern und überlegt schon lange, ihr Leben zu ändern: „Im Grunde genommen weiß ich, was mein Herz will, denke ich. Mir fehlt nur momentan der Mut, mich darauf einzulassen.“ (S. 93)

Der Zusammenhalt in Maries Familie hat mir gut gefallen. Die vier Powerfrauen sind immer füreinander da und unterstützen sich gegenseitig. „Traurig wegen Papa, glücklich wegen euch.“ (S. 62)
Interessant war, wie verschieden sie an Zeit mit Enno zurückdenken. Marie, die Jüngste, hat eher verklärte Erinnerungen an ihn, an Ferien und Ausflüge, gemeinsames Angeln und Kochen, während Lena damals die Probleme zwischen ihren Eltern mitbekommen hat. Ihre Mutter und ihre Oma haben Enno längst verziehen. Und bei einem sind sich alle einig – Ilonka, die Hexe, hat Enno und seine Töchter entzweit!

Anne Barns schafft es immer wieder, dass man mit ihren Protagonisten mitfiebert. Marie ist kreativ, mutig, neugierig und entscheidet oft aus dem Bauch heraus – ich habe sie sofort gemocht. Lena ist eine tolle große Schwester, die sich auch nach 30 Jahren immer noch um „die Kleine“ sorgt.
Mit Marc hatte ich so meine Probleme. Er ist zwar nett und ein Familienmensch, aber ihm scheint der Antrieb zur Änderung seiner Situation zu fehlen und ich hatte das Gefühl, dass er Marie gegenüber nicht immer ehrlich ist.
Ilonka – die Hexe – und ihr Sohn aus erster Ehe machen ihrem Ruf alle Ehre. Marie muss schnell feststellen, dass man ihnen immer noch nicht über den Weg trauen kann.
Auch die Nebenfiguren sind sehr liebevoll angelegt, seien es Anni, die Marie auf der Fähre kennenlernt, oder Stephan und Matthias, welche die Kaffeerösterei „Bittersüss“ betreiben (da will ich unbedingt mal hin!).

Einmal angefangen, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es ist spannend, mit viel Herz (-blut geschrieben) und macht Appetit auf Mee(hr).
Das Ende hat mich dann echt überrascht – einerseits hat man es genauso erwartet und doch wieder nicht. Ich habe mich beim Lesen sehr wohl gefühlt und alles andere ausblenden können – so muss ein Buch ein 3.

„Folge deinem Herzen und nimm Dein Gehirn ausnahmsweise mal nicht mit. Finde heraus, was dich glücklich macht.“ (S. 91)

Bewertung vom 20.03.2020
Stratford, Sarah-Jane

Radio Girls


sehr gut

Moderne Mädchen

„Sie würde niemals hübsch oder schick sein, doch so, wie sie war, sah sie zumindest verlässlich und vernünftig aus.“ (S. 15)
London 1926: Maisie ist 23 und wurde schon in der Kindheit als graue Maus beschimpft. Ihr fehlen weibliche Kurven, ihre Haare haben eine nichtssagende Farbe und ihre Kleidung ist abgetragen. Sie ist zu unauffällig, still und rücksichtsvoll, hat keinerlei Selbstvertrauen. Als sie einen Job als Sekretärin bei der BBC ergattert, wähnt sie sich am Ziel ihrer Träume – endlich verdient sie Geld und vielleicht lernt sie auch einen Mann kennen, der sie heiratet. Doch schon bald wird ihr klar, dass sie an einem Ort ist, wo die Zukunft passiert. Das Radio steckt noch in den Kinderschuhen, beeinflusst aber schon jetzt viele Menschen. Und im Gegensatz zu den Zeitungen: „… spielt es keine Rolle, ob die Leute Analphabeten sind, du kannst sie trotzdem mit nützlichen Informationen versorgen und ihren Verstand schärfen.“ (S. 322)
Ihre Chefin Hilda Matheson, die Vortragsdirektorin, spornt sie an, Fragen zu stellen, wann immer sie etwas nicht weiß oder versteht, und selber Nachforschungen anzustellen. Maisie lernt bei jeder Sendung etwas dazu, bringt bald eigene Ideen ein und arbeitet sich langsam hoch. Doch dann entdeckt sie etwas, was die BBC und das Land erschüttern könnte …

In „Radio Girls“ erzählt Sarah-Jane Stratford auf der Basis historischer Personen von den Anfängen der BBC in London. Damals brachte das Radio keine Musik, Wetter und Nachrichten, sondern sollte die Zuhörer unterhalten und bilden. Es gab z.B. Buchrezensionen, politische Streitgespräche oder Vorträge zur ersten Hilfe bei Haushaltunfällen. Die Gäste waren prominente Künstler oder Politiker, oft umstrittene Persönlichkeiten.

Maisie steht für eine neue Generation Frauen, die lieber arbeiten gehen als sich um Mann, Haus und Kinder zu kümmern. Sie dürfen wählen und können für sich selbst entscheiden. Ich fand es spannend und sehr interessant, Maisies Entwicklung von der ungebildeten grauen Maus zur taffen Karrierefrau zu verfolgen. „Jede Sekunde dort ist ein Abenteuer.“ (S. 278), auch wenn ich ausgehend vom Klappentext eher eine Spionagegeschichte erwartet hatte. Stattdessen geht die Autorin auf das Tagesgeschäft beim BBC ein, wie schwer es für Frauen war, sich in dieser Männerwelt zu behaupten, sich zu emanzipieren. Die Beiträge des Senders waren eng an die sich stets ändernde politische Situation gebunden, sie mussten oft mit ihren Chefs und den Sprechern bzw. deren Themen regelrecht jonglieren.

Mein Fazit: Ein interessanter biographischer Roman über die Anfänge des BBC-Radios, der etwas mehr Spannung vertragen hätte.

Bewertung vom 18.03.2020
Lester, Natasha

Die Kleider der Frauen


sehr gut

Stella Designs
Paris 1940: Estella ist 22 und arbeitet zusammen mit ihrer Mutter Jeanne als Schneiderin für die großen Couturiers. Nebenbei entwirft und schneidert sie Kleider nach ihren Vorstellungen, träumt vom eigenen Atelier mit zahlungskräftigen Kundinnen. Aber Europa steckt mitten im 2. WK und die Deutschen kommen Frankreich immer näher. Schon lange vermutet sie, dass Jeanne der Résistance angehört. Als Estella eines Abends in eine Aktion des Widerstands gerät und hilft, muss sie aus Paris verschwinden. Ihre Mutter hat dafür gesorgt, dass Estella seit ihrer Kindheit Englischunterricht von einem Amerikaner bekommt und schickt sie jetzt mit dem letzten Schiff nach Amerika. Dafür gibt sie ihr einen amerikanischen Pass – so erfährt Estella, dass sie einen amerikanischen Vater hat ...

New York 2015: Fabiennes Großmutter Estella ist 97 Jahre alt und hat nicht mehr lange zu leben. Kurz zuvor ist Fabiennes Vater gestorben und sie hat beim Ordnen seiner Unterlagen dessen Geburtsurkunde gefunden. Was darin steht, macht sie nachdenklich. Wer ist ihre Familie wirklich? Sie hofft, dass Estella ihr ihre Geschichte noch erzählen kann, aber die fordert als Gegenleistung, dass Fabienne nach ihrem Tod die Modemarke „Stella Designs“ übernimmt ...

„Die Kleider der Frauen“ von Natasha Lester ist eine Kombination aus historischem Roman und Liebesgeschichte, der zum Teil auf wahren Begebenheiten beruht und auf zwei Zeitebenen erzählt wird. Mir hat Estellas Geschichte dabei besser gefallen als Fabiennes.

Estella ist eine sehr mutige und kreative junge Frau, die einerseits das Rätsel ihrer Vergangenheit lösen und andererseits in New York ihr eigenes Label gründen will. Zu Hause wäre das nur mit männlicher Protektion vorstellbar gewesen „… in Frankreich durften Frauen kein eigenes Konto eröffnen und deshalb natürlich auch kein Bankdarlehen aufnehmen. Genauso wenig durften sie wählen – im Grunde waren Frauen Menschen zweiter Klasse …“ (S. 19), aber in Amerika scheint alles möglich, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Schon auf der Überfahrt hat Sam kennen gelernt, der als Zuschneider arbeitet, und in New York kommt noch das Model Jeanie dazu. Die drei sind ein gutes Team, trotzdem wird es schwieriger, als sie es sich ausgemalt haben, denn in Amerika stellen die Frauen andere Ansprüche an ihre Kleidung. „Amerika ist Gewerbe, Paris Kunst.“ (S. 67)
Außerdem trifft Estelle in New York den gutaussehenden Frauenschwarm und geheimnisumwitterten Engländer Alex wieder, den sie bereits in Paris kennen gelernt hat. Er scheint ein Spion zu sein, doch auf welcher Seite steht er und wie sind ihre Gefühle füreinander? Kann sie ihm vertrauen?

Fabienne ist ihrer Großmutter in ihrer Kreativität sehr ähnlich, aber ansonsten leider zu schüchtern, zurückhaltend und ängstlich. Obwohl sie schon als Kind Kleider entworfen hat, traut sie sich die Leitung der Firma und vor allem den Entwurf neuer Kollektionen einfach nicht zu, denkt, sie wäre nicht gut genug. Erst, als sie das Geheimnis um die Geschichte ihrer Familie löst, wird sie sich ihrer Stärken bewusst und wächst über sich hinaus. Dabei spielten auch der Amerikaner Will und dessen Schwester Melissa eine große Rolle.

Das Setting des Romans hat mir gut gefallen, wobei auch hier der Strang um Estellas Erlebnisse eindringlicher ausgearbeitet wurde. Die Beschreibung der Zustände in Paris und Frankreich haben mir gut gefallen – Estellas Gefühl der Unverwundbarkeit und Uneinnehmbarkeit von Paris „Paris war zu grandios, zu legendär, zu außerordentlich, als dass ein grotesker kleiner Mann namens Adolf Hitler ihm etwas anhaben konnte.“ (S. 24) und als Gegensatz die Verhältnisse, die sie auf der Flucht erlebt. Aber auch in Amerika liegt das Glück nicht auf der Straße, sondern man muss hart dafür arbeiten, macht die Autorin deutlich.

Für mich ist „Die Kleider der Frauen“ eine eindringliche Liebesgeschichte mit kleinen Längen, die sich um Mode, (Selbst-)Vertrauen und dramatisch Familiengeheimnisse dre

Bewertung vom 16.03.2020
Archan, Isabella

Wenn die Alpen Trauer tragen


ausgezeichnet

Der Tod schmeckt nach Marillenknödeln

… so empfindet es zumindest Therese Valbilda, als sie in den Flammen ihres brennenden Hauses umkommt.

„Inmitten der Bücher ... konnte sie auf gefährliche Phantasiereisen gehen, ohne sich wirklich zu verletzen oder gar zu sterben. Agnes überlegte, dass es eigentlich das Beste wäre, Mitzi hier festzuhalten, sie einzusperren mit Tonnen von Lesestoff und einer Kaffeemaschine.“ (S. 28)
Neun Monate sind vergangen, seit sich Mitzi und Inspektorin Agnes Kirschnagel bei der Aufklärung einer Mordserie kennengelernt haben und selber in Gefahr geraten sind. Agnes Freundschaft bedeutet Mitzi viel, sie liebt düstere Krimis und Thriller und hofft, Agnes bald wieder bei einem Fall helfen zu können. Die Wartezeit bis dahin vertreibt sie sich damit, wildfremden Menschen zu gratulieren, die es durch ihre besondere Zivilcourage in die Zeitung geschafft haben. So wie die Rentnerin Hilda Valbilda, die einen Enkeltrickbetrüger überführt hat. Als Mitzi Hilda trifft erfährt sie, dass deren Schwester Therese bei einem bislang ungeklärten Brandanschlag ums Leben kam und Hilda sich seitdem von einer weißen Frau bzw. Hex verfolgt fühlt. Mitzi ruft sofort Agnes an, aber die glaub ihr nicht. „Mitzi war einfach eine suchende Seele, die mit der Wirklichkeit nicht ganz zurechtkam.“ (S. 36) Doch dann stirbt Hilda an einem Herzstillstand und Mitzi kann Agnes überzeugen, sich die beiden Fälle doch mal genauer anzusehen …

Seit „Die Alpen sehen und sterben“ bin ich ein Fan des ungewöhnlichen Ermittlerduos Mitzi und Agnes.
Mitzi ist eine Einzelgängerin, die auf ihre Umwelt oft etwas zu aufgedreht, fantasievoll und verschroben wirkt, dabei ist sie eine herzensgute, empathische Frau. Sie hat als Kind ihren kleinen Bruder und ihre Eltern bei einem Brand verloren und das nie richtig verarbeitet. Jetzt ist sie endlich in Therapie, aber der Fall wühlt das Kindheitstrauma immer wieder auf – Erinnerungen und Realität sind manchmal nur noch schwer für sie auseinanderzuhalten. Außerdem scheint sie keine Angst mehr vor dem Tod zu haben, sondern ihn eher herbeizusehnen – dann wäre sie nämlich endlich wieder mit ihrer Familie vereint. Darum ist sie auch so empfänglich für die Botschaften aus dem Jenseits, welche die weiße Hex angeblich für sie hat.
Agnes ist ihre einzige Freundin. Die taffe, junge Ermittlerin will endlich Karriere machen und in eine Großstadt versetzt werden. Obwohl sie um Mitzis überbordende Fantasie weiß, erkennt sie auch, wenn diese auf der richtigen Spur ist und zusammen sind sie ein fast perfektes Team. Leider fehlt Agnes noch der Mann fürs Leben – obwohl Hamster Jo wirklich goldig ist. Vielleicht wäre ja der Köllner Privatdetektiv Axel Brecht, der auch in den Fall involviert ist, der richtige???

Auch der zweite Fall um Mörder-Mitzi aus der Feder von Isabella Archan ist sehr unterhaltsam, spannend, etwas gruselig und ein kleines bisschen übersinnlich. Obwohl die beiden Ermittlerinnen bei ihren Nachforschungen ein hohes Tempo vorlegen, werden sie von den Ereignissen überrollt und geraten wieder in Lebensgefahr – der filmreife Showdown hat mir echte Gänsehaut beschert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.03.2020
Roper, Richard

Das Beste kommt noch


sehr gut

Mit Achtung und Würde

…. erledigt Andrew seine Arbeit als Nachlassinspektor. Er ist dafür zuständig, die Familien einsam Verstorbener ausfindig zu machen und, wenn er keine Angehörigen ermitteln kann, die Beerdigung zu organisieren. 25 Begräbnisse waren es im Vorjahr und an jeder hat er teilgenommen, oft als einziger neben dem Pfarrer: „... die Vorstellung, dass am Ende niemand bei diesen Verstorbenen war, der bezeugte, dass die Menschen gewesen waren, die gelitten und geliebt hatten - diese Vorstellung konnte Andrew einfach nicht ertragen.“ (S. 91)
Über sein Privatleben denken seine Kollegen, dass er in einem Stadthaus lebt, seine Frau Diane Anwältin ist und die beiden Kinder kaum Probleme machen. In Wahrheit lebt Andrew in einem winzigen, heruntergekommenen 1-Zimmer-Appartement, dessen Boden komplett von einer Modelleisenbahn belegt ist. Seine ganze Freizeit und den größten Teil seines Gehaltes opfert er dafür, seine einzigen Freunde sind die Mitglieder des Modellbahn-Forums im Internet.
Erst als ihm Peggy, eine neue Kollegin, zugeteilt wird, beginnt er an seinem Lebensentwurf zu zweifeln. Peggy holt ihn aus seinem Schneckenhaus und bringt Farbe und Aufregung in sein Leben, tut ihm richtig gut. Er mag sie immer mehr, aber sie ist verheiratet und denkt das gleiche von ihm. Er muss etwas ändern, denn: „Wenn er diese Lüge weiterhin aufrechterhielt, würde das ein einsamer Tod sein.“ (S. 165)

Andrew ist ein sehr genügsamer, einfacher und vor allem einsamer Mensch. Seine Eltern sind relativ früh verstorben und seine ältere Schwester ist lange durch die Welt gereist. Jetzt meldet sie sich einmal im Vierteljahr bei ihm, gesehen haben sie sich vor 7 Jahren das letzte Mal. Sein Leben klingt trostlos, aber meist empfindet er es nicht so, denn er hat sich gut mit seinen Schwindeleien eingerichtet. Aber dann passiert etwas und das Lügengebäude droht einzustürzen.

Andrew wirkt oft altmodisch und wie aus der Zeit gefallen. Er hat kein Smartphone und nur einen uralten Computer, am liebsten hört er alte Ella-Fitzgerald-Schallplatten. Zudem hat er sich schon ewig keine neuen Klamotten mehr gekauft – inzwischen sind seine alten schon wieder in. Ich mochte ihn auf Anhieb und hatte oft Mitleid mit ihm, habe ihn aber auch für seinen Job bewundert, den ich nicht machen könnte. Die Wohnungen der Verstorbenen sind oft zugemüllt, die Toten werden zum Teil erst nach Monaten gefunden, entsprechend riecht es dann auch.

Richard Roper hat ein sehr gefühlvolles und nachdenklich machendes Debüt geschaffen. Beim Lesen stellt man sich die Frage, wie und mit wem man leben will, und vor allem, wie sterben. Einsam auf keinen Fall.
Das erste Drittel und das Ende des Buches haben mir besonders gut gefallen, dazwischen gab es für meine Begriffe ein paar kleine Ungereimtheiten, die meinen Lesefluss etwas gestört haben.
Der Autor hat einen feinen Humor und beschreibt seine Protagonisten sehr liebevoll, sie sind trotz ihrer kleinen Schwächen sympathisch. Die sich langsam entwickelnde Verbindung zwischen Peggy und Andrew habe ich gern begleitet.

Mein Tipp für alle, die emotionale Bücher mögen, welche zum Nachdenken anregen.

Bewertung vom 10.03.2020
Henn, Carsten Sebastian

Der Gin des Lebens / Kulinarische Kriminalromane Bd.1


ausgezeichnet

Zwei Väter, zwei Gins

Ausgerechnet in dem Moment, als Bene seiner Langzeitfreundin Annika einen Antrag machen will, beendet diese die Beziehung. Aus Frust öffnet er die Flasche selbstgebrannten Gin, die ihm sein Vater kurz vor seinem Tod geschenkt hatte. Er merkt sofort, dass das ein ganz besonderes Tröpfchen ist. „… die Aromen breiteten sich in all ihrer Komplexität aus. Wie ein feingesponnenes Tuch, das sich warm und beruhigend auf dem Gaumen entfaltete. … Zitronen und Orangen konnte er schmecken, wie frisch gepflückt, dazu ein Strauß mit Kräutern … Und noch etwas war in diesem Gin: Leidenschaft, ja Liebe.“ (S. 28) Auch sein bester Kumpel und ein Barkeeper sind begeistert und schlagen vor, mit dem Gin in Serienproduktion zu gehen. Allerdings findet er das Rezept nicht in den Unterlagen seines Vaters, die seine Mutter aufbewahrt hat. Dafür aber die Visitenkarte eines B&Bs in Plymouth, in dem sein Vater jedes Jahr während einer Tagung gewohnt hat. Und da dort auch die älteste Gin-Destillerie ist, fährt Bene kurzentschlossen hin, trotz der Angst seiner Mutter, die überhaupt kein gutes Gefühl bei dieser Sache hat …

Cathy`s B&B ist eigentlich ausgebucht und außerdem hat sie ganz andere Sorgen. Vor ein paar Tagen wurde in ihrem Garten ein Obdachloser erstochen – direkt vor ihrer kleinen Destille! Denn auch sie versucht, ein Gin-Rezept ihres verstorbenen Vaters nachzubauen … „Ihr Vater war wahrscheinlich nicht perfekt, aber was Gin angeht, war er ein verdammtes Genie.“ (S. 43)

Bene hat nach dem frühen Unfalltod seines Vaters dessen Oldtimer-Werkstatt übernommen und kann gerade so davon leben. Er ist der typische Anti-Held, ein aus der Zeit gefallener Rockabilly und Autoschrauber, aber ein Netter. Dem kann sich auch Cathy nicht entziehen, die ihr kleines B&B mit viel Liebe und Leidenschaft führt. Zudem kümmert sie sich um ihren Bruder Matt, der – sagen wir mal – anders ist. Cathy und Bene machen sich zusammen auf die Suche nach den Botanicals (Pflanzen), die dem perfekten Gin seinen Geschmack verleihen. Dabei werden sie immer wieder von eigenartigen Zwischenfällen ausgebremst. Versucht etwa jemand, ihren Erfolg zu verhindern? Aber wer und warum?

Seit mein Mann und ich vor einigen Jahren den (deutschen) Gin für uns entdeckt haben, probieren wir gern neue Sorten aus. Darum wusste ich auch sofort, dass ich dieses Buch unbedingt lesen muss, als ich es in der Verlagsvorschau entdeckt habe. Meine Erwartungen waren hoch und ich wurde nicht enttäuscht.

„Der Gin des Lebens“ von Sebastian Carsten Henn ist die perfekte Kombination aus unterhaltsamem Genuss-Krimi und kleiner Einführung in die Welt des Gins. Die Handlung ist sehr spannend mit geschickten Wendungen und Rückblicken zu Bens Vater in die 90er Jahre. Nach und nach kommt man so verschiedenen Geheimnissen auf die Spur.
Nicht nur der Gin, auch die Protagonisten, das B&B und die Landschaft rund um die raue englische Küste werden so liebevoll und anschaulich beschrieben, so dass man sofort Lust auf Urlaub mit der einen oder anderen Gin-Verkostung bekommt.
Jedes Kapitel beginnt mit einem witzigen Zitat zum Thema Alkohol und es gibt interessante Einschübe zur Geschichte, der Herstellung, den Cocktails und Botanicals des Gins. Am Ende des Buches Gibt es auch noch ein Glossar und Rezepte, wie man z.B. seinen eigenen Bathtube-Gin herstellen oder ihn beim Kochen und Backen verwenden kann.

Bewertung vom 10.03.2020
Wahl, Maxim

Schicksal einer Familie / Das Savoy Bd.2


ausgezeichnet

Die Einsamkeit in der Menge

London 1936: Seit 4 Jahren leitet Violet Mason das Savoy in London, unterstützt von ihrer Schwägerin Judy und den guten Geistern des Hauses. Doch das Personal und das Gebäude brauchen dringend eine Verjüngungskur, Schadensfälle und Störungen häufen sich. „Mittlerweile wirkte das Hotel erschöpft, verbraucht und ausgelaugt, es war im höchsten Grad renovierungsbedürftig.“ (S. 39)
Zudem erschüttert ein neuer Mord das Savoy und Violet wird von der Presse gejagt. Doch dann tritt Omar, ein adeliger Geschäftsmann und Hotelgast in ihr Leben. Er umwirbt sie und lädt sie zu den Olympischen Sommerspielen nach Berlin ein. Dort trifft sie ausgerechnet Max, ihren ehemaligen Chefredakteur vom BBC, wieder. Er soll von den Spielen berichten und öffnet ihr die Augen für das, was in Deutschland gerade passiert: „Du siehst nur eine Fassade. Du siehst, was die Nazis dich sehen lassen wollen, jetzt, da sie von der ganzen Welt beobachtet werden.“ (S. 163) Und dann überschlagen sich die Ereignisse …

Maxim Wahl hat es geschafft, mich von der ersten Seite wieder in den Kosmos des Savoy zu ziehen und mit Violet mitzufiebern. Geschickt bindet er wichtige Personen, Details und Ereignisse aus dem ersten Band „Das Savoy – Aufbruch einer Familie“ in die Handlung ein, sodass man die Zusammenhänge versteht, auch ohne ihn gelesen zu haben. (Was allerdings schade wäre, da auch er sehr spannend war!)

Violets Tage sind mit Arbeit angefüllt, das Privatleben bleibt auf der Strecke. „Ein Hamsterweibchen im Laufrad des Savoy war sie geworden, während draußen drastische Umwälzungen vor sich gingen.“ (S. 175) Immer öfter sehnt sie sich nach ihrer Zeit beim Radio zurück, dem relativ unbeschwerten Leben ohne die ganze Verantwortung. Auch den Tod ihres Partners John, der sich nach dem Vorfall 1932 das Leben genommen hat, hat sie noch nicht überwunden, sondern sucht die Schuld bei sich. Ihr Großvater hat die Folgen seines Schlaganfalls immer noch nicht überwunden, wird im Hotel gepflegt und kann ihr nur durch Augenbewegungen bei Entscheidungen helfen. Omar bringt endlich wieder Leichtigkeit und Abwechslung in ihr Leben, macht die Reise nach Berlin zu einem Abenteuer.

Das historische Setting passt perfekt zur fesselnden Handlung und zeigt die angespannte politische Lage, die verschiedenen Facetten des immer stärker werden Nationalsozialismus. Dieser hat inzwischen auch in den höchsten Kreisen von England Befürworter, welche sich u.a. offen gegen die emigrierenden Juden und für Hitlers Pläne aussprechen.
Das Savoy ist ein Schmelztiegel, ein Treffpunkt viele Menschen. Hier werden Geldgeschäfte, politische Gespräche, Konferenzen und geheime Tête-à-Têtes abgehalten und ist darum auch für interessant für verschiedene zwielichtige Gestalten.

Der Fall ist sehr komplex und man kommt den Drahtziehern (auch hinter dem Anschlag auf Violets Großvater) immer näher. Leider endet das Buch mit einem fiesen Cliffhanger, der mich denn nächsten Band schnell herbeisehnen lässt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.03.2020
Kühsel-Hussaini, Mariam

Tschudi


ausgezeichnet

Der Mann mit der Maske


Berlin 1896: Hugo von Tschudi, der neue Direktor der Nationalgalerie, eröffnet eine Sonderausstellung und bringt den Impressionismus nach Berlin. Er hat mit der Unterstützung von Max Liebermann in Paris in die Zukunft investiert und Gemälde und Plastiken von Degas, Rodin, Manet, Cezanne, Monet u.v.a. gekauft. Die Ausstellung ist ein Erfolg, sie spaltet die künstlerisch „Blinden“ von den „Sehenden“, wie Tschudi sich ausdrückt. Man liebt oder hasst sie und damit gleichsam auch ihn, aber auf jeden Fall ist er in aller Munde. „Sie sind die Art Mann, die seine Feinde gar nicht mehr berühren muss, um sie zu töten.“ (S. 19)
Doch man starrt nicht nur die Bilder an, sondern auch ihn, den Direktor, weil sein Gesicht von der Wolfskrankheit (Lupus) gezeichnet ist. E trägt oft Halbmasken, um wenigstens die schlimmsten Wunden zu verstecken.

„Tschudi“ ist das Portrait eines Mannes, der für die Kunst und gegen seine Krankheit kämpft. Er ringt stets um Anerkennung – die der Bilder und ihrer Schöpfer – und darum, selbst erkannt und (an)gesehen zu werden, dass man ihm ins Gesicht schaut ohne abgestoßen zu sein.
Immer wieder erklärt er dem Kaiser, Kritikern und interessierten Besuchern, dass die modernen Gemälde nicht mehr die Gegenwart projizieren. Im Vordergrund stehen nicht der Inhalt, sondern die Farben und das Licht, welche darauf eingefangen werden. Aber Berlin scheint noch nicht bereit zu sein für die Moderne. Seine Gegner sammeln sich. Auch Wilhelm der II. ist entsetzt – warum werden im Deutschen Nationalmuseum keine deutschen, sondern Bilder jüdische Ausländer gezeigt?! Nationalistische, rassistische und antisemitische Parolen werden laut. Die Emotionen kochen hoch.

Doch nicht nur seine Gegner, auch seine Krankheit behindert ihn. Nicht alle können sich verstellen, er sieht ihnen den Ekel und die Angst an – das kränkt und ärgert ihn. Denn Lupus ist nicht ansteckend (im Gegensatz zur Syphilis, die in Berlin grassiert), aber er ist schmerzhaft und wird ihn irgendwann umbringen. „Ich bin kein Mensch, der krank ist – ich bin ein Kranker, der ein Mensch ist.“ (S. 73)
Die Auswirkungen des Lupus werden sehr detailliert beschrieben und haben selbst mich, die ich diese Krankheit leider nur zu gut kenne, immer wieder erschreckt. Ich kann also sowohl Tschudi als auch seine Gegenüber sehr gut verstehen und mich in sie einfühlen.

Mariam Kühsel-Hussaini schreibt sehr literarisch, manchmal etwas sperrig. Ich musste viel nachschlagen, weil es nur kurz angedeutet oder erwähnt wird. Sie beschreibt Treffen mit Freunden, anderen Kunstinteressenten, Berühmtheiten, Gedankenfetzen und Episoden. Dadurch erinnerte mich die Handlung oft an Tagebucheinträge. Trotzdem ist das Buch sehr spannend (und leider auch sehr schnell ausgelesen). Man bekommt einen guten Einblick in die damalige Kunst Welt, wie sie funktioniert, wer dazugehört – eine umfangreiche Milieustudie.

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.03.2020
Lüpkes, Sandra

Die Schule am Meer


ausgezeichnet

1925 gründen 4 sehr engagierte Lehrerehepaare auf Juist „Die Schule am Meer“ – eine Reformschule, in der die Schüler mitreden dürfen, nicht mehr geschlagen oder missbraucht und Jungen und Mädchen zusammen unterrichtet werden. „Hier auf Juist konnten sie eine neue Welt erschaffen. Konnten ihre gemeinsame Version einer Schule ohne Angst verwirklichen.“ (S. 24) Sie kaufen ein altes, heruntergekommenes Anwesen und bauen dieses zusammen mit den Schülern aus beziehungsweise erweitern es immer wieder. Das Geld dazu stammt von Schulgeldern, Spenden und dem, was die Schüler z.B. in den Ferien auf Konzert- oder Theaterreisen verdienen. Kameradschaft und Zusammenhalt werden großgeschrieben, man duzt sich untereinander – auch die Schüler ihre Lehrer.
Zudem werden nicht nur der Geist, sondern auch der Körper gestählt, das morgendliche Bad in der eiskalten Nordsee gehört genauso dazu wie Gymnastik und Ausdauerläufe. Man formt den Menschen als Ganzes.

Aber Juist ist klein und die Schule hat nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner, die nationalsozialistisches Gedankengut auf der Insel verbreiten und Stimmung gegen die Reformisten machen. Vor allem, dass ca. 1/3 der Lehrer und Schüler Juden sind oder Kommunisten sind, ist ihnen ein Dorn im Auge.

Die Autorin Sandra Lüpkes stammt von Juist, kennt die Geschichte der Schule von Kindheit an und erzählt sie aus drei Perspektiven.
Da ist zum einen Anni Reiner, die aus einem reichen, jüdischen Elternhaus stammt und zusammen mit ihrem Mann Paul (einem Arier) zu den Gründern gehört. Anni ist nicht nur Lehrerin, sondern steckt von Beginn an immer wieder die ihr jährlich zustehenden Dividenden aus dem Familienvermögen in die Schule, die auch ihre 3 Töchter besuchen. Sie hat ihr Leben als behütete Industriellentochter für Paul und ihren gemeinsamen Traum aufgegeben und bereut es fast nie. Schwer wird es für die erst, als die Schule 5 Jahre nach der Gründung zu einer Bildungsmaschinerie geworden, die ihre ganze Kraft und Zeit raubt, und Paul die Belange der Schule bzw. Schüler vor die seiner Familie stellt.
Eine weitere Sicht auf die Geschehnisse bietet Eduard Zuckmayer. Er ist Dirigent bzw. Konzertmeister und auf der Insel im Urlaub, als er die Schule entdeckt. Das Konzept gefällt ihm so gut, dass er als Musiklehrer bleibt. Er möchte – wie seine Mitstreiter – eine Aufgabe, die ihn erfüllt und seinem Gegenüber, in dem Fall den Schülern, etwas bringt, anstatt Karriere zu machen.
Moskito steht für die Schüler aus aller Herren Länder. Seine Familie lebt seit 10 Jahren in Bolivien. Dass sie ihn jetzt so weit weg nach Föhr in die Schule schickt, gefällt ihm zu Beginn nicht, doch er findet schnell Freunde.

Die Schule erscheint wie ein ganz eigener Kosmos am Ende der Welt, Informationen von außen kommen oft erst verspätet an. Eine kleine heile Welt, während es „draußen“ immer ungemütlicher wird und die Nazis an die Macht kommen. Irgendwann hat das „Draußen“ trotzdem Auswirkungen auf die Schüler und Lehrer und die Ausrichtung der Lehrpläne, zumal der der Direktor alles macht, damit die Schule nicht verboten wird.

Das Konzept der Reformschule hat mir sehr gut gefallen, die idealistischen Vorstellungen von der großen Gemeinschaft, dass Freud und Leid immer geteilt werden. Nachteilig war, dass es kaum einen Rückzugsort gab und sie von der Natur anhängig waren.

Der Roman ist im wahrsten Sinne des Wortes schwere Kost – 576 Seiten dick und knapp 700 g schwer. In meinen Augen ist es kein Schmöker für leichte Lesestunden, dazu ist die Handlung zu komplex und umfangreich, das Thema zu schwer.
Ich würde das Buch als biografischen Roman bezeichnen, denn die Lehrer gab es wirklich, die Schüler sind fiktiv, orientieren sich aber auch an damals dort lebenden Kindern.
Sandra Lüpkes hat einen sehr eindrucksvollen Roman geschaffen, der mir zum Ende hin echte Gänsehaut beschert hat.

Bewertung vom 02.03.2020
Lundberg, Sofia

Ein halbes Herz


gut

Hat mich leider nicht ganz überzeugen können

Als die erfolgreiche New Yorker Portraitfotografin Elin eine Sternenkarte mit der Widmung „Heute wurde ein Stern auf den Namen Elin getauft“ (S. 11) bekommt, brechen längst verdrängte Erinnerungen auf und ihr Leben gerät durcheinander. Sie verpasst berufliche Termine und nimmt ihren Mann Sam noch weniger wahr als zuvor. „Du bist nie hier bei mir, auch wenn du mal da bist, bist du nur physisch anwesend. … Die bist wie eine Fremde.“ (S. 119) Dass sie damit ihre Karriere und ihre High-Society-Bilderbuch-Ehe gefährdet, wird ihr gar nicht klar. Auch ihre Tochter Alice, die gerade von zu Hause ausgezogen ist, kann nicht mehr zu ihr durchdringen. „Du inszenierst immerzu. Alles. Alles muss perfekt sein. Du erschaffst Fiktion, jeden Tag, jede Sekunde. Das ist nicht die Wirklichkeit. Als wäre das alles nur eine Kulisse, und wir … sind die Requisiten Deiner Inszenierung.“ (S. 120)

Doch Elins Gedanken drehen sich nur noch um ihre Kindheit auf Gotland, von der sie noch nie jemandem erzählt hat. Die Insel war rau, ihre Kindheit hart, von Gewalt und Alkohol geprägt, die Mutter lieblos, der Vater im Knast. Sie hatten nie genug zu essen oder Kleidung und Elin musste sich um ihre jüngeren Brüder kümmern, wenn ihre Mutter wieder ihre „dunklen Stunden“ (Depressionen) hatte. Elins einziger Lichtblick war ihr Freund Fredrik, der ihr wie ein älterer Bruder war. Er hat ihr jetzt die Sternenkarte geschickt …

Die Handlung wird abwechselnd auf zwei Zeitebenen erzählt und während man mit Elin in ihrer Kindheit mitleidet und bangt, kommt man an die Erwachsene überhaupt nicht ran.
Als Kind ist sie eine kleine, ängstliche Kämpferin, die stets versucht, ihrer Mutter alles recht zu machen und immer wieder zurücksteckt, wenn es um ihre Brüder geht. Sie ist liebevoll, hilfsbereit und fantasievoll. Zu Beginn träumen Fredrik und sie noch von einer Zukunft zusammen unter Sternen, vielleicht als Astrologen, aber als sie älter wird, will sie nur reich und berühmt werden.
Die erwachsene Elin versteckt sich hinter ihrer Kamera und vergräbt sich in ihrer Arbeit. Nur nichts und niemanden an sich ranlassen. Sie ist perfektionistisch und blendet alles aus: „Wenn sie fotografiert, bleibt die Zeit stehen, und die Gedanken verstummen.“ (S. 53)

Genau so verschieden, wie die junge und die erwachsene Elin sind, empfand ich auch den Erzählstil und die Verteilung der Spannung. Während mich ihr Leben auf Gotland wirklich gepackt hatte, passierte mir in New York einfach viel zu wenig. Entweder sie feilte am nächsten Foto, ignorierte ihren Mann und boykottierte damit systematisch ihre Ehe, oder sie erging sich in Selbstvorwürfen und Zweifeln wegen dem großen Geheimnis, wegen dem sie Schweden damals verlassen hat. Es dreht sich immer alles nur um sie, das ermüdete mit der Zeit.

Meine Erwartungen an das neue Buch von Sofia Lundberg waren nach ihrem Bestseller „Das rote Adressbuch“ natürlich hoch, doch leider hat sie mich mit „Ein halbes Herz“ nicht ganz überzeugen und mitreißen können.

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