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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 28.06.2016
Hohler, Franz

Das Ende eines ganz normalen Tages


gut

Geschichten aus dem Alltag

Franz Hohler erzählt in seinem Buch Kurzgeschichten über Ereignisse des Alltags. Die Betonung liegt auf „Alltag“ und nicht auf „Ereignis“, da es oft die kleinen Dinge des Lebens sind, auf denen der Fokus liegt. Er schreckt auch vor politisch brisanten Themen nicht zurück. So berichtet er in „Im gelobten Land“ über eine Reise nach Nahost und äußert sich zur Situation der Palästinenser. Kritisch ist auch sein Resümee aus „Sonntagsspaziergang“, wo er dem eigenen Volk mangelnde Hilfsbereitschaft unterstellt. Ganz anders dagegen sind seine Reiseberichte „Mit Katharina in Indien“ und „Eine mongolische Hochzeit“. Hier werden den Lesern fremde Kulturen auf humorvolle Weise nahe gebracht. Der Mensch hat, evolutionär bedingt, nur eine emotionale Bindung zu Menschen aus seinem näheren Umfeld bzw. zu Geschehnissen, die ihn unmittelbar betreffen. Das ist die Quintessenz aus „12.30 Uhr“, in der eine Alltagssituation in Beziehung gesetzt wird zu Katastrophenmeldungen aus der weiten Welt. Vielleicht sind die Menschen überfüttert mit negativen Schlagzeilen und es sollte auch einmal über Positives aus dem lokalen Umfeld berichtet werden, wie er in „Die Nachricht vom Kellner“ reklamiert. Hohler ist ein vielseitiger Autor. Angereichert wird die Themenvielfalt durch Poesie und naturverbundene Geschichten. Seine Erzählungen sind nicht grotesk, wie die Kurzgeschichten von Etgar Keret, sondern eher humorvoll und besinnlich. Er bewegt sich in der Wirklichkeit. Das Buch lebt nicht von der einzelnen Geschichte, sondern von der Vielfalt der Themen.

Bewertung vom 28.06.2016

Denkanstöße 2011


sehr gut

Ein Lesebuch für zwischendurch

Das Buch enthält Texte zu den Themen Politik, Philosophie, Naturwissenschaften und Musik. Zu den bekannteren Autoren zählen der Theologe Hans Küng („Was ich glaube“) und der Pianist und Dirigent Justus Frantz („Was Sie über Musik wissen sollten“).

Der Beitrag von Margaret Heckel über Angela Merkel und die Bankenkrise ist recht informativ. Die Leser bekommen ein Gespür dafür, wie hektisch die Zeit war und wie groß der Druck auf die Regierung in der Krise gewesen ist.

Ulrike Herrmann untersucht das Selbstbild der Mittelschicht und fördert zutage, dass es sich dabei, um ein verzerrtes realitätsfernes Bild handelt. Die Mittelschicht hat einen schlechten Stand, weil sie immer wieder gegen eigene Interessen handelt. Autorin Herrmann erläutert, warum das so ist.

Die Abhandlung „Die verrückte Welt der Paralleluniversen“ wird angekündigt, als ob es sich dabei um neue Erkenntnisse der Physik handeln würde. Die zugrunde liegende Vielwelten-Interpretation der Quantentheorie geht – in ausgereifter Form – auf Hugh Everett zurück, der diese 1957 entwickelt hat. Die Theorie löst die Paradoxien der Quantentheorie auf. Ob diese Theorie jedoch die Wirklichkeit beschreibt, kann niemand wissen. Die Existenz von Paralleluniversen ist nicht überprüfbar, die Theorie nicht falsifizierbar.

In „Die Steinzeit steckt uns in den Knochen“ geht es um die Evolutionstheorie. Detlev Ganten, Thilo Spahl und Thomas Deichmann erläutern, warum unser Körper ein Produkt seiner evolutiven Entstehungsgeschichte ist und welche Auswirkungen das z.B. in medizinischer Hinsicht hat. Das Erbe unser Vorfahren steckt in unseren Erbanlagen. Der Beitrag ist sehr aufschlussreich und daher empfehlenswert.

Bei „Denkanstöße 2011“ handelt sich um ein Lesebuch für zwischendurch. In überschaubaren Essays werden aktuelle und auch zeitlose Themen erörtert. Der Reiz liegt in der Vielfalt der Themen.

Bewertung vom 27.06.2016
Matthews, Andrew

So geht's dir gut


ausgezeichnet

You can't always get what you want … but if you try … you get what you need

Andrew Matthews klärt in diesem zeitlosen Werk (1. Auflage in Deutschland 1992) darüber auf, wie menschliche Verhaltensprogramme entstehen, wie man sie erkennt und wie man sie verändern kann. Er ermuntert die Leser, gewohnte Verhaltens- und Denkmuster kritisch zu hinterfragen und neue Wege einzuschlagen.

Das Buch ist lustig und lehrreich. Der Autor ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Cartoonist und Porträtist. Zahlreiche Illustrationen dienen der visuellen Unterstützung seiner Thesen, die er auf 6 Kapitel verteilt in leicht lesbarer Form präsentiert. Der Autor spricht die Leser direkt an und erzeugt damit eine intime Atmosphäre. Kleine Geschichten, die in die Texte integriert sind, untermauern seine Aussagen. Am Ende der Abschnitte befinden sich unter der Überschrift „Des Pudels Kern“ kurze Zusammenfassungen.

Der Autor fordert die Leser dazu auf, für ihr Leben selbst in die Verantwortung zu gehen. Die Hintergründe seiner Thesen werden nicht wissenschaftlich aufgearbeitet, sondern aufgrund von Erfahrungen plausibel begründet. Matthews geht die Themen pragmatisch an. Seine Erkenntnisse sind nicht neu. Es ist so, als ob Matthews einen Stapel psychologischer Ratgeber analysiert hätte und er die Quintessenz daraus seinen Lesern in komprimierter Form, aber witzig aufbereitet, präsentiert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.06.2016
Beckett, Simon

Obsession


gut

Ein Psychoroman über Besessenheit

Wer „Die Chemie des Todes“ oder „Kalte Asche“ von Simon Beckett kennt, kann von diesem Roman, der nicht wirklich ein Thriller ist, enttäuscht sein. Der Klappentext verrät viel, es ist eher eine Familiengeschichte mit verschiedenen Verstrickungen und es wird kein durchgängiger Spannungsbogen aufgebaut. Die Spannung befindet sich auf einem niedrigen Level und erreicht zum Ende hin ihren Höhepunkt. Zwischendurch wirkt der Roman langatmig.

Positiv fällt die psychologische Seite des Romans auf. Dazu gehört u.a., dass der Leser sich zwischendurch fragt, wer denn nun besessen ist, denn Zwangshandlungen gibt es auf beiden Seiten. In der Mitte des Romans ist diese Frage noch offen. Im letzten Drittel ahnt der Leser, in welche Richtung die Entwicklung geht. Positiv finde ich auch, dass das Thema Kindeswohl in diesem Buch ausführlich behandelt wird einschließlich der glücklosen Rolle des Jugendamtes beim Umgang mit Kindern.

Die Eigenarten des autistischen Kindes, welches sich ständig mit Geduldsspielen und Puzzlen beschäftigt, besitzt bezogen auf die Geschichte Symbolkraft. Aber das Thema wird zu oberflächlich behandelt. Der Kampf um das Kind besitzt, erkennbar an den Handlungen, eine psychologische Tiefe, die nicht hinreichend gewürdigt wird. Dennoch wird der Roman durch die Symbolik und die sozialkritische Seite aufgewertet. Die Bezeichnung „Thriller“ ist irreführend, jedoch ist der Titel „Obsession“ zutreffend.

Bewertung vom 27.06.2016
Roth, Joseph

Das Spinnennetz


ausgezeichnet

Wege zum Faschismus

In seinem Roman beschreibt Joseph Roth anhand der Figur des Theodor Lohse, eines desillusionierten Heimkehrers aus dem Ersten Weltkrieg, den Nährboden des Faschismus. Aus seiner Analyse der Nachkriegssituation entwickelt er eine bestechende Vision auf den Nationalsozialismus in Deutschland.

Theodor Lohse fällt der Wiedereinstieg ins zivile Leben schwer. Seine Familie hätte ihn lieber als toten Kriegshelden gesehen, statt als abgehalfterten Leutnant. Er ist unzufrieden, weil er die strenge Ordnung der Armee vermisst, in der Intelligenz und Vermögen keine Rolle spielen. Als nur mäßig Begabter, aber von Ehrgeiz Getriebener, sucht er Orientierung in einer zweifelhaften nationalistischen Geheimorganisation. In dieser Gruppe steigt sein Selbstwertgefühl und er entwickelt sich vom potenziellen zum realen Täter.

Als Folge seiner Taten leidet er unter Verfolgungswahn. Mit Schuldzuweisungen gegenüber Juden und Kommunisten will er diesen kompensieren. Er wird Mitglied der nationalsozialistischen Partei, die ihn umgarnt. In einer konspirativen Aktion gegen kommunistische Arbeiter siegen die Nationalsozialisten. Lohse gewinnt an gesellschaftlichem Ansehen. Seinem Aufstieg steht nichts mehr im Wege.

Nahm Joseph Roth die Wirklichkeit vorweg? Der Roman enthält eine profunde Charakterstudie der Täter und Mitläufer des Nationalsozialismus. Die Analyse ist bemerkenswert und sehr zu empfehlen. Der Name Hitler taucht auf und Autor Roth ahnt Anfang der 1920er Jahre, dass von ihm eine große Gefahr ausgeht. Roth war ein ausgezeichneter Beobachter. Seine düstere Vision wird aber vom realen Nationalsozialismus späterer Jahre weit übertroffen.

Bewertung vom 26.06.2016
Gaarder, Jostein

Das Leben ist kurz


sehr gut

„Wir sind Menschen, Aurel. Zuerst müssen wir leben, und dann – ja dann können wir philosophieren!“ (44)

Das Buch handelt von einem Brief, den Floria Aemilia an den großen Kirchenlehrer Augustinus geschrieben hat. Mit ihr hatte Augustinus, bevor er Bischof wurde, über mehr als 10 Jahre eine uneheliche Verbindung, aus der ein gemeinsamer Sohn hervorgegangen ist. Augustinus hat Floria aufgrund seiner religiösen Überzeugungen verlassen. Der Sohn blieb bei ihm.

Die Schreiberin ist zweifelsohne eine sehr gebildete Frau. Ihr Brief ist ein intellektueller Hochgenuss. Sie klagt an, dass Augustinus die Welt der Sinnlichkeit verlassen hat zugunsten einer gegenstandslosen Ideologie. „Du erinnerst dich nur an Gedanken, aber kannst du nicht versuchen, dir auch eine wirklich sinnliche Erfahrung ins Gedächtnis zu rufen?“ (61)

Die Trennung wurde maßgeblich von Augustinus' Mutter Monika bewirkt, die ihren Sohn entsprechend beeinflusst hat. „Aber die Einzige, die zwischen uns stand, war Monika.“ (54) Ihrem mächtigen Einfluss konnte sich Augustinus nicht entziehen. Und nach ihrem Tod übernahm Gott ihre Funktion. „Aber es dauerte nicht lange, da hattest du Gott an die Stelle deiner Mutter [Monika] gesetzt.“ (51)

„Das ist die Welt, Aurel, und sie ist hier und jetzt“ (116), ist eine der prägnanten Aussagen aus dem Brief mit der Intention, sich für das Diesseits zu entscheiden. Der Glaube führt zu Widersprüchen. „Ihr verleugnet die Liebe zwischen Mann und Frau. … Aber ihr verleugnet sie im Namen Gottes.“ (119)

Jostein Gaarder greift mit diesem Buch ein aktuelles Thema auf. Florias Argumentation ist modern und spiegelt die Situation der Kirche und insbesondere die Rolle der Frau in der Kirche wieder. Sie nimmt Dinge vorweg, die nach Augustinus Realität waren. „Ich fürchte mich davor, was die Kirchenmänner eines Tages vielleicht mit Frauen wie mir machen werden.“ (118)

Es ist hinsichtlich der Lehren, die aus diesem Buch gezogen werden können nicht entscheidend, wie hoch der reale Anteil ist. Der moralische Konflikt, der beschrieben wird, ist real. Auch wenn manche Stellen bezogen auf den historischen Kontext zu modern wirken, stellt sich die Frage: Sind Religionen es wert, auf menschliche Liebe zu verzichten?

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.06.2016
Wolff, Gabriele

Das dritte Zimmer


ausgezeichnet

Psychothriller aus der Welt der Bürokratie

Gabriele Wolff ist eine Krimiautorin mit Insiderkenntnissen. Sie beschreibt die hierarchischen Strukturen, Intrigen und Beziehungen innerhalb eines Ministeriums und die Verflechtungen mit der Wirtschaft auf glaubhafte Art und Weise. Um psychische Veränderungen, wie sie im Sog der Macht entstehen können, realistisch darzustellen, sind Erfahrungen und Einfühlungsvermögen erforderlich.

Die Autorin schreibt verständlich und die Handlungsstränge sind voll innerer Logik. Sie kennt die Psychologie der Täter und Opfer. Die Vielschichtigkeit des Romans und die markanten Personenbeschreibungen tragen ihren Teil dazu bei, dass der Roman vom Anfang bis zum Ende spannend ist. Besonders gefallen hat mir die forsche und fröhliche Kriminalbeamtin Friederike Weber - ein Modell für weitere Krimis.

Bewertung vom 26.06.2016
Sarrazin, Thilo

Der neue Tugendterror


sehr gut

Einsamer Rufer in der (Medien-) Wüste

„Wenn sich die Wirklichkeit dem eigenen Denkmuster nicht fügen will, werden auch in seriösen Zeitungen notfalls die Gesetze der Statistik auf den Kopf gestellt.“ (12) Thilo Sarrazin erläutert, was er damit meint. Das „eigene Denkmuster“ in diesem Sinne ist die von den Medien verbreitete gesellschaftlich opportune Meinung, welche im Dienste einer höheren moralischen Wahrheit zu stehen scheint. Wer hiervon abweicht, gilt als Provokateur. Meinungsvielfalt, wie sie in der Medienlandschaft vor 30 Jahren noch üblich war, ist heute nicht mehr vorhanden.

Autor Sarrazin beschäftigt sich mit diesem Phänomen. Er untersucht den Begriff Meinungsfreiheit, berichtet über eigene Erfahrungen mit Meinungsherrschaft und analysiert Meinungsbildungsprozesse. Er resümiert, dass die meisten Menschen (auch gegen besseres Wissen) Mehrheitsmeinungen von Gruppen annehmen, zu denen sie selbst gehören. Dieses Phänomen wurde hinlänglich psychologisch untersucht und ist allgemein bekannt. Offensichtlich fehlt es an kritischer Selbstreflexion bzw. an Mut, eine eigene (individuelle) Meinung zu vertreten.

Sarrazin untersucht vierzehn Axiome des Tugendwahns im Deutschland der Gegenwart. Damit stößt er eine gesellschaftliche Debatte an, die von Politik und Medien gern ausgeblendet wird, jedoch überfällig ist. Die Axiome sollten gründlich gelesen und kritisch reflektiert werden. Es mangelt heute an sachlich geführten offenen Diskussionen, ohne dass gleich die moralische Keule geschwungen oder massiver Druck ausgeübt wird.

Das Buch ist ein Plädoyer für Meinungsfreiheit und gegen Gleichmacherei. „Urteilen soll dann der Leser … welche Position ihn jeweils mehr überzeugt.“ (342) Der Autor verkündet nicht „die Wahrheit“, denn „die Wahrheit“ gibt es nicht. Menschen konstruieren ihre eigenen Wirklichkeiten. Die Medien (i.V.m. der Politik) haben die Rolle übernommen, die Meinungen in eine bestimmte Richtung zu biegen. Auffallend ist, dass diese publizierten Meinungen, so einheitlich und einvernehmlich sie auch wirken, oftmals nicht mit den Meinungen der Bürgerinnen und Bürger des Landes übereinstimmen. Notwendig für einen ausgewogenen Meinungsbildungsprozess sind vielschichtige Informationen und offene Diskussionen. Nur so funktioniert Demokratie.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.06.2016
Steinbrück, Peer

Unterm Strich (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Jenseits der Illusionen

Peer Steinbrück gibt einen Überblick über weltpolitische Zusammenhänge und Abhängigkeiten und beleuchtet ausführlich die wirtschaftliche Situation in USA, China und Europa. Er relativiert die Möglichkeiten der Politik, Veränderungen herbeiführen zu können. Die „wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Steuerungsknöpfe“ liegen nicht mehr in Reichweite der Nationalstaaten, auch wenn alle Parteien in ihren Wahlprogrammen etwas anderes suggerieren.

Kann eine Währungsunion ohne politische Union funktionieren? Steinbrück bekennt sich zu Europa. Er erläutert die historische Entwicklung und deren Abhängigkeiten. Als Pragmatiker sieht er das realisiert, was machbar war. Europa ist ein Staatenbund und kein Bundesstaat. Im Übrigen habe er noch niemanden getroffen, der ihm sagen konnte, wie eine gemeinsame Wirtschaftsregierung denn aussehen sollte.

Steinbrück kritisiert Bankenfunktionäre, die in einer „Parallelwelt an der Spitze“, abgeschottet vom Volk auf der Straße, ihren Geschäften nachgehen. Dass Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert werden, dürfe es nicht noch einmal geben. Er empfiehlt zehn Regeln zur Kontrolle der Finanzmärkte. Hinzu komme die Notwendigkeit, ein Verfahren für eine geordnete staatliche Insolvenz von Mitgliedsstaaten zu verankern.

Mit den finanziellen Grundlagen des Sozialstaates befasst sich Steinbrück in „Sozialstaat im Schraubstock“. Einer abnehmenden Anzahl von Einzahlern steht auf Grund der Demographie eine zunehmende Anzahl Leistungsempfänger gegenüber. Hinzu kommt, dass sich die Schere zwischen arm und reich in Deutschland weit geöffnet hat.

Den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz sieht Steinbrück verletzt, wenn es für Renten eine Garantie gibt bei gleichzeitig sinkenden Löhnen für Arbeitnehmer. „Die Frage, warum ich dieser Rentengarantie im Kabinett zugestimmt habe, muss ich mir als berechtigt gefallen lassen“, resümiert Steinbrück selbstkritisch.

Die Bedingungen für Politik haben sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts fundamental verändert, weil sie, im Gegensatz zur Ökonomie, nur im nationalen Umfeld agieren kann. Dies führt zu Frustrationen gegenüber der Politik, wenn diese ihre Grenzen nicht eingesteht. Deutschland müsse sich stärker in internationalen Gremien engagieren.

Das Verhältnis zwischen Politik und Medien bezeichnet Steinbrück als „delikate Beziehung“ und begründet ausführlich warum er das so sieht. Von einer Präsentation von Politikern in Talkshows hält er nicht viel. Mit Phrasen bespicktes Gerede ohne Konsequenzen führe dazu, dass Politik an Ansehen und Glaubwürdigkeit verliert.

In „Neuvermessung und Politik“ geht Steinbrück auf die Zukunft der Parteiendemokratie ein. „Von diffusen und marginalen Ausnahmen abgesehen, bietet keine Partei mehr eine geschlossene Weltanschauung.“ Dies führe zu einer weitgehenden Entideologisierung der politischen Landschaft und auch zu einem Wähler- und Mitgliederschwund.

In „Freiheit – Solidarität – Gerechtigkeit“ erläutert Steinbrück, wie er den Weg in die SPD gefunden hat und wie er die aktuelle Situation der SPD sieht. Er greift politische Themen wie „Rente mit 67“, „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ auf und thematisiert die Probleme, die seine Parteikollegen mit diesen Themen haben.

Intelligenz, Sachverstand und Selbstkritik kann man Steinbrück auf Grundlage dieses Buches nicht absprechen. Hinsichtlich der Europapolitik gibt es einen Dissens zwischen Steinbrück und vielen Bürgern in Deutschland. Dies ändert nichts daran, dass es sich um ein gleichermaßen anspruchsvolles wie ausdrucksstarkes Buch handelt, welches dazu beitragen wird, dass das Bild der Politik und ihrer Protagonisten, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, in ein besseres Licht gerückt wird.