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Juti
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Insgesamt 748 Bewertungen
Bewertung vom 30.10.2017
Menasse, Eva

Tiere für Fortgeschrittene


sehr gut

8 längere Beziehungskurzgeschichten zu kurzen Tiermeldungen, die es tatsächlich mal in die Medien geschafft haben.
Die Tiermeldungen sind alle interessant, doch deswegen wird sich keiner das Buch kaufen.
Die Kurzgeschichten haben mir unterschiedlich gefallen:
Die erste war mir zu familienlastig, die zweite habe ich gar nicht verstanden, die dritte ganz nett, die vierte wurde mir erst klar, als ich in der Kritik las, dass die Autorin ihr Jahr in der Villa Massimo in Rom beschreibt. Ich habe daraufhin es nochmal gelesen und einiges als Kunstkritik verstanden. Aber ich habe ernste Bedenken, ob man so schreiben darf, dass die Geschichte ohne Hintergrundwissen nicht zu verstehen ist?
Danach gefiel mir das Buch besser. Mir gelang es Bezüge zu den Tiergeschichten herzustellen, etwa bei Opposum, wo in der Tiergeschichte ein Betrunkener ein Opposum wiederbelebt und in der Beziehungsgeschichte ein Ehemann auf einem Pass eine Seitensprung plant, aber dann im Tal ein Reh anfährt und bei ihm bleibt.
Haie handelt von Tieren, die in Gefangenschaft an Sauerstoffmangel sterben, was übertragen wird auf die linksliberale Nora, die ihre Tochter Clara in die Schule ihres Viertels schickt und mitbekommt wie ein Mitschüler u. a. Von ihrer Tochter gemobbt wird. Erinnert vom Milieu her etwas an Dörte Hansens „Altes Land.“
Schlangen brauchen Sicherheit, wenn sie auf Bäume krabbeln, wie der alte Mann Jakob, der seine Ehe aufs Spiel setzte und Kontakt zum jungen Nachbarsehepaar aufnimmt, das den Kontakt zu ihm sucht. Sie erhalten von ihm den einzigen Tisch, den er ohne seine Frau gekauft hat, dem aber ein Bein und damit Sicherheit fehlt.
Enten sind auch im Schlaf wachsam, am Rand mehr als in der Mitte des Schwarms. Wachsam wie die Mutter von Sammy, die ihrem Mann Ben vorwirft nicht so wachsam zu sein, obwohl dieser im Gegensatz zur Familiengeschichte zum ersten im Haushalt mithelfenden Vatergeneration gehört und nicht ein „unbegleiteter Flüchtling“ (wie wir heute sagen) wie sein Vater, da der Großvater Jude war und die Großmutter aus Liebe bei ihm blieb.
Entweder wird dieses Buch gegen Ende besser oder ich habe mich an den Stil der Autorin gewöhnt. 4 Sterne.

Bewertung vom 04.10.2017
Roy, Arundhati

Das Ministerium des äußersten Glücks


gut

Indien, ein Land der Gegensätze.
Das hat mich ans Buch gefesselt. Gelungen fand ich auch den Beginn mit Anjum, einer Hija, ein Mittelding zwischen Mann und Frau.
Lange, für mich zu lange werden dann die Grausamkeiten des Kashmir-Konflikts beschrieben und ich habe auch ein wenig den roten Faden verloren. Bis zum Ende gelesen habe ich das Buch dennoch.

Bewertung vom 22.09.2017
Lohse, Stephan

Ein fauler Gott


sehr gut

Eindrucksvoll beginnt das Buch mit der Beerdigung von Jonas, Bens Bruder. Bei einigen Ritualen versteht ein Kind nicht alles.
Mutter und Bruder leiden sehr. Der Vater lebt mit neuer Frau in Frankfurt, was wie der Tod von Jonas erst nach und nach klar wird. Übrigens ist es die Mutter, die keine Obduktion wollte (S.102).
Anfangs ist alles plausibel und trotz des traurigen Themas wegen der der kindlichen Perspektive auch amüsant.
Überraschend ist der Kurverlauf von Ben im Schwarzwald, der hier nicht verraten wird. Mutter Ruth war verliebt während der Nazi-Zeit in Kurt Malchow, dessen Tante mit ihr von Frankfurt nach Zermatt fuhr (S.241). Kurz vor Zermatt in Täsch versucht auf S.316 Ruth sich und Ben durch CO zu vergiften, was Ben verhindert.
Ein wenig schade ist, dass das Thema Theodizee, was allein schon zum Titel gut gepasst hätte im Buch zu kurz und wenn, dann nur aus kindlicher Perspektive behandelt wird. Dennoch 4 Sterne.

Bewertung vom 22.09.2017
Blom, Philipp

Was auf dem Spiel steht


gut

Einige Bücher sind wie ein langer Zeitungsartikel, auch dieses Buch.
Dann stellt sich die Frage, was an diesem Buch für mich neu ist. Nicht viel.
Was aber gelungen ist, ist der Gegensatz zwischen dem Glauben an den Markt wie es der Westen in der Nachkriegszeit als relative kurze Epoche in der Geschichte dank Wirtschaftswachstum erlebte.
Ob die Prognosen am Ende des Buches so eintreffen wird natürlich die Zukunft zeigen. Da er zwischen Länder differenziert und keine Namen nennt, wird wohl manches Wirklichkeit werden.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.09.2017
Harari, Yuval Noah

Homo Deus


gut

Ein Buch mit viel Licht, aber leider auch viel Schatten.
Mir gefällt, dass der Autor sein Thema logisch mit zahlreichen Beispielen aufbaut, mir missfällt, dass er teilweise unsauber argumentiert. Ein Theologie-Studium täte dem Autor gut.

Der Reihe nach:
Das Buch beginnt mit einem Kapitel zur Unsterblichkeit, wo ich wenig Neues erfahre. Ab S.46 wird es interessant: „Das Recht auf Glück.“ Der Autor zeigt auf S.49 deutlich, wie ungenau die Messung des BIP ist. In Singapur ist das BIP viermal höher als in Costa Rica, doch die Lebenszufriedenheit ist in Costa Rica höher. Ab S.64 geht es wiederum um Zukunftsphantasien und Götter.
Überzeugt hat mich die „kurze Geschichte des Rasens“ ab S.85, der Ausdruck des Reichtums war und nach und nach in die Mittelschicht einsickerte. ein bestes Beispiel von Übrigens-Kultur.
Im folgenden Kapitel über „das Anthropozän“ gibt es kein Wort, dass Erdzeitalter aus der Geologie stammen und Spuren im Erdboden hinterlassen müssen. Klar, die Tierwelt wurde dem Mensch unterworfen und ja, das Christentum spielt dabei mit, weil der Mensch schon zur Zeit des Alten Testaments vom Jäger zum Bauern, also sesshaft wurde.
Der Autor stellt auf S.116 die These „Organismen sind Algorithmen“ auf. Meinetwegen. Darwins Evolutionstheorie in Europa noch zu beweisen, halte ich für überflüssig, aber bitte. Schlimmer wirkt auf mich, dass der Autor behauptet auch der Mensch habe keine Seele.(S.142ff) Der Verfasser vergisst Seele zu definieren. Ich habe den Eindruck, er suche die Seele als Körperteil. Selbst wenn man nichts von der christlichen Theologie hält, so kann es doch etwas nach dem Tod geben, wie der Heidelberger Physiker Markolf Niemz zeigt.
Dann lieber ein Übrigens-Kapitel zur Laborratte oder anderen Tieren, noch spannender das Ende des Ceaucescu-Regimes (S.184ff), das zeigt, dass das besondere des Menschen ist, dass er sich zusammen schließen kann und wem das gelingt, der kann die Macht übernehmen. Neu und interessant für mich waren auch seine Gedanken zur Intersubjektivität. Neben der subjektiven und objektiven Wahrheit existiert auch eine intersubjektive Wahrheit, etwa ein 20 Euro-Schein, der nur solange Menschen sich darauf einigen mehr wert ist als ein Stück Papier.
Und wieder ein Übrigens-Kapitel über den portugiesischen Konsul in Bordeaux, der zur Nazi-Zeit viele Juden rettete.
Kapitel 5 beschäftigt sich dann mit Religion und Wissenschaft, wobei es lange dauert bis der Autor Religion als von Vermittlung von Werten ansieht anstatt von unsinnigen Gesetzen zu sprechen. Die Schlosskirche in Wittenberg „Allerheiligenkirche“ (S.256) zu nennen ist ungewöhnlich, aber nicht falsch, vielleicht auch nur schlecht übersetzt.
„Die Wissenschaft bedarf immer religiöser Unterstützung“ (S.258) und auf S.266 lesen wir erstmals was über Exegese. Immerhin.
Im Kapitel 6 geht es darum, dass unsere Wirtschaft auf Wachstum beruht, selbst wenn Umwelt und Klima darunter leiden. Ist das Neu? Das nächste Kapitel Humanismus lobt den freien Willen, selber denken und keinem anderen Leid antun wie die Bilder auf S.318f zeigen.
Doch Kapitel 8 stellt den freien Wille wieder in Frage, dank modernster Wissenschaft. Interessant ist auch der Unterschied zwischen "erlebtem Ich" und "erinnernden Ich", was an schönen Beispielen erläutert wird.
Danach wird es schwierig. Die Aussage das Computer immer klüger werden, wäre banal und fasst das Kapitel auch nicht zusammen. Der Satz: "Jüngste Studien vermuten, dass eine Partie Schach pro Woche den Beginn der Demenz hinauszögern kann." (S.448) ist etwas aus dem Zusammenhang gerissen.
Das menschliche Auge sieht nur einen kleinen Teil von Frequenzen bei den Lichtwellen, mit dem menschlichen Geist ist es vermutlich ähnlich.
Das Schlusskapitel geht auf die Bedeutung wachsender Datenmengen und die algorithmische Datenverarbeitung ein.
Aber gibt es nicht eine Gegenbewegung der Menschen, die nicht mehr alle Daten preisgeben und nicht bei Facebook sind? Alles in allem 3 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.09.2017
Glavinic, Thomas

Unterwegs im Namen des Herrn


sehr gut

„Sechs Uhr früh ist eine Uhrzeit, die ich sonst nur von der anderen Seite kenne.“ Einer der schönsten Sätze mit der ein Buch beginnt. Glavinic beschreibt sehr schön, wie es im Reisebus mit frommen Katholiken aussieht, der zur einer Marienwallfahrt aufbricht. Es wird viel gebetet.
Ich habe es gelesen, während ich mit normalen Katholiken unterwegs war und freute mich, dass meine Reisegruppe nicht so abgefahren war. Der Anfang gefällt bestens, bis der Erzähler mit seinem Freund Ingo die Wallfahrt doch verlassen und sich beim Reiseleiter verabschieden, der sich mit den Worten: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“ (S.110) verabschiedet. Danach brechen die beiden Protagonisten nach Split auf, um eine Orgie zu feiern, was wohl in den neuen Büchern Glavinics dazugehört, mir aber nicht gefällt. Erst der Rückflug nach Wien findet wieder wegen seiner überraschenden Wendungen gefallen.
Wegen der Orgie gibt es eine Stern Abzug.

Bewertung vom 02.09.2017
Makris, Carola

Todesinsel


sehr gut

Normalerweise bin ich nicht der Krimi-Leser, aber da die Autorin aus Heidelberg kommt, fühlte ich mich verpflichtet. Der Ort, die Azoreninsel Fayal, und dann die Historie mit der Telegrafenstation erwecken bei mir Leselust. Die vielen Namen dagegen waren für mich ungewohnt und die Handlung nicht immer nachvollziehbar. Schön ist mitunter der Perspektivwechsel vom Kommissar zu anderen Personen in kursiver Schrift. Auch die Zwischenkapitel zu thematischen Dinge wie Allein sein gefielen.
Das Ende ist etwas kitschig, aber 4 Sterne trifft es ziemlich genau.

Bewertung vom 01.09.2017
Magris, Claudio

Verfahren eingestellt


schlecht

Ich habe das Lesen dieses Buches nach 108 Seiten eingestellt, weil es kein echter Roman ist, sondern die Beschreibung eines fiktiven Kriegsmuseum mit einzelnen, meines Erachtens nicht zusammenhängenden Geschichten. Einzig der Sonderteil Luisas Geschichte vermochte ein wenig mehr zu überzeugen, allein kamen bis S.108 erst zwei Teile davon und da hatte ich die Lust bereits verloren.

Bewertung vom 19.08.2017
Barnes, Julian

Der Lärm der Zeit


schlecht

Ich habe dieses Buch nach 100 Seiten im 2. Kapitel weggelegt und nehme die Schuld auf mich.
Es mag ein gutes Buch sein, aber ich habe es nicht verstanden.
Klassische Musik, Stalinzeit, Verfolgung. Das habe ich begriffen.
Aber warum ich dieses Buch weiter lesen sollte, das ist mir nicht klar geworden. Schließlich ist mein Büchertisch voll und besseres wartet bestimmt.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.08.2017
Alexander, Robin

Die Getriebenen


ausgezeichnet

Selten habe ich ein Buch von fast 300 Seiten so schnell gelesen.
Selten hat mich ein Thema auch so gefesselt.
Es geht um die Bundeskanzlerin Merkel während der „Flüchtlingskrise.“ Ich sehe nicht, wie die SZ, dass der Autor Wut hat auf Frau Merkel, es geht ihm nur darum aufzuzeigen, was sie hätte besser machen können. Und er kritisiert gar nicht so sehr die Grenzöffnung, nein aus humanitären Gründen war das vertretbar (nebenbei bemerkt das Argument hätte 6 Monate später auch für Idomeni gelten können, aber da gab es die Willkommenskultur nicht mehr) , er kritisiert vielmehr, dass eine Woche später die Grenzschließung vorbereitet wurde, aber keiner den Mut hatte, die Verantwortung für die Durchführung zu übernehmen.
Aus diesem Buch habe ich gelernt, dass das Bundespresseamt für die Bundesregierung Umfragen in Auftrag gibt, deren Ergebnisse nicht alle veröffentlicht werden und mit denen Angela Merkel regiert. Und im Herbst 2015 hätte sie nur gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung die Grenze schließen können und das wollte sie nicht.
Dass sich spätestens nach der Kölner Sylvesternacht die Stimmung änderte und sie trotzdem noch erzählte, Grenzen könne man im 21. Jahrhundert nicht schließen, erst das verärgert den Autor.
Mit dem Autor denkt Horst Seehofer, die einzige Opposition gegen die Flüchtlingspoltik neben der AfD. Und Schäuble, auch das lernen wir, ist der Erfinder des Türkei-Deals, der zwar gar nicht funktioniert, der aber für die Kanzlerin wichtig war, um ihr Gesicht waren zu können.
Eigentlicher Held, der den Zuzug nach Europa beendete und de facto die Balkanroute schloss, ist der junge österreichische Außenminister Sebastian Kurz, der die Bilder von Idomeni für unvermeidlich hält. Frau Merkel wird das anders sehen und ihren Türkei-Deal loben.
Vielleicht ist das wie bei Kohl, dass wer zu lange regiert, den Blick für die Realität verliert. Aber dieser letzter Satz ist von mir.

5 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.