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luisa_loves_literature
Wohnort: 
NRW

Bewertungen

Insgesamt 121 Bewertungen
Bewertung vom 30.12.2021
Geld oder Lebkuchen. Fast ein Krimi (Ungekürzt) (MP3-Download)
Heldt, Dora

Geld oder Lebkuchen. Fast ein Krimi (Ungekürzt) (MP3-Download)


gut

„Geld oder Lebkuchen“ ist ein sehr nettes Feelgood-Hörbuch für die Weihnachtszeit, dessen Handlung allerdings nicht sonderlich mitreißt oder überrascht – vielmehr bietet es von der Story her viel wohlig-warme Weihnachtatmosphäre, ein rundes Happy End und amüsante Figuren. Diese gewinnen mit Sicherheit sehr viel an Charakter und Eigenart, weil sie von Katja Danowski mit so viel Leben, einem Hauch norddeutschem Zungenschlag und (wenn nötig) auch blasiertem Schickimicki in der Stimme gefüllt werden. Man hat sofort konkerte Gesichter zu den Stimmen im Kopf, denn Menschen, die so sprechen, gibt es wirklich. Die Art der Lesung hat mich ehrlich gesagt sehr viel mehr begeistert und interessiert als die eigentliche Geschichte, die zwar humorvolle Momente und viel Gerechtigkeit aufweist, aber einfach nicht so recht Spannung aufzubauen vermag. Das einzige was mich an der Lesart von Katja Danowski gestört hat, waren ihre Kinderstimmen. Die Natürlichkeit und Authentizität, die sie den erwachsenen Figuren verleiht, fehlt den Kindern leider völlig. Hier wirkt es leider oftmals sehr aufgesetzt und übertrieben. Insgesamt aber ein unterhaltendes Hörbuch für die Weihnachtszeit.

Bewertung vom 16.12.2021
Der Gesang der Berge
Que Mai, Nguyen, Phan

Der Gesang der Berge


ausgezeichnet

Xin chào, Việt Nam! Der Gesang der Berge nimmt uns mit auf eine mitreißende, erschütternde, großartige Reise durch die Wirbelstürme der vietnamesischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen die junge Hoang (Spitzname Guave) und ihre Großmutter. Überhaupt ist dieser Roman ein Roman der starken Frauen, der sanfte Feminismus, der Mut zur Gleichberechtigung innerhalb der Familie, der ausgeprägte und hier nahezu als Selbstverständlichkeit dargestellte weibliche Bildungswunsch und -drang (in einer Zeit in der ein solcher in Europa z.B. häufig noch als Kuriosität angesehen wurde) lassen den Roman und die Erzählerinnen sehr modern und sehr erfrischend wirken und trotz seiner historischen Thematik äußerst gegenwärtig. Der Gesang der Berge ist ein Buch, das einfach sehr viel auch über das Heute zu sagen hat: über Risse und Verbundenheit in der Familie, über Vergangenheit und Zukunft, über Politik, Niedertracht und Egoismus, über Liebe, Hoffnung und Zusammenhalt.

Beim Lesen des Romans wird man wie ein Spielball durch die Widrigkeiten und leider sehr zahlreichen negativen Höhepunkte der vietnamesischen Geschichte getragen. Erzählt wird nicht chronologisch, Rückblicke der Großmutter in vergangene Zeiten wie z.B. die Landreform wechseln sich mit den Berichten der Enkelin über das zivile Leben im Schatten des Vietnamkrieges ab. Dabei spiegelt das Buch unglaublich gut in seiner Figurenkonzeption, seiner Erzählweise und seiner Kontextualisierung die Geschichte des Landes, seine Kultur und seine Werte wider. Der Roman ist häufig auf recht subtile Weise sehr kritisch, niemals ist die Ablehnung des politischen Systems plakativ oder plump, sie wird stets an Handlungen der Figuren oder Charakterisierungen angebunden.

Trotz der sehr tragischen Ereignisse, die sich hier auf der Inhaltsebene aneinanderketten, trotz der vielen verheerenden Einzelschicksale, die einen beim Lesen manchmal schon furchtsam in Erwartung des nächsten Schlages die Seite umblättern lassen, ist dieser Roman ein optimistischer und ein hoffnungsfroher. Bei aller Verzweiflung bleibt den Figuren und den Lesern immer der sprichwörtliche Silberstreif am Horizont – sicherlich auch einer der Gründe, warum man dieses Buch so ungern aus der Hand legen mag.

Ein toller, lehrreicher, horzionterweiternder Roman, der die Seele Vietnams offenzulegen versucht, bestechend besonders in der Darstellung der Zerrissenheit eines Landes, die sich bis in die Familien fortsetzt. Am Anfang vielleicht minimal verwirrend, wegen der vielen verschiedenen Figuren und auch zahlreicher vietnamesischer Ausdrücke, nimmt der Roman mit jeder Seite mehr Fahrt auf und lässt einen Teil der Familie von Guave und ihrer Großmutter werden.

Bewertung vom 06.12.2021
Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten
Verhulst, Dimitri

Den Sommer kannst du auch nicht aufhalten


schlecht

Dieser Kurz-Roman ist leider gar nicht mein Fall. Mit zunehmendem Widerwillen las ich die absolut überflüssigen, hin und wieder ins Vulgäre driftenden, Ergüsse eines Mannes am Ende einer offensichtlich sehr lange anhaltenden Midlife-Crisis, der Liebe hauptsächlich über Sex zu definieren scheint, sich absolut empathiefrei und drastisch über Behinderungen auslässt und dabei in Form eines ausgedehnten nur von kurzen Erzähler-Einschüben unterbrochenen Monologs eine Geschichte erzählt, die eigentlich keinen interessiert oder interessieren kann. Das Problem ist hier nicht, dass der Protagonist Pierre so unfassbar unsympathisch und wenig mit seiner Gefühls- und Außenwelt im Einklang steht (immerhin gibt es genügend Beispiele für fulminante, widerwärtige Protagonisten, die trotzdem die Leserschaft begeistern), sondern, dass das, was erzählt wird, weder sprachlich noch inhaltlich reizvoll ist. Leider wirklich nicht zu empfehlen.

Bewertung vom 30.11.2021
Bonnie Propeller
Maron, Monika

Bonnie Propeller


gut

"Bonnie Propeller" ist eine Geschichte, die sich besonders an Hundeliebhaber richtet - für alle anderen ist es eine kurze Geschichte darüber, wie sich eine Frau einen neuen Hund zulegt und nach ein paar Startschwierigkeiten davon überzeugt ist, dass es sich bei ihrem Hund um ein ganz besonderes Tier handelt.

So bezaubernd und entzückend die Geschichte auch anmutet, so belanglos ist sie auch. Gut geschrieben ist die Story allemal, aber es ist eher die Art von Erzählung, die man mal so im Bekanntenkreis von sich geben könnte - ich bezweifle einfach stark das allgemeine Interesse eines größeren, eventuell auch nicht ganz so hundeaffinen Publikums. Und vor allem frage ich mich, wieso diese Geschichte gleich ein ganzes, gebundenes Buch braucht. Selbst als eine short story innerhalb eines Geschichtenbandes wäre sie wohl eher eine von den zahmeren und unbedeutenderen. Sicher, man kann durch den Text viel Charakterisierungsarbeit betreiben, wenn man dazu aufgelegt ist, aber insgesamt wirkt das Ganze dann doch auch etwas oberflächlich...

Für mich war das Büchlein nette Unterhaltung mit einem schicken Titel - mehr aber auch sicher nicht.

Bewertung vom 24.11.2021
Miss Bensons Reise
Joyce, Rachel

Miss Bensons Reise


sehr gut

Mit Miss Benson und Enid Pretty auf Käfer-Expedition in Neukaledonien zu gehen, ist ein großes Vergnügen mit hohem Unterhaltungswert, was wohl vor allem dem ungleichen paar Frauen geschuldet ist, dass sich im Verlaufe des Romans zusammenrauft und eine tiefe, warmherzige Freundschaft eingeht, von der beide in äußerst positiver Weise profitieren. Auch wenn Margery und Enid in ihrer Figurenzeichnung manchmal schon fast karikaturhafte Züge besitzen, kann die einnehmende Geschichte doch über weite Teile gut amüsieren und fesseln. Dies gelingt besonders im ersten Teil, in dem die Expeditionsvorbereitungen und die eigentliche Anreise zum Zielort im Mittelpunkt stehen. Hier wird viel Abwechslung geboten, die Hintergrundgeschichte zu Margery und das mühsame Aneinandergewöhnen der beiden Protagonistinnen sind gut beobachtet und mit leichter Hand witzig geschrieben. Im eigentlichen Neukaledonien-Teil gibt es dann doch ein paar Längen, auch weil der humorvolle Schreibstil und die stark typenhafte Konzeption der Figuren sich abnutzen und dafür sorgen, dass man die Geschichte nicht mehr so recht ernst nehmen kann. Dennoch: die lebendigen und anregenden Dialoge, das Hinwegträumen an einen fernen Ort und der zeitliche Rahmen der 50er Jahre machen den Roman insgesamt zu einem sehr heiteren Leseerlebnis, das schlussendlich jedoch von einem melodramatischen und nicht recht zum Gesamtkonstrukt des Romans passenden Ende überschattet wird.

Bewertung vom 04.10.2021
Mädchengrab
White, Loreth A.

Mädchengrab


sehr gut

"Mädchengrab" ist ein außerordentlich atmosphärischer Krimi, dessen Titel eventuell nicht ganz passend ist - denn das Opfer, das vor mehr als zwanzig Jahren verschwand, ist doch mehr Frau als Mädchen.

Das ist aber schon fast der einzige Kritikpunkt, denn den Leser erwartet bei Angie Pallorinos Spurensuche ein überaus dichter, komplexer, spannungs- und wendungsreicher Kriminalroman, der sich zwischen weiblichem Neid, weiblicher Eifersucht und einer eingeschworenen, dörflichen Männergemeinschaft entspinnt. Dabei sind nicht nur die Figuren zahlreich, es gibt ebenso viele mögliche Motive wie die potentielle Täter. Die Krimihandlung selbst ist sehr verstrickt und überraschend und wartet immer wieder mit neuen Details und Informationen auf bis sich langsam aber sicher schließlich ein Puzzle zusammensetzt, das seine Auflösung aber doch erst fast am Schluß erfährt.

Angie ist ganz genretypisch eine schwierige Ermittlerin. Ihre Probleme wurzeln nicht zuletzt in ihrer traumatischen Vergangenheit, die sich auch für Leser, die zum ersten Mal mit einem Pallorino-Band zu tun haben, zumindest in groben Zügen erschließt.

Der Star des Romans sind für mich aber die westkanadischen Wälder, das nasse, regnerische Wetter, die wortkargen Menschen. Der Roman weist soviel Lokalkolorit auf, dass Kanada greifbar wird. Der Text holt tatsächlich alles aus seinem Setting heraus.

Für Fans von stimmungsvollen, komplexen Kriminalfällen, die nicht allzu actiongeladen sind, ist "Mädchengrab" ein absoluter Lesetipp.

Bewertung vom 09.09.2021
Der silberne Elefant
Wayne, Jemma

Der silberne Elefant


sehr gut

Eigentlich wollte ich den Roman gar nicht mehr lesen, nachdem ich schon viel an negative und durchwachsene Kritik gelesen hatte, aber zum Glück mache ich mir doch immer ganz gern ein eigenes Bild und das hat "Der silberne Elefant" auch unbedingt verdient, denn Jemma Wayne ist eine gute Geschichtenerzählerin und ihr Buch hat mir gefallen.

Der Roman befasst sich mit drei sehr unterschiedlichen Frauenleben, die alle auf ihre Art zu überleben versuchen, wobei die Herausforderung für die ruandische Tutsi Emily unvergleichlich groß ist. Ihre Erfahrungen während des Völkermords, die auch im Text sehr plastisch herausgearbeitet werden, sind von unfassbarer Grausamkeit und unvorstellbaren Erlebnissen geprägt. Aber auch die anderen beiden Frauen reiben sich auf ihre Weise an ihrem Leben und ihrer Vergangenheit auf und kämpfen mit ihren persönlichen Dämonen, Schuldgefühlen und Ängsten. Auf sehr packende Weise schildert der Roman den Umgang der Frauen miteinander, mit sich selbst und zeigt die unterschiedlichen Wege einer Vergangenheitsbewältigung auf. Die Lektüre ist so mitreißend und interessant, dass ich mich manches Mal fragte, ob es angebracht ist, solch schwere Themen (denn auch die Probleme von Vera und Lynn sind alles andere als oberflächlich) in Unterhaltungsliteratur zu verpacken.

Die Frauenfiguren sind gut ausformuliert, bei den Männern in diesem Roman hakt die Figurenzeichnung jedoch. Die Männer sind einfach nicht spannend genug, nicht durchdacht und erfüllen eher stereotype Anforderungen: der Heilige, der Sünder etc...Schwierig fassbar war für mich auch die religiöse Note des Textes, der durch den Kontext einiger Figuren notwendig wurde, und auch Sinn machte, die stark kirchliche Ausrichtung war für mich aber nicht überzeugend und auch nicht wirklich nachvollziehbar.

Dennoch würde ich "Der silberne Elefant" empfehlen, denn mich hat dieser Blick auf unterschiedliche Frauenleben sehr beschäftigt.

Bewertung vom 15.08.2021
Im Reich der Schuhe
Wise, Spencer

Im Reich der Schuhe


schlecht

Ich muss zugeben, dass mich "Im Reich der Schuhe" leider gar nicht überzeugen konnte. Die interessante Prämisse des culture clash der Anfangsseiten konnte in keiner Weise aufrecht erhalten werden. Stattdessen taumelte der Protagonist Alex recht unbedarft, dauerüberfordert und wenig eigenständig am Rockzipfel der Chinesin Ivy durch die chinesische Provinz, in dem Versuch, sich einen Reim auf das Reich der Mitte zu machen.

Alle Figuren waren eher überzogene Stereotypen als glaubhaft konzipierte Figuren, am stärksten und furchtbarsten trifft das wohl auf den Unternehmer-Vater, aber auch die chinesischen Funktionäre, zu, die schon fast parodistisch wirken, allerdings ohne das auch nur ein Hauch von Humor und Witz ausgestrahlt wird.

Die Handlung kommt so gar nicht vom Fleck. Nach 140 Seiten ist eigentlich noch nichts passiert, was den Text voranbringt - es ist eher unaufgeregt und langweilig, da hilft auch die Tragödie nicht, die eine chinesische Arbeiterin trifft. Die sich anschließende, politische Erweckung und Entlassung von Alex in die Unabhängigkeit von seinem Vater ist an Naivität und Simplizität fast nicht zu überbieten. Hinzu kommt, dass die Darstellung der politischen Verhältnisse und Agitationen so oberflächlich und vereinfacht ist, dass man wirklich gar keine Freude daran haben kann. Mehr und mehr wird deutlich, dass hier eine politische Message rübergebracht werden soll - allerdings fehlt es leider an jeglicher Raffinesse.

Insgesamt leider überhaupt nicht mein Text - langweilig, uninspiriert und öde.

Bewertung vom 06.07.2021
Tage mit Gatsby
Nicolas, Joséphine

Tage mit Gatsby


sehr gut

Die Tage mit Gatsby sind berauschend, heiß, lang, schwül und auch lethargisch. Die Nächte werden von Parties bestimmt.

Joséphine Nicolas ist es gelungen, den Geist der Zwanziger, den "Tanz auf dem Vulkan" und die Zügellosigkeit in einem nicht enden wollenden Sommer an der französischen Riviera auf Papier zu bannen und zu feiern. Dazu erschafft sie eine greifbare und lebhafte Charakterisierung der Frau an der Seite des großen F. Scott Fitzgerald, deren emotionale Untiefen sie absolut authentisch und nachvollziehbar ausleuchtet, ohne sich in zu großer Empathie oder Nähe für Zelda zu ergehen. So erfährt man Zelda als sehr lebensechte Figur, die man zwar nicht unbedingt mag, aber ihrer Schattenposition wegen zeitweise bedauert. Durch die gewählte Ich-Perspektive bleibt natürlich stets fraglich, wieviel von Zeldas Wahrnehmung objektiv der Wahrheit entspricht und wieviel nur dem eigenen Geltungsdrang, der eigenen Unzufriedenheit in der Ehe und mangelnder Aufmerksamkeit durch den Gatten geschuldet ist. Ebenso führt die Perspektive dazu, dass Fitzgerald selbst zu einer marginalen Randfigur wird, die in Zeldas Lebenswelt auch eine immer kleinere und auch etwas eindimensionale Rolle einnimmt, denn in Zeldas Leben ist Zelda der Star und der Hedonismus das vorrangige Lebensprinzip.

Sprachlich würde ich den Roman schon fast als "gewaltig" bezeichnen. Er strotzt vor Metaphern, Vergleichen und ungewöhnlichen Wortkombinationen, um Atmosphäre zu schaffen. Auf den ersten Seiten ist das allerdings schon zu viel des Guten, etwas dosierter eingesetzt, würde jedes einzelne Element viel mehr strahlen, so wird es einfach zu üppig und prächtig und vor allem leider auch manchmal gekünstelt. Zum Glück reduziert sich dieser Stil im Verlauf des Romans und pendelt sich auf das genau rechte Maß ein.

Ein Manko ist für mich jedoch die relative Handlungsarmut, denn eigentlich passiert in diesem langen Sommer nichts, was eine Geschichte so richtig vorantreibt. Viele Kapitel beschreiben ein Ereignis, das dann abbricht und im Folgekapitel - wenn überhaupt - nur noch eine nachgeordnete Rolle spielt. Hier fehlte mir sowohl die verbindende Linie als auch einfach eine gewisse Handlungsrelevanz.

Nichtsdestotrotz ein schöner und auch lesenswerter Roman - vor allem für einen langen, heißen Sommer, in dem man in eine Welt des süßen Nichtstuns eintauchen mag.

Bewertung vom 04.07.2021
Viktor
Fanto, Judith

Viktor


ausgezeichnet

Der Roman "Viktor" überstrahlt für mich in diesem Jahr (fast) alle anderen Bücher, die ich gelesen habe, und unter meinen Highlights nimmt er einen absoluten Spitzenplatz ein. Dieses Buch schafft es, der düsteren Geschichte einer jüdischen Familie durch das 20. Jahrhundert mit leichter Hand und feinsinnigem, eleganten Humor zu folgen und dennoch die dunkel Seite der Tragik nicht auszusparen.

Durch die persönlich stark involvierte Perspektive der Ich-Erzählerin Geertje, die sich in den 1990er Jahren auf die Suche nach ihrem jüdischen Familienerbe macht, wird dem Roman eine authentische, unverbrauchte Stimme verliehen. Geertjes, später Judiths, völlig unbedarftes Erleben der Regeln des Judentum, die sie trotz ihrer jüdischen Familie zeitweise überfordern, sind komisch, unterhaltsam und fremd, aber auch sehr faszinierend. Geertje/Judiths Geschichte wechselt mit der Erzählebene, in der das Leben Viktors im Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschrieben wird, ab. In den Viktor-Teilen gelingt es der Autorin auch düstersten Erlebnissen mit bedachter Komik zu begegnen. Viktor als Figur ist ausgesprochen apart, unerschrocken, interessant und liebenswert (obwohl er selbst eine solche Kategorisierung zurückweisen würde). Überhaupt ist jede Figur bis ins Detail speziell und besonders, aber nicht verschroben, sondern eben einfach erzählenswert.

Sprachlich und stilistisch ist das Buch einfach unglaublich gelungen. Es strahlt einfach, ist sehr besonders und irgendwie drängt sich mir immer wieder das Wort "vornehm" auf. Vor der Autorin kann man auf jeder Ebene nur den Hut ziehen, denn dem finstersten und meisterzähsten Kapitel der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit soviel Leichtigkeit, Unverbrauchtheit und Stil zu begegnen und dabei noch einen Roman zu erschaffen, der diesen Glanz hat - das ist kein leichtes Unterfangen.

Dies ist ein sensationell guter Roman, der für jeden geeignet ist, der ausgezeichnete Literatur mag, sich über neue Wege freut und ungewöhnliche Familiengeschichten mag.