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Forti

Bewertungen

Insgesamt 211 Bewertungen
Bewertung vom 06.10.2021
Jarmysch, Kira

DAFUQ (eBook, ePUB)


gut

Ein bisschen wie ich mir den Alltag im Gefängnis (oder Arrest) vorstelle: lang und oft öde. Das Buch zog sich vor allem in der ersten Hälfte ziemlich. Die Hauptfigur Anja nimmt erst spät Kontur an, die Nebenfiguren blieben für mich blass und schwierig zu unterscheiden. Die Handlung ist (wie zu erwarten) sehr übersichtlich – das meiste passiert tatsächlich in den Rückblicken auf das bisherige Leben von Anja, wohingegen der Alltag im Gefängnis (vermutlich realistisch) ereignisarm ist. Dieser Alltag im Arrest wird harmloser dargestellt, als ich ihn mir so vorgestellt habe. Wobei es in Russland ja sehr unterschiedliche Arten der Haft gibt, wovon der Arrest die mildeste ist.
Die Kombination von Gefängnisgeschichte und Coming of Age fand ich nicht richtig gelungen bzw. gut gegeneinander gewichtet. Für mich war das nicht rund, nicht stimmig.
Gegen Ende nahm die Erzählung dann noch einen Dreh, der das ganze etwas heraus riss.

Sprachlich monoton, unterbrochen von seltsamen Formulierungen – der Versuch, ein Sprachgefühl des Originaltexts zu übernehmen oder einfach ungelenk?

Insgesamt konnte mich das Buch leider nicht richtig überzeugen.

Bewertung vom 28.09.2021
Bronsky, Alina

Barbara stirbt nicht


sehr gut

Anders als der Titel vermuten lässt, ist nicht Barbara die Hauptperson dieses Buches, sondern ihr Ehemann Herr Schmidt. Nach einem Sturz seiner Frau – beide sind im Rentenalter – ist er auf einmal mit Haushalt und Pflege ganz neuen Herausforderungen ausgesetzt als in seinem bisherigen Leben, wo das – ganz alte Schule – das Metier seiner Frau war. Dabei ist er so ehrlich unsympathisch und in alten Denkmustern verhaftet, dass es fast wehtut. Einerseits ist diese Darstellung natürlich sehr klischeehaft, fast überzeichnet. Andererseits gibt es ja immer noch erschreckend viele (Ehe-)Männer, die so sind, weswegen die Charakterisierung von Herrn Schmidt wohl nicht so überzogen ist, wie man es als Leserin im Jahr 2021 gerne wahrnehmen würde.
Anfangs zog sich das Buch etwas, als ausführlich Herrn Schmidts Probleme mit der Haushaltsführung beschrieben wurden. Dazu noch das schwer erträgliche Auftreten von Herrn Schmidt. Nach und nach kamen dann aber noch andere Personen, andere Nebenthemen dazu, wodurch es abwechslungsreicher und durchaus unterhaltsam wird. Erst langsam wurde zudem deutlich, in welche Richtung es geht und wie einfühlsam das von der Autorin Alina Bronsky umgesetzt wurde. Das hat mir dann sehr gut gefallen.
Der Humor ist bitterböse und es fiel mir schwer zu lachen/lächeln. Für mich eher ernst als witzig, allerdings nie schwermütig. Ich fand das Buch aber an vielen Stellen sehr berührend.

Bewertung vom 22.09.2021
Conklin, Tara

Die letzten Romantiker


gut

Tara Conklin erzählt die Familiengeschichte dreier Schwestern und ihres einen Bruders. Eine Mutter gibt es zwar auch, aber die nimmt im Leben der Geschwister nur eine Nebenrolle ein und die Geschwister sind größtenteils auf sich allein gestellt. Erzählt wird die Geschichte ab dem Tod des Vaters Anfang der 1980er Jahre bis ins Jahr 2079. Die Variante, die Geschichte bis in unsere Zukunft zu erzählen, ist ungewöhnlich, aber leider bleibt es im wagen und lediglich angedeutet, warum die Autorin eigentlich diesen Kunstgriff gewählt hat. Dabei wäre das schon eine eigene Geschichte wert.
Insgesamt las sich das Buch gut und ich habe mit den Geschwistern mitgelitten, obwohl sie immer etwas unscharf und fremd blieben. Am intensivsten und einfühlsamsten fand ich die Kinder- und Jugendjahre beschrieben, die ich sehr stimmig fand. Die Erwachsenenjahre können hier nicht ganz mithalten. Die Geschwister driften zeitweise auseinander und schon alleine deswegen konnte die Autorin wohl nicht in die Tiefe gehen ohne dass es gleichzeitig Längen gegeben hätte.
Eine glaubwürdige, einfühlsame Familiengeschichte, leider aber auch ohne Überraschungen oder Highlights. Für mich las sich das Buch gut und flüssig, aber einen bleibenden Eindruck wird es wohl nicht hinterlassen.

Bewertung vom 10.09.2021
Regener, Sven

Glitterschnitter


gut

Sven Regeners neuer Roman schließt zeitlich an seinen Vorgänger "Wiener Straße" an. Aber auch wenn man (so wie ich) diesen noch nicht gelesen hat, kann man "Glitterschnitter" gut folgen. Erzählt wird von ein paar wenigen Tagen in der Vorweihnachtszeit 1980. Allzu weihnachtlich bzw. besinnlich wird es allerdings nicht, denn die West-Berliner Kneipen- und Kunstszene, um die es hier wie so oft in Sven Regeners Romanen geht, dreht sich vorwiegend um sich selbst. Aus verschiedenen Blickwinkeln (leider nicht aus Karl Schmidts – sehr schade) wird von verschiedenen Projekten berichtet: einer Kaffeehauseröffnung, einem Konzert, einer Kunstausstellung.
Die Handlung ist eher übersichtlich, aber das ganze dennoch recht unterhaltsam und witzig. Die Unterhaltungen und Unternehmungen der Protagonisten sind größtenteils wieder einmal so absurd wie nur möglich. Gegen Ende zog es sich für mich dann aber etwas in die Länge – vielleicht fehlt hier dann doch eine etwas konkretere Handlung. An "Magical Mystery" oder "Herr Lehmann" kommt "Glitterschnitter" also leider nicht ran. Dennoch für Fans natürlich ein Muss. Neulingen würde ich aber die beiden genannten Klassiker als Start in das Sven-Regener-Universum empfehlen.

Bewertung vom 29.08.2021
Schreiber, Jasmin

Der Mauersegler


ausgezeichnet

In Jasmin Schreibers neuem und zweiten Roman "Mauersegler" geht es um gleich mehrere große Themen: Freundschaft, Familie, Tod, Schuld(gefühle). Das klingt jetzt vielleicht nach einer düsteren und überfrachteten Lektüre, aber wie schon in ihrem Erstling "Marianengraben" trifft die Autorin immer den richtigen, leichten Ton. Die Geschichte wird einfühlsam und berührend erzählt, aber es wird nie schwerfällig, nimmt die ernsten Themen aber auch nicht auf die leichte Schulter. Mir hat diese Geschichte rund um den Arzt Prometheus, der in einer persönlichen Krise auf einem Pferdehof in Dänemark landet, sehr sehr gut gefallen. Das gegensätzliche Personal ist gut gezeichnet, die Handlung auch aufgrund einiger Wechsel der Zeitebenen abwechslungsreich.
Dazu viele Tiere, die sehr liebevoll immer wieder in die Handlung eingebunden werden. Ich fürchte ja, der eine oder die andere wird diese Beschreibungen etwas kindisch bis kitschig finden, aber mir haben sie sehr gefallen und mich zum schmunzeln gebracht.
Ich fühlte mich sehr gut und intelligent unterhalten.

Bewertung vom 29.08.2021
Knecht, Doris

Die Nachricht


gut

Interessant in Doris Knechts neuem Roman ist schon der Ansatz, dass eine Best-Ager-Frau von Cyber-Mobbing/-Stalking betroffen ist und keine Jugendliche. Aber schließlich passiert das auch erwachsenen Menschen, was aber auch nur sehr selten thematisiert wird – umso wichtiger sind solche Bücher.
Aufgeteilt ist das Buch in oft sehr kurze Kapitel, die es mir anfangs etwas schwer machten, richtig in den Lesefluss zu kommen. Recht bald war ich dann aber drin und das Buch las sich insgesamt flüssig und gut.
Die Ich-Erzählerin Ruth ist noch damit beschäftigt, ihr Leben nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes neu zu ordnen, als sie anonyme Nachrichten über das Internet erreichen. Der Absender weiß viel über sie, beschimpft sie, droht ihr und ihrer Familie.
Ruth scheint eine durchaus komplexe Person zu sein, über die man aber nur Bruchstücke erfährt. Ihre Familiensituation, ihr Job, ihr Leben als Witwe in einem abweisenden Dorf, ihre Freunde – das alles hat viel Potential, wird aber oft nur gestreift. Sie bleibt schwer greifbar. Wie Ruth beschrieben wird, lässt sie oft unsympathisch erscheinen. Letzteres wohl ein Kniff der Autorin, um nicht Gefahr zu lassen, dass Ruth nur als Opfer oder gar hilflos erscheint – das passiert jedenfalls nicht. Vielleicht hätte man das aber auch anders lösen können.
Auch der Umgang der Protagonistin mit der Situation bleibt manchmal etwas oberflächlich. Mögliche Lösungen wie der Gang zur Polizei, zur Rechtsberatung, zu Hackern, das Blockieren von fremden Nachrichten werden nie wirklich in Betracht gezogen. Ich hatte nicht das Gefühl wirklich zu wissen, was die anonymen Nachrichten mit ihr machen. Das ist einerseits vielleicht realistisch, da viele Betroffene, eine solche Situation eher mit sich selbst ausmachen, aber in dieser fiktiven Umsetzung auch etwas schade.
Ganz konnte mich das Buch mit seinen guten, neuen Ansätzen also leider nicht überzeugen, dennoch ist der Autorin zu gute zu halten, dass sie ein wichtiges, wenig thematisiertes heißes Eisen anpackt.

Bewertung vom 06.08.2021
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


gut

"Junge mit schwarzem Hahn" ist eine märchenhafte Geschichte vor historischer Kulisse. Der Junge Martin und sein altersloser Hahn leben in einer von Gewalt und Armut geprägten Zeit. Martin ist immer freundlich und hilfsbereit, obwohl seine Mitmenschen das oft ausnutzen oder ihm zumindest misstrauisch begegnen. Zusammen mit dem Hahn begibt er sich auf Wanderschaft – eine Reise auch zu sich selbst.
Exakt greifbar sind weder der Handlungsort noch die Epoche (schätzungsweise Europa in der Frühen Neuzeit), was die märchenhafte Atmosphäre noch verstärkt. Insgesamt ist die Stimmung, die die Erstlingsautorin Stephanie vor Schulte in diesem Roman erzeugt, ist sehr gelungen.
Sprachlich öfters sehr ungewöhnlich – irgendwie einfach, dann aber auch wieder historisch wirkend und hin und wieder gewitzt. Das hat mir sehr gut gefallen.
Ansonsten muss ich aber sagen, dass das Buch mich inhaltlich leider nicht ganz gepackt hat. Vielleicht hab ich es auch einfach nicht richtig verstanden? Mir fehlte da jedenfalls irgendetwas.

Bewertung vom 24.07.2021
Tarantino, Quentin

Es war einmal in Hollywood


sehr gut

Quentin Tarantino legt mit "Es war einmal in Hollywood" den Roman zum Film von 2019 vor. Die Geschichte über eine Bromance und das Hollywood von 1969 ist mit minimalen Abweichungen die gleiche wie im Film, aber tiefer gehend, mit mehr Details und Hintergrundinfos zu den Charakteren - und **SPOILER SPOILER SPOILER einem anderen Ende. SPOILER SPOILER SPOILER**
Die beiden Hauptpersonen - Schauspieler Rick und sein Stuntdouble bzw Mädchen für alles bzw bester Freund Cliff - sind sexistisch, rassistisch und gewalttätig. Und trotzdem sind mir beide (noch mehr als im Film) ans Herz gewachsen und ich habe mitgelitten, dass es mit ihren Karrieren bergab ging.
Streckenweise ist das Buch (wie ja auch die Filme von Tarantino manchmal) etwas langatmig. Streckenweise gibt es ausufernde Aufzählungen von Filmen und Schauspieler*innen der Zeit, womit ich leider nicht viel anfangen kann.
Ich denke aber die meisten Leser*innen sind entweder in der Filmgeschichte der Zeit beflissener oder aber Tarantino-Fans, die so wie ich am Ende großzügig über diese Längen hinwegsehen. Ich würde das Buch sowieso vor allem als Ergänzung zum Film empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.07.2021
Gorkow, Alexander

Die Kinder hören Pink Floyd


sehr gut

Der Blick eines zehnjährigen Jungen auf ein sehr westdeutsches Jahr 1976. Wohlhabend und auch relativ wohlbehütet lebt der namenlose Ich-Erzähler mit seiner Familie in Meerbusch-Büderich, gegenüber von Düsseldorf. Die Geschichte ist vom Autor durchaus autobiographisch angelegt und somit von der eigenen Familiengeschichte Alexander Gorkows inspiriert.
Die große Schwester ist unglaublich cool, Pink Floyd-Fan und herzkrank. So gelassen wie sie mit der Herzkrankheit umgeht, so wie sie es versteht den Vater auf eigentlich harmlose Art und Weise zu provozieren, so wie sie mit dem viel jüngeren Bruder umgeht – ich weiß garnicht, ob ich lieber so wäre wie sie oder sie doch lieber als große Schwester hätte, wenn ich denn nochmal so jung wäre und die Wahl hätte ;-)
Die Eltern rauchen Kette und erinnerten mich bei ihren leicht absurden Dialogen oft an Loriot-Sketche. Auch sie ziemlich cool und tolerant gegenüber den Kinder.
Insgesamt also – bis auf die unterschwellige Bedrohung durch die Herzkrankheit der Schwester – ein recht harmonisches Familienleben. Zu kämpfen hat der Junge dennoch: in der Schule, mit seinen Mitschülern, mit dem Stottern.
Erzählt werden eher kleine Anekdoten als eine fortlaufende Handlung, wobei sich die Musik von Pink Floyd wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Überhaupt liegt der Fokus auf der Szenerie und der Stimmung: ein dörfliches Leben in Großstadtnähe, die Endsiebziger Jahre ... alles sehr lebendig beschrieben. Mir hat das sehr gut gefallen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.07.2021
Raether, Till

Treue Seelen (eBook, ePUB)


gut

34 Jahre vor Corona befand sich die Welt schon mal im Ausnahmezustand: nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Heute wie damals durchaus erwartbare, aber dann doch überraschende Katastrophen, die den Alltag der Menschen massiv beeinflussen und ihnen zeigen, dass ihre Allmacht über die Natur begrenzt ist und ihr Handeln sowie auch ihr Nichthandeln Konsequenzen hat.
In dieser Zeit von Tschernobyl also spielt „Treue Seelen“ und dazu auch noch in West-Berlin, was der Szenerie noch bedrückender macht. Allerdings ist das auch nichts Neues. Alles was ich hier über die Zeit nach Tschernobyl und das Leben in West-Berlin gelesen habe, habe ich so auch schon woanders gelesen oder gehört. Dennoch ist diese Stimmung so spürbar beschrieben, dass ich, als in meinem realen Leben Regen aufzog, kurz alarmiert war.
Leider ist die erzählte Liebesgeschichte eher unspektakulär – die Ost-West-Geschichte, die es auch noch gibt, wirkt konstruiert. Die Handlung dümpelt so vor sich hin, das Personal bleibt unscharf. Erwähnenswert ist vielleicht noch die Erzählart mit ungewöhnlichen Sprüngen vor und zurück und einer manchmal etwas abgehackten Sprache. Ich kam mit beidem zurecht, einen Mehrwert hatte es für mich aber nicht.
Der Reiz des Buches ist für mich die eindringlich beschriebene Stimmung und der sich aufdrängende Vergleich, den die Lesenden zwischen der Zeit nach Tschernobyl und der Corona-Zeit ziehen können. Bei der Handlung bleibt es dafür leider eher mittelmäßig.