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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2016
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Schutzpatron / Kommissar Kluftinger Bd.6


sehr gut

»In unserem Fall jedenfalls hatten wir Glück, weil die Frau verbrannt werden sollte. Und da wird standardmäßig obduziert, was die meisten nicht wissen. Sonst hätte niemand entdeckt, dass die Frau keineswegs an Herzversagen … gestorben ist, wie das der Arzt vermutet hat, sondern daran.« Böhm zog das Leintuch noch ein bisschen mehr zurück, zeigte auf ihren Hals und winkte Kluftinger näher zu sich. … »Hier sind ganz klar Würgemale zu erkennen. Jedenfalls, wenn man danach sucht.«
Der Kommissar stieß einen leisen Pfiff durch die Zähne aus. »Wie alt ist die Frau noch mal?«
»Zweiundachtzig laut Totenschein. Ich geh mal davon aus, dass das stimmt.«
»Sie ist mit zweiundachtzig noch erwürgt worden?«
»Ja, und?«
»Rentiert sich doch gar nimmer.«
Sie sahen sich an.
»Und jetzt?«, fragte der Kommissar.
»Jetzt bist du dran.«

Beinahe also wäre der Mord an der alten Dame gar nicht bemerkt worden. Nun aber ist Kriminalhauptkommissar Kluftinger fest entschlossen, den Täter zu finden. Sehr ärgerlich, dass sein Vorgesetzter gerade jetzt von ihm verlangt, in einer Arbeitsgruppe mitzuwirken, die sich um den Schutz einer kostbaren Reliquie kümmern soll, die in Kürze in einer neuen und aufsehenerregenden Ausstellung in Altusried gezeigt werden soll. Und als wenn er mit diesen beiden Dingen nicht schon mehr als genug zu tun hätte, wird auch noch sein heißgeliebter, „erst“ 30 Jahre alter Passat gestohlen…

Der sechste Fall für Klufti. Ich mag an dieser Reihe besonders zwei Dinge: Zum einen die recht ungewöhnlichen Fälle und zum anderen natürlich Klufti selbst samt all seiner Marotten. Was den Fall angeht, steht ein raffinierter Kunstdiebstahl im Zentrum der Handlung. Sehr interessant fand ich dabei, die Planung der Aktion auf Seiten der „Bösen“ zu verfolgen. Auf der anderen Seite bemühen sich Klufti und seine Arbeitsgruppe mittels ausgefeilter Sicherheitsvorrichtungen dem befürchteten Diebstahl entgegenzuwirken. Wer letztlich die Nase vorn haben wird, bleibt bis fast zum Ende offen, das war sehr spannend!

Klufti und seine diversen privaten Probleme und Eigenarten sind wie immer höchst unterhaltsam. Ob er zu Golfstunden bei Dr. Langhammer verdonnert wird, seiner angehenden Schwiegertochter gegenüber von einem Fettnapf in den nächsten springt oder versucht, seiner Erika den höchst peinlichen Diebstahl seines Autos zu verheimlichen – in jedem Fall hatte ich viel Spaß bei der Lektüre. Außerdem darf man sich auf ein Wiederlesen mit Valentin Bydlinski von der Wiener Kripo freuen, ein Vergnügen, auf das Klufti gern verzichtet hätte ;-)

Fazit: Klufti ist einfach Kult. Für den Fan bleibt auch hier kein Wunsch offen.

Bewertung vom 09.09.2016
Burger, Wolfgang

Schwarzes Fieber / Kripochef Alexander Gerlach Bd.4


ausgezeichnet

»Inzwischen waren über zwei Wochen vergangen. Diese Spur war kalt. Alle Spuren waren inzwischen kalt. … Ich beschloss, mir die Akten vorlegen zu lassen, sobald ich wieder im Büro war. Wer konnte wissen, was die Herrschaften noch alles übersehen hatten? Aber daraus wurde vorläufig nichts. Mein Handy schlug Alarm.
„Chef, wir haben hier eine ziemliche Schweinerei.“ Balkes Stimme klang heiser. „Sollten Sie sich vielleicht mal ansehen.“
Es musste schlimm sein.«

Es war schlimm. Ein grauenhafter Leichenfund beschäftigt das Team von Kriminalrat Alexander Gerlach. Erst kurz zuvor hatte eine junge Frau nur knapp einen Mordanschlag überlebt – ob es einen Zusammenhang geben kann? Schon die Identifizierung der Opfer stellt die Ermittler vor ein großes Problem, denn sie hatten keine Papiere bei sich, niemand scheint sie zu vermissen und als die Frau endlich wieder zu Bewusstsein kommt, kann sie nicht sprechen.
Erste Spuren führen nach Angola und Alexander beginnt, sich mit dem durch Krieg und vielerlei Nöte gestraften Land auseinanderzusetzen. Als er endlich ahnt, dass er in ein Geflecht aus internationalen Machenschaften eingedrungen ist, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit…

Klasse! Schon die drei Vorgängerbände gefielen mir sehr, aber bei diesem hier stimmte einfach alles! Einen wirklich kniffligen Fall haben die Heidelberger Ermittler zu lösen, die Hintergründe der Taten sind schockierend und fesselnd zugleich, das dargestellte Szenario eins von erschreckendem Realismus.

Der Stil des Autors gefällt mir sehr, der Krimi liest sich flott, bleibt spannend und weist weder in Handlung noch in der Auflösung logische Lücken auf. Ich mochte das Buch gar nicht aus der Hand legen, merkte genau, dass alles auf einen spannungsgeladenen Höhepunkt zusteuerte!

Als Pendant dazu amüsierte mich Alexanders Privatleben wieder außerordentlich. Als alleinerziehender Vater pubertierender Zwillingstöchter gibt er tapfer sein Bestes, macht aber natürlich auch Fehler und kämpft regelmäßig auf verlorenem Posten. In diesem Band wünschen sich die Mädchen ein Pferd – ein Thema, das vielen Eltern bekannt vorkommen dürfte. Die Art, wie Wolfgang Burger die häuslichen Konflikte beschreibt, ist einfach herrlich und könnte so – zur Erheiterung und zum Trost anderer Erziehungsberechtigter – in Elternmagazinen abgedruckt werden. Wenn er seinen Protagonisten die Vorgehensweise seiner Töchter als „Good-cop-bad-cop-Spiel“ analysieren lässt, kann ich mir nur wünschen, dass die beiden noch lange in der Pubertät bleiben ;-)
Ohnehin freue ich mich, dass es noch weitere Bände dieser Reihe gibt, die – so mein bisheriger Eindruck – immer besser wird.

Fazit: Spannender Krimi mit erschreckendem Hintergrund und amüsanter Nebenhandlung.

»Es ist so schön, Kinder glücklich zu machen. Wenn es nur nicht so verflixt teuer wäre.«

Bewertung vom 09.09.2016
Bleiman, Andrew; Eastland, Chris

Zoobabys


ausgezeichnet

»Diese hinreißenden Geschöpfe sind aber nicht nur niedliche Plüschtiere, die uns Vergnügen bereiten: Sie verkörpern auch Hoffnung für ihre in freier Wildbahn lebenden Verwandten. Indem die Forscher in Zoos und Aquarien seltene oder scheue Arten beobachten, entwickeln sie neue Strategien zur Erhaltung von Wildpopulationen. Verschiedene Programme zur Arterhaltung fördern die Wiederansiedlung bedrohter Tiere in ihren ursprünglichen Lebensräumen und bewahren sie so vor dem Aussterben.«

In Zeiten, in denen immer mehr Tierarten bereits von der Erde verschwunden oder vom Aussterben bedroht sind, ist jedes Tierkind besonders wertvoll, birgt es doch Hoffnung für die Zukunft. Und so ganz nebenbei sind die Kleinen sooo niedlich…

Dieses Buch ist voll mit Bildern, die den Betrachter einfach nur dahinschmelzen lassen. Vom Arasittich bis zum Zwergotter ist alles dabei, bekannte und weniger bekannte Arten. Zu jedem Tierbaby gibt es einige Infos, beispielsweise zu Besonderheiten der Art oder zum Gefährdungsstatus. Zudem wird dargelegt, welche Aufgaben modernen Zoos heute in Sachen Arterhaltung zukommen. Aber auch wenn das Thema „Aussterben“ immer wieder anklingt, wird hier auf Schockbilder verzichtet. Dieses Buch ist einfach nur Seelenbalsam, lässt den Leser/Betrachter ein bisschen innehalten und sich an der Schönheit der Natur, wie sie sich in diesen ganz entzückenden Geschöpfen zeigt, erfreuen.

Fazit: Zum Verschenken und Behalten. Ein wunderbares Büchlein für Tierfreunde jeden Alters.

Bewertung vom 27.08.2016
Schleifer, Christine

Sehnsucht die mich trägt


sehr gut

»Wieso nur waren sie 1.200 km weit entfernt von mir? Ich weinte nur, wenn ich alleine war, um keinen traurig zu machen. Insbesondere nicht meine Großeltern, die mir täglich die Kraft gaben, um mich hier zurechtzufinden. Ich sollte es mal besser haben, so ihre Worte. Ein besseres Leben wollten sie uns ermöglichen, aus tiefster Liebe. Wieso ich denn kein gutes Leben hatte – in Rumänien – verstand ich nicht. Warum konnten nicht alle einfach wieder nach Hause gehen, wir zurück in unser Haus, zu den Tieren, den Menschen, den Freunden und sonntags in die Kirche?«

Christine ist fünf Jahre alt, als sie zusammen mit ihrer Familie ihr kleines Dorf in Rumänien verlässt, in dem sie bislang lebte und in dem sie so glücklich war. Weshalb die neue Heimat Deutschland ihre Zukunft besser und schöner machen soll, sieht sie noch nicht, aber ihr Vertrauen zu den Menschen, die sie lieben, ist stark.

In diesem Buch erzählt die Autorin ihre eigene Geschichte. Am Anfang steht ein glückliches und behütetes kleines Mädchen in einem 800-Seelen-Dorf in Rumänien. Die Auswanderung nach Deutschland wirft die ersten Schatten in ihr Leben, gefolgt von einigen späteren Schicksalsschlägen.
All das wird zu einem sehr persönlichen Bericht, der über Erwartungen, Hoffnungen und Sehnsüchte erzählt, über Krisen und darüber, wie man sie meistert, über den Glauben an Gott und all die Dinge, auf die es im Leben wirklich ankommt.

Die Autorin schreibt einleitend, dass sie diese ihre Geschichte ursprünglich nur für ihre Kinder festhalten wollte, sich dann aber dafür entschieden hat, auch andere Menschen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Ich könnte mir vorstellen, dass in der Tat Leser*innen in ähnlichen Situationen wie Christine sich verstanden fühlen und dadurch profitieren könnten. Anderen Lesern mag das Buch als Anreiz dienen, mal wieder den eigenen Blick fürs Wesentliche zu schärfen.

Kleiner Kritikpunkt: Mir persönlich war der Erzählstil ein wenig zu gefühlvoll und viel zu oft wurde von der „Sehnsucht“ erzählt. Aber ich bevorzuge auch generell einen eher sachlichen Stil. Zudem ist es, wie gesagt, ein sehr persönlicher Bericht, in dem die Autorin deutlich ihre Gefühle ausspricht – was wiederum sehr berührend ist.

Fazit: Sehr persönlicher und gefühlvoller Bericht, der helfen kann, den Blick aufs Wesentliche zu schärfen.

Bewertung vom 22.08.2016
Eckert, Horst

Wolfsspinne


ausgezeichnet

»Der Notruf ging um 18:42 Uhr in der Leitstelle ein. Keine Angaben zur Person des Anrufers, auf Nachfrage keinerlei Reaktion mehr. Ein Team der Wache Innenstadt war zuerst da.« Dominik wies nach drinnen. »Eine Tote, das Schädeldach zertrümmert. Neben ihr das Handy – offenbar hat sie selbst die Eins-Eins-Null gewählt. Dass sie das noch geschafft hat, mit diesen Kopfverletzungen!«

Düsseldorf, 2015: Hauptkommissar Vincent Veih ermittelt im Fall der ermordeten Promiwirtin Melli Franck. Schnell wird klar, dass es Verbindungen ins Drogenmilieu gibt. Als weitere Morde geschehen, tut sich noch eine weitere Spur auf – und die führt zurück ins Jahr 2011. Zu einer Serie von rechtsextremistischen Gewalttaten und zu zwei toten Männern in einem ausgebrannten Wohnmobil…

Richtig harter Stoff wird dem Leser hier geboten. Das Ausmaß der Härte resultiert zum einen aus den geschilderten, äußerst brutalen Verbrechen und zum anderen aus der Gewissheit, dass vieles davon tatsächlich geschehen ist.

Horst Eckert verknüpft in seinem neuesten Thriller geschickt Realität und Fiktion. Beim Lesen erkennt man in der Handlung und bei den Charakteren zahlreiche tatsächliche Ereignisse und Personen wieder. Alles wurde so gekonnt integriert, dass ich immer wieder dachte: Ja, so könnte es gewesen sein. Alle Hintergründe erscheinen gründlich recherchiert und wurden spannend und ohne logische Lücken eingebaut.

Viele aktuelle und brisante Themen fließen in die Handlung ein, Themen wie zum Beispiel die Flüchtlingspolitik, Pegida, NSU, Verfassungsschutz und V-Männer. Ein solcher findet sich übrigens bei den Hauptcharakteren, was höchst interessant zu lesen war, weil man nicht nur erfährt, wie er arbeitet und was seine Aufträge sind, sondern auch, wie er sich dabei eigentlich fühlt und wie er mit seinen Taten lebt.

„Wolfsspinne“ ist der dritte Fall für Vincent Veih nach „Schwarzlicht“ und „Schattenboxer“. Vincent ist als Charakter schon deshalb so reizvoll, weil seine Mutter lange Jahre im Gefängnis war, verurteilt wegen ihrer Mitgliedschaft bei der RAF. Dass Brigitte Veih auch nicht gerade begeistert ist, dass ihr Sohn „ausgerechnet“ Polizist werden musste, kann man sich vorstellen. Konfliktpotential zwischen Mutter und Sohn ist somit reichlich vorhanden. Verständnislücken muss niemand fürchten, der die beiden Vorgängerbände nicht gelesen hat – alles Wichtige zu Vincents privater und beruflicher Vergangenheit wird kurz erklärt.
Vincents Ermittlungstätigkeiten werden noch zusätzlich dadurch erschwert, dass man ihm die Leitung seines Kommissariats entziehen will. Hat es jemand auf ihn abgesehen? Wer und weshalb?

Die Spannung bleibt durchgehend hoch, die Handlung wechselt zwischen Ereignissen in der Gegenwart und solchen aus dem Jahr 2011, bis am Ende alle Fäden zusammenlaufen. Beim Lesen wechselten sich bei mir Betroffenheit, Fassungslosigkeit und Wut ab. Ich glaube nicht, dass man dieses Buch emotional distanziert lesen kann!

Fazit: Ein Thriller der Extraklasse! Spannend bis zur letzten Seite und beängstigend realistisch.

Bewertung vom 18.08.2016
Freund, René

Niemand weiß, wie spät es ist


sehr gut

»Das Erbe kann erst dann angetreten werden, wenn die Alleinerbin meinen letzten Willen erfüllt hat: Frau Nora Weilheim soll die Urne mit meinen sterblichen Überresten von Paris über Wien an einen von mir zu bestimmenden Ort in Österreich transportieren, wo meine Asche ihre letzte Ruhe finden wird. Ein Teil der Reise soll ausschließlich zu Fuß erfolgen, und zwar unter notarieller Aufsicht. Die Etappenziele werden von Maître Charles Didier jeweils am Vortag telefonisch oder per Mail durchgegeben.«

Eins der ersten Gefühle, das Nora überfällt, ist Wut. Wut auf ihren Vater, der sie mit geradezu erpresserischen Methoden nötigt, seinen letzten Willen zu erfüllen. Eine tagelange Wanderung mit ungewissem Ziel widerstrebt ihr zutiefst – und dann noch mit einem solchen Weggefährten! Denn Bernhard, ein junger Notariatsgehilfe aus Wien, der sie zwecks „Aufsicht“ begleiten soll, ist charakterlich so ziemlich das genaue Gegenteil von ihr…

Ein sehr unterhaltsamer Reisebericht war dies! Der Reiz lag für mich vor allem in den ständigen Reibereien zwischen Nora und Bernhard. Zwei Menschen, grundverschieden und ständig durch die Eigenarten des jeweils anderen genervt, die gezwungen sind, sich gemeinsam durchzuschlagen – das liefert viel Stoff für Konflikte, lässt aber auch reichlich Einblicke in die Psyche der beiden zu. Ich fragte mich ständig, woraus bestimmte Handlungsweisen und/oder Ansichten entstanden sein konnten. Manches war offensichtlich, anderes kam erst so nach und nach zu Tage.

Eine Wanderung, zumal über eine lange Strecke, bringt immer auch mit sich, dass man über sich selbst nachdenkt. Die Situation ist geradezu ideal, denn es ist kein Alltag da, der einen beschäftigt und den Geist fesselt, manchmal geschieht über Stunden hinweg nichts weiter, als dass man einen Fuß vor den anderen setzt. Kein Wunder, dass sich da die Gedanken ebenfalls „auf den Weg“ machen. Das alles kommt hier sehr schön rüber!

Der Stil des Autors gefällt mir sehr, er lässt sich leicht lesen und bringt immer wieder humorvolle Einlagen. So bleibt man gerne dran!

Was mich persönlich nervte, war der für mein Empfinden sehr schwülstige Ton in den Nachrichten von Noras Vater. Ist einfach nicht mein Ding, andere Leser stört das vermutlich weniger. Noras Vater hatte im Leben einige Dinge versäumt, einiges blieb ungesagt. Dass er dies noch ins Reine bringen wollte, kann ich verstehen. Aber die Art und Weise, wie er es tat, empfand ich manchmal als eine Zumutung für Nora.
Worüber ich außerdem rätselte, war, wieso Nora (und Bernhard) so lange nicht klar wurde, was mir schon längst deutlich vor Augen stand.

Fazit: Schöne und unterhaltsame Geschichte mit Witz und Tiefgang. Teilweise aber für mich recht vorhersehbar.

»So läuft das, wenn man länger geht: Gedanken kommen und gehen in einem gewissen Rhythmus, und es fällt leicht, sie einfach wieder ziehen zu lassen.«

Bewertung vom 12.08.2016
Burger, Wolfgang

Heidelberger Wut / Kripochef Alexander Gerlach Bd.3


sehr gut

»Frau Braun«, sagte ich dann ruhig. »Es ist wirklich sehr lobenswert, dass Sie sich so um Ihren Nachbarn sorgen. … Jahr für Jahr verschwinden in Deutschland zigtausend Personen, und die allermeisten tauchen früher oder später kerngesund und in bester Verfassung wieder auf.«
»Aber hier ist es anders, bitte, so glauben Sie mir doch. Ich sagte Ihnen doch, ich war in seinem Haus und…« Ihre Stimme erstarb.«
»Haben Sie dort irgendwas gefunden, was Ihre Sorge bestätigt?«
»Ja«, erwiderte sie mit erstickter Stimme. »Blut.«

Kriminalrat Alexander Gerlach hatte die Frau am Telefon, die ihren Nachbarn als vermisst melden wollte, zunächst nicht ernst genommen. Das aufgefundene Blut ändert die Sachlage natürlich und tatsächlich finden sich in der Wohnung des Nachbarn Hinweise auf ein mögliches Verbrechen. Zeitgleich beschäftigen Gerlach und sein Team die Verfolgung zweier Bankräuber und eine lang zurückliegende, immer noch nicht aufgeklärte, brutale Vergewaltigung. Und auch in seinem Privatleben hat unser Protagonist einiges um die Ohren. Hauptverantwortlich dabei, wie immer, seine pubertierenden Zwillingstöchter…

Auch der dritte Band um den Heidelberger Ermittler Alexander Gerlach liefert beste Krimi-Unterhaltung. Wolfgang Burger schreibt einfach klasse und so, dass man das Buch beim Lesen nicht aus der Hand legen möchte. Dabei hat er eine herrlich sarkastische Art, über die ich einige Male richtig lachen musste!
Die Krimi-Handlung wird raffiniert aufgebaut, immer wieder gibt es neue Spuren oder Ansatzpunkte, laufen Handlungsstränge zusammen oder gehen ins Leere. Schön finde ich, dass alles so realistisch wirkt, dass ich mir beim Lesen wirklich vorstellen kann, dass etwas genau so tatsächlich geschehen sein könnte. Immer wieder gibt es spannende Momente, bevor alles schlüssig aufgelöst wird.

In Heidelberg wird übrigens richtige Team-Arbeit geleistet. Neben Gerlach spielen seine Kommissare Klara Vangelis und Sven Balke eine ebenso große Rolle, jeder von ihnen hat besondere Stärken (und Schwächen) und es ist deutlich, dass sie nur zusammen erfolgreich sind. Unverzichtbar außerdem ist Sönnchen, Gerlachs Sekretärin, deren Stärken weit über Schriftwechsel und Kaffeekochen hinausgehen. Und die (fast immer) genau weiß, wie es ihrem Chef gerade geht…
»Sagen Sie für heute alles ab, was sich absagen lässt.«
»Was haben Sie vor?«, fragte sie bestürzt.«
»Akten lesen.« Stöhnend zog ich die beiden schweren Ordner heran.
»Dann muss es Ihnen ja noch viel schlechter gehen, als ich dachte.«

Was den privaten Alexander Gerlach angeht, könnte ich mich immer köstlich über dessen Probleme mit seinen Zwillingstöchtern amüsieren. Diese sind nun mal zu zweit und er ist alleine – leicht auszurechnen, wer für gewöhnlich gewinnt. Eindeutig hat er menschliche Schwächen, aber die machen ihn mir einfach sympathisch.

Fazit: Spannung, Unterhaltung und eine intelligente Handlung. Auch diesen Heidelberg-Krimi empfehle ich gerne weiter.

»Vangelis schenkte mir einen dieser Blicke, die mir hin und wieder bewusst machten, wie oft wir unser Überleben nur der abendländischen, christlichen Kultur verdanken. Du sollst nicht deinen Vorgesetzten erschlagen, nur weil er hin und wieder dämliche Bemerkungen macht.«

Bewertung vom 12.08.2016
Oelemann, Christian

Nur für Erwachsene


ausgezeichnet

»Frieder nahm den Koffer zwischen seine Hände und schüttelte ihn vorsichtig; nichts darin klapperte, doch angesichts des beachtlichen Gewichts konnte er unmöglich leer sein. Vermutlich war er im Gegenteil mit irgendetwas prall gefüllt. Frieder erwog zwei Möglichkeiten: Die erste bestand darin, den Koffer am Tresen beim Cheffe abzuliefern, was normal gewesen wäre, wie er sich später eingestand. Er entschied sich jedoch für die zweite, nahm seinen Fund an sich und verließ damit eilig das »Capri«, vom Rest der Feiernden unbemerkt. Warum tat er das? Weil es ihm wirklich die Langeweile vertrieb?
Er musste an einen Roman von Albert Camus denken, den Piet ihm geliehen und zur Pflichtlektüre erklärt hatte. In »Der Fremde« wird ein Mörder vor Gericht nach dem Grund seiner Schandtat gefragt. »Wegen der Sonne« lautet seine Antwort, und ähnlich wie dieser Mörder kam sich Frieder nun selbst vor. Bei ihm war es allerdings die pure Langeweile und nicht die Sonne, die ihn zum Täter werden ließ.«

Für die Langeweile, die Frieder quält, war eine sich gefühlt ewig hinziehende Familienfeier verantwortlich, an der er teilnehmen musste. Die Mitnahme des Koffers, dessen Besitzer gerade einem Herzinfarkt erlegen war, sorgt nur kurzzeitig für ein schlechtes Gewissen bei Frieder. Danach fesselt ihn der Inhalt, der im Wesentlichen aus einem Ordner voller ausgedruckter Geschichten besteht, umso mehr. Da sich mittlerweile herausgestellt hat, dass der Verstorbene ein berühmter Schriftsteller war, halten Frieder und sein Freund Piet die Ausdrucke für dessen nächstes, noch unveröffentlichtes Werk. Frieder kommt das gerade recht, denn bei dem Versuch, seiner neuen Nachbarin – einer sehr talentierten jungen Pianistin – zu imponieren, hat er sich selbst als Schriftsteller ausgegeben. Selber geschrieben hat er aber noch nichts…

Als ich mit diesem Buch begann, wusste ich eigentlich gar nicht so recht, was auf mich zukommen würde. Doch hatte ich mit dem Autor schon sehr gute Erfahrungen gemacht und kann jetzt nach der Lektüre sagen, dass es sich wirklich gelohnt hat!

Was treibt einen jungen Mann von 17 Jahren so um? Die Hormone natürlich, ohne Zweifel. Aber auch romantische Gefühle, Freundschaft, Ärger mit der Familie und in Frieders Fall die Liebe zum Klavierspiel. Und als wenn das noch nicht genug wäre, sind die persönliche Entwicklung, Selbstzweifel und Unsicherheiten große Themen für einen jungen Menschen. Wobei: Mangelndes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl bleibt für viele das ganze Leben hindurch ein Knackpunkt. Und wer mag schon das Gefühl, nicht ernstgenommen zu werden? Christian Oelemann beschreibt all dies sehr deutlich und gleichzeitig so lebendig, dass ich mich immer mitten in der Handlung fühlte und selbst von Stellen, an denen eigentlich gar nicht so viel passierte, gefesselt war. Einzig die amourösen Abenteuer Frieders mit diversen (aus seiner Sicht) älteren Frauen, erschienen mir leicht überzogen. Aber nun gut, die Hormone halt ;-)

Gefreut habe ich mich zudem über „Gastauftritte“ anderer Autoren oder Romanfiguren und über reichlich Wuppertaler Lokalkolorit. Raffinierte Wortspielereien und viele witzige Einfälle, sowohl stilistisch als auch inhaltlich, machten für mich das Lesevergnügen perfekt.

Fazit: Sehr lesenswert und unterhaltsam, macht Spaß beim Lesen und gibt Stoff zum Nachdenken. Für Jugendliche und jung gebliebene Erwachsene.

»Es scheint wichtiger zu sein, etwas getan zu haben als es zu tun. Ganz so, als ob das Perfekt die entscheidendere Zeit wäre und nicht das Präsens.«