Benutzer
Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 872 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2011
Carlotto, Massimo

Banditenliebe


ausgezeichnet

Marco, Max und Beniamino sind das, was man Ehrenleute nennen würde, würden sie nicht einem kriminellen Gewerbe nachgehen. Marco ist auf das Finden von allem und jedem spezialisiert, Max der kluge Kopf für jeden auch noch so verrückten Plan und Beniamino schmuggelt alles was kommt. Im Gegensatz zu den ersten Beiden schreckt er auch nicht vor Gewalt zurück. Doch allen dreien ist gemeinsam, dass sie nichts mit Drogen zu tun haben wollen. Bei dieser Meinung bleiben sie auch, als ein obskurer Unbekannter sie mit allen Mitteln dazu bringen will, für ihn herausfinden, wer zum einen für den Riesencoup in Padua verantwortlich ist: Ein knapper Zentner Heroin, Kokain und anderes wurde aus dem rechtsmedizinischen Institut gestohlen. Und wo zum andern das Rauschgift geblieben ist, denn alle Ermittlungen verliefen im Sande. Da trotz ihrer Weigerung der Fremde nicht lockerlässt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als ihn ins Jenseits zu befördern. Die Sache scheint völlig vergessen, als zweieinhalb Jahre später Beniaminos Freundin Sylvie entführt wird: Es ist zweifellos klar, dass es sich um einen Racheakt für den ermordeten Unbekannten handelt. Sie machen sich auf die Suche nach Sylvie und landen in einem Netz der Korruption und Intrigen der serbischen und bosnischen Mafia wie auch der Polizei.
Was Massimo Carlotto hier in gerade mal 180 Seiten abhandelt, wäre bei anderen Autoren noch nicht mal in der doppelten Seitenzahl möglich gewesen. Entsprechend dicht gepackt ist die Handlung, so dass wer Landschafts- oder ausführliche Gemütsbeschreibungen sucht, hier nicht fündig werden wird. Dennoch fühlt man sich mit den drei Hauptpersonen bald vertraut, die Anderen gegenüber auf ihre Art ehrlicher und respektvoller sind als so manches geachtete Mitglied der Gesellschaft. Carlotto lässt Marco die Geschichte erzählen in einer rauhen, ehrlichen Sprache, aber nicht ohne Selbstironie, und so nimmt man ihm und seinen Freunden auch ihre zeitweilige Robin-Hood-Einstellung ab (Spenden an Prostituiertenvereine, Unterstützung Illegaler...) und findet alle nur noch sympathischer :-) Auch an deutlicher Gesellschaftskritik wird nicht gespart, doch sie ist nie überzogen oder penetrant.
Ein Krimi (?) der alles zu bieten hat: Spannung, Gefühl, Brutalität, Empfindsamkeit, Gnadenlosigkeit und Mitgefühl. Und das alles auf 180 Seiten. Nur ein Manko: 180 Seiten - viel zu wenig. Aber die Weichen für eine Fortsetzung sind schon gestellt...

Bewertung vom 24.07.2011
Roversi, Paolo

Tödliches Requiem


weniger gut

Mailänder Scala, Premiere der Aida - es ist das Ereignis des Jahres. Alles was Rang und Namen hat, läuft auf an diesem Abend: ehrbare und weniger ehrbare Geschäftsleute mit und ohne Gespielinnen, die lokalen Politgrößen mit ihrem Gefolge, Stars und Starlets und solche, die es noch werden wollen. Doch statt zu statt einem fröhlichen Fest des kulturellen und später auch kulinarischen Genusses zu werden, endet diese Nacht in einem Fiasko. Ein überraschender Stromausfall, der ganz Mailand in Dunkel hüllt, zwingt die Premierengäste zu einem vorzeitigen Abbruch ihres Opernbesuches. Inmitten dieses Durcheinanders bricht plötzlich der umstrittene Bürgermeister der Stadt, Biondi, tot zusammen. Doch damit nicht genug: Am nächsten Tag findet man seinen Kollegen, den Bürgermeister von Paris, der ihn in die Scala begleitete, tot in seinem Hotelzimmer auf.

Enrico Radeschi, freier und eher wenig erfolgreicher Journalist, zumindest was seine finanzielle Situation angeht, macht sich auf die Suche nach den Hintergründen dieser Ereignisse. Was verband die beiden Bürgermeister außer ihrem gemeinsamen Amt? Steht der Stromausfall im Zusammenhang mit dem Tod an Biondi? Steckt womöglich ein Komplott dahinter? Radeschis Recherchen führen ihn bis nach Paris, wo eine heiße Spur ihn in Lebensgefahr bringt.

Auffällig sind die vielen Einschübe in den Originalsprachen Italienisch und Französisch. Wer beidem nicht mächtig ist, wird sich vermutlich ärgern, da auf diese Weise einiges von der Atmosphäre des Buches verlorengeht bzw. unverständlich bleibt. Ebenso fallen die häufigen Vergleiche bzw. Anspielungen auf, wie beispielsweise ,..mit einem Outfit wie Dylan Dog` oder ,..wie Jake Blues`. Schön, wer die Genannten kennt; weniger schön, wenn man völlig im Dunkeln tappt.

Ansonsten lassen sich die 223 Seiten des Buches lockerleicht an einem Nachmittag weglesen. Und ebenso lockerleicht hat man vermutlich den Großteil der Handlung auch wieder vergessen, was vermutlich daran liegt, dass Roversi dem Privatleben seines Protagonisten ebenso viel Raum beimisst wie der Aufklärung des Kriminalfalles. Das Meiste liest sich zwar recht amüsant und unterhaltsam, doch so springt man von einem zum nächsten und verbleibt nirgendwo lang genug, um sich so richtig auf die Figuren und Situationen einlassen zu können.

Roversi wählte als Unterkapitelbezeichnungen statt schnöder Zahlen oder schlichten Überschriften Musiktitel verschiedener Gruppen. Und ein bisschen wirkt so auch dieser Krimi: Wie ein Sampler mit unterschiedlichen Stücken, die einzeln zwar schön anzuhören sind, aber kein großes Ganzes ergeben, das in Erinnerung bleibt.

Bewertung vom 08.07.2011
Toews, Miriam

Die fliegenden Trautmans


ausgezeichnet

Min, Mutter der 11jährigen Thebes und des 15jährigen Logan, bezaubernd und impulsiv, aber auch selbstzerstörerisch bis zum Selbstmord, wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach einem Notruf Thebes kommt Mins jüngere Schwester Hattie aus Paris zurück, um sich um die drei zu kümmern. Als ihr klar wird, dass Mins Aufenthalt im Krankenhaus längern dauern wird, weiß sie sich keinen anderen Rat mehr und macht sich gemeinsam mit den Kindern auf die Suche nach deren Vater quer durch die USA.
Hattie versucht während dieser Reise ihrer Aufgabe als 'Vertretung Mins' gerecht zu werden, doch zusätzlich zu ihrem eigenen Liebeskummer bringen sie die liebenswert altkluge, schräge Thebes und der pubertierende Logan an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit. Während die Beiden auf ihre Weise versuchen, mit der Krankheit ihrer Mutter (depressive Schübe, emotionale Instabilität) klar zu kommen, durchdenkt Hattie ihre Zeit mit Min: ihre Schwermut, die wiederholten Selbstmordversuche, ihre Lebensunlust - und dann auch wieder das genaue Gegenteil, deren überschäumende Fröhlichkeit, ihre große Liebe zu ihrer kleinen Schwester. Mit jeder Meile, die die drei (manchmal auch vier und irgendwann auch mit Hund) zurücklegen, wird ihr klar, wie wichtig ihr Min und ihre Kinder sind.
Die ganze Geschichte dieser Reise wird im Rückblick von Hattie erzählt. Und in einem so wunderbaren Stil, dass man ihre Furcht vor der Verantwortung für diese 'Familie' ebenso nachvollziehen kann wie die große Liebe, die sie für sie empfindet. Auch Thebes und Logan sind überaus lebendig beschrieben: die Angst um ihre Mutter und die Art und Weise, wie sie damit umgehen ebenso wie die ungeheuere Liebe zu ihr. Insbesondere Thebes erschien schon nach kurzer Zeit vor meinem inneren Auge mit ihrem lila verfilzten Haar und königsblauen Frotteeanzug.
Wunderschön mit viel Gefühl, aber nie kitschig!

Bewertung vom 29.06.2011
Theorin, Johan

Öland / Jahreszeiten Quartett Bd.1


sehr gut

Ach menno, manchmal denke ich wirklich, man sollte Klappentexte verbieten, soviel Unsinn wie da verzapft wird. 'Eine feine Mischung aus Krimi und Gespensterroman. Zum Gruseln gut.' meint die Für Sie über das erste Buch 'Öland' von Johan Theorin. Wetten, dass wer immer dies auch geschrieben hat, lediglich die Inhaltsangabe gelesen hatte? Von Geistern und Gespenstern ist in dem ganzen Buch nämlich weit und breit keine Spur zu finden. Und zum Gruseln ist die ganze Geschichte nun sicherlich auch nicht geeignet.
Aber spannend ist es, spannend bis zum wirklich überraschenden Ende, das mit einigen unerwarteten Wendungen aufwartet. 1972, ein kleiner Junge von fast sechs Jahren verschwindet, alle Suche bleibt vergebens. Es scheint, als ob der damals herrschende dichte Nebel ihn verschluckt hätte. 20 Jahre später hat seine Mutter Julia noch immer nicht ins Leben zurückgefunden. Psychisch krank quält sie sich durch endlose Tage, als sie ein Anruf ihres Vaters erreicht. Man hat ihm per Post ins Altenheim eine Sandale zugesandt, die Sandale eines kleinen Jungen. Er bittet Julia, zu ihm zu kommen, um die Suche erneut aufzunehmen. Gemeinsam mit zwei alten Freunden glaubt er zu wissen, wer hinter dem Verschwinden seines Enkels steckt: Nils Kant, ein mehrfacher Mörder, der jedoch schon Jahre zuvor beerdigt wurde.
Die Geschichte wird in zwei Strängen erzählt: Zum einen begleitet man Julia und ihren Vater auf der Suche nach dem, was damals wirklich geschah. Und zum andern nimmt man teil am Leben von Nils Kant, der bereits als Kind den Tod seines kleinen Bruders verschuldete. Man glaubt schon früh zu ahnen, was damals vorfiel, wird aber immer wieder eines besseren belehrt.
Auch wenn Ortsbeschreibungen und Ähnliches nicht allzu viel Raum einnehmen, gelingt es Theorin, die Einsamkeit und Verlassenheit der Sommerferienorte wie auch die besondere Stimmung der Alvar (so heisst die Gegend dort) überzeugend darzustellen. Ein rundum gelungener Krimi mit wenig Blut und viel Atmosphäre. Und weshalb nur vier Punkte? Weil es auch noch spannendere Krimis gibt :-)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.06.2011
Bradley, Rebecca; Sloan, Stewart

Temutma, 1 Audio-CD


sehr gut

Ein jahrhundertealtes Monstrum namens Temutma ist in Hongkong wieder erwacht und beginnt, unter den Lebenden seinen Hunger nach Blut zu stillen. Die Polizei ist ratlos, da alle Spuren auf eine Riesenfledermaus hinweisen und sie mit herkömmlichen Methoden nicht weiterkommt. Nur über Julia, die einzige Überlebende einer getöteten Familie, scheint eine Verbindung zu Temutma möglich: Es sieht ganz so aus, als ob er sie verfolgt.
Was sich in diesen drei Sätzen nach einer schlichten Mord-Totschlag-Story mit Ungeheuer anhört, ist jedoch vielmehr ein Horrorthriller mit mystischem Unterbau, der durchweg spannend, erschreckend und gelegentlich sogar erotisch ist. Die Vorgehensweise, mehrere Tonspuren übereinander zu legen, ist für die Zuhörenden zwar immer wieder anstrengend (mancher Text ist kaum zu verstehen), verstärkt aber den geheimnisvollen und unheimlichen Eindruck beträchtlich. Auch die Sprecherinnen und Sprecher überzeugen in ihren jeweiligen Rollen, insbesondere Sascha Icks als Julia, die nach dem Auffinden ihrer toten Eltern kurz vorm Durchdrehen ist. Weniger schön sind die logischen Brüche: Waren zu Beginn in Julias Wohnung von vier Toten die Rede, sind es danach nur noch drei.
Vermutlich ist es bei Hörspielen ähnlich wie bei Filmen: Häufig sind sie deutlich schlechter als das zugrunde liegende Buch. Aber da ich das Buch 'Temutma' nicht kenne, kann ich nur schreiben: Gute Horrorstory! Und das Buch lese ich jetzt wohl auch noch :-)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.06.2011
Hill, Reginald

Das Dorf der verschwundenen Kinder


ausgezeichnet

Das kleine Dorf Dendale (bzw. das, was davon übriggeblieben ist), untergegangen in den Fluten eines Stausees zusammen mit dem Rätsel über drei verschwundene kleine Mädchen, taucht nach 15 Jahren nach einer langen Hitzeperiode wieder empor. Und mit ihm auch der damals verdächtige Benny? Graffity im benachbarten Ort Danby, wo die meisten der Bewohner Dendales nun leben, behaupten dies zumindest. Und als erneut ein kleines Mädchen verschwindet, scheint die Lage klar: Benny ist wieder da!
Superintendent Andrew Dalziel, der bereits mit dem Fall vor 15 Jahren beschäftigt war, macht seine damalige Erfolglosigkeit noch immer sehr zu schaffen ebenso wie vielen anderen seiner Kollegen. Es beginnt ein erneutes Hinterfragen der damaligen Vorgänge und scheinbar verheilte Wunden werden durch die neuen Untersuchungen wieder aufgerissen. Mit seinem unnachahmlichen Charme ('Ich denke, George...hat sein Gehirn über den Gesundheitsdienst bekommen, und jetzt wird's vom Immunsystem abgestoßen.') treibt Dalziel die Ermittlungen voran, um diese Fälle endlich zu klären.
Ein überaus fesselnder Krimi, der bemerkenswert unblutig daherkommt. Obwohl keinerlei Gewaltexzesse oder konkrete Bedrohungen beschrieben werden, steigt die düstere und angespannte Stimmung spürbar an. Hill gelingt es, den Druck und die Belastung, unter dem die Beamten wie auch die betroffenen Familien stehen, ebenso überzeugend darzustellen wie er bei Leserinnen und Lesern die Spannung erhöht, indem er sie auf die unterschiedlichsten Fährten führt. Als ob dies nicht schon mehr als genug wäre für eine gute Unterhaltung, lässt er seine Figuren über die wahren Werte des Lebens philosophieren und zeigt so ganz nebenbei, wie Menschen mit dem Verlust ihrer Heimat umgehen. All dies ist zudem noch in einem guten, leicht lesbaren und immer wieder auch amüsantem Stil verfasst, so dass man dieses Buch mit Fug und Recht als einen rundum gelungenenen Krimi bezeichnen kann.

Bewertung vom 20.06.2011

Denkanstöße 2010


sehr gut

Elf Beiträge aus sechs Themengebieten von namhaften Autoren verfasst - schneller wird man kaum seinen Kenntnisstand vergrößern können, wenn auch die einzelnen Abhandlungen von unterschiedlicher Qualität sind. Während man bei Aufsätzen wie beispielsweise denen über Evolution, Geruchssinn und Stammzellforschung tatsächlich das Gefühl hatte, hier über den (damals) neuesten Kenntnisstand unterrichtet zu werden, liefern die Artikel zu Gerechtigkeit und Tugenden mehr eine Zusammenfassung teils bereits bekannten Wissens. Die Erkenntnisse 'Alter Denker' wie Aristoteles, Platon, Descartes und anderen mehr werden ausführlich darstellt, wobei die aktuelle Bestandsaufnahme beispielsweise bei Merz leider nicht darüber hinauskommt, dass in unserer Gesellschaft die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit die vorherrschende ist. Die Gründe hierfür werden bedauerlicherweise nicht erörtert.
Dennoch alles in allem ein lohnenswertes Buch. Wie Darwin zu seiner Theorie der Evolution kam, Kepler seine Planetengesetze entdeckte oder der Weg des Islamismus in unsere Vorstädte sind interessante und gut zu lesende Beiträge. Mich persönlich begeisterte am meisten das Kapitel von Werner Jens und Hans Küng: Menschenwürdig sterben, die ihre Einstellung zum Thema Euthanasie aus Sicht des überzeugten Christen darstellen.

Bewertung vom 13.06.2011
Veronesi, Sandro

XY


sehr gut

Ein grausamer Auftakt: In einem Wald, völlig abgelegen, geschieht ein Verbrechen, das es eigentlich nicht geben kann. Elf Tote, alle an unterschiedlichen Ursachen gestorben (eine Person an Haibissen(!)), alle zur selben Uhrzeit. Die Polizei erklärt die Sache zu einem Staatsgeheimnis und vertuscht das wahre Geschehen, um ihre Hilflosigkeit zu verbergen.
Im nahegelegenen Dorf, dessen Bewohner die Toten gefunden haben, brechen derweil uralte Konflikte wieder auf, die Gemeinschaft droht zu zerbrechen. Der Pfarrer und eine Psychiaterin versuchen, eine Art Frieden wiederherzustellen und auch die Gründe für das Geschehene zu ermitteln. Doch jede Form logischen Denkens stößt hier an Grenzen.
Erzählt wird aus zwei Blickwinkeln: Einmal berichtet der Pfarrer, dann die Psychiaterin Giovanna, die überwiegend eine Form von Selbstgesprächen führt: meist endlose Sätze, teilweise auch ohne jede Interpunktion - etwas gewöhnungsbedürftig, vermittelt aber überzeugend die Gefühlssituation, in der sich Giovanna befindet. Trotz des entsetzlichen Beginns ist es kein Krimi oder Thriller, in dessen Mittelpunkt die Auflösung dieses Verbrechens steht. Vielmehr entwickelt sich die Geschichte zu einer Art Psychogramm, nicht nur des ganzen Dorfes, sondern auch der beiden Hauptfiguren, Don Ermete dem Pfarrer und Giovanna, der Psychiaterin, während das unfassbare Ereignis immer mehr in den Hintergrund rückt. Dennoch: Ich fand das Buch spannend bis zum Schluss und hatte Mühe, es aus der Hand zu legen.
Anstrengend sind die ganzen Familienbande, die in diesem Buch bestehen, ich hatte gelegentlich doch Mühe, einen Überblick zu behalten. So zeichnete ich mir beim Lesen die Verwandtschaftsverhältnisse auf, was sich dann auch immer wieder als nützlich erweisen sollte. Hilfreich ist hierzu ebenso die Website www.xy-roman.de, auf der alle Personen mit ihren Eigenheiten und Beziehungen auf geführt werden. Einziges Manko dort: Es fehlte mir eine Art übersichtlicher Stammbaum - doch den hatte ich mir ja zwischenzeitlich schon selbst gezeichnet.

Bewertung vom 08.06.2011
Stadler, Arnold

Komm, gehen wir


sehr gut

Rosemarie und Roland, ein Studentenpärchen aus Freiburg, die sich in nichts von tausend anderen Studentenpärchen unterscheiden, treffen in ihrem Urlaub, Sommer 1978, auf Elba auf den jungen Amerikaner Jim. Hals über Kopf verlieben sich beide in ihn und er - sich in sie? Sicher nicht in der Art und Weise wie Rosemarie und Roland, für die sich mit diesem Gefühl Exklusivität, Einzigartigkeit, Eifersucht und anderes verbindet. Für Jim hingegen ist es nichts was nur mit einer bestimmten Person verflochten ist. Er liebt die Liebe und gibt sich diesem Gefühl bei jeder sich bietenden Möglichkeit hin. So beginnen die Drei eine Ménage à trois, die insbesondere bei Roland zu einer Reihe unguter Gefühle führt. Die Erkenntnis, dass er neben Rosemarie (und tut er das wirklich?) ganz offensichtlich auch Jim liebt, löst Eifersucht und beträchtliche Verwirrung in ihm aus. Nachdem nur Rosemarie und Jim eine Zeitlang gemeinsam durch Italien weiterreisten, treffen sich alle drei in Freiburg wieder, wo sie bis November desselben Jahres zusammenleben.
Auch wenn es sich um eine Ménage à trois handelt, ist das Hauptthema die Liebe von Roland, der sich ebensowenig wie Jim traut, diese öffentlich zu leben. Über gemeinsame Stunden wird schweigend hinweggegangen, zärtliche Blicke eher verstohlen getauscht. Statt dessen macht Jim aus seinen Eroberungen beim weiblichen Geschlecht keinen Hehl, als ob er gerade dadurch demonstrieren wolle, dass ihn nichts, aber auch gar nichts zu Männern hinzieht. Auch Roland fügt sich, heiratet wie vorgesehen Rosemarie und ebenso vorhersehbar trennen sie sich. Doch die Liebe zu Jim bleibt...
Stadler schildert neben dieser Liebesgeschichte wunderbar anschaulich die Welt in diesen Jahren: das dörfliche Leben mit all seiner zwischenmenschlichen Verbundenheit, aber auch der Engstirnigkeit gegenüber allem was irgendwie anders war; die Versuche der Jungen, im Ausland nur nicht als Deutsche erkannt zu werden - das alles verpackt Stadler in eine Sprache, die zwar überaus anstrengend zu hören ist (ohne volle Konzentration kann man diesem Hörbuch kaum folgen), jedoch eindrucksvolle Bilder hinterlässt. Einige Beispiele:
'Sie sahen auf das Leben und Treiben, meist lag es schon hinter den Menschen, die da vorbeigingen,..',
'Erst machte der Eine den Hosenladen auf und zeigt ihm etwas, das schon manches Mal über Krieg oder Frieden entschieden hatte.',
'Und ein Leben lang ein Leben geführt haben, das nicht ihres war, sondern ein anderes. Jenes, von dem sie glaubten, es würde von ihnen erwartet.'.
Keine leichte Kost, schon gar nicht als Hörbuch, aber mit Wirkungen über den Tag hinaus ist zu rechnen :-)

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.