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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1218 Bewertungen
Bewertung vom 14.04.2020
Dix, Elsa

Die Tote in der Sommerfrische / Viktoria Berg Bd.1


ausgezeichnet

Der schöne Schein

Soll ich etwa nach Sylt in die Provinz fahren? Norderney ist mondän, hierher kommt nur, wer es sich leisten kann.“ (S. 54)
1921: Victoria Berg, Baroness von Balow, ist schon 27 und noch immer unverheiratet, außerdem wird sie nach der Sommerfrische auf Norderney als Lehrerin an einer Reformschule arbeiten. Ihr Vater, ein Staatsanwalt in Berlin, ist nicht begeistert und hofft, dass sie auf der Insel vielleicht doch noch den passenden Gatten findet. Aber stattdessen lernt Victoria den Journalisten Christian Hinrichs aus Hamburg kennen, der für die Damenillustrierte „Frau von Welt“ einen Bericht über die Erholung auf Norderney schreiben soll und direkt nach der Ankunft die Leiche einer jungen Frau aus dem Meer zieht. Christian hat bis vor kurzem Kriminalberichte für eine Tageszeitung geschrieben und ihm ist sofort klar, dass es Mord war. Auch Victoria glaubt nicht an einen Unfall oder Freitod, denn die junge Frau, Henny, hat früher für ihren Vater gearbeitet. Die Neugier der beiden ist geweckt. Warum musste Henny sterben? Zusammen machen sich die beiden neugierigen Hobbyermittler auf die Suche nach einem Mörder, der kurz darauf noch einmal zuschlägt …

Elsa Dix schreibt sehr unterhaltsam, anschaulich und mit viel Lokalkolorit. Man erfährt allerlei über die Insel, örtliche Gegebenheiten und Geschichte, aber auch über die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und deren Leben und Gewohnheiten, aktuelle Mode und technische Errungenschaften. Sie lässt Norderney, die illustren Feriengäste und die Einheimischen vor dem Auge des Lesers lebendig werden. Man gibt sich dem Müßiggang hin, verbringt die Tage am Strand oder auf der Promenade beim Shoppen und Flanieren, probiert sich durch die Insel-Cafés mit ihren Kuchenspezialitäten, lauscht Konzerten und geht zu Bällen – und lästert über die anderen Gäste.

Ich habe Victoria und Christian sofort gemocht. Sie sind beide sehr unkonventionell und machen sich nichts aus den herrschenden Standesdünkeln und Moralvorstellungen. Christian hat sich aus der Arbeiterschicht hochgearbeitet, schreibt und fotografiert leidenschaftlich gern. Er musste wegen eines Vorfalls ganz schnell aus Hamburg verschwinden und arbeitet jetzt nur ungern mit der Polizei zusammen. Victoria benimmt sich nicht wie eine Dame ihres Standes. Sie ist Neuem gegenüber sehr aufgeschlossen, träumt von einer besseren, moderneren Welt, in der sie auch als Frau selbstständig leben und arbeiten könnte, ohne dass ein Mann oder Vater über sie bestimmt. Als Lehrerin wird sie zwar nicht viel verdienen und unterliegt dem Zölibat, aber das ist ihr ihre Freiheit wert. Doch der sympathische Christian bringt ihre Pläne ins Wanken …

Die Handlung ist bis zuletzt sehr spannend, amüsant und kurzweilig. Durch geschickte Wendungen werden dem Leser immer neue Verdächtige und Motive präsentiert, denn kaum jemand zeigt sein wahres Gesicht. Dadurch kann man sich seiner Vermutungen nie sicher sein und der Täter hat mich am Ende dann doch sehr überrascht.
Ich bin schon sehr gespannt, wann und wo Victoria und Christian das nächste Mal aufeinandertreffen und ermitteln werden.

Bewertung vom 12.04.2020
Lambertus, Hendrik

Das Erbe der Altendiecks


sehr gut

Die Uhrmacherin

Bremen 1766: Gesche ist die Tochter des aufstrebenden Uhrmachermeisters Johann Altendieck. Sein Vater Nicolaus hat das Geschäft begründet und wirft immer noch ein Auge auf die Werkstatt. Dabei bildet er ganz nebenher Gesche als Urmacherin aus, obwohl sie als Frau natürlich nie in dem Beruf arbeiten können wird. Aber sie hat das Altendieckche Erbe – graue Augen, Erfindergeist und Händchen für Uhrwerke. Als der Rat der Stadt Johann mit dem Bau der neuen Standuhr für den Ratssaal beauftragt, riskiert dieser alles – auch die Feindschaft mit dem bisherigen Ratsuhrmacher Albert Greven.
Elf Jahre später steht Gesche vor einer schweren Entscheidung. Sie hat etwas entwickelt, was den Ruf der Familie und vor allem ihr Ansehen wiederherstellen könnte, aber da sie „nur“ eine Frau ist, wird ihr niemand zuhören. Sie findet einen Strohmann – doch kann sie ihm wirklich trauen?

„Das Erbe der Alrendiecks“ erzählt die Stadtgeschichte Bremens von 1766 bis 1848 anhand der fiktiven Geschichte der Altendiecker Uhrmacherdynastie. Die erwähnte Uhr im Rathaus und Gesches Erfindung (die ich hier natürlich nicht verrate) gibt es wirklich, auch die historischen Hintergründe sind real.

Ich habe das Buch als zweigeteilt empfunden. Die erste Hälfte ist ein echter historischer Schmöker, die abenteuerliche Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach Glück, Erfolg und Anerkennung. Gesche weiß schon früh, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters und Großvaters treten und Uhrmacherin werden will, zur Not über Umwege. Sie ist sehr dickköpfig und weiß sich durchzusetzen, außerdem ist sie risikofreudig und mutig – alles das, was eine Frau damals besser nicht war.

Die zweite Hälfte des Buches wurde von der Politik und Stadtentwicklung bestimmt. Hier ist mir die Familie Altendieck leider etwas zu sehr in den Hintergrund gedrängt worden und diente als Rahmenhandlung, wobei mir die Darstellung der Zustände während der französischen Besetzung / Eingliederung sehr gut gefallen haben.
Am Ende wird dann noch die Brücke zur Industrialisierung geschlagen. Teure Einzelanfertigungen der Taschenuhren sind nicht mehr zeitgemäß, es entstehen erste Manufakturen für günstige Modelle, weil die Menschen z.B. wegen der Ausweitung des (Verkehrs erstmals auf die genaue Uhrzeit angewiesen sind – ein sehr spannendes Thema. Auch auf Bremens Rolle als Tor nach Amerika, die Vormärz-Bewegung und beginnende Demokratie (Gleichstellung der Stände, aber auch von Frauen und Männern) wird eingegangen.

Zum besseren Verständnis gibt es am Ende des Buches ein sehr umfangreiches Glossar.

Mein Tipp für alle, die sich für sie Geschichte Bremens um die Wende des 18. Jahrhunderts interessieren und Familienromane über mehrere Generationen mit starken Frauen mögen.

Bewertung vom 09.04.2020
Simon, Axel

Eisenblut / Gabriel Landow Bd.1


gut

Der letzte Mohikaner

Gabriel (von) Landow stammt von einem großen ostpreußischen Landgut, wurde aber aufgrund seiner unehrenhaften Entlassung aus der Armee von seinem Vater enterbt. Seitdem schlägt er sich als Privatdetektiv in Berlin durch. Sein ehemaliger Kompagnon ist nach Amerika ausgewandert und Gabriel will ihm so schnell wie möglich folgen, doch bisher fehlt ihm das nötige Geld für die Überfahrt. Er hat nur noch eine Klientin, die ihren Mann beschatten lässt – und ausgerechnet der fällt Landow eines Nachts auf einem militärischen Sperrgebiet tot aus einem Luftschiff vor die Füße. An seine Hand ist ein Buch gekettet – „Die Märchen der Gebrüder Grimm“ – und sein Daumen klemmt zwischen zwei Seiten, auf denen ein Wort mit Blut umrandet ist … Gabriel wird von der Regierung angeheuert, diesen Fall und noch zwei weitere aufzuklären. Kurz darauf wird sein Pensionszimmer in Brand gesteckt. Wer will ihn an den Ermittlungen hindern?!

Man schreibt das Jahr 1888, das Dreikaiserjahr. Wilhelm I. ist gerade gestorben, Friedrich III. wird ihm in wenigen Wochen folgen und sein Sohn Wilhelm II. steht schon in den Starlöchern für die Machtübernahme. Nicht nur Berlin oder Deutschland, ganz Europa schaut nach Potsdam und spekuliert über den Gesundheitszustand von Friedrich III. Die Welt steht vor einem Umbruch, Kriegsgerüchte werden laut, die Bevölkerung ist unzufrieden, brisante Flugblätter tauchen überall auf.

Eisenblut ist genau das, was vorn drauf steht – ein Kriminal-Roman. Landow ist kein strahlender Held oder brillanter Ermittler, sondern ein abgehalfterter Säufer, der sich irgendwie durchschlägt und seine Klienten so lange wie möglich hinhält, um ihnen das höchstmöglichste Honorar abnehmen zu können. Der Auftrag von der Regierung ist wie ein Lottogewinn, da man ihm neben der fürstlichen Bezahlung auch seine militärische Rehabilitierung in Aussicht gestellt hat. Außerdem scheinen seine Auftraggeber nicht zu erwarten, dass er wirklich etwas herausbekommt, aber man muss ja wenigstens so tun, als hätte man in den Todesfällen ermitteln lassen. Schließlich waren die Opfer waren allesamt kleine Beamte, die als Boten für geheime Dokumente genutzt wurden.
Parallel zu Landows Ermittlungen gibt es einen zweiten Strang. Ein „Schlitzer“ tötet sehr geschickt junge Mädchen und weidet sie aus – aber die Obrigkeit verschweigt diese Todesfälle. Ich hatte schon früh eine Ahnung, warum dieser anscheinend vom Rest der Handlung völlig losgelöste Teil so wichtig für das Buch ist, und meine Vermutungen haben sich bestätigt.

Leider konnte mich Axel Simon nicht ganz überzeugen. Ich hatte etwas anderes erwartet. Der Kriminalfall ist zwar spannend, aber die Handlung zog sich für mich zu sehr und verlor sich in zu vielen Nebenschauplätzen. Auch die ganzen Rückblicke in Landows Vorleben hätte es für meinen Geschmack nicht gebraucht.
Dafür fand ich das Setting sehr gelungen – das Milieu, in dem Landow lebt und ermittelt, die Stimmung unter der Bevölkerung, die Personen, mit den er in Berührung kommt. Besonders den ehemaligen Zirkusartisten Orsini und Landows Vermieter und Kriegskamerad Koester mochte ich sehr. Auch die Verquickung von Politik, Spionage, Kriegstreibern und Spekulanten ist sehr gelungen.

Bewertung vom 07.04.2020
Moyes, Jojo

Der Klang des Herzens


sehr gut

Das Erbe
Konzertgeigerin Isabel ist Mitte 30 und seit 9 Monaten Witwe. Sie verkriecht sich in ihrer Trauer, öffnet keine Post, geht nicht mehr arbeiten. Zum Glück ist ihre Tochter Kitty mit 15 schon sehr erwachsen und kümmert sich um das Notwendigste, auch um ihren kleinen Bruder Thierry, der seit dem Tod seines Vaters nicht mehr spricht. Isabel ist geschockt als sie erfährt, dass ihr Mann ihr nur Schulden hinterlassen hat und sie das Haus verkaufen muss. Als sie von einem entfernten Onkel ein Anwesen auf dem Land erbt, bricht sie alle Brücken hinter sich ab und zieht mit ihren Kindern dahin – ohne es sich vorher wenigstens mal anzusehen. Das Haus ist eine Ruine, es gibt keine Heizung, warmes Wasser oder einen Kühlschrank. Bis zu seinem Tod hat ihr Mann sich um alles gekümmert, auch um die Kinder, damit Isabel sich auf ihre Karriere als Geigerin konzentrieren konnte, außerdem hatten sie Personal. Jetzt muss sie komplett neu anfangen und alles selber machen. Zum Glück ist ihr Nachbar Bauunternehmer und bietet ihr an, die notwendigsten Reparaturen zu übernehmen.

9 Jahren lang hat sich Laura um Mr. Pottisworth in seinem heruntergekommenen Herrenhaus gekümmert. Der Alte war unausstehlich, unhöflich und beleidigend. Kathy hatte ihn so satt. Doch jedes Mal, wenn sie alles hinschmeißen wollte, überzeugte ihr Mann Matt sie, weiter durchzuhalten. Pottisworth hatte ihnen nämlich versprochen, dass sie das Haus erben und ihre Pläne für die umfangreiche Sanierung sind längst fertig. Dafür verzeiht sie Matt seit Jahren immer wieder seine Affären. Aber als jetzt Isabel das Haus statt ihrer erbt und Matt sich immer abweisender verhält, beginnt Laura ihr Leben zu überdenken.

„Der Klang des Herzens“ ist 2010 schon mal auf deutsch erschienen und wurde jetzt überarbeitet und neu aufgelegt. Es ist leicht geschrieben und liest sich wunderbar flüssig. Ich habe es an nur einem Tag verschlungen. Die Handlungsstränge sind sehr ausgewogen, an einigen Stellen zwar etwas vorhersehbar, dafür haben mich andere echt überrascht.

Das alte Haus mitten im Nirgendwo hätte ich wahrscheinlich nie betreten oder wäre nach der ersten Besichtigung schreiend weggerannt, aber die romantische Lage am See entschädigt für vieles. Isabel findet in dieser Abgeschiedenheit endlich wieder zu sich, beginnt sogar wieder, Geige zu spielen. Doch ihr neuer Alltag ist geprägt vom Dasein als Hausfrau und Mutter. Ich konnte ihre Überforderung sehr gut nachfühlen. Ihre Wandlung zur selbständigen und selbstbewussten Frau und Mutter hat mir gut gefallen.
In Laura konnte ich mich zwar auch einfühlen, hätte an ihrer Stelle aber einige Entscheidungen anders getroffen. Ihr Mann flirtet gern, ist sehr charismatisch und gewohnt zu bekommen, was er will. Ich an ihrer Stelle hätte ihm nicht so viel durchgehen lassen.
Am meisten mochte ich Isabels Kinder Kitty und Thierry. Kitty ist schon sehr weit für ihr Alter und übernimmt viel Verantwortung, aber sie ist auch mitten in der Pubertät und manchmal herrlich altklug. Thierry blüht wie seine Mutter in der Natur auf, dabei hilft ihm Matts Angestellter, der schweigsame Byron. Die beiden sind sich sehr ähnlich und Byron wird sein neues männliches Vorbild.

Jojo Moyes schreibt in ihrem neuen alten Buch sehr unterhaltsam und mitfühlend über Trauer, Verlust, Geheimnisse, Neuanfänge und die Kraft der Musik.

Bewertung vom 04.04.2020
Ventura, Luca

Mitten im August / Capri-Krimi Bd.1 (6 Audio-CDs)


sehr gut

Immer im August …

… macht Familie Milani Urlaub auf Capri, aber dieses Jahr ist ihr Sohn Jack allein mit seiner Freundin Sofia im Ferienhaus. Sie wollen die Semesterferien dort verbringen und ein Praktikum bei einem berühmten Meeresbiologen machen. Eines Morgens wird Jacks Leiche in einem auf dem Wasser treibenden Ruderboot gefunden. Er wurde erstochen, von Sofia fehlt jede Spur. War es eine Beziehungstat?

Enrico Rizzi ist Polizist auf der Insel, auf der es sonst eher ruhiger zugeht. Wenn er nicht gerade kleinere Delikte verfolgt, widmet er sich mit Leidenschaft dem ökologischen Obst und Gemüseanbau auf den Feldern und Gärten seines Vaters. Der Tote im Ruderboot ist sein erster Mordfall und sein Chef ist davon gar nicht begeistert. Wenn Rizzi das Boot nicht an Land gezogen hätte, wäre der Fall nämlich gleich an die Kollegen von Neapel gegangen. Aber auch so reißt der Chef der dortigen Mordkommission die Ermittlungen an sich, Rizzi und seine neue Kollegin Cirillo werden zu Handlangern degradiert.

„Mitten im August“ ist der Auftakt einer neuen, unterhaltsamen Capri-Krimireihe und perfekt, um wenigstens in Gedanken reisen zu können. Die Handlung ist nicht zu blutig aber trotzdem spannend und man erfährt viel über Land und Leute. Zudem hat mir gefallen, wie mit den Erwartungen des Lesers / Hörers gespielt wird. Die Verdachtsmomente gehen in eine bestimmte Richtung und werden durch die Ermittlungen immer wieder bestärkt, trotzdem kommen ausreichend Zweifel auf, um sich nie ganz sicher zu sein.

Die Vergangenheit der Polizisten wird immer wieder kurz angerissen, aber ich hätte mir weiterführende Informationen gewünscht. Enrico Rizzi scheint geschieden zu sein und eine neue Freundin zu haben (das war für mich nicht ganz eindeutig). Antonia Cirillo wurde degradiert und zwangsversetzt, außerdem lebt ihr Sohn bei seinem Vater. Warum, wird bisher leider nur angedeutet, aber vielleicht erfährt man im nächsten Band mehr.
Rizzi ist sehr zielstrebig und will den Fall unbedingt vor den Kollegen aus Neapel lösen. Leider übergeht er Cirillo dabei immer wieder, er scheint sie nicht als gleichgestellte Kollegin zu sehen. Außerdem tauschen sie sich (noch?) zu wenig über ihre Ermittlungsergebnisse aus. Das verärgert Antonia, doch sie hält sich zurück.

Mein Fazit: Ein gemütlicher Urlaubskrimi mit viel Flair und interessanten Hintergründen zu Meeresbiologie und Umweltschutz. Von Johannes Klaußner sehr gut gelesen.

Bewertung vom 03.04.2020
Simsion, Graeme

Das Rosie-Resultat / Rosie Bd.3


ausgezeichnet

Der Problemlöser

„Es soll alles so bleiben wie es ist.“ (S. 15) verlangt Dons und Rosies Sohn Hudson, als sie wegen Rosies Arbeit nach Melbourne ziehen müssen. Hudson ist inzwischen 10 Jahre alt, genau wie Don in manchen Dingen etwas eigen und hatte in Amerika keine Probleme. Doch in seiner neuen Schule werden sie regelmäßig zum Direktor bestellt. Hudson würde den Unterricht stören oder nicht verfolgen und ständig die Grammatik der Lehrer verbessern. Man fordert, dass sie ihn auf Autismus untersuchen lassen – er würde seinem Vater ja immer ähnlicher werden. Da entwickelt Don den Plan, Hudson zu mehr sozialer Kompetenz und neuen Freunden zu verhelfen ...

„Das Rosie-Resultat“ ist der dritte Band um den am Aspergersyndrom erkrankten Don Tilman und seine Frau Rosi. Bereits die Vorgänger waren echte Highlights und auch dieses Buch hat mich bis weit nach Mitternacht gefesselt, weil ich immer wieder nur noch schnell ein Kapitel lesen wollte und es dann doch komplett ausgelesen habe.

Don hat eine ganz eigene Sicht auf die Welt und seine Mitmenschen und geht gern wissenschaftlich an Probleme heran. Er möchte Hudson möglichst unauffällig unterstützen, wählt dazu zum Teil recht ungewöhnliche Mittel und arbeitet nach dem Prinzip „trial and error“. Jedes Mal, wenn etwas schief geht, ändert er die Methode und bindet die Familie, Freunde und Bekannte ein. Aber ist das, was er will, auch das Beste für Hudson? Greift er nicht zu sehr in dessen Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung ein? Ist Don seinem eigenen Vater viel ähnlicher, als er dachte? Zudem versteht Hudson die Bemühungen nicht immer: „Ihr könnt mich so, wie ich bin, nicht leiden. Sonst würdet ihr mich nicht ändern wollen.“ (S. 225)

Graeme Simsion beschreibt eine sehr warmherzige und besondere Vater-Sohn-Beziehung. Don würde Hudson gern die schlechten Erfahrungen ersparen, die er machen musste, und schießt dabei nicht nur einmal übers Ziel hinaus. Sie kämpfen gegen Vorurteile und für die Anerkennung ihrer Persönlichkeit und Leistungen. „Ich hab mir ja immer Sorgen um Dich gemacht, aber am Ende hast Du mich echt überrascht.“ (S. 171)
„Das Rosie-Resultat“ ist ein ganz wunderbares Buch über Selbstbestimmung und Selbsterkenntnis, Freundschaft, Liebe, Vertrauen, Verlust und Vergebung, geschrieben mit sehr viel Herz und Humor.

Bewertung vom 01.04.2020
Heldt, Dora

Mathilda oder Irgendwer stirbt immer


ausgezeichnet

Mörderische Idylle

Mathilda liebt ihr nordfriesisches Dörfchen Dettebüll und das geruhsame Leben mit ihrem Mann Gunnar. Eigentlich könnte alles so schön sein, wenn nicht ihre ewig nörgelnde und zeternde Mutter Ilse wären und die nervige, neugierige, ständig tratschende Nachbarin Irene. Aber Mathilda hat ja ein extrem ruhiges Gemüt und lächelt alles Störende weg.
Ihre erwachsenen Kinder Max und Nele können nicht verstehen, dass ihr Vater das die ganzen Jahre ausgehalten hat – aber Gunnar liebt Mathilda und Mathilda will hier nicht weg. Aber als Ilse plötzlich anfängt, mit dem Nachbarn zu klüngeln, der Bürgermeister wertloses Land aufkauft, Männer in teuren Anzügen durchs Dorf streifen und Mathildas Bruder Pit nach Jahren wieder im Dorf auftaucht, wird es Mathilda dann doch zu bunt. Auch Oma Ilse plötzlicher Tod ändert nichts an der Situation, dazu müssen noch ein paar andere Dorfbewohner sterben … „Mama, wach mal auf, die Bullerbü-Zeiten sind auch hier vorbei.“ (S. 192).

Ich mochte Mathilde und Gunnar sofort. Sie ist eine nette ältere Dame mit einem Faible fürs englische Königshaus, die die Familie zusammenhält und versucht, es jedem recht zu machen. Wenn sie sich aufregt, putzt sie, bügelt oder geht mit ihren Hund George Gassi. Manchmal träumt sie von einer Kreuzfahrt, aber eigentlich ist es in Dettebüll ja auch ganz schön. Gunnar ist eine treue Seele, der sie aus dem Hintergrund unterstützt, ihr den Rücken frei- und ihre Geheimnisse für sich behält. Beide freuen sich, als ihnen ihr Sohn Max endlich seine neue Freundin vorstellt und ihre Tochter Nele wieder öfter zu Besuch kommt, auch wenn der Grund dafür kein schöner ist. Mit anderen Worten, eine ganz normale, typische Familie – mit einer Leiche im Garten.
Pit ist eine Klasse für sich. Er hatte noch nie im Leben kein Glück und seine Kneipe in Hamburg läuft nicht wirklich gut. Da fällt im wahrsten Sinne des Wortes etwas Glück für ihn vom Himmel – leider will es der Besitzer zurück. Pit flüchtet in die alte Heimat und zieht seine Familie und seinen besten Kumpel mit rein. Begleitet wird er von seiner neuen Freundin, einer jungen Chinesin, die keiner kennt und der niemand traut.
Ilse und die aufdringliche Nachbarin hätte ich persönlich bestimmt mit der Bratpfanne erschlagen, wen sie am Sonntagmorgen wieder ohne zu klingeln in der Küche auftauchen oder ihr Gift verspritzen. In diesen Situationen habe ich Mathilde um ihren Langmut beneidet, obwohl die Stellen zum Teil auch sehr humorvoll waren.

„Mathilda oder Irgendwer stirbt immer“ ist der neue Roman von Dora Heldt und hat mich wieder von der ersten Seite an bestens unterhalten. Mit spitzer Feder und feinem Humor nimmt sie das ach so idyllische Dorfleben aufs Korn und lässt es dabei auch nicht an Spannung fehlen.
Da meint man, seine Nachbarn zu kennen, das Dorf ist ja klein, und dann tun sich doch Abgründe auf: Freunde werden zu Feinden, Familienkonstellationen offenbaren sich, diskrete Affären fliegen auf und Mathilda versucht verzweifelt, ihre heile Welt wiederherzustellen. 5 Sterne und meine Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.03.2020
Stolzenburg, Silvia

Tribut der Sünde


ausgezeichnet

Das Komplott

Stuttgart 1513: Die sechzehnjährige Franziska fiebert der Hochzeit mit ihrem Verlobten Martin entgegen, den sie von Kindsbeinen an kennt. Eines Nachts verlangt er verzweifelt Einlass in ihr Haus, seine Kleidung ist voller Blut. Franziska Vater, ein wohlhabender Ratsherr und Weinhändler, will ihn gerade dazu befragen, als die Stadtwache kommt und Martin verhaftet. Kurz darauf wird auch Franziskas Vater festgenommen. Jetzt ist sie auf sich allein gestellt. Kann sie Martins Unschuld und die ihres Vaters beweisen?

Zur gleichen Zeit versucht Herzogin Sabina von Bayern, die Frau von Herzog Ulrich von Württemberg, die Ehe mit ihrem ungeliebten Mann beenden zu lassen. Ihre Hochzeit wurde schon beschlossen, als sie noch Kinder waren, doch sie hassen sich. Ulrich hat ganz offen eine Geliebte und drangsaliert und demütigt Sabina regelmäßig, die es ihm versucht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Als Franziska zufällig hinter ein Geheimnis von Sabina kommt, wird es für beide Frauen gefährlich.

Auch unter Stuttgarts Bürgern brodelt es. Sie liegen im ständigen Zwist mit Ulrich, da der neue Umgelder (Umsatzsteuern / Ausschankgelder) einrichten will, um seinen teuren Lebenswandel zu finanzieren.

„Tribut der Sünde“ ist der Auftakt einer neuen Trilogie von Silvia Stolzenburg die sich in den Folgebänden neben Franziska wahrscheinlich auch um den „armen Konrad“ dreht – einen Aufstand der Bevölkerung 1514 im Herzogtum Württemberg, zumindest lässt dies der Klappentext vermuten.

Franziska ist eine gebildete, manchmal noch etwas naive und in der Liebe verklärte junge Frau, die hier viel Mut und Scharfsinn beweisen und an ihre Grenzen gehen muss. Sie glaubt an Martins Unschuld und die ihres Vaters, opfert dafür viel und beginnt auf eigene Faust, Nachforschungen anzustellen. Dabei hilft ihr ihr alter Freund Jakob, der sich mit anderen Gegnern des Herzogs zusammengetan hat und seit Jahren heimlich in Franziska verliebt ist. Er versucht ihr auch die Augen über Martin zu öffnen, aber sie glaubt ihm nicht. Bald kommen sie einem großen Komplott auf die Spur und geraten in Lebensgefahr.

Silvia Stolzenburg schreibt gewohnt spannend und mit viel Liebe für Details und historische Genauigkeit. Auch das Setting hat mir gut gefallen, ich konnte das mittelalterliche Stuttgart fast vor mir sehen. Jetzt bin ich schon sehr gespannt, wie es mit Franziska und Jakob weitergeht.

Mein Tipp für alle Fans von Iny Lorentz.

Bewertung vom 26.03.2020
Healey, Jane

Die stummen Wächter von Lockwood Manor


gut

Leider nicht der psychologische Spannungsroman wie erwartet

London 1939: Hetty Cartwright ist die stellvertretende Leiterin der Säugetiersammlung des Natural History Museums – eine Position, mit der sie niemals gerechnet hatte – aber die Männer sind inzwischen alle im Krieg. Darum darf sie die Sammlung auch nach Lockwood Manor evakuieren und dort betreuen, Lord Manor hat dem Museum Teile seines Herrenhauses zur Verfügung gestellt. Schon bei der Ankunft lernt sie dessen Tochter Lucy kennen, die Frauen finden sich sofort sympathisch. Doch Lord Lockwood warnt sie: „Lucy ist sehr verletzlich, müssen sie wissen. Sie sollte auf keinen Fall mit zu vielen Problemen oder Dramen belastet werden. … Sie ist sehr sensibel …“ (S. 28)

Hetty wird im sonst unbewohnten Ostflügel untergebracht, die anderen Zimmer sind abgeschlossen, es wirkt alles etwas unheimlich. „… als ob sich das Haus vor Trauer abschotten wollte und wir darin gefangen wären.“ (S. 56) Schon am ersten Morgen wird sie von einem fast unmenschlichen Schrei geweckt – Lucy hatte wieder einen ihrer Albträume. Kurz darauf stellt Hetty fest, dass das erste Exponat fehlt, ein Jaguar. Und während sich draußen alles auf den großen Krieg vorbereitet, kämpft Hetty im Kleinen: gegen Wetter, Schädlinge und die „Geister“, vor denen Lucy und die Angestellten Angst haben. Zudem verschwinden immer wieder Ausstellungsstücke, manchmal tauchen sie anderen Stellen wieder auf. Sie verdächtigt die Hausangestellten oder Lord Lockwood selbst, ihr damit schaden zu wollen, kann ihnen aber nichts nachweisen.

„Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ haben es mir nicht leicht gemacht, bis zum Ende durchzuhalten. Eigentlich wollte ich das Buch schon nach der Hälfte abbrechen, denn der Spannungsbogen entwickelte sich so gut wie gar nicht, es gab zu viele Wiederholungen, was Lucys Albträume und die veränderten Standorte der Exponate anging. Dazu kam, dass ich die Ängste der beiden Frauen bald nicht mehr spüren und nachvollziehen konnte, beim Lesen seltsam distanziert blieb (was aber auch an den Wiederholungen liegen kann, irgendwann war der Überraschungseffekt halt weg).
Hettys Gedanken drehen sich hauptsächlich um die Sammlung und darum, ihre Stelle zu verlieren. Sie kümmert sich rund um die Uhr darum und schläft zum Teil auch in den Räumen. Außerdem sorgt sie sich um Lucy, die ihr nach und nach von ihrer Vergangenheit erzählt. Die beiden werden enge Freundinnen, sind sich sehr ähnlich. Doch schon Lucys Mutter, die erst vor kurzem bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, war „verrückt“. Jetzt bangt Lucy um ihren eigenen Verstand. „Schlaflosigkeit, wilde Träume, zum Zerreißen gespannte Nerven – musste ich mich für den Rest meines Lebens damit abfinden oder waren sie nur eine Flutwelle, die der Tod meiner Mutter ausgelöst hatte und die nach und nach abebben würde?“ (S. 202)
Lucys Vater, Lord Lockwood, erscheint als übermächtiger Despot. Er nimmt weder Hettys Sorgen noch Lucys Ängste bzw. Albträume ernst, sondern lässt sie im Zweifelsfall ruhigstellen – schließlich kann er sich als Witwer jetzt endlich seinen diversen Freundinnen widmen. Er ist kein Mann, der Sympathien weckt.
Zudem hat mich gestört, dass der Krieg so ausgeblendet wird und nur am Rand passiert.

Zum Glück habe ich das Buch dann doch noch zu Ende gelesen und wurde positiv überrascht. Diese Auflösung der Geheimnisse hätte ich nicht erwartet.

Mein Fazit: Leider nicht der psychologische Spannungsroman wie erwartet, dafür ein großes Familiengeheimnis und eine besondere Freundschaft.

Bewertung vom 23.03.2020
Barns, Anne

Kirschkuchen am Meer


ausgezeichnet

Die Kirschen aus Nachbars Garten

Wenn ihr dem Alltag mal wieder in ein schönes Buch entfliehen wollt, kann ich Euch „Kirschkuchen am Meer“ von Anne Barns empfehlen. Ein echter Wohlfühlroman mit viel Herz, Meer und leckeren Rezepten.

Marie war noch ein Kleinkind, als ihr Vater Enno die Familie für eine andere Frau verlassen hat. Ihre Mutter und ihre ältere Schwester Lena waren seitdem immer für sie da. Lena ist es auch, die sie anruft und ihr erzählt, dass Enno plötzlich gestorben ist. Ilonka, Papas „Neue“ (die „Hexe“), hat sie informiert. Da Lena hochschwanger ist, kann sie nicht mit zur Beerdigung fahren und allein will Marie nicht, aber ihre Mama und Oma begleiten sie, schließlich gehörte Enno mal zur Familie.
Bei der Seebestattung in Hooksiel fällt Marie eine Frau auf, die sich abseits hält. Was verbindet sie mit Enno? Marie folgt ihrer Spur nach Norderney und Juist …

Bereits der Einstieg in Anne Barns neues Buch hat mich in einen Kosmos aus frisch gekochter Erdbeermarmelade und selbst gebackenem Hefezopf gezogen – ihre Bücher sind definitiv nichts für schmale Hüften oder Diätzeiten.

Marie ist mit ihrem Leben eigentlich zufrieden. Sie arbeitet als Drogistin, die Kollegen sind nett, nur der Chef ist manchmal schwierig. Mit Marc, ihrem Verlobten, kriselt es etwas, seit er nach einem Burnout arbeitslos ist. Um abzuschalten backt Marie leidenschaftlich gern und überlegt schon lange, ihr Leben zu ändern: „Im Grunde genommen weiß ich, was mein Herz will, denke ich. Mir fehlt nur momentan der Mut, mich darauf einzulassen.“ (S. 93)

Der Zusammenhalt in Maries Familie hat mir gut gefallen. Die vier Powerfrauen sind immer füreinander da und unterstützen sich gegenseitig. „Traurig wegen Papa, glücklich wegen euch.“ (S. 62)
Interessant war, wie verschieden sie an Zeit mit Enno zurückdenken. Marie, die Jüngste, hat eher verklärte Erinnerungen an ihn, an Ferien und Ausflüge, gemeinsames Angeln und Kochen, während Lena damals die Probleme zwischen ihren Eltern mitbekommen hat. Ihre Mutter und ihre Oma haben Enno längst verziehen. Und bei einem sind sich alle einig – Ilonka, die Hexe, hat Enno und seine Töchter entzweit!

Anne Barns schafft es immer wieder, dass man mit ihren Protagonisten mitfiebert. Marie ist kreativ, mutig, neugierig und entscheidet oft aus dem Bauch heraus – ich habe sie sofort gemocht. Lena ist eine tolle große Schwester, die sich auch nach 30 Jahren immer noch um „die Kleine“ sorgt.
Mit Marc hatte ich so meine Probleme. Er ist zwar nett und ein Familienmensch, aber ihm scheint der Antrieb zur Änderung seiner Situation zu fehlen und ich hatte das Gefühl, dass er Marie gegenüber nicht immer ehrlich ist.
Ilonka – die Hexe – und ihr Sohn aus erster Ehe machen ihrem Ruf alle Ehre. Marie muss schnell feststellen, dass man ihnen immer noch nicht über den Weg trauen kann.
Auch die Nebenfiguren sind sehr liebevoll angelegt, seien es Anni, die Marie auf der Fähre kennenlernt, oder Stephan und Matthias, welche die Kaffeerösterei „Bittersüss“ betreiben (da will ich unbedingt mal hin!).

Einmal angefangen, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Es ist spannend, mit viel Herz (-blut geschrieben) und macht Appetit auf Mee(hr).
Das Ende hat mich dann echt überrascht – einerseits hat man es genauso erwartet und doch wieder nicht. Ich habe mich beim Lesen sehr wohl gefühlt und alles andere ausblenden können – so muss ein Buch ein 3.

„Folge deinem Herzen und nimm Dein Gehirn ausnahmsweise mal nicht mit. Finde heraus, was dich glücklich macht.“ (S. 91)