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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 01.07.2016
Mankell, Henning

Mord im Herbst / Kurt Wallander Bd.11


gut

„Weitere Erzählungen über Kurt Wallander gibt es nicht“

Leider, möchte man sagen, jedoch geht jede Romanreihe einmal zu Ende und Kurt Wallander hatte sich bereits in „Der Feind im Schatten“ von seinen Lesern verabschiedet. Die Geschichte zu „Mord im Herbst“ existierte seit längerer Zeit und wurde nunmehr veröffentlicht. Sie spielt im Jahr 2002, also vor „Der Feind im Schatten“. Auch in diesem Roman geht es um Mord, wenngleich die näheren Umstände am Anfang noch unklar sind.

In der Geschichte rücken längst vergangene Ereignisse in den Fokus. Sie ist nicht spektakulär, aber durchaus lesenswert. Einmal angefangen, legt man das Buch ungern zur Seite. Wer Wallander nicht kennt, sollte zunächst in seine früheren Geschichten einsteigen. Wer Wallander aus früheren Romanen kennt, wird ihn mit all seinen menschlichen Unzulänglichkeiten in diesem Roman wiedererkennen.

Das Buch besteht aus drei Teilen. Neben dem Roman selbst, ist das Nachwort, welches Metainformationen zu Henning Mankell und seiner Romanfigur Kurt Wallander liefert, sehr aufschlussreich. Es ist eine Art persönlicher Abschluss der Romanreihe seitens des Autors: „Deshalb habe ich aufgehört, als es noch Spaß machte.“ Der letzte Teil des Buches enthält kurze Einführungen zu allen Wallander-Romanen.

Bewertung vom 01.07.2016
Singh, Simon

Fermats letzter Satz


ausgezeichnet

Eine Abenteuerreise durch die Geschichte der Mathematik

Simon Singh beschreibt die Entwicklung eines mathematischen Beweises und verknüpft damit eine Reise durch die Geschichte der Mathematik. Der französische Mathematiker Pierre de Fermat, bekannt für seine derben Späße, stellte immer wieder Behauptungen auf, für die er zum Ärger seiner Fachkollegen die Beweise nicht offenbarte. Die eigentliche Beweisführung deutete er nur an und überließ sie damit der Nachwelt. Aus dem großen Erbe dieses Genies ist eine Vermutung über mehr als 300 Jahre unbewiesen geblieben. Generationen von Mathematikern bissen sich an Fermats letztem Satz die Zähne aus. Erst Andrew Wiles sollte das Unmögliche gelingen.

Was ist das besondere an diesem Buch? Obwohl das Buch von Mathematik handelt, wird eine breite Leserschaft unterhalten. Obwohl die Aufgabenstellung verständlich klingt, ist die Beweisführung nur noch für wenige Eingeweihte nachvollziehbar. Der Beweis wird daher nur angedeutet und das ist auch gut so. Im Vordergrund stehen nicht Formeln, sondern die Menschen und ihre Beweggründe, sich mit mathematischen Rätseln zu beschäftigen. Der Leser erhält Einblick in die menschliche Seite der Mathematik und in das Schicksal vieler Mathematiker, die sich mit Fermats letztem Satz auseinandergesetzt haben. Die damit verbundene Dramatik traut man einer eher nüchternen Wissenschaft kaum zu.

Der Beweis ist gelungen. Mathematik kann faszinierend sein. Der Leser erhält einen kleinen Einblick in die abstrakte Denkweise der Mathematiker und einen großen Einblick in die menschliche Seite der Mathematik. Die Lebensgeschichte von Andrew Wiles reiht sich nahtlos ein in die Geschichte der großen Mathematiker der letzten Jahrhunderte. Bezeichnend ist die Dramatik bei der Offenlegung des Beweises. Auch wenn zweifelhaft bleibt, ob Fermat seinen letzten Satz wirklich beweisen konnte, gibt es keinen Zweifel daran, dass das Buch sehr zu empfehlen ist.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.06.2016
Maturana, Humberto R.;Varela, Francisco J.

Der Baum der Erkenntnis


ausgezeichnet

Biologische Wurzeln menschlichen Erkennens

Es geht in diesem Buch um einen alternativen Ansatz zum Verständnis elementarer biologischer Vorgänge, durch die wir zu Wissen bzw. Erkenntnis gelangen. Die Neurobiologen Maturana und Varela versuchen lebende Systeme als den Prozess zu verstehen, der diese verwirklicht, und sie nicht durch die Beziehung zu ihrer Umwelt zu erklären.

Um einen vorurteilsfreien Einstieg zu ermöglichen, thematisieren die Autoren gleich zu Beginn die „Versuchung der Gewissheit“. Im Alltag verlässt der Mensch sich auf seine Wahrnehmung und ist sich möglicher blinder Flecken (Beispiel Auge) nicht bewusst. Das Erstaunliche am blinden Fleck ist, dass uns trotzdem eine geschlossene Welt präsentiert wird. Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen. Maturana und Varela beschreiben das Phänomen des Erkennens auf konstruktivistische Art. Jeder Akt des Erkennens bringt eine Welt hervor.

In weiteren Kapiteln geht es um die Organisation des Lebendigen. Die Eigenart von Lebewesen ist, dass sie sich permanent selbst erzeugen. Die zugrunde liegende Organisationsform ist die Autopoiese. Lebende Systeme realisieren sich als Produkte ihrer eigenen Operationen. Das Sein und das Tun einer autopoietischen Einheit sind untrennbar verbunden, und dies bildet ihre spezifische Art von Organisation. Dieser Denkansatz ist wegen der Selbstbezüglichkeit nicht leicht zu verstehen.

Eine Erkenntnistheorie soll zeigen, wie das Erkennen die Erklärung des Erkennens erzeugt. Hier schließt sich der Kreis. Es gibt keinen festen Bezugspunkt. Wenn wir die Existenz einer objektiven Welt voraussetzen, die von uns als den Beobachtern unabhängig und die unserem Erkennen durch unser Nervensystem zugänglich ist, dann können wir nicht verstehen, wie unser Nervensystem eine Repräsentation dieser unabhängigen Welt erzeugen soll. Setzen wir jedoch nicht eine von uns als Beobachtern unabhängige Welt voraus, scheinen wir zuzugestehen, dass alles relativ ist und dass alles möglich ist, da es keine Gesetzmäßigkeiten gibt.

In dem Buch geht es nicht nur um einen alternativen Vorschlag zum Verständnis elementarer biologischer Vorgänge, sondern auch um einen neuro-philosophischen Ansatz. Genau genommen wird die von Mystikern behauptete Einheit von Subjekt und Objekt und damit die untrennbare Ganzheitlichkeit des Seins begründet. Man kann zum Konstruktivismus stehen, wie man will: Das Buch ist sehr zu empfehlen.

Bewertung vom 30.06.2016
Müller, Dirk

Cashkurs


ausgezeichnet

Nach dem Crashkurs nun der Cashkurs

Börsenmakler Dirk Müller ist bekannt dafür, dass er ganz normalen Anlegern ehrliche Informationen gibt, wie sie ihr Geld anlegen können. Er schreibt für ein breites Publikum. Mit Cashkurs ist ihm ein informatives und lehrreiches Buch gelungen, welches zudem unterhaltsam geschrieben ist. Es handelt sich um einen verständlichen Ratgeber für Finanzen und Versicherungen.

In ersten Kapitel erläutert Autor Müller das, was er als Basiswissen bezeichnet. Er erklärt verschiedene Bankprodukte und gibt Tipps für den Umgang mit Geldanlagen und Krediten. Zu den Produkten, die er erläutert, gehören auch Versicherungen. Und wen wundert es: Empfohlen wird häufig, was der Bank oder der Versicherung hohe Gewinne bringt und nicht das, was aus Sicht des Kunden optimal wäre. Auch die Bank- und Versicherungsberater müssen ihre Quote bringen.

In den weiteren Kapiteln geht es ins Eingemachte. Müller erläutert die Besonderheiten bei der betrieblichen Altersvorsorge, geht auf die Vor- und Nachteile der Riester-Rente ein, verschafft einen Überblick über Investmentfonds und analysiert Baufinanzierungen. Seine Bezüge sind aktuell. So verzichtet er nicht darauf, auf das Lastenausgleichsgesetz von 1952 hinzuweisen. Sicherheit gibt es auch für Eigenheimbesitzer nicht.

Müller erläutert, dass mit Heuschrecken eigentlich nicht die Hedgefonds, sondern Private-Equity-Gesellschaften gemeint sind, aber auch die kann man nicht alle über einen Kamm scheren. Politik pauschalisiert zu sehr. Sein Lieblingsthema „Aktien“ spricht Müller im dritten Kapitel an. Die Leser erhalten Tipps von einem Insider. Aber er warnt die Leser: Den Stein der Weisen, mit dessen Hilfe man unfehlbar Gewinne macht, gibt es nicht. Gefragt ist gesunder Menschenverstand.

Gibt es etwas zu kritisieren? Ein Stichwortverzeichnis wäre hilfreich gewesen, wenn man das Buch als Nachschlagewerk verwenden will. Nicht jeder wird das Buch in einem Zuge durchlesen.

Fazit: Wer sich mit Sinn und Verstand mit diesem Buch auseinandersetzt, wird dafür sensibilisiert, Fallstricke bei Finanzgeschäften zu erkennen und erwirbt damit ein höheres Maß an Unabhängigkeit gegenüber Bank- und Versicherungsvertretern. Mehr kann man von einem guten Ratgeber nicht erwarten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.06.2016
Gordimer, Nadine

Beute und andere Erzählungen


sehr gut

Niveauvolle Erzählungen

Das Buch enthält zehn Erzählungen, in denen Nadine Gordimer auf hohem sprachlichen Niveau die etablierte Gesellschaft, ihre Ordnung und ihre Werte in Frage stellt. Den Lesern eröffnen sich nicht alltägliche Perspektiven auf Menschen in den Spannungsfeldern Gesellschaft und Politik. Ein starker Bezug zu den Verhältnissen in Südafrika ist erkennbar. In diese Kategorie passt zum Beispiel die Erzählung „Leitsätze“, in der ein schwarzer Regierungsmitarbeiter eine weiße Frau als Zweitfrau heiraten will. Hier prallen Traditionen aufeinander, die nicht vereinbar sind. Ein typisch westliches Problem beschreibt die Autorin in „Die Generationslücke“. Hier thematisiert sie das Unverständnis erwachsener Kinder, wenn sich der nach Freiheit strebende Vater von der Familie trennen will. Andere Geschichten, wie zum Beispiel „Beute“, in der längst Versunkenes vom Meeresgrund ans Tageslicht tritt oder „Doppelgänger“, wo sich Professoren und Landstreicher auf dem Campus vermischen, sind eher als Parabeln zu verstehen. “Beute“ ist ein eindringliches Buch, in dem ein gehöriges Maß an Melancholie erkennbar wird.

Bewertung vom 30.06.2016
Fontane, Theodor

Der Stechlin


ausgezeichnet

Aufbruch in eine neue Zeit

Theodor Fontane ist ein bekannter Vertreter des poetischen Realismus; seine Bücher gehören zur Weltliteratur. Er ist in Neuruppin geboren, war zwischendurch in London und wohnte später in Berlin. Das sind auch die Handlungsorte des Romans „Der Stechlin“, seines letzten großen Romans, erschienen gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Der Roman handelt von dem märkischen Junker Dubslav von Stechlin, seit vielen Jahren Witwer und seinem Sohn Woldemar. Dieser heiratet Armgard, Tochter des Berliner Grafen Barby. Armgard hat eine ältere Schwester namens Melusine. Dieser seltsame Name einer Meerfee aus der Mythologie ist kein Zufall, sondern auch Sinnbild für ihr Wesen. Sie ist nicht nur attraktiv, sondern zudem intelligent und weitsichtig.

Auffallend sind die vielen gegensätzlichen Charaktere. Dies gilt nicht nur für Woldemars Freunde Ministerialassessor Rex und Hauptmann Czako, zwei Zeitgenossen, die für Unterhaltung sorgen, sondern auch für den toleranten und ironischen Dubslav von Stechlin und seine vorweltliche Schwester Adelheid, Äbtissin von Kloster Wutz, sowie für die eher schlichte Armgard und ihre weltoffene Schwester Melusine.

Theodor Fontane arbeitet die unterschiedlichen Charaktere durch die vielen Dialoge heraus. Der eher handlungsarme Roman lebt von den Dialogen. Auch wenn diese nicht so anspruchsvoll sind, wie die Gespräche zwischen Settembrini und Naphta in „Der Zauberberg“ von Thomas Mann, vermittelt der Roman einen kontrastreichen Blick auf das ausgehende 19. Jahrhundert.

Fontane beschreibt das Wechselspiel von Systemerhaltung und Aufbruch, von Konservatismus und Moderne, ahnend, dass die nächsten Jahre große Veränderungen bringen werden. Dies wird in dem eindringlichen Gespräch zwischen dem Künstler Cujacius und Woldemar („... mit den richtigen Linien in der Kunst sind auch die richtigen Formen in der Gesellschaft verloren gegangen“) und an der Wahl, die der konservative (und liberale) Dubslav von Stechlin an die Sozialdemokraten verliert, spürbar. Pastor Lorenzen und Melusine erkennen die Zeichen der Zeit: „Unsre alten Familien kranken durchgängig an der Vorstellung, dass es ohne sie nicht gehe, was aber weit gefehlt ist, denn es geht sicher auch ohne sie; - sie sind nicht mehr die Säule, die das Ganze trägt, sie sind das alte Stein- und Moosdach, das wohl noch lastet und drückt, aber gegen Unwetter nicht mehr schützen kann.“

Der Roman ist über hundert Jahre alt, die Anspielungen auf Personen und Ereignisse können heute nicht mehr alle verstanden werden. Trotzdem hat das visionäre Buch seinen eigenen Charme. Dubslav von Stechlin ist vom Wesen her anders, als man sich den Adel im 19. Jahrhundert vorgestellt hat. Die schillernden Personen neben ihm sind Pastor Lorenzen und insbesondere Melusine, die einen Pakt schließen. Laut Klappentext zum Buch trägt Protagonist Dubslav von Stechlin autobiografische Züge. Dies lässt vermuten, dass Fontane ein undogmatischer angenehmer Zeitgenosse gewesen ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.06.2016

Wie funktioniert die Welt?


ausgezeichnet

Theorien über die Strukturen unserer Welt

Die Idee, einer großen Anzahl von Wissenschaftlern verschiedener Fakultäten die gleiche Frage zu stellen und die Ergebnisse in einem Buch zusammenzufassen, ist grandios. Auch wenn die Frage etwas seltsam formuliert ist: „Welches ist Ihre tiefgreifend[st]e, elegante[ste] oder schön[st]e Lieblingserklärung?“, weiß man doch, was gemeint ist.

Entstanden ist ein Kompendium über wichtige Theorien der Menschheitsgeschichte einschließlich subjektiver Bewertungen ihrer Bedeutung. Das Ergebnis ist kein Fachbuch oder Lexikon, sondern ein überwiegend verständlich formuliertes Meinungsbild von Wissenschaftlern über wissenschaftliche Theorien.

Auf 500 Seiten befinden sich ca. 150 Stellungnahmen von Wissenschaftlern aus Fachgebieten wie Physik, Biologie, Philosophie, Psychologie, Mathematik, Wirtschaft, Informatik, Geschichte, Sprache und Soziologie. Die behandelten Theorien decken die gleiche Bandbreite ab. Der Aufbau des Buches erlaubt es, an verschiedenen Stellen einzusteigen.

Das Ziel besteht nicht darin, all die Theorien aufgrund der kurzen Stellungnahmen verstehen zu können. Die Leser erhalten aber einen Eindruck davon, welche Theorien existieren und was diese erklären. Ich kenne kein populärwissenschaftliches Buch, welches in vergleichbarer Breite Wissen vermittelt.

Darwins Evolutionstheorie wird einige Male genannt, und zwar auch von Physikern. So stellt Carlo Rovelli heraus, dass Darwin entdeckte, dass „Wirkursachen Phänomene hervorbringen, die von Zweckursachen bestimmt zu sein scheinen“ und löste damit ein Rätsel der alten Griechen. (40)

Frank Wilczek betont Einfachheit in der Wissenschaft und erklärt so ganz nebenbei, wie in den Naturwissenschaften gearbeitet wird: „In der theoretischen Physik bemühen wir uns darum, die Ergebnisse einer Riesenzahl von Beobachtungen und Experimenten in den Begriffen einer geringen Zahl leistungsfähiger Gesetze zusammenzufassen.“ (65)

Mahzarin Banaji macht deutlich, wo die Grenzen der Bewusstseinsforschung liegen: „Der Geist ist das, was die Erklärung bewerkstelligt, und der Geist ist auch das, was es zu erklären gilt.“ (137) In der Erforschung des Bewusstseins gibt es m.E. so eine Art Heisenbergscher Unschärfe, also eine Beobachtungs- bzw. Erkenntnisgrenze, die nicht überwunden werden kann.

Als elegante Erklärungen werden auch Epigenetik, Entropie, Emergenz, Plattentektonik, Shannons Informationstheorie, Quantenelekrodynamik, Metarepräsentationen, ökonomisches Prinzip von der Reduzierung der Wahlmöglichkeiten und Schwarmintelligenz genannt, um nur Beispiele zu nennen. Aufschlussreich fand ich Brian Enos Erläuterungen zur Grenze der Intuition. (278)

An Science-Fiction erinnern Eric J. Topols Auswertungen von Aktivierungskarten des Gehirns, die mittels bildgebender Verfahren erstellt werden. (439) Auf diese Weise soll nicht nur der Placeboeffekt entschlüsselt werden. Die Aktivierungsmuster des Gehirns wurden in Beziehung gesetzt zu visuellen Eindrücken des Protagonisten mit dem Ergebnis, dass Ähnlichkeiten festgestellt wurden. Wird damit das Denken transparent?

Das Buch ist kein Ratgeber, kein Fachbuch, kein Lexikon und auch kein typisches populärwissenschaftliches Buch. Dennoch schätze ich es in seiner Bedeutung hoch ein, da die Leser durch die Ausführungen mit einer Bandbreite konfrontiert werden, die ihresgleichen sucht und ein Gespür für die Denkweise von Wissenschaftlern entwickeln können.

Bewertung vom 29.06.2016
Musil, Robert

Der Mann ohne Eigenschaften


sehr gut

Ein Klassiker der Literatur – nicht spannend aber geistreich

Bei diesem Roman handelt es sich um eine Parodie auf die feine Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Handlungsort ist Wien, die Reichshauptstadt von Kakanien (gemeint ist die Österreichisch - Ungarische Monarchie). Hauptdarsteller Ulrich, von Haus aus begütert, wird Mitglied einer Arbeitsgruppe, die sich mit der Planung der sogenannten Parallelaktion (eine patriotische Handlung zum 70. Regierungsjubiläum des österreichischen Kaisers) beschäftigt. Eine der Initiatoren dieser Aktion ist Diotima, einer Dame der besseren Gesellschaft.

Das Buch lebt nicht von den Handlungen (es passiert nämlich nicht viel), sondern von Dialogen und Gedankengängen. Der Roman setzt sich aus vielen kleinen Kapiteln zusammen, in denen das Beziehungsgeflecht der Hauptakteure mit akribischer Genauigkeit beleuchtet wird. Die vielen Perspektiven auf das Geschehen, gespickt mit feiner Ironie, sind der Kern des Buches. In diesen Beschreibungen beweist Robert Musil Genialität.

Während viele berechenbare Personen am Geschehen teilnehmen (z.B. General Stumm von Bordwehr oder Diotima), bleibt der Protagonist Ulrich eine diffuse Gestalt, ein „Mann ohne Eigenschaften“. Er ist in ein Außenseiter auf hohem intellektuellem Niveau und gleichzeitig ein Anziehungspunkt für die unterschiedlichsten Charaktere der feinen Gesellschaft.

„Der Mann ohne Eigenschaften“ ist ein anspruchsvoller aber auch anstrengender Romangigant. Bandwurmsätze mit mehr als 80 Wörtern erschweren das Verständnis und sind nicht mehr zeitgemäß. Es ist unverkennbar, welche Arbeit in diesem Buch steckt, das man als Kunstwerk der Literaturgeschichte bezeichnen kann. Empfehlen würde ich es nur Viellesern, die sich von 1000 Seiten sprachgewaltiger Lektüre nicht abschrecken lassen.

Bewertung vom 28.06.2016
Mandela, Nelson

Der lange Weg zur Freiheit


ausgezeichnet

Ein Mann verändert die Welt

Das Grundgerüst für diese Autobiographie bildet ein Manuskript, welches Nelson Mandela Mitte der 1970er Jahre während seiner Gefangenschaft auf Robben Island verfasst hat. (644) „Der lange Weg zur Freiheit“ beinhaltet ein Stück Zeitgeschichte, die in keinem Bücherregal fehlen sollte. Mandela erzählt wichtige Stationen seines Lebens von seiner Kindheit in der Transkei bis zu seiner Präsidentschaft 1994. Im Fokus seiner Erinnerungen steht der Kampf gegen die Apartheid in Südafrika.

Als Leser dieser außergewöhnlichen Biographie fragt man sich, was das Geheimnis des Menschen Nelson Mandela ist und findet bereits in seiner Jugend Ansätze, die zu seinem Erfolg beigetragen haben. Aussagen wie „Schon als Junge lernte ich es, meine Gegner zu bezwingen, ohne sie zu entehren“ (20) und „Selbst als Student begegnete ich vielen jungen Männern mit großen natürlichen Gaben, die nicht die Selbstdisziplin und die Geduld aufbrachten, ihre Begabung zu entfalten“ (70) machen deutlich, aus welchem Holz Mandela geschnitzt ist.

Mut, Beharrlichkeit, Stolz, Verantwortungsbewusstsein, Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Weisheit zählen zu seinen ausgeprägten Eigenschaften. In jungen Jahren leitete er zusammen mit Oliver Tambo das einzige afrikanische Anwaltsbüro. Sein Einsatz für die Rechte der schwarzen Bevölkerung brachte ihn immer wieder in Schwierigkeiten und führte letztlich zu seinem jahrzehntelangen Gefängnisaufenthalt.

Er hat auch in extremen Zeiten stets an das Gute im Menschen geglaubt, wie an verschiedenen Stellen im Buch deutlich wird. „Badenhorst war vielleicht der härteste und brutalste Kommandant, den wir auf Robben Island hatten. Und doch zeigte er …, dass es in ihm auch eine andere Seite gab … Badenhorst war letztlich kein böser Mensch; die Unmenschlichkeit war ihm von einem unmenschlichen System aufgezwungen worden.“ (620)

Mandela hatte viele Freunde und bekam Unterstützung auch aus Kreisen der weißen Bevölkerung. Im Hinblick auf seinen kämpferischen aber auch aufopfernden Lebensweg muss man immer wieder reflektieren, dass er die harte Realität beschreibt und nicht eine Fiktion. Im Rivonia-Prozess drohte ihm die Todesstrafe. Während dieser Zeit sagte er einmal zu einem Angehörigen der Sicherheitspolizei, dass die Regierung Reformen einleiten müsse, „sonst würden die Freiheitskämpfer, die an unsere Stelle traten, dafür sorgen, dass die Behörden sich noch nach uns zurücksehnten“. (648)

Das Buch ist chronologisch aufgebaut und leicht verständlich. Es tauchen zahlreiche Namen von Freunden, Gegnern und Unterstützern auf. Die Verbindungen ziehen sich durch das gesamte Buch. Nebenbei erhält der Leser Einblick in die Kultur Südafrikas. Eine Rezension dieses Buches lässt sich nicht trennen von der charismatischen Persönlichkeit, um die es geht und so beende ich meinen Text mit Worten von Mandela:„Das erinnerte mich wieder einmal daran, dass man ein Volk nur dann wirklich führen kann, wenn man es genau kennt.“ (659)