Benutzer
Benutzername: 
Raumzeitreisender
Wohnort: 
Ahaus
Über mich: 
Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 05.07.2016
Houellebecq, Michel

Karte und Gebiet


ausgezeichnet

Ein reifes Werk eines erfahrenen Schriftstellers

„Karte und Gebiet“ ist nicht nur ein lehrreicher Unterhaltungsroman über das Leben des Künstlers Jed Martin, sondern gleichermaßen eine Parodie auf den Kunstbetrieb und den Schriftsteller Michel Houellebecq selbst, der eine wesentliche Rolle in diesem Werk spielt. Seine Provokation besteht diesmal u.a. darin, sich selbst zu inszenieren und zu persiflieren. Das ist ihm auf unnachahmliche Art und Weise auch gelungen.

Die Themen und Gespräche schwanken zwischen banal und geistreich. So nehmen nicht nur die Probleme mit einem defekten Heizkessel unverhältnismäßig viel Raum ein, sondern auch intensive Gespräche über französische Literatur und Kunst. Zwischendurch erweist sich Protagonist Jed Martin immer wieder als aufmerksamer Beobachter und Kritiker etablierter wirtschaftlicher Abläufe, wobei die Frage berechtigt ist, ob hier die ureigene Meinung des Autors durchschimmert.

„Karte und Gebiet“ wirkt weniger provozierend als frühere Werke des Autors. Es handelt sich nicht um eine rein chronologische Erzählung, sondern die zeitliche Perspektive wechselt mehrmals. Während in den beiden ersten Teilen des Buches Jed Martin und der Kunstbetrieb im Fokus stehen, ändert der Autor im dritten Teil das Genre. Ein Mordfall führt dazu, dass aus einem sozialkritischen Unterhaltungsroman ein Krimi wird. Wenn schon bei Houellebecq ein Mord vorkommt, dann kein ganz gewöhnlicher.

Der Roman enthält mit Liebe, Trennung und Tod, Kritik an Wirtschaft, Gesellschaft und Medien sowie anspruchsvoller Aufklärung über Malerei, Photographie und Literatur, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Ironie, alle Zutaten für große Literatur. Soweit negative Vorstellungen über Houellebecq im Raum stehen, werden sie durch diesen Roman relativiert. Das Buch liest sich leicht, der Leser weiß nicht, in welche Richtung sich die Geschichte entwickeln wird und man legt es nur ungern zur Seite.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.07.2016
Bradbury, Ray

Fahrenheit 451


sehr gut

Liebe zur Literatur

Ray Bradbury beschreibt in Fahrenheit 451 eine Gesellschaft, die autoritär geführt wird und in der Menschen zur Sicherung der Herrschaft dumm gehalten werden. Dies geschieht durch eine Dauerberieselung mit Fernsehshows und einem Verbot von Büchern. Die Feuerwehr wird dazu eingesetzt, Bücher aufzuspüren und die Bücher einschließlich der Häuser, in denen sie gefunden werden, abzubrennen. Auf Bewohner wird dabei keine Rücksicht genommen. Den Menschen fehlt jegliche Empathie.

Protagonist Guy Montag ist Feuerwehrmann und ihm kommen durch verschiedene Ereignisse Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Sein Truppführer Hauptmann Beatty verteidigt die Arbeit der Feuerwehr und die Philosophie des Regimes. „Wozu etwas lernen, wenn es genügt, auf den Knopf zu drücken, Schalter zu betätigen, Schrauben anzuziehen?“ (101)

Die Gesellschaft muss ruhig gestellt werden, daher ist selbstständiges Denken nicht gewünscht. „Wir müssen alle gleich sein … dann sind alle glücklich, dann gibt es nichts Überragendes mehr, vor dem man den Kopf einziehen müsste … .“ (105) „ … bei der Größe unserer Zivilisation kann keinerlei Beunruhigung der Minderheiten geduldet werden.“ (106) „Sie [die Feuerwehr] erhielt eine neue Aufgabe, wurde zum Hüter unserer Seelenruhe … .„ (106)

Feuerwehrmann Montag findet durch Nachbarin Clarisse Selbsterkenntnis, bricht schließlich aus diesem System aus und begibt sich auf die Flucht. Dabei lernt er den Untergrund kennen, eine Gruppe Abtrünniger, die in den Wäldern lebt, und er erfährt von einer Methode, wie Wissen über Generationen hinweg präsent gehalten werden kann. Der Glaube an bessere Zeiten ist vorhanden.

Fahrenheit 451 ist kein klassischer Roman über ein unterdrücktes Volk, auch wenn eine solche Interpretation nahe liegt. Weite Teile der Bevölkerung begehren nicht auf, sondern sind mit der Gesellschaft einverstanden, wie an Montags Ehefrau Mildred und ihren Freundinnen deutlich wird. Selbstzweifel oder gar Erkenntnis kommen ihnen nicht in den Sinn. Notwendig ist eine geistige Befreiung.

Es geht Bradbury primär um die Liebe zur Literatur, um die Verdrängung der Bücher durch andere Medien wie Fernsehen und Rundfunk. Seine Dystopie ist weitsichtig, wenn man bedenkt, dass er bereits 1953 in einem übermäßigen Fernsehkonsum und in der Kommerzialisierung der Medien eine Gefahr gesehen hat. „Film und Rundfunk, Zeitschriften und Bücher mussten sich nach dem niedrigsten gemeinsamen Nenner richten, … .“ (99)

In einem ausführlichen Vorwort und Nachwort äußert sich der Autor auch zur Entwicklungsgeschichte des Romans und zu seiner eigenen Art, Bücher zu schreiben. „Ich bin ein leidenschaftlicher, kein intellektueller Schriftsteller. Das bedeutet, dass meine Figuren mir vorauseilen müssen, um ihre Geschichte zu erleben.“ (288)

Bewertung vom 04.07.2016
Bührke, Thomas

E=mc2 - Einführung in die allgemeine und spezielle Relativitätstheorie


ausgezeichnet

Eine populärwissenschaftliche Glanzleistung

Albert Einstein entdeckte, dass die reale Welt nicht übereinstimmt mit der Ordnung unserer Denkstrukturen. Darin liegt die zentrale Bedeutung der Relativitätstheorie und aus diesem Grund wird sie zurecht als kopernikanische Tat angesehen.

Über Albert Einstein und seine wissenschaftliche Arbeit gibt es eine Vielzahl Bücher. Auf dem schmalen Grat zwischen Verständlichkeit und Genauigkeit ist Thomas Bührke das fast Unmögliche gelungen, eine Einführung zur Relativitätstheorie zu schreiben, die für ein breites Publikum geeignet ist. Dies ist nur möglich, wenn man auf die Erläuterung der mathematischen Zusammenhänge verzichtet.

Diplomphysiker Bührke beschreibt kurz das Weltbild vor Einstein und stellt Widersprüche in den bisherigen Theorien heraus. Er verwendet Gedankenexperimente, die schon Einstein zu Grunde gelegt hat, um seine Theorien zu erläutern. Bührke schweift nicht unnötig ab, sondern bleibt beim Thema.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut und enthält ein paar biografische Elemente. Soweit für das Verständnis erforderlich, fließen Einsteins Beweggründe und die Sicht seiner Berufskollegen ein. Begriffe, die mit Einstein in Verbindung gebracht werden, wie Zeitdilatation, Längenkontraktion, Raumkrümmung oder Äquivalenzprinzip werden anschaulich erläutert.

Ich halte das Buch für eine hervorragende Einführung zum Thema Relativitätstheorie. Es ist für naturwissenschaftlich interessierte Leser und Leserinnen geeignet, die einen kleinen Einblick in Einsteins Theorien sowie deren Bedeutung erhalten wollen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.07.2016
Sprenger, Reinhard K.

Vertrauen führt


sehr gut

Vertrauen als Wirtschaftsfaktor

Handelt es sich bei diesem Buch um ein ethisches Werk, in dem Reinhard Sprenger die moralische Keule schwingt? Keineswegs! Sprenger, Unternehmensberater mit humanistischem Hintergrund, begründet seine Thesen betriebswirtschaftlich. Eine „nicht vertrauensvolle“ Zusammenarbeit führt zu Reibungsverlusten, die sich in Mark und Pfennig rechnen und die sich kein Unternehmen dauerhaft leisten kann. An Hand zahlreicher Beispiele analysiert Sprenger, was Vertrauen ist, was es bewirkt und wie man es erreicht. Auch wenn dieser Vergleich fehlt: Warum sollte eine Vertrauenskultur, auf die man im privaten Umfeld Wert legt, im Unternehmen (wirtschaftlich) unbedeutend sein?

Bewertung vom 04.07.2016
Little, Stephen

... ismen, Kunst verstehen


ausgezeichnet

Ein verständlicher Kunstführer

Was versteht man unter Illusionsmalerei? Welche bekannten Bilder gehören zum Dadaismus? Wie sind Barock & Rokoko zeitlich einzuordnen? Antworten auf solche und ähnliche Fragen finden an Kunst interessierte Menschen in Stephen Littles Buch „...ismen Kunst verstehen“. Es handelt sich um eine Einführung in die Epochen und Stile, die die Geschichte der abendländischen Kunst bis heute geprägt haben. Besondere Vorkenntnisse sind für das Verständnis nicht erforderlich.

Kunsthistoriker Stephen Little vermittelt in chronologischer Reihenfolge die wichtigsten Stilrichtungen der Kunstgeschichte. Das Buch hat eine einheitliche Struktur. Jeder Stil wird auf 2 Seiten beschrieben, Hauptvertreter und ihre Arbeiten werden benannt und Verwandtschaften zwischen Stilrichtungen erläutert. Bilder, die den jeweiligen Stil prägen, lockern den Text auf. Die Ausführungen sind kurz und prägnant. Einen derart logisch strukturierten Aufbau traut man einem Buch über Kunstgeschichte gar nicht zu. Ein Verzeichnis der Künstler, ein Glossar, eine Zeittafel und ein Verzeichnis bedeutender Museen bilden den Abschluss dieses verständlichen Nachschlagewerkes.

Bewertung vom 03.07.2016
Ruiz Zafón, Carlos

Das Spiel des Engels / Barcelona Bd.2


gut

Ein Leben zwischen Traum, Magie und Wirklichkeit

In diesem Roman erfahren kundige Leser die Vorgeschichte von Isabella Gispert, also Daniel Semperes Mutter und von David Martin, Protagonist aus „Der Gefangene des Himmels“. Zentraler Ruhepunkt in der an Aktionen reichen Geschichte ist der Buchladen Sempere. Inhaber ist der Opa von Daniel Sempere; Daniels Vater ist zu dieser Zeit noch ein junger Mann. Auch der magische „Friedhof der vergessenen Bücher“ spielt wieder eine Rolle.

Isabella ist ein forsches intelligentes Mädchen mit markanten Charakterzügen und damit die schillernde Gestalt dieses Romans. Hauptakteur ist zweifelsohne der Schriftsteller David Martin. David verkuppelt Isabella mit Sempere junior. Bei dieser Aktion zeigt er Charme und Humor, wie in den anderen Büchern dieser Reihe Fermin. Er selbst ist in Christina, der Tochter des Fahrers seines Freundes Pedro Vidal, ebenfalls Schriftsteller, verliebt.

David Martin macht einen existenziellen Reifungsprozess durch. Von einem sympathischen jungen Mann entwickelt er sich hin zu einem Antihelden. Schuld ist Andreas Corelli, der ihm den Auftrag erteilt, ein geheimnisvolles religiöses Buch (über dessen Inhalt nichts verraten wird) zu schreiben. Die Verbindung zu Corelli gleicht einem Pakt mit dem Teufel. Hier gleitet der Roman über ins Fantastische.

Während der ersten zweihundert Seiten ahnt der Leser noch nicht, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Der Roman ist spannend. „Das Spiel des Engels“ ist auch ein magischer Krimi mit vielen Toten. David Martins Wege und Entscheidungen sind schicksalhaft. Realität und Traumwelt vermischen sich. Der Leser wird verwirrt, aber die losen Fäden werden nicht sauber zusammengeführt. Dies ist die größte Schwäche des recht komplexen Romans. Er ist mysteriös und unterhaltsam, aber auch rätselhaft, ohne dass diese Rätsel abschließend gelöst werden. „Das Spiel des Engels“ ist nicht vergleichbar mit den perfekt konstruierten Romanen eines Leo Perutz. Es bleiben zu viele Fragen offen.

Bewertung vom 03.07.2016
Hofstadter, Douglas R.

Gödel, Escher, Bach, ein Endloses Geflochtenes Band


ausgezeichnet

Eine kreative Darstellung der Grenzen der Logik

Wer sich für Paradoxien und damit letztlich für Widersprüche in unseren Denkstrukturen interessiert, ist mit diesem Buch bestens bedient. „Gödel, Escher, Bach“ ist ein Klassiker auf dem Gebiet selbstbezüglicher Systeme („Seltsame Schleifen“) im Grenzbereich zwischen Endlichem und Unendlichem.

Autor Douglas R. Hofstadter betrachtet das Thema aus drei Perspektiven. Seine kreative Arbeit besteht darin, Parallelen zwischen Johann Sebastian Bachs Musik, Maurits Cornelis Eschers Grafiken und Kurt Gödels Mathematik aufzuzeigen.

Bei Bach ist es der „Endlos Reduplizierte Canon“ aus dem „Musikalischen Opfer“, der Hofstadters Aufmerksamkeit erregt, bei Escher sind es die endlos steigenden oder fallenden Treppen in der Grafik „Treppauf, Treppab“ und bei Gödel die Idee, mathematisches Denken zur Erforschung des mathematischen Denkens selbst zu verwenden. In all diesen Fällen hat man es mit Selbstbezug bzw. Schleifen zu tun.

Gödels Unvollständigkeitssatz (Inhalt und Beweis) bilden den Kern von Hofstadters Betrachtungen. Um sich diesem Thema nähern zu können, ist das Verständnis formaler logischer Systeme zwingend erforderlich. Diese Grundlagen machen einen wesentlichen Teil des Buches aus.

Um das Werk verstehen zu können, sind laut Beschreibung keine Vorkenntnisse erforderlich, dennoch würde ich es nur Lesern empfehlen, die ein überdurchschnittlich großes Interesse an mathematischen Problemstellungen haben. Für andere Leser gibt es einfacher strukturierte Bücher wie z.B. „Die Scheinwelt des Paradoxons“ von Patrick Hughes und George Brecht.

In einer Rezension kann man nur einen minimalen Eindruck von diesem großartigen Werk vermitteln. Es ist, auch wenn es in einigen Bereichen (Hirnforschung, Informatik) nicht mehr dem aktuellen Stand entspricht, ein bedeutendes Grundlagenwerk, auf das sich zahlreiche Autoren beziehen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.07.2016
Gaarder, Jostein

Der Geschichtenverkäufer


sehr gut

Roman, Satire und Tragödie

Petter ist ein seltsamer Junge. Statt mit anderen Kindern zu spielen, zieht er es vor, in seiner Fantasiewelt zu leben und Geschichten zu erfinden. Auffallend ist nicht nur seine überschäumende Kreativität, sondern er ist gleichzeitig hoch intelligent. Seinen Klassenkameraden ist er weit überlegen.

Aus einem Wunderkind wird ein außergewöhnlicher Erwachsener. Seine literarischen Fähigkeiten stehen im krassen Gegensatz zu seinem fehlenden Verlangen nach Ruhm. Dass es sich bei diesem Buch um eine Satire handelt, wird daran deutlich, wie Jostein Gaarder den Charakter und die Lebensgeschichte Petters überzeichnet. Selbst nicht auf öffentliche Anerkennung aus, macht Petter als Ideenlieferant große Geschäfte und nutzt dabei die geistige Leere anderer Schriftsteller aus.

Petters Frauengeschichten sind der Grund dafür, dass „Der Geschichtenverkäufer“ ein Buch für Erwachsene ist. Seine Beziehung zu Maria ist eine ungewöhnliche Liebesgeschichte und Ursache für ein Drama. Die mehrfach erwähnte Geschichte des Zirkusmädchens Panina Manina ist Auslöser und Sinnbild für die Tragödie des Protagonisten.

Mit diesem Buch kritisiert Gaarder den Literaturbetrieb und die Menschen, die sich dem unterwerfen. Das Buch ist hinsichtlich seiner Aussagen völlig anders als frühere Bücher von Jostein Gaarder. Das möchte ich aber nicht negativ verstanden wissen. „Der Geschichtenverkäufer“ liest sich leicht und ist spannend. Wären da nicht ein paar Unstimmigkeiten in der Erzählung, hätte ich 5 Sterne vergeben.