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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1103 Bewertungen
Bewertung vom 24.07.2023
Harris, C. S.

Das Geheimnis von Camlet Moat


ausgezeichnet

Sebastian St. Cyr und Hero Jarvis sind nun verheiratet. Die junge Ehe hat gleich eine Belastungsprobe zu bestehen, den Heros Freundin Gabrielle Tennyson, eine Archäologin, wird ermordet auf Camlet Moat aufgefunden. Doch nicht die Jagd nach dem Mörder ist die Hauptsache, sondern die fieberhafte Suche nach Gabrielles kleinen Neffen, die möglicherweise den Mord ansehen mussten und als Zeugen verschwinden müssen.

Allerdings jagt man nicht nur den Kindern nach, sondern auch einem geheimnisvollen Schatz, denn Camlet Moat soll das sagenumwobene Camelot sein, in dem König Artus darauf wartet, den gefährdeten Briten unter die Arme zu greifen.

Sebastian und Hero ermitteln getrennt, haben doch beide Väter, die einander hassen und dennoch manchmal gemeinsam an Strippen ziehen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Die täglichen Ermittlungsergebnisse werden verglichen und dabei kommen interessante Geheimnisse von Gabrielle ans Tageslicht, die sie auch vor Hero geheim gehalten hat.

Meine Meinung:

Lady und Lord Devlin sind ein herrliches Paar, wenn es darum geht, große und kleine Geheimnisse in der High Society Londons aufzudecken. Hero ist die passende Gefährtin für Sebastian. Unkonventionell bis es schmerzt, schießt wie Lucky Luke oder vielmehr wie Yancy Derringer mit einer handlichen Steinschlosspistole, die sie immer im Handtäschchen, Pardon, im Retikül, hat.

Dass wir dem Dichter Alfred Tennyson (1809-1892) hier als verschwundenem Kind begegnen dürfen, ist ein nette Idee der Autorin. Alfred hat schon als Kind einige schwulstige Gedichte zu Papier gebracht.

In diesem Fall kommen die Napoleonischen Kriege direkt zur Sprache, denn ein französischer Kriegsgefangener, der wie viele Offiziere auf „Ehrenwort“ zumindest Tagesfreizeit hat und nicht wie die gemeinen Soldaten in Lagern hausen muss, spielt eine nicht unbedeutende Rolle.

Die Verbrecher Londons, Einheimische wie Fremde, müssen sich warm anziehen, wenn ab sofort Lady und Lord Devlin gemeinsam Ganoven und Mörder jagen.

Ich mag diese Reihe. Leider muss ich jetzt wieder warten, bis der nächste Band ins Deutsche übersetzt wird.

Fazit:

Gerne gebe ich auch diesem Fall 5 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Raab, Thomas

Peter kommt später / Frau Huber ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

In diesem, seinen dritten Fall für Frau Huber zieht Autor Thomas Raab wieder alle Register.

Wieder einmal kommt es im ach so beschaulichen Glaubenthal zu unnatürlichen Todesfällen. Zunächst findet man die alte Brucknerwirtin mit ihrem Gesicht im kalten Kaiserschmarren liegen und wenig später ist die 99-jährige Tante Herta tot. Wenn es am gewaltsamen Tod der Brucknerin noch Zweifel gegeben hat, so kann dies bei Herta ausgeschlossen werden: Sie hat ein Messer im Rücken.

Es scheint, als hätte das Dorf die höchste Mordrate pro Einwohner. Oder kommt das nur den Lesern so vor? Natürlich muss Frau Huber die Polizei abermals unterstützen.

Meine Meinung:

Wie schon in „Walter muss weg“ und „Helga räumt auf“ zeigt Thomas Raab, dass hinter dem scheinbar idyllischen Dorfleben Mord und Totschlag lauern. Alte und neu Konflikte brechen zur Unzeit auf - diesmal während des Wahlkampfes zum Bürgermeister.

Der schwarze Humor des Autors ist vielleicht an mancher Stelle ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn seine Charaktere sind mitunter ein wenig überzeichnet. Literarisch sind Thomas Raabs bitterböse Krimis ein Lesegenuss. Wie gewohnt schreibt er auch diesmal locker und leicht, so dass dieses Buch sehr zügig gelesen werden kann.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser gelungenen Fortsetzung 5 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Weiglein, Christof

Weißtannenhöhe


ausgezeichnet

Dieser Krimi aus der Feder von Christof Weiglein beruht auf Tatsachen. Er ist die Geschichte eines bis heute ungeklärten Verbrechens.

Auf der Weißtannenhöhe im Hochschwarzwald werden im Mai 1928 Ruth und Clara Fehrenbach ermordet aufgefunden. Die beiden sind Cousinen und gönnen sich auf während der Pfingstfeiertage ein paar Urlaub. Beide sind Lehrerinnen, die aufgrund des damals herrschenden Lehrerinnenzölibats unverheiratet sind. Der Mörder hat ihnen zweimal in den Kopf geschossen und die Kehle durchgeschnitten. Außerdem sind ihre Leichen bizarr drapiert. Es sieht aus, als wären sie einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen.

Kriminalrat Gerd Tanner und Oberkommissär Hans Kaltenbach, zwei höchst unterschiedliche Charaktere, ermitteln, wie es scheint, zunächst getrennt voneinander. Und dann gibt es noch den überaus ehrgeizigen Kriminalsekretär Benedikt Falk, der als Mitglied der NSDAP sein eigenes Süppchen kocht und dafür buchstäblich über Leichen geht.

Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig. Zunächst werden ein Kriegsversehrter aus Wien und wenig später Johann Geigis, Sohn des Müllers mit Sprachfehler, des Verbrechens verdächtigt. Beide passen perfekt ins nationalsozialistische Weltbild vom Täter des Kriminalsekretärs: der eine Jude, der andere behindert.

Dann kommt Johann Geigis bei einem Unfall in der Mühle ums Leben. Weder Tanner noch Kaltenbach glauben an einen zufälligen Unfall. Nur mit Mühe kann Tanner seinen Chef bzw. den Staatsanwalt davon überzeugen, die Ermittlungen weiterzuführen.

Meine Meinung:

Diese Geschichte um ein wahres Verbrechen wird anhand authentischer Ermittlungsakten und Verhörprotokolle als Kriminalroman zu Ende erzählt. In Wirklichkeit kann der Mörder nicht ermittelt werden.

Autor Christof Weiglein mischt, gekonnt die penibel recherchierten Fakten mit Fiktion. Er zeigt, wie instabil die Weimarer Republik durch die unterschiedlichen politischen Kräfte ist. Die Nationalsozialisten unterwandern Polizei und Justiz. So manch einer wird wegen seines Ehrgeizes zu einem willfährigen Helfer.

Der Schreibstil ist ungemein fesselnd. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und habe es in einer Nacht gelesen.

Am Ende des Krimis gibt es ein ausführliches Personenverzeichnis, das die historischen und fiktiven Personen enthält.

Fazit:

Ein extra fesselnder Krimi, dem ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 23.07.2023
Kurkow, Andrej

Samson und das gestohlene Herz (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieses zweite Buch rund um Samson und Nadjeschda ist nicht nur ausschließlich ein Krimi, sondern ein Spiegel jener Zeit, in der das Alte (das Zarenreich) nicht mehr und das Neue (eine Republik/Diktatur/Anarchie) noch nicht etabliert ist.

Andrej Kurkow zeigt ein zerrissenes Reich, in dem Willkür und Korruption herrschen. Das ehemalige Zarenreich ist auf dem besten (eigentlich schlechtesten) Weg in den Stalinismus. Doch zuvor kämpfen Rote gegen Weiße, Analphabeten gegen Intellektuelle, Vertreter des Staates gegen die Bürger, Besitzende gegen Besitzlose, eigentlich jeder gegen jeden. Noch dauert es einige Jahre bis zur „verordneten Revolution von oben“ (1928), die mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft die den Menschen ihre Lebensgrundlage entzieht und 1932/33 mit dem Holodomor (Völkermord durch Verhungern) an der ukrainischen Bevölkerung enden wird.

Die Vorboten sind in Andrej Kurkows Roman bereits deutlich sichtbar. Privater Verkauf von Fleisch ist verboten und wird je nach Gutdünken der Polizei auch mit der Todesstrafe sanktioniert. Auch die Verfolgung verschiedener Berufsgruppe wie die der streikenden Eisenbahner, die Nadjeschda und ander Frauen in ihre Gewalt gebracht haben, ist sehr gut beschrieben.

Doch es gibt auch kleine, versöhnliche Episoden wie die Hochzeit zwischen Samson und Nadjeschda, die von Samsons Kollegen, einem ehemaligen Priester, mit einer atheistischen und daher politisch akzeptablen Zeremonie gefeiert werden kann.

Die Mangelwirtschaft macht auch vor der Polizeidienststelle nicht halt. So wird Samsons Anzug gestohlen und aus der Asservatenkammer verschwinden Beweismittel.

Der Titel kann als Allegorie aufgefasst werden, denn es geht nicht nur ausschließlich um Samson, der sein Herz an Nadjeschda verloren hat, sondern auch um Menschen, deren Herz aufgrund der politischen Umstände versteinert ist, sowie um das Schweineherz, das aus einem illegal geschlachteten Schwein verschwunden ist.

Andrej Kurkow ist ein Schriftsteller mit einem feinen Gespür für das Machtvakuum des Übergangs, in der Zeit, in der das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht etabliert ist. Fixer Bestandteil dieser Zeit ist jedoch der Mangel an Moral, in dem es plötzlich auch für Polizisten normal ist, kriminell zu sein.

Der Ausblick in die Zukunft wird vermutlich für Samson und Nadjeschda nur wenig rosig sein.

Fazit:

Eine gelungene Fortsetzung, der ich gerne 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 23.07.2023
Gilhaus, Lena

Verschickungskinder


ausgezeichnet

Als Autorin und Journalistin Lena Gilhaus von ihrem Vater erfährt, dass er als Kind mit seiner kleinen Schwester auf Kur geschickt worden ist, erwacht ihr Interesse und sie beginnt zu recherchieren. Auf ihren Aufruf, Kinder, die in Kurheimen zur Erholung waren, mögen sich bei ihr melden, ereilte sie eine wahre Lawine an Rückmeldungen.

Was ursprünglich als „gute Sache“ gedacht war, entwickelte sich recht bald zum Albtraum zahlreicher Kinder. Lena Gilhaus hat mit zahlreichen ehemaligen Verschickungskindern gesprochen. Das Ergebnis ist dieses Sachbuch, das unglaubliche Ereignisse zum Vorschein brachte.

„Kinderverschickung“ ist bei den meisten Menschen mit den Evakuierungen von Kindern während des Zweiten Weltkriegs konnotiert. Doch dieses Buch zeigt, dass die Anfänge dieser Praxis, die bis in die 1980er-Jahre üblich war, ganz woanders liegen, nämlich in der Weimarer Republik.

Lena Gilhaus Recherchen habe ergeben, dass in den Jahren nach 1945 rund 15 Millionen Kinder aus der BRD und DDR zur Kur geschockt worden sind.

Gemeinsam mit ihrem Vater unternimmt sie die Reise in seine Vergangenheit als Verschickungskind. Behutsam, Schritt für Schritt, wie es für ihn angemessen ist, tasten sie sich in seinen Erinnerungen vor, besuchen die Orte des Schreckens und finden den einen oder anderen nur wenig verändert vor.

»Auch wenn der Besuch das Schlimme, Dunkle und Böse nicht wegmacht, bin ich froh, dass ich mit euch hier bin.« Rührungstränen blitzen in seinen Augen. »Für mich war dabei auch unsere Geschwisterlichkeit so schön, um die wir in der Kur betrogen wurden.«

In sechs großen Kapiteln die Autorin allen jenen Kindern eine Stimme, die in diesen Aufenthalten, die ihnen eigentlich Erholung und unbeschwerte Wochen bescheren sollten, missbraucht, verprügelt und gedemütigt worden sind.

Die eigentliche Sauerei ist, dass niemand, weder damals noch heute, die Verantwortung für diese Ereignisse übernehmen will.

„Die Verschickungskinder bleiben auf Bundesebene seit Jahren ungehört. Erst Anfang 2023 erklärt sich das Bundesfamilienministerium plötzlich bereit, »mit den Ländern und Kommunen in einen Austausch über die Verantwortung für das erlittene Leid und Unrecht der ›Verschickungskinder‹« zu treten.“

Fazit:

Das Buch ist keine leichte Kost. Kann es auch nicht sein, deckt es doch Machtmissbrauch an Kindern auf. Gerne gebe ich diesem wichtigen Buch 5 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Mitterhofer, Annemarie

Wiener Magnolienmord


sehr gut

Der zweite Fall für Anna Bernini, Chefinspektorin in der Wiener Leopoldstadt, führt uns gemeinsam mit der Ermittlerin in das Prater Cottage zu einer Vernissage. Dort fällt ihr ein abgetrennter Kopf vor die Füße. Schnell ist klar, dass es sich um den der Schuldirektorin der benachbarten privaten Magnoliengartenschule, Amelie Meyher, handelt. Der Verdacht fällt recht bald neben anderen Verdächtigen auf Alfons, dem Ex-Ehemann der Schulleiterin. Blöderweise ist der doch der aktuelle Lover der Bernini. Sie gibt die Ermittlungen wegen Befangenheit ab, grübelt aber heimlich über das mögliche Motiv ihres Fonsis nach und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an.

Als dann zwei weitere Frauen, die in Zusammenhang mit der Magnoliengartenschule stehen, sterben, ist guter Rat teuer, zumal Miss Biggy, die IT-Virtuosin der Dienststelle auf Kur weilt.

Meine Meinung:

Anna Bernini ist eine eigenwillige Ermittlerin. Sie hat, wie viele ihrer BerufsgenossInnen schon häufig in die Abgründe der Menschheit gesehen und deswegen so ihre eigenen Probleme. Wegen Alkohol am Steuer des Dienstwagens hat sie ihren Führerschein abgeben müssen und kurvt nun, ebenso waghalsig, mit dem Fahrrad durch die Gegend. Apropos Gegend: Der Krimi führt uns in das Pratercottage, das zwar nicht so bekannt wie jenes in Währing rund um die Sternwartestraße ist, aber nicht minder imposant. Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten reiche Industriellenfamilien zwischen Donaukanal und Prater ihre Jugendstilvillen bzw. Zinshäuser. Teile davon stehen heute noch. Daneben dürfen wir rund um den Karmelitermarkt diverse Lokale aufsuchen. Das erwähnte „Venezia“, eine Pizzeria, auf der Praterstraße, in der ich viele Stunden und Tage verbracht habe, gibt es leider nicht mehr.

Der Kriminalfall ist komplex und man merkt deutlich, dass Miss Biggy fehlt. Sie ist ein Mittelding zwischen „Grauer Eminenz“ und Nerd. Kein Rechner, kein Server ist vor ihr sicher, wenn sie sich (dienstlich natürlich) auf Spurensuche in die Tiefen der Netzwerke begibt. Da kann sich der Jungspund, der nun aushilft noch eine dicke Scheibe abschneiden.

Der Schreibstil ist wie schon im ersten Band „Wiener Rosenmord“ ein wenig anders als bei Krimis üblich. Zeitweise wird in der Ich-Form erzählt und der Leser wird direkt angesprochen.

Fazit:

Wer gerne Wien-Krimis liest, die abseits der Touristenpfade spielen, ist hier genau richtig. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Grabuschnig, Ralf

Unterwegs zwischen Grenzen


gut

Ralf Grabuschnig nimmt seine Leser auf mehrere Reisen mit, auf denen er sprachlichen Minderheiten nachgeht. Dabei trifft er unter anderen auf die Jenischen, die aufgrund ihres fahrenden Lebensstils in der NS-Zeit verfolgt wurden, obwohl sie als Arier klassifiziert worden sind. Die Jenischen werden auch heute noch scheel angesehen und man vermietet ihnen, ähnlich wie den Roma und Sinti auf ihrer Wanderschaft, kaum Plätze, auf denen sie ihre Zusammenkünfte abhalten können.

Eine andere Reise führt ihn nach Bautzen, wo eine sorbische Minderheit lebt. Die Menschen schwanken wie andere Minderheiten zwischen Assimilation und Bewahren der eigenen Wurzeln. Nachdem die Großvätergeneration verfolgt, die der Väter assimiliert hat, besinnen sich die Enkel wieder ihrer slawischen Herkunft. Dazu gibt es zahlreiche Brauchtumsveranstaltungen, die manchmal zum Biertrinken (und Übergenuss) animieren.

Um autochthone Sprachinseln zu entdecken, hätte der Autor gar nicht so weit reisen müssen: Er ist Kärntner, dessen Familie die slowenischen Wurzeln zwar nicht verleugnet, aber als Familiengeheimnis nicht offenbart.

Meine Meinung:

Ich muss zugeben, etwas anderes erwartet zu haben, zumal der Autor viel Wert auf sein Interesse und sein Studium der Geschichte legt. Das Wort „Grenze“ wird außer im Titel nicht allzu oft gebraucht. Dabei gäbe es über Grenzen eine Menge zu sagen: Grundstücksgrenze, Landesgrenze, Staatsgrenze, Grenze des guten Geschmacks, grenzenlos, Schengen-Grenze etc.. Wobei Grenzen hat es schon immer gegeben, einfach um eigenes Territorium von anderem abzugrenzen. Ralf Grabuschnig ist im quasi grenzenlosen Europa aufgewachsen. Die etwas älteren von uns werden sich auf dem Weg in den Urlaub an Kontrollen an den Staatsgrenzen Deutschlands, Österreichs oder Italiens erinnern, die stundenlange Wartezeiten bedeutet haben. Nur „Ausgrenzung“ schwingt immer wieder mit, wenn Ralf Grabuschnig über das Verhältnis Mehrheit/Minderheit schreibt.

Mir ist nicht ganz klar, was der Autor mit seinem Buch sagen will. Dass er Menschen getroffen hat, deren Muttersprache eigentlich eine andere als Deutsch ist? Die sich, um im Alltag keine Nachteile zu haben, seit Jahrhunderten an die Mehrheit angepasst haben? Dass sie ihre Wurzeln verleugnet oder vergessen haben und die (über)nächste Generation sich ihrer Herkunft wieder?

Von Zuwanderern wird erwartet, dass sie rasch die Sprache jenes Landes lernen, in das sie eingewandert sind und ihre Herkunftssprache (und Gebräuche) möglichst unsichtbar machen. Gleichzeitig wird bedauert, dass vor Jahrhunderten Eingewanderte sich nicht auf ihre Wurzel besinnen. Ist es ein scheinbarer oder echter Widerspruch? Oder nur eine Frage der zeitlichen Distanz?

Leider erfahren wir wenig über die Aussiedlergeschichten von jenen Volksgruppen, die unter ihren Herrschern wie z.B. Friedrich II, und/oder Maria Theresia aufgrund ihrer Religion oder wegen anderer politischer Interessen in, wegen Seuchen und Kriegshandlungen, entvölkerten Landstrichen angesiedelt worden sind. Da hätte der Historiker sicherlich einiges erzählen können.

Der Schreibstil ist stellenweise ziemlich flapsig, was gut zu einem Reiseblog passt. Mir persönlich fehlt ein bisschen die wissenschaftliche Aufarbeitung. Immerhin gibt es in Österreich sechs anerkannte autochthone Sprachgruppen, nämlich die kroatische, die slowenische, die ungarische, die tschechische und die slowakische Volksgruppe sowie die Volksgruppe der Roma.

Obwohl der Autor mehrmals betont, wie wichtig ihm Geschichte ist, (er hat ja Geschichte studiert), gibt es kaum wissenschaftliche Analysen oder Statistiken, sondern lediglich Eindrücke eines jungen Reisenden, der (gefühlt) oft aus dem Staunen nicht herauskommt und an den oft bierseligen Festen teilnimmt.

Für jene Leser, die sich bislang weder mit Sprachinseln oder den Jenischen beschäftigt haben, ist dieses leider nur 139 Seiten dünne Buch ein sehr guter Einstieg. Es kann den einen oder anderen neugierig machen, mehr über sprachliche Minderheiten zu erfahren. Da trägt die Form des Reiseblogs mit der Aufzählung der Abenteuer beim Bahnfahren mit der DB bei. Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema muss wohl zu anderen Büchern gegriffen werden.

Fazit:

Abenteuerliche Reisen zwischen den verschwommenen Grenzen von Minderheit und Mehrheit. Gerne gebe ich hier 3 Sterne, da das Buch noch ein wenig Luft nach oben hat.

Bewertung vom 23.07.2023
Pötz, Alois;Dormann, Johann;Pötz, Anni

Gehmütliches Burgenland


ausgezeichnet

Nach den „ge(h)mütlichen Wanderungen in der Steiermark“ entführt uns das Autorentrio, bestehend aus Anni und Alois Pötz sowie Johannes Dormann in Österreichs jüngstes Burgenland, das mitnichten immer nur „brettleben“ ist oder nur aus dem Neusiedlersee zu bestehen scheint.

Wie schon aus den anderen ge(h)mütlichen Wanderführern bekannt, begeben wir uns abseits touristischer Trampelpfade auf vierzig Genusswanderungen. Dabei entdecken wir neben landschaftlichen Kleinoden Interessantes aus Geschichte und Kultur.

Das Burgenland ist ja bekanntlich erst 1921 zu Österreich gekommen und hieß vorher Deutschwest-Ungarn. Der magyarische Einfluss auf Land und Leute ist auch heute noch spürbar.

Geografisch erstreckt sich das Burgenland von Norden nach Süden, was man leider an nicht ganz so tollen öffentlichen Verkehrsmitteln merkt, die eher West-Ost ausgerichtet sind. Aber, wir wollen ja ohnehin das Burgenland erwandern. Um zu manchem interessanten Ort zu gelangen, muss Österreich einmal Richtung Ungarn kurz verlassen und dann wenig später wieder betreten werden.

Die Autoren teilen das Burgenland in drei große Räume ein:

das nördliche Burgenland mit dem Neusiedlersee, der Parndorfer Platte, Teilen der pannonischen Tiefebene und dem Seewinkel
das Mittelburgenland eingebettet zwischen dem Rosaliengebirge, dem Ödenburger und dem Günser Gebirge
das Südburgenland zwischen dem Günser Gebirge, dem Raabtal und der Grenzregion zu Slowenien

Bei der ge(h)mütlichen Runde durch das Burgenland dürfen weder herrschaftlichen Anwesen wie das Schloss Esterhazy in Eisenstadt, die Burg Güssing und die Burg Schlaining oder Burg Forchtenstein noch geschichtsträchtige Orte wie MOgersdorf oder Bildein fehlen, die an die Lage des Burgenlandes an der Grenze zum Eisernen Vorhang erinnern. Nicht vergessen sollte der Hinweis auf den Uhudler und die anderen köstlichen Weinsorten, die im sonnenreichen Burgenland gekeltert werden.

Daneben sind noch die Hochburgen der Sommerfestspiele wie Mörbisch oder St. Margarethen zu nennen und die zahlreichen Künstler, wie Joseph Haydn, Toni Stricker, Franz Liszt und viele andere, die im Burgenland geboren und gewirkt haben.

Ach ja, die höchste Erhebung des Burgenlands ist der Geschriebenstein mit 884m, der tiefste Punkt (Österreichs) liegt in Apetlon mit 114m über Adria.

Zwei kurze Abstecher ins benachbarte Ausland in die beiden Städte Bratislava (einst Pressburg und die Hauptstadt des Königreich Ungarns) und Sopron (Ödenburg), die einst zu Österreich-Ungarn gehörten, seien auch noch empfohlen.

Jede dieser Wanderungen wird gut beschrieben. Details zu Schwierigkeitsgrad, Länge, Höhenunterschied, Gehzeit sowie Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln ergänzen den Kartenausschnitt. Natürlich dürfen kulinarische Tipps und interessante Informationen zu Land und Leuten nicht fehlen.
Fazit:
Auf diesen 40 Wanderungen warten zahlreiche, vielleicht bislang unbekannt gebliebene Kleinode des Burgenlands darauf, von uns entdeckt zu werden. Von mir gibt es dafür 5 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Caspari, Anna-Maria

Perlenbach (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieser zweite Band, der im Dorf Wollseifen und der Stadt Monschau, die wir schon aus „Ginsterhöhe“ kennen, spielt, ist zeitlich die Vorgeschichte dazu.

Wir lernen Luise, Jacob und Wilhelm, drei Kinder unterschiedlicher Herkunft kennen, die alle drei durch den Wunsch aus dem Gefüge der Zeit und dem Ort ausbrechen zu können, verbunden sind. Luise, Tochter eines Arztes, will in seine Fußstapfen treten, was im 19. Jahrhundert Mädchen und Frauen verboten ist. Jacob soll die Fabrik des Vaters übernehmen und Wilhelm, der jüngste Sohn eines Schafbauern soll entweder als Knecht am elterlichen Hof oder im nahe gelegenen Bergwerk arbeiten, denn die Landwirtschaft erbt der älteste Sohn.

Die Jahre vergehen und während Luise mithilfe ihrer Hauslehrerin ihrem Ziel, doch noch Medizin studieren zu dürfen in kleinen Schritten näher kommt, muss Jacob ins Internat nach Aachen und Lehrjahre in der Fabrik eines väterlichen Freundes verbringen. Wilhelm, so scheint es, hat es gut getroffen, denn er wird als Lehrjunge in der Fabrik von Jacobs Vater aufgenommen, wo er so richtig aufblüht.

Doch dann nimmt das Verhängnis seinen Lauf, als ein im Zorn dahin gesagter Satz Wilhelms, beinahe Jacobs Geheimnis aufdeckt ....

Meine Meinung:

Wie schon in „Ginsterhöhe“ ist dieser historische Roman penibel recherchiert und gekonnt erzählt. Die Autorin verquickt Fakten mit Fiktion und zeichnet so ein stimmiges Bild der „guten alten Zeit“, die so gut gar nicht war.

Meistens sind die rigiden Zwänge und Einschränkungen, denen Frauen unterworfen waren Thema historischer Romane. Dass auch Männer unter dem Klüngel der Zeit gelitten haben, wird nicht so häufig dargestellt. Hier erleben wir am Schicksal Wilhelms, wie es kaum möglich ist, die eigene Herkunft hinter sich zu lassen und sich emporzuarbeiten. Doch auch der Fabriksbesitzerssohn Jacob hat es nicht einfach. Zum einen ist er aufgrund eines Unfalls in der Kindheit beeinträchtigt und zum anderen macht er sich wenig aus Frauen.

Im letzten Drittel des Romans begegnen wir dann den italienischen Bauarbeitern, die den Staudamm für das Kraftwerk bauen. Von ihnen ist ja in „Ginsterhöhe“ zu lesen.

Der Schreibstil ist flüssig und der historische Roman gut zu lesen. Wir verfolgen die drei Kinder auf ihren Lebenswegen bis ins hohe Alter. Einzig der Titel gebende Perlenbach kommt für mich zu kurz.

Fazit:

Eine sehr gut gelungene Fortsetzung der unterschiedlichen Lebenswelten am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 23.07.2023
Anour, René

Schattenwalzer / Die Totenärztin Bd.4


ausgezeichnet

Hier ist er nun, der vierte und letzte Band rund um Fanny der Totenärztin Goldmann, der den Lesern ein furioses Finale bietet. Nicht nur, dass ein skrupelloser Mörder in Wien von 1909 sein Unwesen treibt, wird Fannys Zukunft auf den Kopf gestellt.

Fanny und Max wollen heiraten. Während sie eine kleine Feier bevorzugt, schwebt Max ein imposantes gesellschaftliches Ereignis vor.

Doch bevor es dazu kommt, müssen Fanny und ihr Kollege Franz einen Angestellten der englischen Botschaft sezieren. Der Mann, er wurde nackt und in einem Meer von Rosen grotesk aufgebahrt, weist einige alte Spuren von Prügeln auf, die jedoch nicht an dessen Tod Schuld haben. Der Ring, den Franz und Fanny in seinem Magen finden, trägt eine Inschrift, der auf das österreichische Militär hinweist. Es scheint, als wäre der Mann vergiftet worden. Nur womit und von wem? Fanny, deren Lebensmotto ist, den Toten eine Stimme zu geben, hat alle Hände voll zu tun, denn ihr Verlobter Max scheint mit seinen eigenen Agenden beschäftigt zu sein.

Dann verschwindet Fannys Cousin Schlomo, der an Liebeskummer, der von einem geheimnisvollen Rosenkavalier verursacht scheint, leidet. Auf der Suche nach Schlomo und der Todesursache des Engländers bekommt Fanny unerwartete Hilfe von ihrem ärgsten Feind.

Meine Meinung:

Jetzt heißt es Abschied nehmen von Fanny, der Totenärztin, die den Toten eine Stimme geben will.

Autor René Anour zieht wieder alle Register. Geschickt verquickt er die sauber recherchierten Fakten mit einer gehörigen Portion Fiktion. Der kurze Auftritt von Oberst Redl und seinem weinroten Austro-Daimler zu Beginn hat meine Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Wie wir es schon aus den drei Vorgängern gewöhnt sind, benötigt eine Geschichte, die im Fin de Siècle spielt, jede Menge Personal - liebenswürdige genauso wie abstoßende Charaktere. Jeder, selbst der kleinste, ist gut herausgearbeitet. Anhand von Fannys Freundin Tilde, die in ihren letzten Kriminalfall schwer verletzt worden ist, wird gezeigt, dass es nicht auf äußerliche Schönheit ankommt. Während Tilde aus der Katastrophe gereift hervorgeht und selbst der eitle Fatzke Dr. Clemens Valdéry diesmal einen Anflug von Sympathie zeigt, entwickelt Max den einen oder anderen enttäuschenden Charakterzug.

Der Schreibstil ist großartig und die Seiten fliegen nur so dahin. Hin und wieder sind Dialektpassagen eingeflochten, die den Krimi authentisch machen.

Wer sich in die großbürgerliche Welt von Wien um 1900 begeben möchte, ist in dieser historischen Krimi-Reihe bestens aufgehoben. Ich empfehle mit Band zu beginnen, um die Entwicklung, die die Protagonisten durchmachen, genau verfolgen zu können.

Fazit

Mit diesem furiosen vierten Band ist René Anour ein sehr stimmiges, abgerundetes Finale gelungen, dem ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung gebe.