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Xirxe
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Insgesamt 872 Bewertungen
Bewertung vom 20.03.2012
Ruiz Zafón, Carlos

Marina


gut

Dass 'Marina' nach Zafóns eigener Aussage sein persönlichster Roman und eines seiner Lieblingsbücher ist, sagt noch nichts über dessen Qualität aus. Und so manche, die bereits einen oder auch beide der Bestseller 'Der Schatten des Windes' bzw. 'Das Spiel des Engels' gelesen haben, mögen sich von diesem Buch somit wesentlich mehr versprechen. Denn dies hier ist sein erstes Werk als 'Erwachsenenschriftsteller', und man spürt es die ganze Zeit hindurch.
Wie in seinen beiden anderen Romanen ist der Protagonist auf der Suche: Oscar, ein Internatszögling, lernt während einer seiner zahlreichen Spaziergänge durch das alte Barcelona eine junge Frau, Marina, kennen. Sie stoßen auf die Spur einer geheimnisvollen Dame in Schwarz und geraten in eine Geschichte, deren Anfang bereits viele Jahrzehnte zurückliegt, doch noch immer nicht beendet ist. Ein tragisches Liebespaar, der Zusammenbruch eines Wirtschaftsimperiums, mysteriöse Todesfälle, furchterregende Nachtgestalten - Zutaten die auch in Zafóns anderen Büchern nicht fehlen. Doch hier sind die Sätze häufig deutlich kürzer: Subjekt, Verb, Objekt - und der nächste Satz. Es fehlen die mäandernden Satzgebilde, die versuchen das Unbeschreibliche in Worte zu fassen. Die Ansätze sind bereits zu spüren, ebenso die bildhaften Beschreibungen und Vergleiche, die Zafóns andere Publikumserfolge auszeichnen. Auch die Geschichte selbst ist noch nicht so verschachtelt, wie man es gewöhnt ist, driftet dafür aber zusehends ins Horrormäßige statt Übernatürliche ab. Vermutlich nicht so ganz das, was sich erwachsene Lesende von Zafón versprechen.
Dennoch: Es ist spannend, gut geschrieben und sicherlich deutlich besser als vieles, was man als Unterhaltungsliteratur angeboten bekommt. Aber: Nicht zuviel erwarten!

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.03.2012
Marklund, Liza

Weißer Tod / Annika Bengtzon Bd.9


sehr gut

Annika Bengtzon, Journalistin einer großen Boulevardzeitung in Stockholm, kommt als Erste an den Fundort einer jungen toten schönen Frau. Während sie sich bereits mit Recherchen beschäftigt, ob weitere Morde an anderen Frauen eventuell damit in Zusammenhang stehen, erhält sie die Information, dass ihr Exmann Thomas, mit dem sie wieder zusammenlebt, in Kenia bei einer Dienstreise gemeinsam mit einer Delegation entführt wurde. Halenius, der Vorgesetzte Thomas', steht ihr zur Seite und übernimmt die Verhandlungen mit den Geiselnehmern, die ein utopisches Lösegeld fordern.
Suggerieren sowohl der Titel wie auch der Klappentext, dass es sich bei 'Weisser Tod' in erster Linie um den Mord an einer jungen schönen Frau handelt bzw. Annikas Aufenthalt in Afrika zur Rettung ihres Exmannes, steht stattdessen Annikas Erleben des Entführungsfalles im Mittelpunkt. Ihre Bemühungen, das Lösegeld zusammen zu bekommen; ihre Ängste, wie es ohne ihren Exmann weitergehen soll; ihre Versuche, trotz des Chaos' ihren Kindern ein verlässliches Heim zu bieten. Daneben wird in kurzen Abschnitten aus Thomas' Sicht geschildert, was er durchlebt.
Auch wenn sich dies bei weitem nicht so spektakulär anhören mag wie Titel und Klappentext weismachen wollen, ist die Lektüre durchweg spannend. Man fiebert mit Annika, wenn ein neues Video auftaucht oder eine tote Geisel gefunden wird: Wird Thomas überleben? Aber spannend ist es nicht zuletzt auch, weil Marklund sehr nah an der Realität schreibt und viele gesellschaftliche Missstände mit in ihr Buch hineinbringt. Der Kampf der Presse um Schlagzeilen, der oft genug auf Kosten der Wahrheit oder zumindest der Wahrhaftigkeit geht; die Hintergründe, weshalb es immer wieder zu Entführungen kommt in Somalia und Umgebung; welche Leiden die Menschen dort zu durchleben hatten und noch immer haben; wie die westlichen Staaten sich auf Kosten der Ärmsten verbarrikadieren, um ja nichts abgeben zu müssen; das unaufrichtige Verhalten der Politik, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht. Fast ein bisschen zu viel...
Gesellschaftskritisch, spannend, gut geschrieben - eine empfehlenswerte Lektüre.

0 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.03.2012
Moeyaert, Bart

Brüder


sehr gut

Bart Moeyaert, der jüngste von 7 Brüdern, erzählt kurze Geschichten aus seiner Kindheit. Es sind Berichte aus dem Alltag einer Großfamilie, der für die Kinder jedoch voller Abenteuer und Aufregungen steckt. Ein ausserordentlich starkes Unwetter verwandelt sich in einen Kampf ums Überleben; ein unerlaubter Besuch in einem Privatswimmingpool endet in einer Verfolgungsjagd, in der einer der Brüder sich beinahe als Märtyrer opfert; der Kauf eines Bootes weckt 'Großfischjägerphantasien'.
Auffallend ist, dass Namen vermieden werden und die Personen stattdessen mit ihren Eigenschaften bezeichnet werden (der Älteste, der Stillste, der Echteste...). Auch die Erlebnisse selbst handeln mehr von Empfindungen und Gefühlen als von handfesten Beschreibungen, so dass man sich selbst bereits nach kurzem wieder in die Kindheit zurückversetzt fühlt.
Wunderbare Geschichten zum Lachen und ein bisschen Fürchten, zum Schmunzeln und etwas gruseln, die von Peter Sikorski in passender Art und Weise vorgetragen werden.
Doch einen Wermutstropfen gibt es: Lediglich 10 (oder waren es sogar nur 9?) kurze Stücke enthält die CD, gerade mal 51 Minuten - da hätte der Verlag von den rund 40 aus dem Buch ruhig ein paar mehr drauf packen können.

Bewertung vom 10.03.2012
Ebert, Vince

Denken Sie selbst! Sonst tun es andere für Sie


sehr gut

Leider ist der Titel etwas misslungen, da sich nur ca. ein Drittel tatsächlich mit 'Denken' beschäftigt. Die Anregungen zum Betätigen des eigenen Gehirns reichen u.a. vom skeptischen Betrachten von Statistiken ('Nahezu 100% aller Deutschen sind weiblich und kriminell. Das zeigt eine repräsentative Untersuchung in einem Wuppertaler Frauengefängnis.'), dem Hinterfragen von Aussagen beispielsweise aus der esoterischen Ecke ('Wenn Sie das nächste Mal zu einem Wahrsager gehen, und der fragt Sie: "Was führt Sie zu mir?", dann sagen Sie einfach: "Also, wenn Sie das nicht wissen..."') und dem misstrauischen Beäugen scheinbar anspruchsvoller Behauptungen ('Bei der letzten Bundestagswahl haben viele Spitzenpolitiker von einem "Quantensprung in der Arbeitsmarktpolitik" gesprochen... Physikalisch gesehen ist ein Quantensprung allerdings definiert als die "kleinstmögliche Zustandsänderung, meist von einem hohen auf ein niedriges Niveau."').
Daneben bricht Ebert eine Lanze für die Naturwissenschaften, die nach seiner Meinung (wohl nicht ganz zu unrecht) ein Schattendasein in unserer Gesellschaft fristen. Den größten Teil des Buches nehmen jedoch seine Ausführungen über neuropsychologische Erkenntnisse in Anspruch: Sie reichen von der Hirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen über die Aussage 'Weshalb Fernsehen tatsächlich dumm bzw. dement macht' und machen auch vor den neuesten Einsichten in das Verhältnis der Geschlechter nicht halt ('Nüchtern betrachtet ist die romantische Verliebtheit nämlich nichts anderes als eine chemisch induzierte Form von Geisteskrankheit.').
Geschrieben ist es in einem recht witzigem, leicht flapsigem Ton, wobei manche der Gags schon einen ziemlichen Bart haben ('"Press any key", dabei gibt es überhaupt keine Taste auf der "any" steht') bzw. irgendwann platt wirken, wenn beispielsweise zum 5. Mal über Lehrer hergezogen wird.
Alles in allem jedoch ist es eine amüsante Lektüre - und auch wenn man anschließend nicht VIEL mehr denkt: Aber man ist doch um einiges Wissen reicher.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.02.2012
Nesser, Hakan

In Liebe, Agnes


ausgezeichnet

Kein Blut, keine Toten, überwiegend Briefe - und das sollen die Zutaten für einen fesselnden Krimi sein? Ja, das sind sie!
Obwohl so gut wie alles, was einen guten Krimi ausmacht, fehlt, steigt die Spannung spürbar von Seite zu Seite an. Man vermutet, dass mehr hinter dem Ganzen steckt und als man es glaubt zu wissen, wird man wieder eines Besseren belehrt.
An der Beerdigung von Agnes' Ehemann nimmt auch Henny teil, ihre frühere beste Freundin, die sie vor 19 Jahren das letzte Mal sah. Kurz darauf beginnt zwischen den beiden Frauen ein reger Briefwechsel, in dem Henny Agnes bittet, ihren Mann für sie umzubringen. Agnes willigt ein...
Während in den ausgetauschten Briefen langsam der Mordplan Gestalt annimmt, lässt Agnes die Lesenden an ihren Erinnerungen an die gemeinsame Jugend teilhaben. Und nach und nach beginnt man zu ahnen, dass doch nicht alles so eindeutig ist wie es scheint. Oder vielleicht ist es auch ganz ganz anders.
Toll gemacht, nur leider hat man es viel zu schnell gelesen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.02.2012
Boyne, John

Das späte Geständnis des Tristan Sadler


ausgezeichnet

15. September 1919. Tristan Sadler ist auf dem Weg von London nach Norwich, um dort Marian, die Schwester seines besten Freundes zu besuchen. Dieser kam aus dem Krieg nicht zurück und Tristan will ihr nun die Briefe, die sie ihrem Bruder Will geschrieben hat, zurückgeben. Bei ihrem Treffen erzählt er ihr von seiner ersten Begegnung mit Will im Ausbildungslager, dem Übersetzen nach Nordfrankreich und den anschließenden grausamen Kämpfen dort, wo es nur noch ums nackte Überleben ging.
Sadler berichtet abwechselnd in jeweils ca. 50seitigen Kapiteln vom Zusammentreffen mit Marian und seinen Erlebnissen im Krieg. Es ist die Geschichte zweier junger Männer, die in anderen Zeiten vermutlich wesentlich glücklicher verlaufen wäre. Doch in jenen Zeiten ging es nur noch um vermeintliches Heldentum und Mannsein, über die man damals eine deutlich andere Vorstellung hatte als heute.
Es ist ein Buch voll unerwiderter Gefühle und über die Brutalität des Krieges, die letztendlich zu einem entsetzlichen Ende führen.
Boyd schreibt aus der Sicht Tristans voller Emfindsamkeit, jedoch ohne rührselig oder kitschig zu werden. Man leidet und fühlt mit ihm und selbst während des tragischen Endes empfindet man mit dem Erzähler.
Ein Buch das berührt und die Schrecken des Krieges aus einer anderen Sichtweise aufzeigt.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2012
Miéville, China

Un Lon Dun


sehr gut

Zwei Londoner Mädchen gelangen auf mysteriöse Weise in Londons Vis-a-Vis-Stadt: Un Lon Dun. Seltsame Gestalten leben hier, Dinge die in London zum Müll gehörten, sind hier auf wundersame Weise zum Leben erwacht. Während die Beiden noch staunend ihre Umgebung erkunden, erfahren sie, dass diese ungewöhnliche Welt bedroht ist. Doch eines der Mädchen ist die Schwasie, die Auserwählte, die das Unglück abwenden kann – so steht es in dem Buch der Prophezeiungen. Doch dann kommt alles anders als vorhergesagt…
Miéville beschwört eine Welt herauf, die nur so bevölkert ist von utopischen Lebewesen und Gegenständen. Novemberbäume, die für einige Zeit Feuerwerkseffekte konservieren; Schwaflinge, gesprochene Worte die sich materialisieren und nach einiger Zeit wieder verschwinden; Rabjats, gefährliche Mülltonnen-Leibwächter; Fensterspinnen, deren Körper ein Fensterrahmen ist, wo sich dahinter ein oder mehrere Räume verbergen; undundund. Doch während das ‚Inventar’ des Buches wie auch die Sprache (Hut ab vor der Übersetzerin! schlurfraschelpatschte steht bestimmt nicht im Wörterbuch) vor phantastischen Ideen nur so strotzt, ist die dahinterstehende Geschichte nicht ganz so überraschend und ideenreich. Einer Stadt droht der Untergang, ein Mädchen versucht sie mit Hilfe seiner Freunde zu retten, dazu einige Verräter und außerordentliche blauäugige unwissende Mithelfer – fertig ist die Story. Viele Wendungen sind zu vorhersehbar oder einfach unglaubwürdig (Unschirmissimos Lügengeschichte, Mörtels Weigerung den Tatsachen ins Auge zu sehen…) – etwas mehr von dem Einfallsreichtum den die Erschaffung Un Lon Dons erkennen lässt, hätte der Geschichte gut getan. Trotzdem ist es ein schönes Lesevergnügen, der einen anschließend kaputte Regenschirme und kleine leere Milchkartons mit anderen Augen betrachten lässt :-).

Bewertung vom 26.01.2012
Glavinic, Thomas

Die Arbeit der Nacht


weniger gut

Morgens aufzustehen und festzustellen, dass man mutterseelenallein auf der Welt ist - gibt es etwas Furchtbareres? Jonas macht diese Erfahrung und setzt als Erstes alles daran, in irgendeiner Form zu irgendjemandem Kontakt herzustellen. Doch egal, was er auch versucht, es bleibt erfolglos: Telefon, Internet, Funkgeräte - nichts und niemand regt sich. Zu Beginn voller Tatendrang, dieses Unerklärliche zu deuten, entwickelt er nach und nach Verfolgungsängste. Ist da nicht doch jemand oder etwas, was vielleicht auch verantwortlich für all das ist? Und nun auch versucht, sich seiner zu bemächtigen? Er beginnt, seine Umgebung und zuletzt auch sich selbst zu überwachen, jedoch ohne Ergebnis. Doch die Furcht wird immer stärker...
Es ist zwar beängstigend mitzuerleben, wie Jonas langsam aber sicher immer paranoidere Züge entwickelt, doch richtig überzeugend ist es nicht. Nur selten stellt er sich beispielsweise die Frage, wie er sein weiteres Überleben sichern will. Oder hat er daran kein Interesse? Statt dessen beschäftigt er sich weiter mit der Suche nach dem großen Unbekannten durch das Installieren von Überwachungskameras und stürzt sich zudem auf die Wiederherstellung der alten elterlichen Wohnung, die mittlerweile schon vor längerem von Fremden bezogen wurde. Zuflucht in einer vertrauten Vergangenheit?
Einerseits ist die ganze Szenerie sehr realistisch dargestellt, andererseits sind die Handlungen des Protagonisten nur schwer nachvollziehbar. So hört man immer oberflächlicher zu (obwohl Heikko Deutschmann das Ganze gut wiedergibt) und fragt sich immer wieder nur: Wieso? Und ist nicht ganz unglücklich, als das Hörbuch zu Ende geht.

Bewertung vom 25.01.2012
Helgason, Hallgrímur

Eine Frau bei 1000° - Roman. Aus den Memoiren der Herbjörg María Björnsson


sehr gut

Herbjörg, 1929 geboren, todkrank mit einem Laptop und einer Handgranate in einer Garage in Islands Hauptstadt lebend, lässt ihr Leben noch einmal Revue passieren. Während zu Beginn ihre Erinnerungen noch gewöhnungsbedürftig schnell zwischen verschiedenen Jahren und der Gegenwart hin und her springen, liegt der Schwerpunkt nach dem ersten Viertel des Buches auf ihrer Zeit als Jugendliche im II. Weltkrieg. Von ihrer Mutter als Zwölfjährige auf Amrum aus Sicherheitsgründen allein gelassen, schlägt sie sich bis zum Kriegsende alleine durch das kämpfende Europa. Es ist eine grauenvolle Zeit. Und auch danach wird es für Herbjörg kaum leichter.
Obwohl ihr Leben mehr von Entsetzlichkeiten als von schönen Dingen geprägt ist, lässt einen die besondere Sprache Helgasons immer wieder lächeln, aber auch erschreckt innehalten. Er arbeitet viel mit Bildern, die ebenso eingängig wie auch gewöhnungsbedürftig sind. Beispielsweise der Exkurs über die Sprachen der Völker (Deutsch ist ungekünstelt, es wird benutzt wie ein Hammer um Häuser für das Denken zu zimmern. Italienisch macht jeden zu einem Imperator usw.) oder der Vergleich Herbjörgs Krankheit mit dem Vorstoss der deutschen Wehrmacht. Helgason bzw. Herbjörg nimmt kein Blatt vor den Mund und da ihr Leben häufig von brutalem Sex geprägt wurde, fällt auch ihre Sprache öfters entsprechend aus.
Vier Punkte gibt es deshalb, da ich mich mit den zu Beginn vielen Zeitenwechseln schwer tat. Die Kapitel sind meist recht kurz, vielfach sogar nur ein bis zwei Seiten lang - für mich zu wenig um richtig in das Buch 'reinzukommen', was nach dem ersten Viertel jedoch deutlich besser wurde.