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mimitatis_buecherkiste
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Krefeld

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Insgesamt 724 Bewertungen
Bewertung vom 13.08.2021
Mank, Ute

Wildtriebe


ausgezeichnet

Marlies heiratet Konrad und zieht auf den Bethches-Hof, auf dem ihre Schwiegermutter Lisbeth das Sagen hat. Sie gibt ihren Beruf auf, weil das damals so üblich ist, aber Bäuerin werden möchte sie nicht. Sie will mehr vom Leben, aber was, das weiß sie selbst nicht so genau. Sie findet das Hausfrauendasein und die Mutterschaft nicht erfüllend genug und so wird das Zusammenleben auf dem Hof zum ständigen Kampf zwischen den Frauen, ein Kampf um Haushaltsführung, Kindererziehung und andere alltägliche Dinge.

Anfangs erinnern sich beide Frauen an die Vergangenheit, hängen ihren Gedanken nach, resümieren die Geschehnisse. Dann, im Laufe der Geschichte, ist es, als ob alles, was bereits geschehen ist, gerade jetzt stattfindet. Unmerklich rutscht das Leben, das vergangen ist, in das Jetzt, erleben wir das, was den Frauen widerfahren ist, hautnah mit. Dies und der Umstand, dass manche Sätze unbeendet, manche Gedanken, in der Luft hängend, einfach unvollendet belassen werden, macht für mich einen großen Reiz der Erzählung aus. Ein ungewöhnlicher Schreibstil, der für mich aber dennoch alltäglich wirkt. Wie oft fängt man im Kopf einen Satz an, den man nicht zu Ende denkt, der aber gleichwohl Sinn macht? Im Buch fehlt trotzdem kein Wort, versteht man jeden Gedanken und denkt ihn selbst zu Ende; mal so und mal so. Passen tut es immer.

Die (meistens) zwischen den Frauen herrschende Zwietracht, die versteckten und auch offenen Feindseligkeiten, das Unverständnis für die andere, das ist stellenweise schon schwer zu ertragen. Oft hätte ich gerne eine der beiden geschüttelt, sie angeschrien und aufgefordert, es gut sein zu lassen. Auf ihre Art sind beide gleich, wenn auch ihre Erziehung und die Zeit, in der sie groß wurden, es ihnen unmöglich macht, dies zuzugeben; anderen und sich selbst gegenüber. Jede glaubt, nein, jede weiß, dass sie im Recht ist und von außen betrachtet scheint es so. Keine ist bereit, nachzugeben, nicht bereit, der anderen ein Stück entgegenzukommen.

Ich habe beim lesen alle Gefühle durchlebt, ich war ungläubig und wütend, entsetzt und traurig, ich habe aber auch geschmunzelt und gelacht, geweint und den Kopf geschüttelt. Ich hatte Verständnis für beide Frauen und doch waren beide mir so fremd. Zwei Generationen trafen aufeinander und es schien, als gäbe es keine Möglichkeit, diese zu vereinen. Wie die Geschichte letztlich ausging, hat mir sehr gefallen, das Ende war richtig und gut. Zufrieden klappte ich das Buch zu und war begeistert. Von mir gibt es 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 09.08.2021
Imai Messina, Laura

Die Telefonzelle am Ende der Welt


sehr gut

Stell dir vor, es gibt eine Telefonzelle, von der aus du mit einem toten oder vermissten geliebten Menschen Kontakt aufnehmen könntest. Dafür müsstest du den schweren Telefonhörer abnehmen und sprechen. Könntest du dir das vorstellen? So eine Telefonzelle gibt es tatsächlich, sie steht im Garten Bell Gardia am Hang des Kujirayama in Japan. Dort wird das Telefon des Windes von Herrn Sasaki Itaru jedem zur Verfügung gestellt und mit ihm geteilt, der es braucht und nötig hat. Die Autorin hat rund um diesen außergewöhnlichen Ort eine fiktive Geschichte erschaffen, die Geschichte von Yui und Takeshi, die beide geliebte Menschen verloren haben und sich im Garten Bell Gardia das erste Mal begegnen.

„Das ist das Telefon des Windes in erster Linie für mich: eine Metapher dafür, wie kostbar es ist, die Freude ebenso anzunehmen wie den Schmerz. Und dass einem im Leben noch so viel genommen werden kann - ebenso wichtig ist es, sich dem zu öffnen, was es einem geben kann.“ (Eine wichtige Bemerkung, Nachwort der Autorin, Seite 339)

Ich glaube, dass jeder, der bereits einen geliebten Menschen verloren hat, diese Gedanken kennt; ach, könnte ich die Person doch einmal noch sehen, könnte ich nur einmal noch mit ihr sprechen. Ob laut ausgesprochen oder im Kopf, auch ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich das Wort an eine Person richte, die ich verloren habe und die mir wichtig war. Der Einfall mit einem Telefon ist somit gar nicht so falsch und ich denke, dass ein solcher Austausch, mag er noch so einseitig sein, zur Heilung beitragen kann.

Mit der Geschichte selbst bin ich dennoch bis zum Schluss nicht ganz warm geworden, es war für das Buch und mich anscheinend der falsche Zeitpunkt. Es kam mir vor, als bestünde das Buch selbst aus vielen kleinen Geschichten, die letztendlich zu einer großen zusammengefasst wurden. Das fand ich gewöhnungsbedürftig und es hat lange gedauert, bis ich mich an den Schreibstil und die minimalistische Schreibweise gewöhnt hatte. Was mir trotzdem sehr gefallen hat, das waren viele Sätze, die mit chirurgischer Präzision Mitten ins Herz trafen. Sätze, die ich mir laut im Kopf immer wieder vorgelesen habe, die dort von einer Windung in die andere gepurzelt sind und dabei einen Glücksmoment nach dem anderen produziert haben. Die Story selbst plätscherte leider immer mehr vor sich hin, das letzte Drittel flog ein wenig an mir vorbei, echte Gefühle kamen bei mir nicht an, die Figuren blieben blass. Das ist schade, denn den Grundgedanken fand ich berührend und hatte mich sehr auf das Buch gefreut. Von mir gibt es 3,5 Sterne.

Bewertung vom 06.08.2021
Fowler, Therese Anne

Gute Nachbarn


ausgezeichnet

„Der Lärm in seinen Ohren ist der Rhythmus eines Orchesters, das eine schöne, tragische Arie begleitet, das Lied eine Klage darüber, dass es nicht hätte geschehen müssen, und doch ist es geschehen.“ (Seite 338)

Valerie Alston-Holt lebt seit dem Tod ihres Mannes Tom als alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn Xavier, Zay genannt, in einem ruhigen Vorort in North Carolina, einem Bundesstaat im Südosten der USA. Zay ist achtzehn Jahre alt und wird bald auf einem College in San Francisco Musik studieren. Als das Nachbargrundstück verkauft wird, reißen die neuen Besitzer nicht nur das Haus ab, um ein neues und größeres zu bauen, sondern fällen auch alle Bäume. Valerie ist entsetzt, denn Ökologie sowie Forstwirtschaft sind ihre Fachgebiete und ihre Leidenschaft, eine solche Aktion kann und will sie nicht gutheißen.

Brad Whitman zieht mit seiner Frau Julia, der Stieftochter Juniper sowie der gemeinsamen Tochter Lily neben Valerie. Brad gehört die Firma Whitman HLK, Heizung, Lüftung und Klimatisierung, sein Vermögen verdankt er aber einer Erfindung, die er sich patentieren ließ und die er verkaufte. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, kann für Brad nichts gut genug sein. Für die Verwirklichung seiner Vorstellungen und Träume, ist ihm jedes Mittel recht.

Bis hierhin klingt das alles nach einer idyllischen Umgebung, die lediglich dadurch gestört wird, dass zwei Welten aufeinandertreffen, die Mittelschicht und die Oberschicht. Langweilig? Gewürzt wird die Story zusätzlich durch die Tatsache, dass Valerie schwarz ist, die Whitmans aber weiß. Die Vorurteile und der Rassismus, ob unterschwellig oder offen, spielen hier eine große Rolle. Als Juniper und Xavier sich verlieben, führt dies nicht nur zu Unannehmlichkeiten, sondern steuert geradewegs auf eine Katastrophe zu.

Ein namenloser Erzähler führt durch das Buch. Es ist ein Nachbar oder eine Nachbarin, allerdings erfahren wir bis zuletzt nicht, wer es ist. Dies ist auch unwichtig für die Geschichte. Wichtig ist, dass wir durch den Erzähler alle Hintergründe erfahren, wenn auch nur in kleinen Häppchen. Immer wieder werden Dinge aus der Vergangenheit eingestreut, die zum besseren Verständnis führen. Die Story selbst ist anfangs nicht sehr aufregend, aber es ist spannend, zu erfahren, wie und warum die Protagonisten wurden, wie sie sind. Dies erklärt zwar einige Verhaltensweisen, aber entschuldigt noch lange nicht alles. Wie sich die Situation zuspitzt, ist amüsant und locker zu lesen, allerdings ist der Hintergrund ein ernster und sobald man das zwischendurch realisiert, vergeht einem schnell das Lachen. Sexismus, Rassismus, Vorurteile, Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft; all dies und noch viel mehr findet im Buch seinen Platz. Ich habe gelacht, aber auch wie ein Schlosshund geweint, ich war entsetzt und konnte es oft nicht glauben. Ein wichtiges Buch, aktueller denn je, dazu unterhaltsam und mit einer wichtigen Botschaft; Rassismus in jeglicher Form muss bekämpft werden. Es ist noch ein langer Weg, packen wir es an!

Ein großartiger Roman, ein tolles Drama, das von mir 5 Sterne bekommt und natürlich spreche ich eine Leseempfehlung aus.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.08.2021
Castillo, Linda

Dein ist die Lüge / Kate Burkholder Bd.12


sehr gut

Der amische Familienvater Adam Lengacher ist mit seinen drei Kindern auf einer Schlittenfahrt unterwegs, als er ein verunfalltes Fahrzeug und in dessen Nähe eine schwer verletzte Frau findet. Diese bedroht ihn erst mit einer Waffe, um sich dann als Polizistin erkennen zu geben, die ihn bittet, Kate Burkholder zu informieren, die Polizeichefin von Painters Mill, Ohio. Als Kate auf der Farm von Adam ankommt, erkennt sie in der Frau ihre frühere Freundin Gina Colorosa wieder, die sie seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Diese erzählt ihr eine ungeheuerliche Geschichte, allerdings gab es einen Grund für das Zerwürfnis der früheren besten Freundinnen und Kate ist sich nicht sicher, ob Gina die Wahrheit sagt. Ob sie ihr vertrauen kann?

Dies ist der zwölfte Fall für Kate Burkholder und dieser setzt sich von den früheren Fällen ab. Steht in den ersten elf Fällen die amische Gemeinde im Vordergrund, ist es hier Kates Vergangenheit, die sie einholt. Ein wenig brauchte die Story deshalb, um mich zu packen. Erst am Ende des ersten Drittels war ich so im Geschehen drin, dass an eine Lesepause nicht mal zu denken war. Dies liegt hauptsächlich an dem Schreibstil, der mich immer wieder aufs neue begeistert.

Es geht um Freundschaft und Familie, um Lüge und Verrat. Über allem steht die Frage, wie Entscheidungen, die wir im Leben treffen, unser weiteres Leben beeinflussen. Was ist richtig, was ist falsch? Moral, Anstand, Respekt und andere Werte beeinflussen unser Leben. Wir selbst haben es in der Hand, was für ein Mensch wir sein wollen.

Ein Kritikpunkt ist für mich das Cover. Dieses ist zwar wunderbar und passt zur Reihe, allerdings spielt die Geschichte im tiefsten Winter, sodass ich mich damit sehr schwergetan habe, das Bild mit dem Inhalt zu verbinden. Für die Story vergebe ich 4 Sterne.

Bewertung vom 31.07.2021
Zhang, C Pam

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold


ausgezeichnet

Lucy fühlt sich für Sam verantwortlich und obwohl sie nur ein Jahr älter ist, nimmt sie diese Verantwortung als Sams große Schwester sehr ernst. Als der Vater der Kinder stirbt, raffen die beiden ihre kläglichen Habseligkeiten zusammen und reiten mit der Leiche des Vaters auf dem Rücken eines gestohlenen Pferdes los, um einen Ort für das Begräbnis und ein Zuhause für sich zu finden.

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt. Die Flucht der Kinder ist der erste. Der Anfang fiel mir leicht, allerdings flachte die Story zum Ende des ersten Teils etwas ab. Der zweite Teil behandelt die Zeit, als die Familie noch intakt war, als Mutter und Vater lebten, und hier entfaltete das Buch einen Sog, dem ich mich nicht mehr entziehen konnte. Unterbrochen von alten Geschichten, schwankend zwischen Mythos und Wahrheit, flog ich durch die Seiten, gänzlich in einer anderen Welt versunken. Interessant ist, dass die Autorin das Mandarin nicht kennzeichnet oder übersetzt hat. Hier ist der Leser gezwungen, zu raten. Manches erschloss sich mir schnell, manches blieb ein Rätsel. Störend fand ich es nicht. Viel zu schnell folgt der dritte Teil, in dem der tote Vater, an Lucy gerichtet, von seinem Leben erzählt. Er erklärt und rechtfertigt, die Worte sind wie der Wind, der durch die Hügel weht. Teil vier schließt an Teil eins an, wenn auch Jahre später.

Dies ist die Geschichte von zwei Kindern, die auf der Flucht sind und außer einer alten Pistole sowie einem gestohlenen Pferd nur sich selbst haben. Es ist aber noch viel mehr. Die Autorin selbst schreibt, dass es ein Buch ist über Trauer und Verlust, über die Suche nach der eigenen Identität und einem Zuhause. Es ist ein Buch über Einwanderung und Zugehörigkeit, ein Buch darüber, wie es ist, ständig unterwegs zu sein und nicht anzukommen. Es ist ein Western, ein Familienepos, ein Buch über Familie und darüber, was Geschwister füreinander sind. Ein Buch über den Traum vom Reichtum, aber auch über Enttäuschung und Verrat.

Dieses Buch hat mich verzaubert! Die Sprache hat Bilder vor meinem Auge entstehen lassen, die mich in fremde Welten katapultiert und mir eine neue Perspektive auf die amerikanische Geschichte eröffnet haben. Manche Sätze, oft ganze Absätze habe ich mehrfach gelesen, weil ich so fasziniert war von der Art und Weise der Erzählung. Ein tolles Debüt, ein unvergessliches Buch. Bereits jetzt mein Monatshighlight, wenn nicht sogar mein Highlight des Jahres! Von mir gibt es 5 Sterne mit Sternchen. Grandios!

Bewertung vom 29.07.2021
Noort, Saskia

Bonuskind


sehr gut

Die fünfzehnjährige Liesie (kurz: Lies) und ihr jüngerer Bruder Luuk pendeln zwischen ihren Eltern hin und her. Seit ihr Vater Peter mit seiner neuen Lebensgefährtin Laura zusammengezogen ist, herrscht zwischen ihm und seiner Ex-Frau Jet ein regelrechter Krieg, Lies und Luuk stehen zwischen den Fronten. Peter sucht nach einem Grund, seine Ex-Frau als instabil und inkompetent überführen zu können, um das alleinige Sorgerecht zu bekommen. Als Jet eines Morgens nicht nach Hause kommt, sieht er seine Chance, ihre Unfähigkeit als Mutter zu beweisen, weil sie ihre Kinder im Stich gelassen hat. Lies glaubt nicht daran und beginnt nachzuforschen. Als sie verstörende Bilder auf Jets Rechner sowie deren Tagebuch findet, lernt sie neue Seiten ihrer Mutter kennen. Wer ist der Unbekannte, mit dem Jet eine toxische Beziehung hat und warum hat sie ihn verheimlicht?

Der Einstieg ins Buch fiel mir nicht leicht, was an dem Schreibstil lag. Aus der Perspektive von Lies folgte ich der Geschichte und konnte dazwischen die Tagebucheinträge von Jet lesen, die kursiv dargestellt wurden. Lies ist fünfzehn Jahre alt und genauso klingt sie auch. Das war für mich sehr gewöhnungsbedürftig, weil ich damit nicht gerechnet habe, dies hat meinen Lesefluss anfangs erheblich behindert. Die Tagebucheinträge von Jet sind erwachsen und drehen sich überwiegend um ihre Beziehung zu dem unbekannten Mann. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, beschreibt die Treffen und auch den Sex sehr explizit. Je weiter im Buch ich kam, desto mehr war ich fasziniert davon und auch der Wechsel zwischen den Perspektiven machte mir nichts mehr aus; ich hatte mich daran gewöhnt. Die Story nahm ziemlich an Fahrt auf und konnte mich begeistern. Mit diesem Ende habe ich tatsächlich nicht gerechnet, da hat die Autorin mich mehr als überrascht. Von mir gibt es 4 Sterne.

Triggerwarnung: toxische Beziehung, Obsession, sexuelle und emotionale Gewalt, Abhängigkeit.

Bewertung vom 26.07.2021
McLaughlin, Danielle

Dinosaurier auf anderen Planeten


ausgezeichnet

Die irische Autorin Danielle McLaughlin hat mit diesem Buch etliche Preise gewonnen und ich war gespannt, was sich hinter diesem doch sehr ungewöhnlichen Titel verbirgt. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von elf Kurzgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es sind Momentaufnahmen aus dem Leben verschiedener Menschen, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Es gibt keinen richtigen Anfang und auch kein wirkliches Ende, manche Geschichten sind wie ein Gespräch, das, spontan begonnen, unterbrochen wurde, bevor es beendet werden konnte. Nicht immer gibt es eine Auflösung und nicht immer ist klar, wie es weitergeht, aber ich fand es immer spannend, diese kurzen Sequenzen mitzuerleben und wie ein Voyeur zuzuschauen, ohne eingreifen zu können; ohne eingreifen zu müssen. Vieles kann und soll man sich selbst hinzudenken. Das kann frustrierend, aber auch akzeptabel sein. Hier hat die Autorin es wunderbar geschafft, mich zufriedenzustellen.

Was die Menschen gemeinsam haben, ist eine gewisse Ziellosigkeit, ein Verlorensein, das sich durch die Storys zieht. Wie Motten in einem Glas flattern sie hin und her und kommen nicht zum Ziel. Da ist zum Beispiel Janice, die in ihrem Leben feststeckt und sich einredet, dass sie glücklich ist. Die überzeugt davon ist, ihren Mann zur Vernunft gebracht zu haben, indem sie seine Affären toleriert, totgeschwiegen und ausgesessen hat.

„Irgendwie aber hatte sie es durchgestanden, und ihre Ausdauer wurde belohnt. Er war zur Vernunft gekommen, wie sie es schon vorher gewusst hatte…“ (Seite 21)

Es sind Menschen wie du und ich, die teils banale Dinge erleben, die in Situationen kommen, die nichts besonderes sind und doch übt das lesen darüber einen gewissen Reiz aus, weil man selbst froh ist, nicht in dieser Lage zu sein. Es ist quasi der alltägliche Wahnsinn kurz erzählt. Die Autorin schreibt bereits an ihrem ersten Roman und darauf freue ich mich sehr. Für das vorliegende Buch vergebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 24.07.2021
Beckett, Simon

Die Verlorenen / Jonah Colley Bd.1


ausgezeichnet

Zehn Jahre ist es her, dass Jonah Colley etwas von seinem ehemals besten Freund Gavin McKinney gehört hat. Wie aus dem heiteren Himmel ruft Gavin ihn an, klingt verzweifelt, geradezu verängstigt und bittet Jonah um Hilfe. Das Treffen in einem verlassenen Lagerhaus verläuft anders, als geplant. Jonah findet Gavins Leiche sowie drei weitere in Plastikplane eingewickelte Körper. Als er feststellt, dass einer der Körper sich bewegt, versucht er alles, um das Leben der Person zu retten. Da ahnt er noch nicht, dass dies alles mit einem Ereignis von vor zehn Jahren zusammenhängt, dass er bei der Suche nach der Wahrheit an seine Grenzen kommen und nicht nur sein Leben riskieren wird.

Dies ist der Beginn einer Reihe um Jonah Colley, der mir von Anfang an sympathisch war. Ein Typ mit Ecken und Kanten, mit Macken und Fehlern, aber auch einem Herz am rechten Fleck. Neben der Gegenwart werden wir immer wieder zehn Jahre zurückgeworfen in die Zeit, als sein Sohn Theo verschwunden ist. Eine Zeit, in der die Verzweiflung und die Trauer über das Verschwinden des Kindes spürbar sind. Immer wieder verschwimmen die Grenzen, tauchen Hinweise auf, die einen möglichen Zusammenhang zu Theo vermuten lassen. Raffiniert werden Spuren gelegt, atemlos habe ich mitgeraten und mitgefiebert. Die Story war nicht wahnsinnig aufregend oder actionreich, aber dennoch war durchgehend eine Spannung greifbar, die es mir unmöglich gemacht hat, das Buch an die Seite zu legen.

Ein grandioser Reihenstart mit einem Helden, der menschlich und charakterlich nicht angenehmer sein könnte. Auch wenn der Fall in sich abgeschlossen ist, ahnt man am Ende, wie es weitergehen könnte. Ich kann es kaum erwarten und freue mich sehr drauf. So geht Thriller! Von mir gibt es 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 22.07.2021
Meyer, Chris

Der Blutkünstler / Tom-Bachmann-Serie Bd.1


ausgezeichnet

Tom Bachmann, einer der besten Profiler, wird vom BKA angeworben, um einen Serienkiller zu fangen. Der Blutkünstler, wie der Mörder genannt wird, stellt alles bis dahin Gewesene in den Schatten. Nicht nur, dass er seine Opfer quält und foltert, er stellt deren Körper danach zur Schau aus, erstellt grausame und bizarre Kunstwerke. Er steigert sich von Mord zu Mord und die Abstände zwischen den Taten werden immer kürzer. Die neu gegründete Sondereinheit hat alle Hände voll zu tun, da es keinerlei Spuren oder Verdächtigen gibt. Es ist ein Lauf gegen die Zeit.

Vergesst Dexter, vergesst Blake, der Blutkünstler lässt beide wie Chorknaben aussehen. Dieses Buch ist ein Höllenritt, den ich tatsächlich so nicht erwartet habe! Brutal, grausam und ohne Gnade mordet der Serienkiller, in allen Einzelheiten werden die Morde beschrieben, das ist nichts für sensible Leser. Die Story ist rasant, es gibt keine Zeit, um Luft zu holen. Die Spannung ist konstant hoch, es kommt keine Langeweile auf. Die Figuren sind interessant, haben Ecken und Kanten, und insbesondere Tom Bachmann ist ein Charakter, der viele Überraschungen bereit hält. Dessen Hintergrund wird zwischendurch rückblickend enthüllt, allerdings bleibt noch einiges im Dunkeln. Das Finale ist grandios und ich will, nein ich muss unbedingt wissen, wie es weitergeht. Für hartgesottene Thrillerfans ist dieses Buch ein Leckerbissen, für feinfühlige und empfindsame Leser würde ich eher abraten. Von mir gibt es 5 Sterne.

Triggerwarnung: Brutalität, Grausamkeit, Folter, übertriebene Gewaltdarstellung

Bewertung vom 20.07.2021
Carlsson, Christoffer

Unter dem Sturm / Die Halland-Krimis Bd.1


sehr gut

Isak ist sieben Jahre alt, als sein Onkel verhaftet wird. Der fünfundzwanzigjährige Edvard soll seine jüngere Freundin nicht nur ermordet, sondern danach das Haus angezündet haben, um seine Spuren zu verwischen. Er wird in der Nähe des brennenden Hauses verletzt aufgefunden von Vidar, einem jungen Polizisten. Alle Indizien sprechen gegen Edvard, der für seinen Hang zu Gewalt bekannt ist. Für Isak bricht eine Welt zusammen, er fragt sich, ob auch er etwas Böses in sich trägt, wie sein Onkel und davor bereits dessen Vater. Diese Frage begleitet ihn seine ganze Kindheit hindurch. Als sich fast zehn Jahre später die Wege von Vidar und Isak wieder kreuzen, brechen nicht nur alte Wunden wieder auf. Vidar kommen Zweifel am Tathergang und der Schuld von Edvard. Auch Isak kann die Tat nicht vergessen. Beide versuchen, mit der Tragödie abzuschließen, was sich als schwerer erweist, als gedacht.

Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt: November 1994, Herbst 2004 und Sommer 2017. Der Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig; nicht nur gibt es die Perspektiven der zwei Hauptpersonen, des Neffen und des Polizisten, nein, die Geschichte setzt sich aus vielen anderen Fragmenten zusammen; da ein Absatz über den ein oder anderen Bewohner des Dorfes , da einer über eine alte Sage, da ein paar Worte zum Land, hier ein Satz zum Wetter. Dies ist mal mehr, mal weniger zusammenhängend, aber immer passend. Irgendwie.

„Dörfer haben ihre Erinnerungen. Sie haben Lebensschicksale und Todesfälle. Viele sind miteinander verflochten. Vidar ist zwei Jahre älter als Edvard Christensson. Er erinnert sich an ihn als wild, aber klug. Er kann ihn vor sich sehen, den Jungen auf dem Schulhof, mit kurzem braunem Haar und einem schwer zu deutenden Funkeln in den Augen.“ (Seite 88)

Von hier nach da, von dort nach hier, so hangelt der Autor sich über die Jahre. Das ist anfangs reizvoll und erfrischend anders, wie ein Puzzle, dessen Teile einfach nicht zusammenpassen wollen, obwohl man weiß ist, dass das finale Bild unumgänglich ist. Ich bin begeistert und kann das Buch im Mittelteil einfach nicht weglegen. Leider ist das aber auch der Grund, warum der Geschichte im letzten Drittel ein wenig die Luft ausgeht. Zu viele Nebenschauplätze tun sich auf, zu verworren ist stellenweise die Erzählung. Letztendlich fügt sich das Bild zwar zusammen, aber ich bin merkwürdig abgelenkt und nicht immer bei der Sache geblieben. Schade. Hier hätte ich mir mehr Struktur und weniger Abschweifungen gewünscht. So bleibt es aber dennoch ein außergewöhnlicher Kriminalroman mit einer ungewöhnlichen Schreibweise, der unterhält und auch nachwirkt. Von mir gibt es 4 Sterne und eine Leseempfehlung.