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Juti
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Insgesamt 737 Bewertungen
Bewertung vom 22.05.2018
Baldwin, James

Von dieser Welt


ausgezeichnet

Über Religion und Sexualität

„Alle hatten immer gesagt, John werde später mal Prediger, genau wie sein Vater.“ Mit diesem in der Tat eindrucksvollen Satz beginnt der Roman. Und der Leser fragt sich, was passiert, dass John nun doch kein Prediger wird.

Dieses Buch lebt von der Spannung, die ich nicht verraten will. So hatte ich, wie wohl alle Leser fast 200 Seiten das Gefühl, Deborah hieße seine Mutter, obwohl sie kinderlos blieb, wie das biblische Vorbild übrigens auch. Dann erfährt man von einem Seitensprung des Vaters Gabriel. Aber der daraus gezeugte Sohn wurde getötet, kann also auch nicht John sein. Erst Elisabeth (wer zum Teufel ist das denn? In der Bibel übrigens die „alte“ Mutter von Johannes d. Täufer) bringt Klarheit.
Plausibel ist das alles schon, auch wenn die kinderlose Deborah Gabriel auf seinen Seitensprung hätte ansprechen müssen und es unklar bleibt, wieso Elisabeth ihrem Geliebten nichts von ihrer Schwangerschaft erzählt hat.
Der Schluss nimmt wieder Bezug auf verschiedene Bibelstellen und ist in der Tat mühsam. Zum Glück hat Philipp Tingler auf die Homosexualität Baldwins hingewiesen, die den Schluss verständlicher macht.

Zweites Thema ist in der Tat der Rassenkonflikt. Am Anfang des Buches – eigentlich wird ja nur Johns 14. Geburtstag geschildert (und seine Probleme ins Kino zu gehen haben mit dem Gefühl der Sünde zu tun) – bekommen wir mit, wie Roy, Johns Bruder ein Messer ins Gesicht bekommt. Noch bewegender fand ich aber die sinnlose Festnahme und Haftmisshandlung von Richard, Elisabeths Freund. Leider ist mir nicht klar, wieso er sich nach der Entlassung noch das Leben nimmt.

Alles in allem reichen die kleinen Mängel nicht aus, dem Buch 5 Sterne zu verweigern. Vielleicht habe ich heute einen guten Tag.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.05.2018
Geisenhanslüke, Achim

Dummheit und Witz


gut

Der Titel des Buches hat mich verführt. Geschrieben von einem Literaturwissenschaftler ist dieses Buch zu hoch für mich. Einzig im Kapitel über Hebel habe ich länger gelesen, da die Kalendergeschichten Hebels noch kurz nachzulesen sind. In anderen Teilen des Buches hätte ganze Romane lesen müssen (Th. Mann Dr. Faustus zum Beispiel). Dazu fehlt mir das Germanistik-Studium. Was ich behalten habe, dass man zwischen Dummheit und Einfalt unterscheidet und dass aus Dummheit Witz entstehen kann wie bei Hebels „Kannitverstaan“.

Bewertung vom 22.05.2018
Fallada, Hans

Kleiner Mann - was nun?


ausgezeichnet

Ich habe mit der jetzigen Orginalausgabe zum ersten Mal den Roman gelesen. Und vieles aus dem heutigen Arbeitsleben wiederentdeckt. Mag sein, dass der Unterschied zwischen Arbeiter und Ange­stellten heute nicht mehr so groß ist, aber Solidarität unter den Arbeitnehmern- wo gibt es sie noch?
Nein, als der Junge in Ducherow entlassen wird, war da nicht klar, dass seine Kollegen nicht kündigen würde. Auch als er in Berlin noch die Verkaufsquoten erfüllen will und darum betet, ein Schauspieler kommt und sich Waren für 1.000 Mark zeigen lässt, dann aber nichts kauft. Erinnert das nicht an die Internetgeneration, die im Geschäft sich Waren ansieht und dann im Internet kauft.
Wohlgemerkt 1931 ist das Buch erschienen.
Groß, sehr groß ist auch die Liebesgeschichte zwischen Lämmchen und dem Jungen. Es kann dir noch so schlecht gehen, wenn du einen Menschen kennst, der zu Dir hält.
Auch die Nackterzählung mit Herrn Heilbutt und der Ausflug ins Berliner Nachtleben lassen nichts zu wünschen übrig.
Den Anhang habe ich vor der Lektüre des Romans mit Interesse gelesen. Klingt plausibel. Bestnote.

Bewertung vom 17.05.2018
Camus, Albert

Die Pest


gut

Klassiker, der depressiv macht

Klar, ich denke beim Lesen des Romans an den Ebola-Ausbruch in Afrika. Und sicher ist der Ausbruch einer Epidemie eine Sondersituation für alle Bewohner dieser Stadt, hier Oran.
Man merkt dem Autor sein Hang zur Absurdität an. Der Roman wurde sehr gut auf Wikipedia interpretiert. Ich bewundere die Darstellung der Figuren, fand den Roman aber so deprimierend, dass ich ihn am liebsten weggelegt hätte. Daher 3 Sterne.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.05.2018
Pfaller, Robert

Erwachsenensprache


sehr gut

Gegen Höflichkeit, Neoliberalismus und Rechtspopulismus

Was bleibt eigentlich dann noch übrig? Aber von vorne.
Der Autor kritisiert die wachsende Ungleichheit, geschaffen durch den Neoliberalismus. Auch die amerikanische Außenpolitik hat in den letzten Jahren keine Frieden gebracht, sondern nur „failed states“. Mit Hilary Clinton als Präsidentin wäre es wohl so weiter gegangen. Anstatt für mehr Gleichheit zu sorgen werden nur Randgruppen wie Homo– und Transsexuelle gleichberechtigt.

Besonders missfällt dem Autor, dass anstatt die Lebensbedingung nur die Sprache verändert wird. Man kommt vom Binnen-I zum * um alle Geschlechter zu berücksichtigen, Wörter wie Negerkönig und Flüchtling werden politisch inkorrekt. Gremien zur Gleichberechtigung schaf­fen nur neue Verwaltungsstellen, für Arbeit in der Forschung fehlen dann diese vorwiegend Frauen. Die Diskussion um die Sprache erschwert auch die inhaltliche Debatte, etwa wie die Missstände des Neoliberalismus beseitigt werden können. Bei den Sozialdemokraten beispielsweise führt dies zu einer europaweiten Krise.

Er schreibt von einem Studenten in Amerika, der der Vergewaltigung verdächtigt wurde, freigesprochen, aber dessen bürgerliche Existens dennoch zerstört wurde. Wie schon bei TTIP, so auch gegen Sex, übernehmen nun auch linksliberale Gruppen rechte Ideen. Damit erklärt er, warum die Amerikaner Trump gewählt habe. Dass Trump gewählt wurde, wusste er schon vor der Wahl, was mich heute ein wenig ärgert (er hätte das Buch vor der Wahl veröffentlichen sollen).

Nach diesen 2 Kapiteln folgt ein theoretischer Teil, der in den Zeitungskritiken fehlt. Vielleicht haben ihn die Journalisten nicht verstanden. Pfaller bezeichnet Lügen aus Höflichkeit im Sinne Kants als weiße Lügen, weil sie niemanden schaden. Er meint, dass diese zunehmen, während schwarze Wahrheiten niemanden überzeugen. Zur schwarzen Wahrheit gehört auch der schwarze Humor, der ganz der political correctness widerspricht. Am Besten gefällt mir das Beispiel des zu Tode Verurteilten, der am Montag gehängt wird und sagt: „Die Woche fängt ja gut an.“
Gut, Pfaller ist Österreicher. Aber ich glaube, dass das Scheitern der FDP bei der Wahl 2013 an der 5%-Hürde zum großen Teil auf die Satire der Heute-Show zurückzuführen ist. Die Bedeutung des schwarzen Humors, also der Satire nimmt in der politischen Diskussion nicht ab, sondern zu.

Im nächsten Kapitel schreibt Pfaller, dass neben der Kultur der Ehre und der Kultur der Würde nun auch eine Kultur des Opfers entstanden ist. Diese Opfer suchen die Öffentlichkeit, um ihre Missstände zu präsentieren aus denen Ressentiements entstehen, da andere für die Missstände verantwortlich sind. Er unterscheidet zwischen Aberglaube, Bekenntnis und Paranoia und zitiert viel Freud, der mich mit seinem „Über-Ich“ schon immer langweilte.

Danach werden die Kapitel kürzer und praktischer. Pfaller beschwert sich über Wörter wie „Teamfähigkeit“, „Raumpflegerin“ und der Suche nach Identität. Er rät zum überschreiten von Prinzipien. Auch versteht er nicht, dass Frauen sich darüber beschweren, wenn Männer ihnen die Welt erklären. Und zum Schluss landen wir noch in der Religion, wobei er sogar Konfession meint.

Es kommt bei einem Sachbuch nicht darauf an, ob man dem Autor immer zustimmt. Es muss neue Erkenntnisse liefern. Das zeigt schon meine lange Zusammenfassung. Ein Stern ziehe ich dennoch ab, weil der Teil über Trump besserwisserisch, der Teil über Religion unnötig und der Identitätsteil langatmig ist. 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.05.2018
Kermani, Navid

Entlang den Gräben


sehr gut

Mit Gerd Ruge durch Osteuropa

Ach, ist ja gar nicht Gerd Ruge (der im Sommer 90 wird), ist Navid Kermani.
Aber irgendwie hatte ich das Gefühl mit Gerd Ruge zu verreisen. Immer wieder tauchen neue, interessante Gesprächspartner auf und zu jeder neuen Stadt oder mindestens zu jedem Land wird mit der historischen Entwicklung eingeführt. Außerdem zitiert der Autor gerne aus seiner Reiseliteratur, also von Schriftstellern des jeweiligen Landes. Ja, ich habe in diesem Buch viel Neues erfahren, ich habe aber auch für die etwa 430 Seiten relativ lang gebraucht.

Es ist schon ein Kreuz mit Navid Kermani. Von seinem Buch „Ungläubiges Staunen“ war ich begeistert, daraufhin wollte ich seinen Roman „Dein Name“ lesen. Es war so langatmig, dass ich ihn nicht zu Ende geschafft habe. Kermani sollte sich auf Sachbücher beschränken.

Dieses Buch gehört zu seinen Besseren, auch wenn es kleinere, im Grunde genommen unverständliche Mängel hat. So verstehe ich nicht, wieso im Inhaltsverzeichnis am Buchanfang die Namen der Orte des jeweiligen Tages stehen, während sie bei den Kapitelüberschriften fehlen.
Auch finde ich schade, dass der Eindruck einer großen Reise vermittelt wird, währen der Autor, wir wir im Dank und auch versteckt im Text mehrfach gereist ist. Leicht hätte es doch unterschiedliche Kapitel geben können. Offensichtlich wollte der Autor unbedingt ein zeitloses Reisetagebuch schreiben. 4 Sterne.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2018
Fricke, Lucy

Töchter


ausgezeichnet

Satire mit politischem Hintergrund

Also diese Frau Fricke schreibt im Epilog so schön über die Gentifizierung in Berlin, dass man sich wünschte, es ginge so weiter. Die Geschichte biegt aber ab, zu zwei Frauen, die den Vater von Martha in die Schweiz nach Chur (nicht Zürich, Herr Scheck) zum Sterben bringen wollen.

Natürlich geht auch das schief, aber wieviel darf man verraten?
Also, wir landen schließlich auf einer fiktiven griechischen Insel, wo in netten Randbemerkungen auch das Thema Griechenland und EU besprochen wird, wo sich schließlich alle wiedersehen und die absurde Geschichte ihr Ende nimmt, das aber plausibel klingt. Nur das Auto steht zu Schrott gefahren weiter in Italien.

Ich habe das Buch gerne gelesen, weil es doch mehrere überraschende Wendungen hat und weil immer wieder kurzer, knackiger Humor auftaucht. 5 Sterne.

Bewertung vom 01.05.2018
Weidermann, Volker

Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen


gut

Ein Literaturkritiker schreibt über eine Revolution der Dichter

Wer kennt heute noch Kurt Eisner und Ernst Toller? Eisner rief nach dem Ersten Weltkrieg den Freistaat Baiern aus (bewusst mit i, da etwas neues beginnt, nachdem die Wittelsbacher das Land verlassen haben). Er stand der Regierung vor, obwohl seine Partei, die USPD nur 2,5% bei den späteren Wahlen bekommen hatte. Als er sich endlich zum Rücktritt entschlossen hatte, wurde er von einem Anhänger der Thule-Gesellschaft, aus der später die Nazis entstanden, erschossen.
Toller übernahm, ja man könnte sagen die Macht ist ihm zugeflogen und er gründete die Münchner Räterepublik, die aber auch nur 4 Monate hielt, eben die Zeit der Träumer. Träumen konnten aber nicht alle, die Versorgung mit Lebensmittel wurden allmählich knapp. Als Freikorps aus Preußen und Bamberg die Stadt befreiten, wurden sie triumphal empfangen.

Ein spannendes, mir vorher unbekanntes Thema, das der Autor immer wieder mit Zitaten von Schriftstellern jener Zeit vertieft. Ich stimme auch meinem Vorgänger zu:
Thomas Mann kommt nicht gut weg.

Abzüge in der Note muss ich dennoch vornehmen: Wiedemann ist offenbar nicht klar, dass er ein Sachbuch geschrieben hat. Für ein Sachbuch hätte ich mir ein Inhaltsverzeichnis gewünscht, also kein Buch, bei dem das 1.Kapitel auf Seite 133 endet. Weiter fehlt ein Personenregister, was bei der Vielzahl der genannten Dichter unerlässlich ist. Außerdem habe ich zwei oder drei Sätze auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstanden (sollte ich das Buch nochmal lesen, streiche ich sie an).

Ein Buch, das die politischen Ereignisse schildert und dann in einem neuen Kapitel die Reaktionen der Dichter anfügt, hätte ich gerne gelesen. So kann ich leider nur 3 Sterne vergeben.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2018
Hartmann, Kathrin

Die grüne Lüge


ausgezeichnet

Glaube keinem Label mehr!

Wussten wir nicht schon, dass unsere Kleidung in Bangladesch produziert wird und umweltschädlich ist? Ja, aber dafür gibt es doch Organisationen, die sich für nachhaltige Produktion und Arbeitnehmerrechte einsetzen. Denkste! Die Autorin weist nach, dass die politische Einflussnahme sich im Wesentlichen auf freiwillige Selbstkontrolle der Industrie beschränkt, die so gut wie gar nichts bewirkt.

Was für Kleidung gilt, zeigt sich ebenso beim Erdöl, wo BP Bilder einer Ölpest nur dank umstrittener Chemie verhindern konnte, die aber noch viel schlimmere Folgen hatte.
Von der Industrie als nachhaltig bezeichnetes Palmöl zerstört die Regenwälder auf Borneo und Sumatra, während die Wälder Brasiliens dem Sojaanbau für die Rindfleischproduktion weichem müssen.

Das Buch fängt mühsam an mit einer Maschine für Smoothies, was dann auf den teuren Kapselkaffeeautomaten der Firma Nestlé übertragen wird, der zudem noch überaus viel Müll produziert.
Es kritisiert auch, dass moderne Grünwähler vor allem an technische Veränderungen beim Umweltschutz glauben und Verhaltensänderungen weniger erwägen. So fliegen gerade Wähler der Grünen besonders viel.

Erst im letzten Kapitel wird Hoffnung auf Besserung gemacht, in dem beschrieben wird, dass die Klage eines peruanischen Bauern gegen RWE vor einem deutschen Gericht zugelassen wurde, weil er unter den Folgen des von RWE mit zu verantwortenden Klimawandel leidet.

Das Buch ist aus den Filmarbeiten zu „The green Lie“ entstanden, ein Film den ich gern sehen würde, der aber hier momentan nicht in den Kinos läuft.
5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.