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Juti
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Insgesamt 737 Bewertungen
Bewertung vom 31.08.2018
Modick, Klaus

Keyserlings Geheimnis


ausgezeichnet

Ein Roman zu einem Bild

Ähnlich wie beim letzten Buch des Autors „Konzert ohne Dichter“ steht ein Bild im Mittelpunkt. Damals fehlte Rilke in der Künstlerkolonie Worpswede. Jetzt hängt ein Bild des Schriftsteller Keyserling in der Münchener Pinakothek.

Wie mag Modick auf die Idee gekommen sein, dieses Buch zu schreiben? Er selbst sagt, er wäre vor etwa zehn Jahren auf das Werk Keyserlings, den besseren Fontane, gestoßen und hätte dann in der Recherche das Bild entdeckt. Umgekehrt wäre es auch denkbar gewesen. Wieso wird so ein hässlicher Mensch porträtiert?
Genau das ist eine Frage dieses Romans. Die Antwort: Weil eine Frau ihre Finger im Spiel hatte.

Die zweite Frage des Romans: Wer war Keyserling? Diese Antwort lässt sich nicht in einem Satz geben. Er stammt vom deutschsprachigen baltischen Adel ab, der im russischen Zarenreich lebte (und mit der russischen Revolution unterging). Doch während seiner Studentenzeit ereignete sich an der Universität Dorpat ein Vorfall, weswegen er seine baltische Heimat verlassen musste und in Wien zum Schriftsteller wurde. Offiziell soll er Geld aus der Verbindungskasse entwendet und dann wieder hinzugefügt haben. Modick reicht das als Grund für eine Flucht nicht. Er gibt die Antwort: Weil eine Frau ihre Finger im Spiel hatte.

Dieses Buch ist der beste Roman, den ich in diesem Sommer von einem deutschen Autor gelesen habe. 5 Sterne. Und Keyserling wird so sympatisch, dass ich auch sein Werk zumindest teilweise lesen will.

Lieblingszitat: Frauen sind große Künstler. Leider sind ihre Werke vergänglich. (S.180)

Bewertung vom 29.08.2018
Precht, Richard David

Jäger, Hirten, Kritiker


sehr gut

Visionen eines politischen Philosophen

Dieses Buch lebt von der Weisheit des Autors, der als Philosoph auch viele klassische Werke kennt. Der Titel stammt von Marx, der den Menschen wünscht, das zu tun, was er will, also morgens jagen, mittags fischen, nach dem Essen kritisieren und abends Viehzucht betreiben (vgl. S.8). Besonders im Mittelteil war dieses Werk für mich fast eine Sammlung von Aphorismen.

Mich stört an diesem Sachbuch, dass der Autor vor allem im ersten Teil ein Science-Fiction Version des Jahres 2040 entwirft und dabei Rückblicke ins Jahr 2018 einblendet, also vor allem S.59-82. Gut wiederum, dass er auch auf die wenig zukunftsweisenden Ideen des neue Nationalismus eingeht.

Inhaltlich muss man dem Buch nicht immer zustimmen, aber das Versprechen, dass die Digitalisierung unser Leben demokratischer und einfacher mache, muss wirklich mit einer klugen Politik umgesetzt werden, was auch ich heute nicht erkennen kann.

Ein Schwerpunkt bildet seine Forderung nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen. (BGE). Er schreibt selbst, dass vorher das Steuersystem umgebaut werden müsse. Ich meine, dass selbst wenn erste Versuche des BGE in Finnland und anderswo nicht fortgesetzt werden, so fragt ich mich doch, warum man nicht beginnt Maschinen zu besteuern. Woran scheitert die Finanztransaktionssteuer? Und wie die Mehreinnahmen dann investiert werden, ist eine zweite Frage.

Der Autor befasst sich zurecht mit dem Thema, was der Mensch in seiner Freizeit macht, wenn er weniger arbeitet. Technologie, die das Kochen erspart, ist nicht sinnvoll, wenn Kochen ein Hobby ist. Ich verweise auf mein Lieblingszitat (S.157f). Unser Bildung sollte als Ziel haben, das Glück aller Menschen zu maximieren und nicht die Gewinne weniger. Precht freut sich, wenn nicht alles nach Plan verläuft, denn nur so entstehen Geschichten. Er selbst sammelt alte Bücher, die er gerne in Antiquariaten aufstöbert. Wenn es diese direkt im Internet gibt, dann ist sein Hobby sinnlos. Die Aufteilung der Welt nach Problem und Lösung ist nicht immer zielführend.

Precht fürchte die Technokratie, die Diktatur von GAFA (google, apple, facebook, amazon). Er wundert sich darüber wie bereitwillig Internetnutzer ihre Daten preisgeben und begrüßt die neue Datenschutzverordnung. Nur die Großen können Daten sammeln, die ebenfalls nur an Große verkauft werden.

Seine Utopien mit selbstfahrende Autos im Verkehr und Robotern im Gesundheitswesen habe wieder weit weniger gern gelesen, weil der Autor frei entscheiden kann, welche Probleme er sich aussucht. Kommt es zu ethischen Fragen, sollte die Politik deren Programmierung verbieten.

Drei Krise sieht Precht für die Zukunft: die Konsumkrise (Geld wird nur verlagert), die „Hatari-Krise“ (der Mensch wird nur noch als Konsument gesehen) und die ökologische Krise. Er fordert eine Bereitstellung digitaler Infrastruktur durch den Staat. Er will Optimismus verbreiten denn und das ist der letzte Satz: „Pessimismus ist keine Lösung.“

Ein Sachbuch muss nach neue Inhalt bewertet werden, das ist gegeben. Ein Stern ziehe ich dennoch ab, wegen des Science-Fiction Stils und nicht weil ich manchmal anderer Meinung bin. 4 Sterne.

Lieblingszitat: "Ich tue etwas, was ich gerne tue. Eine solche „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ erachtete Kant […] als das Wesen der Kunst. […] Ständig das Nützliche zu tun charakterisiert dagegen die niederen Tiere" (S.157f)

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2018
Murakami, Haruki

Eine Metapher wandelt sich / Die Ermordung des Commendatore Bd.2


weniger gut

Heilige Jungfrau Maria, bitte für uns!

Bitte für gute Bücher. Und schenke Herrn Murakami mal ein Thema über das er ein Buch schreiben kann.

Auf diese Einleitung komme ich, weil doch tatsächlich Yuzu im Traum schwanger geworden sein könnte. Dann die Unterwelterlebnisse des Ich-Erzählers, die uns zweimal erzählt werden. Einmal als Erlebnisse, das andere mal, als der Ich-Erzähler seine Geschichte Marie berichtet.
Apropo Marie. Gefühlt auf jeder zweiten Seite wird das Wachstum ihres Busens behandelt.
Menshiki benimmt sich, wie ein Neureicher und unser Pumuckl (s. Band 1) wird nur noch Nebendarsteller mit einem traurigen Ende.

Nach 200 Seiten wollte ich dieses Buch weglegen. Da ich aber schon soviel gelesen hatte, überflog ich den Rest. Es wird immerhin auserzählt. 2 Sterne. Band 3 (sollte es ihn geben) lese ich nicht.

Bewertung vom 20.08.2018
Ruiz Zafón, Carlos

Der Schatten des Windes / Barcelona Bd.1


ausgezeichnet

Spannung, Erotik, Witz, Trauer – alles dabei!

Dieser Roman erzählt die Geschichte des Jungen Daniel, der das Buch eines Julian Carax liest und mehr über den Autor erfahren will.
Mir gefällt wie mit dem wachsendem Alter die Spannung zunimmt und mehr und mehr die dunkle Seite des Franco-Regimes zum Vorschein kommt. Denn in einem Nobel-Internat bildet sich eine Clique, die scheinbar nicht auseinander zu reißen ist. Aber dann kommt die Liebe zu einem Mädchen Penelope, dass Javier Fumero auf seinen Mitschüler Julian schießen lässt.
Wie dieser Fumero über eine Jugendbesserungsanstalt zum Polizeichef von Barcelona aufsteigen kann, ist das einzige, was mir wenig glaubhaft erscheint, aber vielleicht war das im Spanischen Bürgerkrieg sogar möglich.

Julian und Penelope wollen nach Paris fliehen, aber Penelope kommt dort nie an. Den Grund darf ich hier nicht verraten. Aber verraten darf ich schon, dass alles aufgeklärt wird, dass es Rückblenden gibt, in denen mitunter zu viel erzählt wird, nämlich auch Dinge, die die Person nur von anderen Personen wissen kann.
Selbst der Spuk in der Aldaya-Villa wird plausibel.

Im Buch gibt es eine Menge Aphorismen. Und die Geschichte wird bis zum Ende erzählt, was ich dieses Jahr bisher nur selten erlebt habe. Gut, das Buch ist schon älter. Ich werde die nächsten Bände der Barcelona-Romane wohl auch noch lesen. 5 Sterne.

Bewertung vom 15.08.2018
Murakami, Haruki

Eine Idee erscheint / Die Ermordung des Commendatore Bd.1


sehr gut

Meister Eder und sein Pumuckl

Und ein bisschen Shades of Grey ist auch noch drin.
Der Reihe nach: Unser malender Ich-Erzähler ist nach gescheiterte Ehe auf Sinnsuche. Er bekommt das Angebot das Haus eines Freundes zu nutzen, das nach dem Tod seines ebenfalls malenden Vaters leer stand. Im Haus befindet sich noch ein Bild des Vaters auf dem Dachboden mit dem Titel „Die Ermordung des Commendatore“.
Unser Ich-Erzähler bekommt den Auftrag Herrn Menshiki zu porträtieren, der so reich ist, dass sein Haus und sein Verhalten an Shades of Grey erinnert. Überhaupt wird in diesem Buch an vieles erinnert, so dass wir nach und nach das gesamte Leben des Ich-Erzählers kennen. Nur gibt es im Gegensatz zu Shades of Grey nur Blümchensex mit kleinen Brüsten.

Als man denkt, es ist alles erzählt, läutet es auf einmal. Mit Menshikis Hilfe taucht auf einmal der Pumuckl auf, der hier natürlich Commendatore heißt und nur vom Ich-Erzähler gesehen werden kann, den ich Meister Eder nenne, da er ohnehin keine Namen hat.

Der Autor hat Ähnlichkeit mit Peter Handke, wobei Handkes Übrigens-Kultur hier nicht ganz so ausgeprägt ist. Noch 4 Sterne, weil ich den zweiten Teil doch noch lesen will, aber fürchte, dass er schlechter sein könnte.

Bewertung vom 13.08.2018
Gysi, Gregor

Ein Leben ist zu wenig


ausgezeichnet

Lustig ist das Rechtsanwaltleben

Wer hat schon eine Literaturnobelpreisträgerin in seiner Familie? Gregor Gysi hat die Tante Doris Lessing. Deswegen beginnt seine Autobiographie erst mit einem Kapitel über die Familie seiner Mutter, dann ein Kapitel über die Familie seines Vaters. Ausführlich geht es auch durch seinen Kindheit, in der er z.B. mal ein halbes Jahr im Krankenhaus gelegen hat. In der Schulzeit wird es dann langsam politisch. Der Mauerbau verhinderte seine Besuche in Westberlin (diese Schreibweise hält er konsequent durch).

Witzig ist Gysi schon, scharfsinnig seine Argumentation, ob vor Gericht bei der Wahl 1990, wo es um die 5%-Hürde geht, oder in Nordkorea, wo er erklärt, dass die Volksarmee der Bundeswehr zwar überlegen gewesen wäre, aber nicht am ersten Kaufhaus vorbeigekommen wäre. Witzig ist auch, dass bei Jauch mal kurzfristig das Thema und die Gäste gewechselt wurde, nur Gysi blieb, da man mit ihm über alles reden kann.

Informativ ist das Buch auch. Wir erleben die Wende aus der Sicht der DDR-Oberschicht, Probleme beim Wandel der SED zur PDS, ihre Erfolge und auch Misserfolge, Gysis Rücktritt als Minister in Berlin. Auch die Entstehung der Linkspartei wird beschrieben. Hier kommen wohl wegen des fehlenden zeitlichen Abstands erstmals wirkliche persönliche Streitigkeiten vor, etwa mit Lafontaine.
Frühere Konflikte, sogar der Hungerstreik wegen einer notwendigen Millionenzahlung der PDS an die Treuhand, werden stets im lustigen Ton behandelt.

Beim Lesen des Buches höre ich Gysi sprechen, selbst für keine Wähler der Linken ist das Buch zu empfehlen. 5 Sterne und mein Lieblingszitat ist der Prolog: "Ich habe schon als Kind gelernt, dass man Sätze nicht mit „ich“ beginnen soll."

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.08.2018
Zweig, Stefan

Sternstunden der Menschheit


ausgezeichnet

Sachbücher in bester Sprache

Nach „Die Welt von Gestern“ bin ich Zweig-Fan geworden. Was mir besonders gefällt, ist die Mischung aus Literatur und Sachbuch. Die Entstehungsgeschichte des Buches ist auch besonders.

Erst 5, später 12 und dann 1940 noch die Geschichte von Cicero, den letzten Demokraten Roms und des US-Präsidenten Wilson, der eigentlich den Siegfrieden nach dem Ersten Weltkrieg verhindern wollte. Also, das waren die letzten beiden Miniaturen. Der Rest chronologisch:
Im ersten Kapitel wird der Pazifik entdeckt, dann Byzanz erobert, weil die Kerkporta in der Stadtmauer offen gelassen wurde. Weiter wird Händels Messias gefeiert als Auferstehung des Meisters. Wir erfahren von der Entstehung der Marseillaise und Waterloo, Goethes Liebesgedichte.
Dostojewski wäre fast zu Tode verurteilt worden und dann die Verlegung des Telegrafenkabels durch den Atlantik, Tolstois Werk wird mit einem Theaterstück zu Ende geschrieben. Die Geschichte vom Polarforscher Scott wird erzählt, wie Lenins Zugfahrt durchs Deutsche Reich.

Nur die Dichtung mit Dostojewski konnte mich nicht ganz überzeugen, ansonsten kann ich nicht meckern, also 5 Sterne.

Bewertung vom 28.07.2018
Palm, Kurt

Strandbadrevolution


sehr gut

Sommerbuch mit wenig Politik und wenig Sex

Der Titel verspricht Politik und Mädchen im Bikini. Doch beides sind eher Randthemen.
Die Revolution besteht aus einer Schülergruppe, die sich 1972 gegen den Kapitalismus auflehnt. Mehr als das Verteilen von Flugblättern und das Einschlagen der Fensterscheibe einer Bank passiert aber nicht, wenn nicht der Täter Selbstmord begehen würde.
Im Strandbad gibt es auch zwei schöne Mädels, zum Sex mit unserem Ich-Erzähler Ernst kommt es aber nicht, da Heike nicht zum Nachtschwimmen erscheint. Als Notnagel beginnt er eine Diskobeziehung mit Iris, die mit seinem Penis spielt. Dann verliert Ernst aber den Mut.

Am besten gefallen hat mir der Jugoslawien-Urlaub, den Ernst mit seiner Familie macht. Sehr schön gefiel mir die Anreise mit stundenlangem Stau und ein überforderter Vater, ein Fahranfänger, der das Auto nicht über den Wurzenpass fahren kann. Das kann ich mir Anfang der 70er Jahre gut vorstellen. Auf dem Campingplatz lernt unser Ernst die Holländerin Anika kennen und es geht richtig zur Sache. Nicht erwähnt habe ich die Geschichte mit seinen Großeltern, seine kommende Französisch-Nachprüfung, sein Tagebuch, das nicht immer hilfreich war, und sein Musikgeschmack hat mich nun überhaupt nicht interessiert.

Verglichen mit „Tschick“ wird hier kein Außenseiter beschrieben, es geht gesitteter zu, aber auch etwas Sex. Noch 4 Sterne.

Bewertung vom 24.07.2018
Precht, Richard David

Erkenne dich selbst / Eine Geschichte der Philosophie Bd.2


sehr gut

Verständliche Einführung in die Philosophie

Der Philosoph Precht zeichnet sich dadurch aus, dass er schwierige Sachverhalte verständlich erklärt. Als Gerüst nimmt er dabei die Zeitachse und fängt diesen zweiten Band in der Renaissance an (erst wird noch das Bild des Einbandes interpretiert). Am Anfang jedes Kapitels steht eine Grafik mit einer Zeitachse, wann welche Philosophen der jeweiligen Epoche gelebt haben.
Nach der Renaissance wird die Philosophie des Barock behandelt, obwohl der Autor selbst schreibt, dass es nicht klar ist, ob der Barock mit Descarte als Hauptvertreter eine eigene Philosophie hat. Dann folgt die Aufklärung mit Newton, Voltaire und Lessing aus dem sich schließlich der deutsche Idealismus mit Kant und seinen Schülern bzw. Nachfolgern entwickelte.
Etwas schade ist, dass aus den Unterüberschriften im Kapitel nicht hervorgeht, welcher Philosoph gerade behandelt wird.

Prechts Buch könnte ein Schulbuch werden. Endlich habe ich die Ideen von Kant verstanden. Um zu sagen, ob das Buch Neues bietet, fehlt mir das Fachwissen. Aber dass der Schachspieler Bobby Fischer noch bis ins Alter Schach spielte, diese Aussage ist falsch. 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.