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Igelmanu
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Mülheim

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Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 06.09.2017
Billig, Susanne

Die Karte des Piri Re'is


sehr gut

»Wenn Ptolemäus zu unserer Zeit lebte, würde er sich wundern, dass – trotz der Vorteile, über die wir verfügen – unsere Asienkarten so unvollkommen sind, wo doch die Tabellen des Abu l-Fida‘, des Nasir ad-Din, des Ulugh Beg und die Geschichte Timurs von Scharafaddin uns seit langem in einer europäischen Sprache zugänglich sind.«

Christoph Kolumbus entdeckte Amerika und die Errungenschaften der Griechen bildeten den Auftakt der exakten Wissenschaften: Zwei Thesen, die auf den Prüfstand gehören und in diesem Buch untersucht werden.

Susanne Billig hat einen Ausschnitt der umfangreichen Forschungsarbeiten von Fuat Sezgin für dieses Buch zusammengefasst. Fuat Sezgin ist emeritierter Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität Frankfurt und Gründer des Instituts für Geschichte der arabisch-islamischen Wissenschaften. Im zentralen Mittelpunkt steht die Frage, ob die Araber noch vor Kolumbus nach Amerika segelten. Zudem ist Sezgin daran gelegen, die Leistungen und Entdeckungen der Araber zu würdigen, klarzustellen, dass sie die Grundlage für alle möglichen weiteren wissenschaftlichen Fortschritte bildeten und dass ohne die Vorarbeit arabischer Wissenschaftler dem Abendland so manches nicht geglückt wäre.
„Sein wichtigstes Anliegen besteht darin, der arabischsprachigen Welt des Mittelalters und der frühen Neuzeit in der Universalgeschichte der Wissenschaften ihren gebührenden Platz einzuräumen.“

Das Buch ist sehr gut gegliedert, beginnt mit der Vermittlung von Grundlagen, um dann weiter aufzubauen.
Schon die Grundlagenkapitel sind hochinteressant! Da geht es um Astronomie, Sternwarten und astronomische Instrumente, um Seefahrt und Nautik, um Geografie und Kartografie. Ich habe wirklich gestaunt, welch hohen wissenschaftlichen Stand die Araber schon zu einem solch frühen Zeitpunkt hatten! Die Bestimmung des Längengrads war ihnen beispielsweise schon Jahrhunderte vor den Portugiesen möglich!
Erst der letzte Teil des Buchs befasst sich mit der im Titel genannten Karte (und weiteren). Ein sehr schöner Abschnitt und dank der umfangreichen Vorarbeit versteht man als Leser die dargestellte Problematik. Ich fand es aber sehr schade, dass die Karten nur in so kleinen Abbildungen vorlagen – ich konnte kaum etwas erkennen! Das hat mich wirklich geärgert, denn ich schaue mir Karten so gerne an und hatte hier wirklich bessere Darstellungen erwartet. Den gleichen Gedanken hatte ich übrigens an sehr vielen Stellen im Buch, denn auch andere Bilder (zum Beispiel astronomischer Instrumente) hätte ich gerne genauer betrachtet. Zumal wenn einem im Text vorgeschwärmt wird, wie wunderschön ein bestimmtes Instrument aussehen würde und dann sieht man nur eine kleine Schwarzweißabbildung davon!
Ohne den Umfang des Buchs erhöhen zu müssen, wäre ein Hinzufügen großer Abbildungen und Karten möglich gewesen, es gibt nämlich durchaus Kürzungspotential im Text. Im Eingangsteil des Buchs beispielsweise hätte man gleich mehrere Seiten einsparen können. Da wird nämlich im ersten Kapitel praktisch das komplette Inhaltsverzeichnis in Sätzen ausformuliert dargebracht, eine Wiederholung, die nicht nötig gewesen wäre. Auch im weiteren Verlauf des Buchs fielen mir mehrfach Wiederholungen auf.

Noch etwas hat mich gestört. Für mein Empfinden war die Darstellung leider generell sehr einseitig. Ich bin überzeugt davon, dass arabische Wissenschaftler unglaublich viel geleistet und viele Grundsteine gelegt haben, aber hier scheinen sie der Dreh- und Angelpunkt für gefühlt alles zu sein, was wertvoll, wichtig und gut ist. Ich kann mir nicht helfen, aber eine neutralere Darstellung hätte auf mich noch glaubwürdiger gewirkt.

Fazit: Sehr interessante Thematik, gut aufgebaut dargestellt. Nur leider mit viel zu kleinen Karten / Abbildungen.

Bewertung vom 01.09.2017
Kielinger, Thomas

Winston Churchill


sehr gut

Den Namen Winston Churchill kennt vermutlich jeder, hat er doch in beiden Weltkriegen eine bedeutende Rolle gespielt und gilt als der bedeutendste britische Staatsmann des 20. Jahrhunderts. In diesem Buch stellt Thomas Kielinger nicht nur die wichtigsten Stationen seines langen Lebens vor, sondern präsentiert auch eine Reihe interessanter Dinge, die vielleicht nicht jedem bekannt waren und die geeignet sind, sich der faszinierenden Persönlichkeit Churchills neu zu nähern.
Der Autor berichtet seit 1998 für „Die Welt“ aus London und wurde für seine journalistischen Beiträge vielfach ausgezeichnet.

Dieses Buch hat mich von Anfang an gefesselt. Thomas Kielinger schreibt in einem leicht verständlichen Stil, der nie langweilig wirkt und von Anfang an neugierig macht – selbst, wenn man die geschichtlichen Rahmenbedingungen (natürlich) kennt.

Im Gegensatz zu anderen Biographien hält der Autor sich nicht lange mit Kindheit und Jugend auf, gerade lange genug, damit der Leser erkennen kann, wie sich gewisse Charakterzüge schon früh abzeichneten, wie er sich mit „eisernem Willen“ schon gegen seine Lehrer behauptete. Den Hauptteil nimmt zu recht sein politisches Schaffen ein, schließlich geht es hier um einen Mann, der mit 25 Jahren bereits ins Unterhaus gewählt wurde und der in den folgenden Jahrzehnten nahezu jedes Ministeramt des Landes bekleiden sollte und zweimal Premierminister wurde.

Was für mich beim Lesen besonders deutlich wurde, waren zwei Dinge. Zum einen das ungeheure Charisma, mit dem es Churchill gelang, Gegner und Anhänger zu beeindrucken. Und zum anderen eine enorme Widersprüchlichkeit, die sich durch sein ganzes Leben zieht und mir ziemlich zu denken gab.
Beispiele? Er liebte Luxus und Bequemlichkeit, unterwarf sich aber mit schöner Regelmäßigkeit großen Mutproben und Unannehmlichkeiten. Für den Krieg empfand er gleichermaßen Faszination und Abscheu. 1920 befürwortete er Senfgaseinsätze in Mesopotamien, um ein Jahr später scharfe Rügen zu verteilen wegen eines Vorfalls, bei dem Frauen und Kinder angegriffen wurden. Obwohl er selbst aus Adelskreisen stammte, agierte er als Sozialreformer. Der spätere Kriegsminister forderte in früheren Jahren Kosteneinsparungen beim Militär zur Finanzierung sozialpolitischer Programme. Bei Streiks, Ausständen und Arbeitskämpfen wendete sich das Blatt erneut, da war er bereit, schwere Geschütze aufzufahren, um „nationale Gefahren“ abzuwenden. Und welcher Politiker konnte so erfolgreich sein, obwohl er einen doppelten Parteienwechsel vollzogen hatte?
Wie konnte ein Mensch, der wegen offener Worte immer wieder aneckte und von dem es hieß, dass er eine „Verachtung für jedes Sichverstellen“ hätte, so oft seine Positionen und Ansichten ändern?
Thomas Kielinger nennt diese Aufarbeitung eine »Spurensuche in einem Leben voller Gegensätze«. Hochinteressant!

Die Aufteilung der einzelnen Kapitel und Unterkapitel ist sehr gut strukturiert und übersichtlich. Der Leser erlebt durch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hindurch viele wichtige politische Etappen mit, wobei der Fokus natürlich auf Churchills Beteiligung liegt. Die eingefügten Fotos passten ebenfalls gut und gefielen mir sehr. Interessant fand ich auch einen Link zu dem Gesprächsprotokoll einer Besprechung zwischen Churchill und Adenauer aus dem Jahr 1953. Die Unsicherheit, die man bei Adenauer wahrnehmen kann, konnte ich recht gut nachvollziehen.
Was mir nicht so gefiel und folglich auch zum Punktabzug führte, war die für mein Empfinden doch zu große Verehrung, die der Autor Churchill entgegenbringt. Einige Formulierungen haben mich da doch etwas befremdet und ich hätte mir mehr Neutralität gewünscht.

Fazit: Hochinteressantes Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit voller Charisma und Widersprüchlichkeiten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.09.2017
Kellerman, Faye

Abschied von Eden / Peter Decker & Rina Lazarus Bd.3


ausgezeichnet

»Bist aber ein anschmiegsames kleines Ding. Erstaunlich, daß ich dich überhaupt gesehen hab‘. Muß wohl der glänzende Reißverschluß an deinem Pyjama…«
»Jama«, sagte das Kind.
»Yeah, Pyjama. Was hat der überhaupt für ’ne Farbe? Rot? Na ja, irgendwie rötlich. Ich wette, du bist ein Mädchen.«
»Mechen«, plapperte das Kind nach.
Decker verging das Lächeln. Irgendwas war in der Luft. Jetzt roch er es – ein unangenehmer Geruch an seinen Händen und vorn auf dem Pyjama des Kindes. Geronnenes Blut.

Ein Schock für Pete Decker vom Los Angeles Police Department! Nicht nur, dass er mitten in der Nacht ein nicht mal zweijähriges Kind am Straßenrand findet, ist auch noch sein Schlafanzug voller Blut! Das Kleine ist unverletzt, aber verstört und hat womöglich Dinge erlebt, die man selbst als Erwachsener nicht mitbekommen möchte. Bei der Suche nach den Eltern stößt Decker dann auch bald auf ein furchtbares Verbrechen…

Dieser Krimi hat mich wirklich begeistert! Die Handlung war sehr spannend, die Hintergründe faszinierend-schockierend. Während seiner Ermittlungen trifft Decker auf ein breites Spektrum menschlicher Abgründe und möglicher Mordmotive, die Spannung bleibt durchgehend hoch und die Aufklärung erscheint schlüssig.
Natürlich ermittelt Pete Decker nicht allein, ihm zur Seite steht ein Team von interessanten Charakteren. Ich mag besonders Marge, seine Partnerin. Sie ist eine wirklich tolle Frau, klug, witzig und zupackend. Entsprechend groß ist ihr Anteil an den Ermittlungserfolgen.

Im Privatleben wird Pete ebenfalls gefordert. Noch immer versucht er, ein religiöser Jude zu werden – Voraussetzung für eine Ehe mit seiner Freundin Rina, einer strenggläubigen Jüdin.
Außerdem ist ein alter Freund aufgetaucht, mit dem er zusammen in Vietnam war. Die beiden verbindet eine von anfangs unbekannten Dingen belastete Freundschaft, zudem wird Pete von Erinnerungen geplagt, die er vermutlich lange verdrängt hatte. Und als wenn das noch nicht reichen würde, wurde der Freund wegen einer schweren Vergewaltigung angeklagt und hofft, dass Pete seine Unschuld beweisen kann.

Viel Stoff also – und alles von der Autorin großartig umgesetzt. Ich bin durch das Buch geflogen und lese bei der Reihe gerne weiter! Diesmal gab es auch ein Glossar mit jüdischen/hebräischen Begriffen, das mir beim Band davor gefehlt hatte.

Fazit: Sehr spannend! Für mich stimmte bei diesem Krimi alles.

Bewertung vom 01.09.2017
Kellerman, Faye

Das Hohelied des Todes / Peter Decker & Rina Lazarus Bd.2


sehr gut

»Der Junge stand stocksteif da. Decker bemerkte, daß er glasige Augen hatte. … Vor ihnen lagen zwei verkohlte Skelette. Das eine war bis auf das halbe rechte Bein, das unter Laub und Erde begraben war, ganz zu sehen. Es reckte einen geschwärzten Armknochen samt Faust in die Höhe, als bäte es darum, daß man ihm auf die Beine half. Schädel und Brustbein wiesen Löcher in der Größe eines Silberdollars auf. Am Körper hingen noch vertrocknete, an der Luft verfärbte Hautfetzen.«

Eigentlich wollte sich Sergeant Pete Decker zusammen mit den beiden Söhnen seiner Freundin ein paar schöne gemeinsame Tage beim Campen gönnen. Der Fund zweier Leichen beendet den Urlaub, die beiden Kinder sind nach dem schlimmen Erlebnis traumatisiert und Decker darf sich sofort in die Mordermittlungen stürzen.
Das Obduktionsergebnis, wonach es sich bei den Ermordeten um zwei junge Mädchen handelt, macht die Arbeit für Pete, der selbst Vater einer sechzehnjährigen Tochter ist, nicht leichter. Zumal ihn seine Nachforschungen in die wirklich tiefsten menschlichen Abgründe führen werden…

Auch privat ist für ihn keine Entspannung angesagt, hat er sich doch in die strenggläubige Jüdin Rina Lazarus verliebt und bemüht sich, dem jüdischen Glauben näherzukommen und sich in die strengen Vorschriften der orthodoxen Gemeinde einzuleben. Ein schwieriges Unterfangen für einen Polizisten…

Ein wirklich fesselnder Krimi war das wieder! Die Thematik ist ganz schön heftig, Hintergrund und Umfeld der Tat grauslich-faszinierend. Es wird verzwickt, es wird spannend und bis zur stimmigen Auflösung kann der Leser mitermitteln.
Decker ist mir sympathisch, denn er ist ein vielschichtiger Charakter mit Stärken und Schwächen. Letztere kann ich bei seiner Partnerin Marge noch nicht entdecken, die ist eigentlich immer zuverlässig, klug, witzig… Nun ja, es ist erst der zweite Band der Reihe, vielleicht taucht später noch mal irgendeine Schwäche bei ihr auf.
Eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen spielt übrigens auch eine Zahnärztin, die regelmäßig der Polizei bei der Identifizierung von Leichen hilft. Die Autorin weiß dabei, wovon sie schreibt, denn sie ist selber auch Zahnärztin.

Das private Umfeld Deckers in der jüdischen Gemeinde finde ich hochinteressant und ich stellte beim Lesen fest, wie wenig ich über den praktizierten jüdischen Glauben weiß. Eins wird klar: So zu leben, lernt man nicht nebenbei, das ist hochkompliziert, eine wirklich andere Welt. Schade fand ich, dass ein Glossar fehlte, obwohl wirklich sehr viele jüdische Begriffe benutzt und immer wieder hebräische Sätze und Floskeln eingeworfen werden. Natürlich kann man der Handlung auch folgen, wenn man nicht alles übersetzen kann, aber ich persönlich möchte beim Lesen alles verstehen und zwar möglichst, ohne ständig googeln zu müssen.

Die Reihe um Pete Decker hat wirklich viele Bände, ich bin gespannt, wie es weitergeht. Zumindest in diesen Band 2 könnte man einsteigen, ohne den Vorgänger zu kennen. Und auch, wenn man neugierig ist, ob es eine Zukunft für Pete und Rina geben wird, ist die Handlung ansonsten abgeschlossen und man muss nicht zwanghaft zum Folgeband greifen. Werde ich aber trotzdem tun ;-)

Fazit: Sehr spannender Krimi mit interessanter Rahmenhandlung. Hier lese ich gerne weiter.

Bewertung vom 01.09.2017
Burger, Wolfgang

Die dunkle Villa / Kripochef Alexander Gerlach Bd.10


sehr gut

»Der Mann hatte – wie die meisten Menschen, die von einer fixen Idee besessen sind – eine enorme Hartnäckigkeit an den Tag gelegt. Er hatte insistiert, war laut geworden, am Ende sogar beleidigend. Auch mein Ton war schließlich nicht mehr so freundlich gewesen. Irgendwann war er mitten im Satz aufgesprungen und türenknallend davongestürmt.
Wenn mir nur sein Name wieder eingefallen wäre…«

Kriminaloberrat Alexander Gerlach hat ein Problem. Bei einem Sturz mit dem Fahrrad hat er sich eine böse Gehirnerschütterung zugezogen. Zu den schlimmen Kopfschmerzen und den Gedächtnislücken kommen die ständigen Lästereien und Ermahnungen von Kollegen und Mitmenschen, weil er ohne Helm unterwegs war. Er kann sich nicht einmal richtig an den Unfall erinnern, spürt aber, dass es irgendeine Verbindung zu dem unangenehmen Mann gibt, der ihn kürzlich aufsuchte. Dieser hatte sich selbst des Mordes an seiner Frau bezichtigt. Sie starb vor über 30 Jahren und ihr Tod wurde als klarer Unfall zu den Akten gelegt. Wieso nun diese Selbstanklage? Alexander spürt, dass irgendetwas an diesem alten Fall nicht stimmt und beginnt, zu ermitteln…

Dieser Krimi aus Heidelberg ist wieder einmal ein herrlich untypischer, beginnt es doch schon damit, dass man gar nicht weiß, ob überhaupt eine Straftat stattfand. Alexander Gerlach muss versuchen, etwas über einen drei Jahrzehnte zurückliegenden Fall herauszufinden – ein hartes Stück Arbeit. Zumal er anfangs eigentlich gar nicht arbeitsfähig ist, viele Fehler macht, die ihm normalerweise nie passieren würden. Es ist ein sehr kniffliges Puzzle, auf das er sich da eingelassen hat. Im Laufe der Handlung wird es einige Überraschungen geben, es wird Tote geben, richtig spannend werden und in einem ungewöhnlichen Ende gipfeln. Ich war zwar schon vorher auf der richtigen Spur, wurde dann aber von der genauen Auflösung überrascht. Das hat mir sehr gefallen!

Gut gefallen hat mir auch wieder das Drumherum. In der Reihe um Alexander Gerlach geht es nicht nur um die Kriminalfälle, sondern immer wieder auch um sein Privatleben. Er ist alleinerziehender Vater von Zwillingstöchtern, die ihm stetig die Grenzen seiner Erziehungsmöglichkeiten aufzeigen. Darüber habe ich mich jetzt schon zehn Bände lang amüsiert, ohne dass sich die witzigen Situationen abnutzen.
Bei seinen Kollegen gibt es ebenfalls einige tolle Charaktere, über deren Erscheinen ich mich jedes Mal freue. Allen voran Sekretärin Sönnchen, ohne die Gerlach vermutlich höchstens die Hälfte aller Fälle aufklären könnte.

Fazit: Eine meiner Lieblingsreihen und auch dieser Band lohnt sich wieder. Flott zu lesende und trotzdem intelligente Krimiunterhaltung aus Heidelberg.

»So eine Gehirnerschütterung ist kein Spaß, Chef. Und wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf…«
»Sprechen Sie das Wort „Helm“ aus, und Sie sind ab Montag für die Überwachung des ruhenden Verkehrs in Ziegelhausen zuständig.«

Bewertung vom 01.09.2017
Harbort, Stephan

»Ich musste sie kaputt machen«


ausgezeichnet

»Es geht um das vermisste Mädchen, die Tanja Bracht. … Ich hab‘ mit meiner Frau lange drüber geredet. Wir sind uns nicht ganz sicher, komisch ist das aber schon…« Der Kriminalbeamte hörte aufmerksam zu, stellte Fragen, machte sich eifrig Notizen. Es ging um ein verstopftes Abflussrohr und einen unbescholtenen Nachbarn, der »etwas Merkwürdiges« in einer Mülltonne versteckt haben sollte.

Duisburg, 1976. Ein vierjähriges Mädchen wird vermisst. Nach dem Hinweis eines Nachbarn klingeln Polizeibeamte an der Tür von Georg Kroll. Sie ahnen bereits Böses, sind trotzdem nicht auf das vorbereitet, was sie in der Wohnung finden werden. Und schon gar nicht rechnen sie damit, dass der Verhaftete für eine Vielzahl von Morden am Niederrhein und im nördlichen Ruhrgebiet verantwortlich ist, dass sie im Rahmen der Vernehmungen eine Mordserie aufklären werden, die sich über mehr als 20 Jahre erstreckte…

Stephan Harbort ist einer der führenden Experten in Sachen Serienmord. Für das vorliegende Buch hat er umfangreich recherchiert, hat als Quellen die Urteilsschrift des Landgerichts Duisburg, polizeiliche Vernehmungsprotokolle, Tatortbefundberichte, Obduktionsprotokolle, forensische Gutachten, glaubwürdige Presseberichte und persönlich geführte Interviews herangezogen und darüber hinaus alle Ereignisorte aufgesucht, um sich vor Ort ein Bild zu machen.

Das Buch startet mit der Verhaftung Krolls, um im Anschluss sein Leben und seine Verbrechen chronologisch zu erzählen. Der Leser verfolgt mit, wie sich der unheilvolle Trieb Krolls entwickelte, wie ihn das überkam, was er selbst stets als „das komische Gefühl“ bezeichnete. Die ihn vernehmenden Beamten haben es perfekt verstanden, sich so auf Kroll einzustellen, dass er bereit war, ihnen selbst die persönlichsten Details zu erzählen. Man ist dadurch sehr nah dran an den Gedanken und Empfindungen des Täters. Als Gegenpol dazu werden die Fakten berichtet, die Verbrechen aus Sicht der Opfer und ihrer Angehörigen geschildert. Eine gute Mischung, die durch die Empfindungen der Ermittler vervollständigt wird.

»Die haben mich doch immer nur vernatzt. Ich wollt‘ se doch nur liebhaben oder poppen. Und dann haben se mich nur vernatzt. Nur vernatzt.«

Krolls Persönlichkeit war sicher eine beängstigende, psychologisch aber auch eine hochinteressante. Man muss sich alleine mal klarmachen, dass er es schaffte, über 20 Jahre lang zu morden, manchmal im Abstand von nur wenigen Tagen, ohne jemals aufzufallen. Für einen seiner Morde war sogar ein Unschuldiger verurteilt worden! Und das, obwohl Kroll ein Mann von nur recht bescheidener Intelligenz war. Bei seinen Befragungen berichtete er freimütig, wie vorsichtig und sorgfältig er bei seinen Taten agierte. Ich kann mir gut vorstellen, dass künftige Ermittler daraus einige Lehren ziehen konnten.

Das Gelesene schockiert. Vieles ist schlicht unfassbar, man wünscht sich Erklärungen, muss aber akzeptieren, dass nicht alles aufgeklärt werden kann. Bequem zurücklehnen und alles als Taten eines Monsters abtun, kann man sich auch nicht, denn Stephan Harbort betont die gesellschaftliche Verantwortung, die jeden Einzelnen von uns auffordern sollte, zumindest genauer hinzusehen. Bei so manchem, was ich über Krolls Kindheit und Jugend gelesen habe, konnte ich nur den Kopf schütteln. Natürlich wird – zum Glück – nicht jeder, der einen schlimmen Start hatte, ein Serienmörder. Aber dass an einigen Stellen wirklich niemand bemerkt haben soll, dass da jemand auf dem Weg war, in eine völlig falsche Richtung abzubiegen, will mir einfach nicht in den Kopf. Etwas mehr Aufmerksamkeit und so manches Mädchen hätte vielleicht die Chance gehabt, heute noch zu leben.

Fazit: Schockierend und hochinteressant zugleich. Es zeigt sich mal wieder: Mit der Realität kann kein Thriller mithalten.

Bewertung vom 01.09.2017
Shelliem, Jochanan

»Weinen Sie nicht, die gehen nur baden!« - Zeugen des Auschwitz-Prozesses berichten


ausgezeichnet

Und ich sagte meiner Frau (ich war mit Frau und drei Kindern, drei Töchterchen): „Tut nichts, Hauptsache, dass wir fünf zusammen sind. Und wir werden schon sehen, wie wir weiterkommen.“ Kaum sagte ich das, tritt schon ein anderer Soldat zwischen uns und sagte: „Männer nach rechts, Frauen nach links.“

Eigentlich sollte es dieses Tondokument überhaupt nicht geben. Die Tonbandaufnahmen, die die Aussagen der 359 Zeugen des ersten Ausschwitz-Prozesses festhielten, waren ursprünglich nur zur »Stützung des Gedächtnisses« während des Verfahrens gedacht. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass sie nicht gelöscht wurden. 50 Jahre nach dem Prozess machte sich das Fritz-Bauer-Institut an die Aufbereitung der Bänder.

»Weinen Sie nicht, die gehen nur baden!« ist ein Zusammenschnitt einiger Aussagen, eingefasst von passenden Sachinfos. Vor allem die Zeugenaussagen Überlebender gehen an die Nieren, was man da hört, ist kaum zu ertragen.
Es ist das Wissen um die unglaublichen Grausamkeiten und Verbrechen, die das Zuhören schwermachen. Wenn da etwa ein Mann schildert, wie er – frisch angekommen und noch nicht begreifend, was auf ihn zukommen wird – besorgt darauf hinweist, dass er zwei kleine Zwillingstöchter hat, die besonderer Fürsorge bedürfen und er daraufhin die Anweisung bekommt, dies dem anwesenden Arzt zu berichten, der niemand anders ist als Dr. Mengele, dann brauche ich eine Pause, es geht nicht mehr anders.
Es ist nicht nur das, was gesagt wird. Es ist die Art, wie es geschieht. Und auch das, was nicht gesagt wird, setzt einem zu, weiß man doch, was geschehen ist.

Deutlich erkennbar wird auch, wie der Prozess das Leben der daran Beteiligten verändert hat. Wenn man hört, wie der Vorsitzende sein Schlusswort unterbrechen muss, wie sein Stimme bricht, dann ahnt man, dass er im Anschluss nicht nach Hause fahren und weiterleben konnte, wie zuvor.

Fazit: Sehr intensives Tondokument. Geht an die Nieren, sollte man sich im Kampf gegen das Vergessen aber antun.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 11.08.2017
Frei, Pierre

Onkel Toms Hütte, Berlin


sehr gut

Ein amerikanischer Offizier stand mit einem Militärpolizisten und dem Fahrdienstleiter auf den Gleisen. Sie hatten die Tote neben die Schienen gebettet. Sie war blond und hatte ein schönes, ebenmäßiges Gesicht. Ihre blauen Augen starrten ins Nichts. Blutunterlaufene Strangulierungsmale kerbten sich in den zierlichen Hals. Klaus Dietrich deutete auf ihre Nylonstrümpfe, die kaum getragenen Pumps und das helle, modische Sommerkleid. »Eine Amerikanerin«, meinte er besorgt. »Wenn das ein Deutscher getan hat, gibt’s Ärger.«

Der weiblichen Leiche werden in Kürze weitere folgen. Als wenn es in diesem Land nicht schon genug Tote gegeben hätte, treibt nun auch noch ein Serienmörder im Sommer 1945 in Berlin sein Unwesen…

An diesem Buch steht Krimi dran, drin steckt aber noch viel mehr. Neben der Jagd auf den Serienmörder zeichnet der Autor ein umfangreiches und vielschichtiges Bild des Nachkriegs-Berlins. Außer den Problemen zwischen Besatzungsmächten und Bevölkerung werden auch viele Schwierigkeiten behandelt, mit denen die Menschen damals umzugehen hatten.
Die Art und Weise, wie das hier umgesetzt wird, ist ungeheuer intensiv und lässt den Leser immer ganz nah an den einzelnen Schicksalen sein. Konkret verfolgt man Werdegang und Leben jedes Opfers mit und trifft dabei unter anderem auf Themen wie Prostitution und Euthanasie. Zudem sind die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten vertreten, so dass mal eine Adlige im Fokus steht, mal eine Frau aus ganz ärmlichen Verhältnissen.
Apropos: Die akute Notlage der Menschen im Sommer 1945 wird natürlich ebenfalls behandelt, hier geht der Blick immer wieder auf den deutschen Ermittler Klaus Dietrich und seine Familie, speziell auf den 15jährigen Sohn.

Die Krimihandlung selbst ist spannend und gab mir reichlich Stoff zum Mitermitteln. Gut gefiel mir dabei, dass ich (obwohl ich schon früh eine Ahnung hatte, wer der Täter sein könnte) erst am Ende die kompletten Zusammenhänge erkennen konnte. Und sogar eine Überraschung gab es noch, wirklich gut gemacht!

Alles in allem hatte ich also viel Lesespaß, trotzdem aber auch einen Kritikpunkt. Als ich in einer anderen Rezi kritische Worte zu manchen Sexszenen las, musste ich zunächst schmunzeln. Aber als ich die Szenen dann selber las, den Kopf schütteln. So real alles andere in dem Buch wirkt (einschließlich diverser Vergewaltigungen nach dem Einmarsch der Besatzer), bei den „normalen“ Sexszenen scheint der Autor in einer Traumwelt zu leben, in der jede Frau ständig willig und lüstern ist und jeder Mann sooo toll! Ich fand das sehr schade, denn das ansonsten gute Niveau sank bei diesen Passagen leider ziemlich.

Fazit: Spannende Zeitgeschichte mit Krimi, wirkt sehr lebendig, intensiv und realistisch. Lediglich einigen Sexszenen würde eine Überarbeitung guttun.

Bewertung vom 11.08.2017
Krakauer, Jon

In eisige Höhen


ausgezeichnet

»Jeder, der einigermaßen bei Verstand war, hätte nein gesagt. Aber das konnte ich nicht. Denn etwas tief in meinem Herzen befahl mir zu gehen, und die Anziehungskraft des Everest wirkte auf mich stärker als irgendeine andere Kraft auf Erden.«


Der amerikanische Journalist Jon Krakauer nahm im Mai 1996 an einer organisierten Besteigung des Mount Everest teil. Diese Expedition endete in einer Katastrophe, am Ende waren zwölf Tote zu beklagen.


Mit dem Thema Bergsteigen habe ich mich bislang noch nie beschäftigt, kenne als Namen lediglich Reinhold Messner und ansonsten das, was man aus aktuellen Anlässen schon mal in der Presse liest. Nach diesem Buch bin ich um einiges schlauer.


Jon Krakauer versteht es, zu erzählen. Da er im Wesentlichen berichtet, was er selbst erlebt hat, ist man als Leser ganz intensiv in der Handlung, scheint die Eiseskälte fast spüren zu können, die Verzweiflung und Angst wird greifbar. Genau wie die Faszination und die für den Nicht-Bergsteiger manchmal schwer nachvollziehbare Begeisterung für diesen Hochrisikosport. Die Vorkommnisse sind so spannend geschildert, dass man das Buch nicht aus der Hand legen mag. Selbst wenn man um die Ereignisse von 1996 und damit um den Ausgang der Ereignisse weiß.


Der Autor bemüht sich sehr, dem Leser zu erklären, was jemanden antreibt, der sein Leben riskiert, um den Gipfel eines Achttausenders zu bezwingen. Und es ist ja nicht nur das Risiko, sondern der potentielle Gipfelstürmer muss auch bereit sein, über Wochen hinweg unglaubliche Mühsal und Schmerzen auf sich zu nehmen. Da muss man nicht nur topfit sein, sondern auch eine ganz spezielle Geisteshaltung haben.
Apropos topfit: Ein Thema, dem Jon Krakauer sich hier widmet, ist die Kommerzialisierung des Bergsports. Diese wird offenbar heiß diskutiert und scheint zu polarisieren. Sollte nur derjenige auf den Berg dürfen, der ihn auch alleine bezwingen könnte? Krakauer war Teilnehmer einer solchen Expedition und befasst sich im Rahmen seiner Aufarbeitung mit dem Pro und Contra.


Ich schrieb gerade Aufarbeitung und genau das ist dieses Buch. Als Überlebender muss der Autor einen Weg finden, mit den schlimmen Ereignissen im Kopf weiterzuleben. Er versucht sich in einer Fehleranalyse: Was ist verkehrt gelaufen? Was hätte man anders machen müssen? Was war einfach unausweichliches Schicksal? Es geht um Fragen wie Risikoabwägung, Verantwortung und Mitmenschlichkeit. Er spart dabei auch nicht mit Selbstkritik, plagt sich mit Schuldgefühlen. Das machte den Bericht für mich sehr glaubwürdig.


Auch an anderen Stellen gibt es kritische Worte. Beispielsweise wenn es um die Vermüllung der Berge geht. Es ist für mich ein schwer vorstellbarer Punkt, dass man sich in eine Region begibt, in der die Natur eigentlich „der Chef“ sein sollte und dann dort auf Müllberge stößt.


Eine ganze Reihe von Fotos ergänzen den Bericht. Man sieht Bilder der Expeditionsmitglieder, Bilder der Verstorbenen. Man sieht sie aufsteigen, sieht schwer beeindruckende Fotos vom Everest – der Gedanke, so etwas mal mit eigenen Augen sehen zu wollen, will sich einem aufdrängen. Ich habe auch immer wieder eine Aufnahme angeschaut, auf der die Fundorte einiger Leichen bzw. die Punkte, an denen bestimmte Personen zuletzt gesehen wurden, eingezeichnet sind.


Fazit: Faszinierendes Thema, extrem spannend geschildert. Das lässt den Leser nicht kalt!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.07.2017
Weiss, Walter M.

DuMont Reise-Taschenbuch Reiseführer Wien


gut

Dieser Reiseführer ist fast 300 Seiten dick. Der Leser erwartet folglich, dass er perfekt auf den Aufenthalt in Wien vorbereitet wird.

Tatsächlich gibt es im Buch viel zu entdecken. Nach einem Einführungsteil mit allgemeinen Infos zu Anreise, Wetter, Nahverkehr usw. gibt es Tipps in Sachen „Essen und Trinken“, Einkaufen, Museen und ähnliches. Diesen Abschnitt fand ich ganz ok, habe aber schon bessere gesehen.

Im Anschluss beginnt der eigentliche Hauptteil. Der Autor ist wohl ein „waschechter Wiener“ und offenbar auch sehr geschichtsinteressiert, denn er bringt wirklich viele Infos rund um die Historie Wiens. Wer einen detaillierten Überblick einer Kurzinfo vorzieht, wird hier gut bedient. Ähnlich umfangreiche Hintergrundinfos gibt es zu den Themen Kunst, Musik, Kultur und Medizin. Das hat mir gut gefallen! Passend zum jeweiligen Thema werden Besuchstipps gegeben, wobei besonders „wichtige“ Ziele/Sehenswürdigkeiten hervorgehoben werden.

So weit, so interessant. Was mir aber fehlte (zumal für meinen ersten Besuch in Wien) war ein höheres Maß an Übersichtlichkeit und auch die Grundinfos kamen für mein Empfinden zu kurz.

Der dicke Führer wird mich nach Wien begleiten, allerdings als Zweitreiseführer. Er wird sich nicht in meiner Handtasche befinden, denn um unterwegs etwas nachzuschlagen, ist er mir zu unübersichtlich. Aber um abends im Hotelzimmer Hintergründe nachzulesen oder Ideen für den Folgetag zu sammeln, wird er sicher gute Dienste tun.

Fazit: Viele Hintergrundinfos gehen zu Lasten der Übersichtlichkeit. Als Zweitreiseführer sicher klasse, für den ersten Besuch in Wien nur bedingt zu empfehlen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.