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Bücherfreundin

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Insgesamt 325 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2024
Rooney, Sally

Intermezzo


ausgezeichnet

Faszinierende Geschichte - intelligent und ganz wunderbar erzählt
Ich habe ein Faible für irische Autoren und mich sehr darüber gefreut, dass ein neuer Roman von Sally Rooney erschienen ist. Vor Jahren hat mich "Schöne Welt, wo bist du" begeistert, und nun war ich neugierig, ob ihr neues Buch mich auch würde begeistern können. "Intermezzo" hat "Schöne Welt, wo bist du" in meinen Augen sogar noch übertroffen und ist für mich bereits jetzt eines meiner diesjährigen Lesehighlights!

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden Brüder Peter und Ivan Koubek. Der 32-jährige Peter, der zu viel Alkohol und Medikamente konsumiert, arbeitet als Anwalt, während sein 10 Jahre jüngerer Bruder Ivan ein Schachgenie ist und seinen Lebensunterhalt mit Datenanalysen für Techkonzerne verdient. Die Brüder trauern um ihren Vater, der kürzlich nach 5-jährigem Kampf gegen den Krebs verstorben ist. Peter befindet sich in einer Konfliktsituation, er ist in die junge Studentin Naomi verliebt, sein Herz gehört jedoch immer noch seiner ersten großen Liebe Sylvia, die sich nach einem schweren Unfall von ihm trennte, um ihm das Leben an der Seite einer Frau, die unter ständigen Schmerzen leidet, nicht zuzumuten. Ivan lernt bei einem Schachevent Margaret kennen, die in einem Kulturzentrum Veranstaltungen organisiert und von ihrem alkoholkranken Mann getrennt lebt. Die beiden verlieben sich ineinander, doch für Margaret stellt es ein großes Problem dar, dass sie 14 Jahre älter als Ivan ist. 

Auch diesmal hat mich die intelligente Sprache und der schöne Schreibstil der Autorin begeistert. Sie erzählt die einzelnen Kapitel abwechselnd aus Sicht der Brüder, wobei die Erzählweisen sich unterscheiden. Peters Gedankengänge sind hektisch und abgehackt, während aus Ivans Perspektive eher ruhig erzählt wird. Wie in "Schöne Welt, wo bist du" verzichtet Sally Rooney auch in diesem Buch auf Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede. 

Sally Rooney beschreibt nicht nur Peter und Ivan, sondern auch die Nebenfiguren liebevoll und lebensecht und lässt uns tief in ihre Gefühls- und Gedankenwelt blicken. Die komplizierten Beziehungen sind perfekt dargestellt, das Verhältnis der Brüder zueinander sehr eindrücklich beschrieben, ebenso ihr schwieriges Verhältnis zur Mutter, die ihren Mann verließ, als Ivan fünf Jahre alt war. Peter und Ivan sind sehr verschieden, hier der erfolgreiche Peter, auf der anderen Seite der jüngere Bruder, der immer voller Bewunderung auf den Älteren blickte. Der selbstbewusste Peter geht früh eigene Wege, während der verschlossene und etwas unbeholfene Einzelgänger Ivan zurückbleibt. Im Laufe der Jahre werden sie sich fremd und suchen erst nach dem Tod des Vaters wieder Kontakt zueinander.

Das Buch hat mich von der ersten Seite an bis zu seinem stimmigen und hoffnungsvollen Ende in seinen Bann gezogen. Es ist eine Geschichte über Trauerbewältigung und Verzweiflung, über Liebe, Begehren und Freundschaft. Ich konnte mich sehr gut in die Protagonisten hineinversetzen und habe mit ihnen gefühlt, mit ihnen gelitten. Meine Lieblingsfiguren waren der introvertierte Ivan und die zaudernde Margaret, die sich behutsam einander annähern. 

Absolute Leseempfehlung für dieses Meisterwerk, das mich gleichermaßen gefesselt, aufgewühlt und berührt hat!

Bewertung vom 21.09.2024
Lindinger, Michaela

Wallis Simpson


sehr gut

Wallis Simpson und der Ex-König
In der Reihe "Reihenweise kluge Frauen" hat der Molden Verlag bereits 8 Biografien veröffentlicht, drei davon stammen aus der Feder der österreichischen Autorin Michaela Lindinger. Im 9. Band geht es nun um die Amerikanerin Wallis Simpson, die in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts durch ihre skandalöse Verbindung mit dem englischen König Edward VIII. berühmt wurde. 
Das gebundene Buch ist sehr liebevoll und hochwertig gestaltet. Es umfasst 256 Seiten und ist in vier Kapitel gegliedert, zahlreiche größtenteils großformatige Schwarz-Weiß-Fotos ergänzen die Texte.

Im ersten Kapitel lernen wir den ehemaligen König Edward kennen, der auf Druck des Königshauses unmittelbar nach seiner Abdankung nach Österreich reist und als Gast im Schloss der Baronin Rothschild wohnt. Er wartet dort auf Wallis Simpson, deren Scheidung in Frankreich vollzogen wird. Im zweiten Kapitel geht es um Wallis' Herkunft und ihr Leben in Baltimore. Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Zusammentreffen der in zweiter Ehe verheirateten Wallis mit Edward sowie dem späteren Eheleben der beiden. Die letzten Lebensjahre von Wallis werden im vierten Kapitel beschrieben.

Das unterhaltsame Buch ist in sachlicher und klarer Sprache geschrieben und gibt uns Einblicke in Wallis' Leben und ihre Persönlichkeit. Ihr Vater stirbt, als Wallis 5 Monate alt ist. Die Mutter ist nun mittellos und auf die Unterstützung ihres Schwagers angewiesen. Wallis weiß schon früh, dass sie einen reichen Mann heiraten wird, sie wird immer auf der Suche nach finanzieller Sicherheit sein. Mit viel Ehrgeiz geht sie ihren Weg, schreckt dabei auch nicht davor zurück, Freundinnen den Mann zu nehmen, und mit viel Hartnäckigkeit gelingt es ihr, dem Prinzen von Wales vorgestellt zu werden. Über diesen verrät uns das Buch viel bisher Unbekanntes. Beispielsweise liest Edward keine Bücher, und weil er schon als Kind Konzentrationsprobleme hatte, strickt er. Thematisiert wird auch seine Sympathie für die Nationalsozialisten, für die er von vielen Seiten kritisiert wird. 

Die Charakterzeichnung von Wallis und Edward finde ich gelungen. Edward hat mir leidgetan, weil Wallis ihm keine aufrichtige Liebe entgegenbrachte, und Wallis, für die ich wenig Sympathie hatte, habe ich bedauert, weil sie sich aufgrund ihrer familiären Prägung zu einer harten Frau entwickelt hatte, die zwar eine besondere Ausstrahlung besaß, aber nicht in der Lage war, Gefühle zu zeigen. Ich fand die Beschreibung der Beziehung der beiden sehr interessant, war aber auch erschüttert über die einseitige Liebe des Ex-Königs und die Entwicklung zweier Menschen, die sehr verschieden waren und dennoch 35 Jahre bis zu Edwards Tod zusammen blieben. Die detaillierte Schilderung ihres Liebeslebens und ihrer Neigungen nimmt nach meiner Ansicht etwas zu viel Raum ein.

Die fesselnde und kurzweilige Biografie über Wallis Simpson, die für die Royals eine Persona non grata blieb, hat mir sehr gut gefallen - Leseempfehlung!

Bewertung vom 18.09.2024
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


gut

Wichtige Themen unserer Zeit
Yasira Saad arbeitet für das Bundeskriminalamt, ist Anfang 40, geschieden und Mutter einer 16-jährigen Tochter. Während eines Dates mit einem Journalisten zeigt dieser ihr ein Video, das die brutale Vergewaltigung eines jungen Mädchens zeigt. Es handelt sich um die 16-jährige Lena Palmer, die seit vier Tagen vermisst wird. Die drei Täter sind schwarz und allem Anschein nach junge Asylsuchende. Auf Anweisung des Innenministeriums wird der Fall Yasira übertragen, die selbst einen Migrationshintergrund hat. Weitere sechs Polizeibeamte werden ihr zur Seite gestellt. Die Suche nach Lena und den Tätern gestaltet sich schwierig, weder die Auswertungen des Videos noch Befragungen von Lenas Familie und Freunden bringen das Ermittlungsteam weiter. Bald geht eine rechtsradikale Gruppe, die sich "Aktiver Heimatschutz" nennt, mit verstörenden Videos viral, es kommt zu gewalttätigen Demonstrationen, und auch Yasira gerät in den Fokus selbsternannter Rächer.

Das Buch ist in einer teilweise eher flapsigen Sprache geschrieben, was ich sehr gewöhnungsbedürftig fand. Es war spannend, Yasira und ihr Team bei den Ermittlungen zu begleiten, es gibt unerwartete Wendungen, und der Schwerpunkt liegt bald nicht mehr auf der Suche nach dem vermissten Mädchen, sondern auf dem Thema Künstliche Intelligenz. Ich mochte Yasira als engagierte und besorgte Mutter, als Polizistin verhält sie sich in einigen Situationen wenig professionell. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse, die Handlung wird brutaler und zunehmend unrealistischer. Das Finale mit seinem abrupten Ende hat mir nicht gefallen, und leider bleiben viele Fragen unbeantwortet.

"Views" ist politisch und gesellschaftskritisch und beschäftigt sich mit wichtigen Themen unserer Zeit, wie Rassismus, Rechtsextremismus, Diskriminierung, Social Media und Drogen. Obwohl das Buch spannend war und ich die detaillierten Ausführungen rund um das Thema KI äußerst interessant fand, konnte es mich leider nicht überzeugen.

Bewertung vom 16.09.2024
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


gut

Klimaaktivistin trifft auf Hausbesetzerin
Der Heyne Verlag hat "Tage mit Milena", den neuen Roman von Katrin Burseg, veröffentlicht. Wie bereits im Vorgängerbuch "Adas Fest", einem Familienroman, den ich mit viel Freude gelesen habe, spielen auch im aktuellen Buch der Autorin Klimawandel und Klimaschutz eine große Rolle.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die 54-jährige Annika Oelker, die vor über 30 Jahren nach Lübeck gekommen ist. Sie führt den Schreibwarenladen ihres Mannes Hendrik, der sich mit großer Leidenschaft seinem Blumenacker widmet. Als die 17-jährige Luzie den Laden betritt und zwei Tuben Sekundenkleber kauft, ahnt Annika noch nicht, dass es in den nächsten Minuten einen Verkehrsstau in ihrer Straße geben wird. Die Klimaaktivistin hat sich mitten auf der Straße festgeklebt. Annika setzt sich zu ihr und nimmt sie nach der Überprüfung auf der Polizeiwache mit zu sich nach Hause. Luzie erklärt Annika und Hendrik, dass sie auf die Straße geht, damit die Menschen sich Gedanken über die Klimakatastrophe machen. Als sie am nächsten Tag verschwunden ist, geht Annika davon aus, dass sie nach Hamburg unterwegs ist, wo es zu Klimaprotesten kommen wird. Um Luzie zu beschützen und vor Fehlern zu bewahren, sperrt sie kurzentschlossen den Laden ab und begibt sich auf die Reise nach Hamburg.

Während wir auf der Erzählebene im Hier und Jetzt Annika und Luzie begleiten, führt uns die Autorin in einem zweiten Erzählstrang zurück in die achtziger Jahre, als Annika gemeinsam mit ihren Freunden Milena und Matti in der Hamburger Hafenstraße der Hausbesetzerszene angehörte und für eine gute Sache kämpfte - bis es zu einer Tragödie kam.

Das Buch ist in schöner und klarer Sprache geschrieben, es liest sich sehr flüssig. Die Geschichte ist spannend erzählt, nach und nach tritt Verdrängtes aus Annikas Vergangenheit zutage, Erinnerungen fügen sich zu einem Ganzen zusammen. Es war fesselnd, Annika in ihrem aktuellen und früheren Leben zu begleiten und mit ihr und Luzie nach Italien zu reisen, um dort die letzten Geheimnisse aufzudecken. Das Buch, in dem es nicht nur um den Klimawandel, sondern auch um Liebe und Freundschaft, Schuldgefühle und traumatische Ereignisse geht, hat mir gut gefallen. Die Hamburger Hausbesetzerszene in den Achtzigern und das Engagement der Klimaaktivisten unserer Zeit sind detailliert und eindrücklich beschrieben.

Ich mochte die ruhige Annika, die von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt wird, auch wenn ich ihre impulsiven Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte. Mit der überambitionierten Luzie und ihren Entscheidungen habe ich mich schwer getan. Annikas Ehemann Hendrik, sehr sympathisch mit seiner besonnenen Art und seinen Lebensanschauungen, kam mir in der zweiten Hälfte des Buches deutlich zu kurz. Das Ende der Geschichte empfand ich als etwas übertrieben dramatisch und nicht sehr glaubhaft. Außerdem fand ich es schade, dass bereits nach 100 Seiten in einem Chatverlauf ein Hinweis gegeben wird, der mich das Ende des Buches erahnen ließ.

Ich habe das fesselnde Buch über das zentrale Thema Klimawandel gern gelesen und mich gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 08.09.2024
Peters, Caroline

Ein anderes Leben


sehr gut

Kurzweiliger Roman über eine außergewöhnliche Familie
Die Schauspielerin Caroline Peters, einem breiten Fernsehpublikum durch die Serie "Mord mit Aussicht" bekannt und inzwischen erneut dem Ensemble des renommierten Wiener Burgtheaters zugehörig, hat ihren Debütroman "Ein anderes Leben" veröffentlicht.
 
Low, der Vater der namenlosen Ich-Erzählerin, ist verstorben. Während sie gemeinsam mit ihren Halbschwestern Laura und Lotta sowie deren Vätern Klaus und Roberto an seinem Grab steht, schweifen ihre Gedanken immer wieder ab zu Hanna, ihrer Mutter, die bereits vor vielen Jahren gestorben ist. Wer war Hanna, die Frau, die nacheinander drei Studienkollegen geheiratet und mit jedem eine Tochter bekommen hat?
 
Während die Protagonistin bei den Trauerfeierlichkeiten und der anschließenden Zusammenkunft im "Tannenhof" ihre Erinnerungen Revue passieren lässt, blättert sich nach und nach Hannas Lebensgeschichte auf. Wir lernen eine intelligente und außergewöhnliche Frau kennen, die es liebt, Gedichte zu übersetzen und in der Bibliothek, in der sie arbeitet, jungen Studenten Leseempfehlungen zu geben. Zeitweise leidet sie unter Depressionen, so dass die Kinder von einer Nachbarin versorgt werden müssen. Sie ist anders als andere Mütter, nimmt sich selbst überaus wichtig und zeigt den Mädchen gegenüber eher wenig Interesse und Wärme. Der ungeliebten Kocherei entledigt sie sich, indem sie ihre Töchter und Low an sechs Tagen pro Woche kochen lässt, und gelegentlich stellt sie ihre Kinder vor anderen bloß, indem sie Unwahrheiten über sie erzählt.
 
Die Autorin erzählt die Geschichte in schöner Sprache und mit feinem Humor. Die interessanten Charaktere sind bildhaft und authentisch gezeichnet. Da das Familiengefüge gleich zu Beginn gut beschrieben ist, fällt die Zuordnung der Personen nicht schwer. Ich habe oft geschmunzelt über die häufig sehr unterschiedlichen Erinnerungen der Töchter an familiäre Situationen, was immer wieder Anlass für hitzige Diskussionen ist. Dabei fällt es der Ich-Erzählerin immer noch schwer, sich als Jüngste gegenüber den Schwestern zu behaupten.
 
Ich habe den Roman über eine sehr spezielle Familie gern gelesen. Allerdings konnte ich Hanna, die sich gern in den Vordergrund stellte, wenig Sympathie entgegenbringen und ihre Handlungen oft nicht nachvollziehen. Ich fand sie egozentrisch und wenig empathisch und hatte eher Mitgefühl für ihre Töchter und Ehemänner, für die das Leben mit ihr sicherlich oft eine Herausforderung darstellte.
 
Leseempfehlung für diese interessante und kurzweilige Familiengeschichte! 

Bewertung vom 05.09.2024
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Wunderschön und bewegend
In ihrem Roman "Der Bademeister ohne Himmel" erzählt die österreichische Autorin Petra Pellini die Geschichte der 15-jährigen Linda, die nicht glücklich ist und daran denkt, vor ein Auto zu laufen. Es gibt nur zwei Menschen, die sie davon abhalten: ihr Freund Kevin, den sie seit 6 Jahren kennt und der zunehmend an der Menschheit verzweifelt, und der 86-jährige Hubert, der im gleichen Haus wohnt wie sie. Hubert war 42 Jahre lang Bademeister im Strandbad, nun ist er demenzkrank. Seine Frau Rosalie ist vor 7 Jahren verstorben. Er wird von der Polin Ewa betreut, einer 24-Stunden-Pflegekraft. An drei Nachmittagen pro Woche kümmert sich Linda um den alten Herrn, damit Ewa etwas Zeit für sich hat.

Wir erleben Linda, Hubert und Ewa über einen relativ kurzen Zeitraum, während dessen Hubert immer mehr in seiner eigenen Welt versinkt. Linda weiß intuitiv, wie sie mit ihm umzugehen hat, ohne ihn noch mehr zu verwirren. Sie geht beruhigend und verständnisvoll auf ihn ein, versucht, seine Erinnerungen, die ihm zunehmend entgleiten, wieder einzufangen. Wenn er fragt, wo seine Frau ist, sagt sie ihm nicht, dass Rosalie bereits seit langem tot ist, sondern erklärt ihre Abwesenheit mit einem Einkauf. Linda fühlt sich sehr wohl bei Hubert und der herzlichen und zupackenden Ewa, viel wohler als bei ihrer Mutter, von der sie sich wegen der Schule ständig gestresst fühlt und die nach der Scheidung von Lindas Vater mal wieder einen neuen Freund hat.  

Das Buch ist in schöner Sprache aus Sicht der jugendlichen Ich-Erzählerin Linda geschrieben. Es liest sich flüssig, die Figuren sind sehr liebevoll und vollkommen authentisch beschrieben. Die Autorin, die selbst lange in der Pflege demenzkranker Menschen tätig war, schildert Huberts Krankheitsverlauf mit viel Empathie und einer großen Portion Humor, dabei vollkommen realistisch, ohne Übertreibungen und ohne Rührseligkeiten.

Ich habe die Geschichte sehr gern gelesen, sie hat mich begeistert, zutiefst berührt und sehr nachdenklich gemacht. Es geht in dem Buch zwar in erster Linie um das wichtige Thema Demenz und den Umgang damit, es wird aber auch sehr anschaulich verdeutlicht, in welcher Situation sich die ausländischen Pflegekräfte befinden, die fern der Heimat nahezu rund um die Uhr tätig sind und welchen Problemen und Belastungen sie ausgesetzt sind. Auch die Überforderung der Angehörigen ist sehr eindrücklich am Beispiel von Huberts Tochter beschrieben. 

Absolute Leseempfehlung für dieses wunderbare Buch, das bereits jetzt zu meinen diesjährigen Lesehighlights gehört und mich noch lange beschäftigen wird!

Bewertung vom 03.09.2024
Stronk, Cally

Das verflixt verfluchte Geisterhaus / Die Jagd nach dem magischen Detektivkoffer Bd.7


ausgezeichnet

Liebevoll gestaltete und spannende Kinderbuchreihe
Mein Enkel liebt die Geschichten um den magischen Detektivkoffer und lässt sie sich immer wieder gern vorlesen. Ich habe mich daher sehr darüber gefreut, dass der Ravensburger Verlag nun "Das verflixt verfluchte Geisterhaus" veröffentlicht hat, den 7. Band aus der Reihe "Die Jagd nach dem magischen Detektivkoffer".

Im Mittelpunkt des fesselnden Abenteuers stehen wieder die Zwillinge Marie und Lukas, die zu ihrem siebten Geburtstag von ihrer Tante Gundula einen Detektivkoffer bekommen haben, mit dessen Hilfe sie Kriminalfälle lösen können. Die Gegenstände, die sich im Koffer befinden, haben verschiedene magische Fähigkeiten. Zwei Ganoven, Theodor Topf und Doris Deckel, tun alles, um in den Besitz des Koffers zu gelangen, und mit einem Trick erreichen sie sogar ihr Ziel. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass Marie und Lukas bald herausfinden, dass sie im gruseligen Geisterhaus suchen müssen ... 

Auch diese Geschichte, die sich an Kinder ab etwa 7 Jahren richtet, ist nicht nur superspannend, sondern auch sehr schön und altersgerecht von Cally Stronk erzählt. Jüngere Kinder freuen sich, wenn sie ihnen vorgelesen wird, Ältere werden zum Selbstlesen animiert, da die Schrift schön groß ist. Die Texte werden durch die wunderschönen bunten Illustrationen von Patrick Fix ergänzt. Das Buch enthält auch Rätsel, die nicht nur von Marie und Lukas, sondern auch vom kleinen Leser zu lösen sind - eine tolle Idee. Allerdings kann es sein, dass bei jüngeren Kindern ein Erwachsener etwas Hilfestellung geben muss.

Der neue Band hat mich mit seinen schönen Texten und Illustrationen wieder begeistert. Besonders gut gefällt mir, wie liebevoll die Personen - und natürlich auch der Hund Sokrates, die Katze Pfötchen und der Wellensittich Brötchen - dargestellt sind. Die Ganoven sind erfreulicherweise so gezeichnet, dass sie die kleinen Leser nicht verängstigen. Das farbenfrohe Cover passt hervorragend zum Titel. 

Absolute Lese- und Vorleseempfehlung für dieses äußerst liebevoll gestaltete Kinderbuch!

Bewertung vom 02.09.2024
Ventura, Maud

Mein Mann


ausgezeichnet

Großartiges Debüt
In dem Roman "Mein Mann" von Maud Ventura, der in Frankreich 2021 zum meistverkauften Debüt wurde, steht eine namenlose Ich-Erzählerin im Mittelpunkt. Sie ist 40 Jahre alt, groß, blond und eine Schönheit, und sie liebt ihren Ehemann, mit dem sie seit 15 Jahren zusammen und seit 13 Jahren verheiratet ist, wie am ersten Tag. Die beiden haben zwei Kinder, einen 9-jährigen Sohn und eine 7-jährige Tochter. Während die Ich-Erzählerin neben ihrer Tätigkeit als Englischlehrerin im Nebenberuf als Übersetzerin für einen Verlag arbeitet, ist ihr Mann im Finanzwesen tätig. Sie bewohnen das schönste Haus ihres Viertels, in dem die Protagonistin ihren Mann jeden Abend mit großer Vorfreude erwartet. 

Die größte Angst der Ich-Erzählerin ist, von ihrem Mann verlassen zu werden. Als Beweis, dass er sie nicht mehr liebt, notiert sie jedes Fehlverhalten ihres Mannes. Warum hält er nicht mehr ihre Hand, wenn sie neben ihm auf dem Sofa sitzt? Wie kann er mit ihr über so unwichtige Dinge wie das Wetter sprechen? Warum erinnert sie ihn an eine Clementine, während eine gemeinsame Freundin ihn an eine exotische Frucht erinnert? Dieser Vorfall kränkt sie sehr, beschäftigt sie ständig und muss bestraft werden wie all seine Vergehen zuvor, über die sie akribisch Buch führt. Doch irgendwann geht sie zu weit ...

Wir begleiten das Ehepaar über den Zeitraum von einer Woche und erleben dabei seinen Alltag und die Erinnerungen der Protagonistin an Begebenheiten mit ihrem Ehemann, bei denen er sie verärgert oder enttäuscht hat. Dass er es wagte, während ihrer Flitterwochen krank zu werden, macht sie heute noch zornig.

Die Geschichte liest sich sehr flüssig, ist stellenweise sogar recht humorvoll. Die schöne Sprache hat mir sehr gut gefallen, auch die großartige Zeichnung der Charaktere. Ich konnte mir das Ehepaar sehr gut vorstellen und habe dabei tief in die Gefühls- und Gedankenwelt der Protagonistin blicken können. Ihre Gedanken kreisen fast ständig um ihren Mann, sie beobachtet ihn und seine Reaktionen ganz genau, achtet auf alles, was er sagt. Sie hat kein Bedürfnis, Zeit mit Freunden oder den Eltern zu verbringen. Selbst ihre Kinder empfindet sie als Störfaktor, denn sie möchte nur mit ihrem Mann zusammen sein. 

Mir hat dieses Ehedrama über obsessive und leidenschaftliche Liebe, Eifersucht, Sehnsucht und Ängste sehr gut gefallen. Ich fand es genial geschrieben, es hat mich gefesselt und nachdenklich gemacht. Das überraschende Ende ist brillant. Ich kann mir sehr gut eine filmische Umsetzung des außergewöhnlichen Buches vorstellen. 

Absolute Leseempfehlung für dieses großartige und kurzweilige Debüt!

Bewertung vom 28.08.2024
Baldelli, Giulia

Das Schweigen meiner Freundin


ausgezeichnet

Großartige Lebens- und Liebesgeschichte
In ihrem Debütroman "Das Schweigen meiner Freundin" erzählt die italienische Autorin Giulia Baldelli die Geschichte der Freundinnen Giulia und Cristi.

Zu Beginn des Romans lernen wir die Ich-Erzählerin Giulia kennen. Die 60-jährige Anwältin wartet im dunklen Wald auf ihre Freundin Cristi, obwohl sie weiß, dass diese nicht kommen wird. Giulia ist sehr krank, sie wird nur noch drei Monate leben. Ihr Mann und ihre Tochter wissen nicht, wo sie ist, sie hat ihnen gesagt, dass sie einen dienstlichen Termin hat. Heimlich ist sie in ihren Heimatort gereist, um Cristi endlich die Wahrheit zu sagen, die sie ihr seit 50 Jahren verschweigt.

Wir begegnen Giulia und Cristi im Jahr 1991. Giulia ist 10 Jahre alt, als sie die drei Jahre Jüngere in der Küche der Großmutter Ida zum ersten Mal sieht. Da Ida vormittags ihrer Arbeit als Köchin nachgeht, wird Giulia die Aufgabe übertragen, während der Sommermonate auf die Kleine aufzupassen. Anfangs ist ihr Cristi, die kaum spricht, lästig, doch schon bald freut sie sich auf die Unternehmungen mit ihr. Im zweiten Sommer gesellt sich Mattia zu ihnen, er ist 11 Jahre alt und ein guter Schüler, der sich manchmal prügelt. Von nun an unternehmen sie viel zu dritt. Mattia und Cristi fühlen sich zueinander hingezogen, und Giulia, die sich in Cristi verliebt hat, reagiert mit Eifersucht.

Das Buch ist in hinreißend schöner Sprache geschrieben und liest sich sehr flüssig. Wir begleiten die Freundinnen und Mattia durch die Jahre, während der Fokus auf der Ich-Erzählerin Guilia liegt. Diese weiß schon früh, dass sie Jura studieren und Anwältin werden möchte. Ehrgeizig und zielstrebig geht sie ihren Weg, während Cristis Weg ein anderer ist. Außerhalb der Sommerferien lebt sie mit ihrer Mutter in sehr bescheidenen Verhältnissen in Bologna, bis diese einen wohlhabenden Finanzmanager heiratet.

Die Autorin beschreibt ganz wunderbar und mit viel Empathie die tiefe und komplizierte Liebe, die die Personen miteinander verbindet. Die Figurenzeichnung hat mir sehr gut gefallen, ich mochte die zielstrebige Giulia und die schweigsame Cristi, die von der Mutter arg vernachlässigt wird. Wir sehen ihre Stärken und Schwächen, erleben ihre Höhen und Tiefen. Auch die Nebencharaktere sind sehr schön beschrieben, ganz besonders Giulias Eltern, die unverschuldet in Not geraten, Cristis Großmutter Ida und Giulias Mitbewohnerin Pia.

Vom Erzählstil her hat mich das Buch an die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante erinnert. Es ist ein Buch über Liebe und Freundschaft, Eifersucht und Sehnsucht, Verrat, Lügen und Depressionen. Ich habe es bis zum für mich stimmigen Ende mit sehr viel Freude gelesen, es ist spannend, mitreißend und hat mich sehr berührt.

Absolute Leseempfehlung für dieses großartige Debüt, das eine große Leserschaft verdient!

Bewertung vom 22.08.2024
Dark, Alice Elliott

Unsere Jahre auf Fellowship Point


gut

Wunderbare Sprache - ärgerliche und unglaubwürdige Wendung
An ihrem neu erschienenen Roman "Unsere Jahre auf Fellowship Point" hat die amerikanische Autorin Alice Elliott Dark 17 Jahre geschrieben. Das schöne Cover mit den beiden jungen Frauen sprach mich sofort an, ebenso der Klappentext, und ich freute mich sehr auf die Lektüre - doch glücklich bin ich mit dem Buch leider nicht geworden.
 
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden Freundinnen Agnes Lee und Polly Wister, die sich seit fast 80 Jahren kennen. Sie sind in Quäkerfamilien in Philadelphia aufgewachsen und haben jeden Sommer in den Sommerhäusern ihrer Familien auf Fellowship Point an der Küste Maines zusammen verbracht. Obwohl sie sehr verschieden sind, ergänzen und respektieren sie sich. Inzwischen sind sie alte Damen, und ihre Freundschaft hat die Jahrzehnte überdauert. Agnes, die eine Krebsoperation vor sich hat, ist seit über 60 Jahren eine erfolgreiche Schriftstellerin und hat bereits einige Romane und eine erfolgreiche Kinderbuchreihe geschrieben. Sie hat nie geheiratet, hat sich schon früh gegen die Ehe ausgesprochen, weil sie sie für antiquiert hält. Ihre Freundin Polly hat einen anderen Lebensweg gewählt, sie ist mit dem Philosophieprofessor Dick verheiratet, die beiden haben drei Söhne. Polly ist gutmütig und immer bemüht, ihrem Mann, der bald in Pension geht, ein angenehmes Leben zu bereiten. Agnes und Polly treffen sich regelmäßig und sind beunruhigt, als sie in einem Zeitungsartikel lesen, dass in der Nähe ihrer Sommerhäuser ein neuer Luxusapartment- und Yachtclubkomplex errichtet werden soll. 
 
In einem zweiten Erzählstrang begegnen wir der 26-jährigen Lektorin Maud, die gemeinsam mit ihrer psychisch kranken Mutter Heidi und ihrer 3-jährigen Tochter Clemmie in einem großen Haus in Manhattan lebt. Sie hat die Idee, Agnes zu überreden, ihre Memoiren zu schreiben. Doch diese zögert ....

Das 733 Seiten umfassende Buch ist in wunderschöner und anspruchsvoller Sprache geschrieben. Der Leser begleitet die Freundinnen während der relativ kurzen Zeitspanne von drei Jahren, die Briefe, die Agnes an ihre Schwester Elspeth schreibt und die einen dritten Erzählstrang bilden, stammen aus den Jahren 1960 bis 1963. Wir blicken außerdem zurück auf die 1870er Jahre, als Agnes' Urgroßvater, William Lee aus Philadelphia und Mitglied einer reichen Händlerfamilie, die gesamte Landzunge auf Fellowship Point kaufte. Er errichtete Häuser für seine Familie und seine Freunde sowie die Angestellten.

Die Autorin beschreibt die Freundschaft der beiden Frauen ganz wundervoll und skizziert nicht nur die Hauptcharaktere sehr liebevoll und intensiv, sondern auch die Nebenfiguren, wie Maud, Robert, Dick und Pollys Söhne, Virgil und Nan. Sehr gut gefallen haben mir der Rückblick in die 1870er Jahre und Agnes' Briefe an ihre Schwester. Weniger gefallen haben mir die teilweise sehr ausführlichen und oft auch unwichtigen Schilderungen von Nebensächlichkeiten, die mich schnell langweilten. Der Kampf um das Vorgehen bezüglich des Vogelschutzgebiets nimmt in meinen Augen zu viel Raum ein. Etwas unterhaltsamer wurde es mit Mauds Einbinden in die Handlung, und erst die Briefe, die Agnes an ihre Schwester schrieb und in denen Geheimnisse und Tragödien offenbart werden, konnten mich fesseln. 

Ich finde es so schade und ärgerlich, dass das mit so wunderbaren Worten geschriebene Buch, in dem es um Liebe und Freundschaft, das Altern und Krankheit, Trauer und Verlust geht, gegen Ende eine völlig unrealistische und auch kitschige Wendung hatte. Außerdem habe ich es sehr bedauert, dass das Leben der Freundinnen, das sie zwischen 1963 und 2000 führten, so wenig Erwähnung fand. Hier hätte ich gern mehr gelesen.

Das Buch konnte leider meine Erwartungen nicht erfüllen - wegen der wunderbaren Sprache gebe ich trotzdem 3 Sterne!