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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 27.01.2025
Harvey, Samantha

Umlaufbahnen


sehr gut

Dass dieses Buch den Booker-Preis erhielt und sicher weitere Preise erhalten wird verwundert nicht, denn es ist durchaus etwas Besonderes. Ein Raumschiff mit sechs Astronaut:innen umkreist die Erde und wir Leserinnen dürfen ihren dabei entstehenden Gedanken folgen.
Einmal um die Erde in 90 Minuten und das sechzehnmal binnen 24 Stunden – das ist die gesamte Handlung dieses Romans. Der eigentlich eher eine Art Essay ist, ein philosophischer Essay über die Erde und ihre Bewohner und was wir Menschen mit diesem uns geschenkten Planeten anstellen.
Die vier Astronauten und zwei Astronautinnen, aus verschiedenen Ländern von verschiedenen Kontinenten, haben die Aufgabe, diverse Versuche und Beobachtungen zu machen. Das betrifft Tierversuche, Untersuchungen zu Klimaveränderungen und auch Versuche an sich selbst, wie reagieren ihre Körper auf die Schwerelosigkeit und vieles mehr.
Doch ihnen bleibt auch sehr viel Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen, nachzudenken, aus den Fenstern zu blicken. Dabei haben sie einen unvergleichlichen Blick auf die Erde, können Länder und Kontinente, Meere, Inseln, Gebirge erkennen und Wetterphänomene. Vor allem einen gewaltigen Taifun beobachten sie, der wächst, sich ausbreitet und dem sie tatenlos zusehen müssen während seines Zerstörungswerks.
Ansonsten geschieht wenig in diesem Roman, es sind eben vor allem diese Gedanken, Erinnerungen an ihre jeweilige Kindheit, an ihre Familien, Überlegungen, wie es den Menschen, die sie lieben, gerade geht, die dieses Buch füllen.
Dabei gelingen der Autorin Hunderte Sätze, die man sich an die Wand pinnen möchte, ins Poesiealbum schreiben oder per Beamer an den Nachthimmel schreiben möchte: „Die Milchstraße ist die qualmende Schmauchspur einer in den seidenglänzenden Himmel geschossenen Ladung Schießpulver.“ (S. 8); „Aber es gibt keine neuen Gedanken. Nur alte, die in neue Momente hineingeboren werden – und in diesen Momenten lautet der Gedanke: Ohne die Erde sind wir alle erledigt.“ (S. 19); „Von der Raumstation ist die Menschheit ein Wesen, das sich nur bei Nacht blicken lässt. Die Menschheit ist das Licht der Städte und die beleuchteten Glühfäden der Straßen.“ (S. 26).
Doch dann wird es manchmal auch etwas viel, wird man diesen so eloquent formulierten, so blumigen und wortreichen Sätzen etwas müde, wünscht sich doch ein wenig Handlung, ein wenig Tempo in dieser Geschichte, die hier erzählt werden soll. Sind doch die Gedanken auch schon mal etwas weitschweifig und auch abschweifend, verlieren den Faden, sofern es den in diesem Buch überhaupt gibt.
So bietet das Buch viel, sehr viel zum Nachdenken, doch leider ist es eben auch an vielen Stellen langatmig, um nicht zu sagen langweilig. Damit dann doch ein eher typisches „preiswürdiges“ Buch. Das dennoch ganz sicher etwas Besonderes, Interessantes ist, das in Erinnerung bleibt, nachhallt.
Samantha Harvey – Umlaufbahnen
aus dem Englischen von Julia Wolf
dtv, November 2024
Gebundene Ausgabe, 223 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 24.01.2025
Slupetzky, Stefan

Lemmings Blues


ausgezeichnet

Dieser Mops heißt Herkules, wird aber vom Lemming, der unverhofft zu seinem Beschützer avanciert, Kuli genannt. Lemming heißt aber natürlich auch nicht Lemming, sondern Leopold Wallisch und ist Detektiv.
Zu ihm kommt eines Tages ein Engel (der sich später jedoch als schlichte Frau entpuppt) und übergibt ihm ebendiesen Mops mit der Bitte, auf ihn aufzupassen. Kurz darauf wird genau diese Frau tot aufgefunden und jemand hat es offensichtlich auf besagten Hund abgesehen. Lemming, der, um sich das Rauchen abzugewöhnen, immer mal wieder ein Stück vermeintlichen Kautabak konsumiert, beginnt zu ermitteln, zuerst versucht er, den Besitzer des Hundes ausfindig zu machen. Bevor er ihn findet, wird er immer wieder von einem mysteriösen Motorrad verfolgt, muss sich mit Hilfe eines winzigen Bootes über die Donau retten und sucht dann Hilfe im Zoo, wo er früher als Nachtwächter arbeitete.
Eine Begegnung mit dem Hundebesitzer schließlich hat für Lemming böse Folgen, denen er sich nur durch eine Flucht entziehen kann, unter Hinterlassung eines ziemlichen Schlachtfeldes. Inzwischen hat er aber herausgefunden, was beziehungsweise wer hinter all dem steckt und was es schnellstens zu retten gilt.
Mehr darf hier in der Zusammenfassung des Inhalts nicht verraten werden, um sowohl die Spannung wie auch die Unterhaltung nicht zu verderben. Nur so viel sei erwähnt, dass es in diesem Roman um Verschwörungstheorien und deren Anhänger oder vielmehr deren Verbreiter geht.
Das Ganze ist derart verrückt, voller Absurdität, herrlich witzig, dabei immer hochspannend, so dass man durch die Seiten jagt. Zwischendurch ergeht sich Lemming in philosophischen Betrachtungen über mehr oder weniger aktuelle Ereignisse, wie die Pandemie und den Umgang damit und etliche andere meist kontrovers diskutierte Themen.
Gerade diese Abschweifungen, Lemmings Nachdenklichkeit und gleichzeitig seine Abgeklärtheit, aufgeschrieben mit dem typisch österreichischen schwarzen Humor, machen einen Heidenspaß. Seine Abrechnung mit all dem, was uns heute so beschäftigt, voller Lebensweisheiten im Vorübergehen. Da nimmt man es gern in Kauf, dass dafür die Handlung quasi kurz innehält und so die Spannung einen winzigen Dämpfer bekommt.
Dafür sind die Figuren herrlich gezeichnet, verschroben, mit ihre Marotten, ihren abstrusen Ansichten, den wunderbar kuriosen Dialogen voller Wortwitz und Tempo. Dazu die ständigen Twists, oft absurd, aber dennoch gut konstruiert und immer irgendwie plausibel. Und schließlich die Pointen, wie die wahre Natur des Kautabaks und wie dieser später noch erfolgreich zum Einsatz kommt.
Einfach genial, dieser Krimi, bitterböse, satirisch, demaskierend. Und der dabei so herrlich viel Spaß macht. Was mich wirklich bedauern lässt, dass dies der erste Roman ist, den ich von diesem Autor und mit diesem Protagonisten gelesen habe. Ganz sicher wird es aber nicht der letzte sein.
Eine klare und uneingeschränkte Leseempfehlung, besonders für alle, die schwarzen Humor mögen.
Stefan Slupetzky - Lemmings Blues
Haymon, Mai 2023
Klappenbroschur, 199 Seiten, 16,90 €

Bewertung vom 22.01.2025
Prammer, Theresa

Falsche Masken


ausgezeichnet

Dieser Krimi macht Spaß, ist genauso, wie ich mir spannende Kriminalgeschichten wünsche. Von (fast) allem stimmt die Dosis, die Figuren sind durchweg sympathisch und lebensecht, die Finten und falschen Spuren enorm geschickt gelegt und nie hat man als Leserin einen Wissensvorsprung vor dem ermittelnden Detektiv. So muss für mich ein Krimi sein, der gut unterhält und bis zur letzten Seite fesselt.
Dabei ist dies bereits der dritte Band, in dessen Mittelpunkt der ungemein liebenswerte, weil so normale Privatdetektiv Edgar Brehm steht, leider kenne ich die beiden Vorgängerbände nicht. Unterstützt wird Edgar bei seinen Ermittlungen von der Schauspielschülerin Toni Lorenz, die mühsam versucht, ihre Ausbildung und diesen Nebenjob unter einen Hut zu bekommen.
Das wird besonders erschwert durch die Tatsache, dass ihre Ausbilderin diese Nebentätigkeit streng verboten hat, so dass Toni permanent zwischen den Stühlen sitzt. Dazu kommt noch ihre sich anbahnende Beziehung zum erfolgreichen Schauspieler Tim, die sie in Gefühlskonflikte bringt.
Währenddessen soll Edgar, nachdem er zuerst einen anderen Fall nicht ganz erfolgreich abschließen musste, klären, wer bei einem Psychotherapeuten eingebrochen hat und diesen nun erpresst. Schnell stellt sich heraus, dass dieser Fall eine Verbindung hat zum Tod des Ehemannes der berühmten Schauspielerin Julia Didier. Diese hatte gestanden, ihren Mann getötet zu haben und erlitt sofort danach einen Unfall, der sie ins Koma warf.
Edgar und Toni beginnen zu recherchieren, erkennen neue Verbindungen, verirren sich in zahlreichen Fährten, folgen falschen Spuren. Dabei wirken alle, die auf die eine oder andere Weise involviert sind, glaubwürdig. Und doch haben alle etwas zu verbergen, so dass die Beiden nur mühsam das Netz aufdröseln.
Zusätzliche Aufregung bringt die On-Off-Beziehung Edgars zu Ralph, dem Priester, der sein Amt nicht für ihn aufgeben möchte, sowie ein Mann, der offensichtlich Edgar ständig verfolgt und beobachtet. Inzwischen hat Toni permanent Probleme am Theater und streitet mit ihrer Lehrerin.
Das Ganze ist voller Tempo, voller Wendungen und Twists, nie weiß ich als Leserin mehr als die beiden Detektive. Einzige Hinweise könnten die Chatprotokolle liefern, die immer mal zwischen die Szenen eingefügt sind und in welchen es offensichtlich um eine große, aber geheime Liebe geht. Doch auch darin findet die Leserin keinen Hinweis, der ihr einen Vorsprung an Wissen geben könnte.
So macht der Roman viel Spaß, man will immer mehr erfahren, will endlich wissen, was die Hintergründe, die Motive und wer der oder die Täter:in ist. Alle Figuren sind mit großer Raffinesse gestaltet, mit Profil und Schärfe, dabei lebensecht, sympathisch und in ihren Handlungen weitgehend plausibel. Einzig der Part rund um Edgars Liebeskummer wegen Ralph ist mir zu viel, nimmt mir zu viel Raum ein. Dabei kommt er überhaupt nicht voran, die Gespräche zwischen den Beiden wiederholen sich ständig, ohne zu einer Lösung zu kommen. Dieser Teil des Plots war mir etwas zu mühsam, zu künstlich.
Davon abgesehen aber ist dieser Krimi ein reines Lesevergnügen, weshalb ich bedaure, die Vorgängerbände verpasst zu haben. Desto mehr hoffe ich auf weitere Fortsetzungen mit den liebenswerten Ermittlern Edgar und Toni.
Theresa Prammer – Falsche Masken
Haymon, September 2024
Klappenbroschur, 407 Seiten, 17,90 €

Bewertung vom 20.01.2025
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Erst nach und nach entfaltet dieser Roman um eine junge Frau, die als Maskenbildnerin im Filmbusiness Karriere machen will, einen gewissen Sog, eine gewisse Spannung.
Loretta, die eigentlich Margret heißt, kommt aus England nach Amerika, ohne Geld, aber mit hohen Ambitionen. Schon auf dem Schiff lernt sie einen Mann kennen, den sie dafür benutzt, einreisen zu können, indem sie den Ausweis seiner Frau entwendet. So kommt sie nicht nur ins Land, sondern auch zu ihrem angenommenen Namen.
Der nächste Mann, mit dem sie sogar zusammenzieht, verhilft ihr schließlich dazu, im Land bleiben zu können, denn sie heiraten. Doch er erweist sich als übler Egoist, der nur seine eigene Schauspielerkarriere im Sinn hat. Was dazu führt, dass er Loretta zu einer Orgie bringt, wo sie nur knapp einer Vergewaltigung entgeht.
Das, aber nicht nur das, öffnet ihr die Augen für das immer wieder übergriffige Verhalten der Männer. Aber Loretta schleppt auch aus ihrer Vergangenheit beziehungsweise der ihrer Familie ähnlichen Ballast mit. Dabei geht es um ihren Vater und sein Verhalten gegenüber Lorettas Mutter und ihrer Schwester.
Von all dem lässt sie sich aber nicht von ihrem Plan abbringen. Sie will bei dem berühmtesten Visagisten und Maskenbildner lernen und das gelingt ihr dank ihrer wirklich ausgeprägten Chuzpe. Loretta lässt sich von nichts schnell ins Bockhorn jagen, das merken vor allem die Männer, die ihr übelwollen oder ihr Übles antun. Dabei sind es auch durchaus Frauen, Kolleginnen, mit denen sie aneinandergerät. Eine besondere Beziehung hingegen entwickelt sie mit der im Nachbarhaus ein Bordell betreibenden Primrose, die zu ihrer besten Freundin wird.
Die Dinge laufen auf eine Eskalation zu, als Loretta mitfährt zum Filmdreh am Rand der Wüste, wo auch der Mann dabei ist, der sie seinerzeit zu vergewaltigen versuchte, ein berühmter und sehr zickiger Schauspieler. Als Freund an ihrer Seite ist dabei stets der Drehbuchautor Eliot, für den Loretta nach und nach tiefe Gefühle entwickelt.
Während all das geschieht, verliert Loretta jedoch nie ihr Ziel aus den Augen, zu dem auch die Kreation einer eigenen Lippenstiftmarke gehört.
Zu Beginn hatte es der Roman schwer, mich zu erreichen, war mir doch die Protagonistin erstmal wenig sympathisch. Sie erschien mir zu ichbezogen, zu sehr über Leichen gehend um ihr Ziel zu erreichen. Doch nach und nach beginnt man, für sie Verständnis zu entwickeln, wenn man beobachten kann, welches Frauenbild die Männer damals hatten ( und welches viele leider auch heute noch haben). Man beginnt mit ihr zu fühlen, mit ihr zu bangen und ihre Taten gutzuheißen.
Dazu ist das Ganze sehr erfrischend geschrieben, temporeich, mit witzigen Dialogen und einem recht tiefen Blick auf die Vorgänge in Hollywood, in den Filmstudios. Die Figuren sind lebensecht, wenn auch nicht ganz frei von Klischee (wie z.B. die Prostituierte mit dem großen Herzen oder die neidischen Kolleginnen). Nach den ersten Seiten wird auch die Protagonistin zu einem einprägsamen Charakter, eine Figur, die tapfer gegen die Männer und für ihre Karriere kämpft.
Insgesamt ein unterhaltsamer und dabei auch nachdenklicher Roman um eine Frau, die ihren Weg geht.
Katherine Blake - Not your Darling
aus dem Englischen von Astrid Finke
Knaur, Dezember 2024
Taschenbuch, 398 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 13.01.2025
Moyes, Jojo

Zwischen Ende und Anfang


sehr gut

Jojo Moyes ist eigentlich eine Garantin für gute Unterhaltung, ihre Romane sind zwar meist ein bisschen seicht, aber fast immer voller Gefühl, mit ein wenig Spannung und oft auch einem besonderen Hintergrundthema.
So ist auch der neue Roman nicht wirklich enttäuschend, doch eben auch von vornherein absehbar, durchsetzt mit altbekannten Zutaten, dazu aber auch voller liebenswerter und sehr menschlicher Figuren.
Lila, 42 Jahre alt, Mutter der 16-jährigen Celie und der 8-jährigen Violet sowie Hüterin des ständig bellenden Hundes Truant, muss ihr Ehe-Aus verarbeiten. Ihr Mann Dan hat eine neue Frau, natürlich jünger und attraktiver, und diese ist nun auch noch schwanger. Zusätzliche Herausforderung ist ihr Stiefvater, der, obwohl Besitzer eines eigenen Hauses, nach dem Tod ihrer Mutter nun mehr oder weniger permanent bei Lila im Haus wohnt.
Das Haus, in welchem sie leben, ist altersschwach, der Garten quasi im Urzustand, für alles fehlt Lila jedoch das Geld. Das verdient sie sich mit Schreiben. Ihr erstes Buch, eine ausführliche Beschreibung ihres eigenen damals noch glücklichen Ehelebens war ein Bestseller und ihre Agentin verlangt immer dringender eine Fortsetzung des Erfolgs. Doch Lila hat eine waschechte Schreibblockade, ihre Ehe- und alle sonstigen Probleme hemmen den Schreibfluss.
Mit all dem noch nicht genug, taucht plötzlich auch noch ihr leiblicher Vater auf, der seit Jahren nichts hatte von sich hören lassen. Nach und nach stellt sich heraus, dass der Schauspieler ziemlich pleite und dringend auf der Suche nach neuen Engagements ist. Selbstverständlich sind Gene, der leibliche, und Bill, der Stiefvater, alles andere als Freunde und so fliegen erstmal die Fetzen.
Und weil all das noch nicht reicht, hat Celie auch noch mit Mobbing in ihrer Schule zu kämpfen. Wie gut, dass Lila nun den attraktiven Gabriel kennenlernt, mit dem sie unbedingt anbandeln möchte. Dabei übersieht sie den netten Jensen aus der Nachbarschaft, der während all dieser Ereignisse im Auftrag von Bill den Garten gestaltet.
Schon diese Zusammenfassung zeigt, dass der Roman im Grunde ein Konglomerat aus Klischees und alten und abgedroschenen Versatzstücken solcher Genreromane ist. Man ahnt sozusagen schon auf Seite zwei, wie es ausgehen wird, denn natürlich landet Lila bei Gabriel, natürlich ist der Kerl (Achtung Spoiler!!!) nicht das, wonach es aussieht und natürlich vergrault sie den viel sympathischeren Jensen erstmal kräftig, bevor sich am Ende alle beseelt in die Arme sinken.
Trotz dieser Kritik hat sich der Roman durchaus schnell, leicht und flüssig lesen lassen. Was selbstredend an dem wie immer gelungenen Stil der Autorin, ihrer Fähigkeit, den Figuren Leben einzuhauchen, sie wahrhaft, authentisch und real wirken zu lassen, liegt. Wer also leichte Unterhaltung ohne zu viel Tiefgang, eine amüsante und gefühlvolle Geschichte mag, für diejenige ist der Roman auf jeden Fall zu empfehlen.
Jojo Moyes - Zwischen Ende und Anfang
aus dem Englischen von Karolina Fell
Wunderlich, Dezember 2024
Gebundene Ausgabe, 527 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 10.01.2025
Kästner & Kästner

Tatort Hafen - Tod im Schatten der Elbflut / Wasserschutzpolizei Hamburg Bd.2


sehr gut

Dies ist bereits der zweite Band einer Reihe um Ermittlungen im Hamburger Hafen, leider habe ich den ersten Teil nicht gelesen. Das tut der Spannung und der Qualität dieses Romans aber keinerlei Abbruch
Dieser Kriminalroman, in dessen Mittelpunkt Hauptkommissar Tom Bendixen von der Wasserschutzpolizei steht, entwickelt eine hohe Dynamik auf verschiedenen Ebenen. Die vordergründigste ist das Wetter: Ein heftiges Unwetter mit Orkanstärke treibt auf Hamburg zu, die Wasserstände steigen, der Hafen muss evakuiert werden.
Da wird die Leiche eines jungen Afrikaners aus der Elbe gefischt, bekleidet mit den Overall einer bestimmten Reederei. Von dieser liegt aktuell nur ein Schiff im Hafen, so dass schnell klar ist, dass der Mann von dort kommen muss. Doch es stellt sich bald heraus, dass er kein Mitglied der Crew war, sondern ein blinder Passagier, ein „Einschleicher“. Und es bleibt nicht bei diesem einen blinden Passagier, eine Frau mit kleinem Kind wird auf dem Schiff gefunden. Schließlich wird auch noch das einzige weibliche Crewmitglied vermisst.
Eine weitere Person ist wohl offensichtlich vom Schiff geflohen und wird nun nicht nur von den Polizisten gesucht, denn der Fliehende hat einen Mord mit angesehen.
Zur Untersuchung des ersten Todesfalls kommt die Mordkommissarin Jonna Jacobi an Bord, steht aber vor einer Mauer des Schweigens, des Leugnens und der Lügen. Weiter hinzugezogen wird die Opferschutz-Mitarbeiterin Charlotte Severin, die sich um die Mutter und das Kind kümmern soll.
Charlotte wiederum hat mit heftigen eigenen Problemen zu kämpfen, sie wird von ihrem Ex, dem Vater ihrer Tochter, bedroht und muss sich vor ihm verstecken. Dieser Handlungsfaden wurde vom Vorgängerband übernommen, wo bereits Tom und Charlotte miteinander zu tun hatten und sich offensichtlich näher kamen. Tom wiederum sorgt sich um seine Frau, die nicht zu erreichen ist und daher nicht über die nötige Evakuierung informiert werden kann.
All diese Ereignisse tragen sich in einer einzigen Nacht zu, binnen weniger Stunden, in denen der Sturm zunimmt, das Wasser steigt und alle Beteiligten unter enormem Druck stehen.
Diese Beteiligten, die Protagonisten des Romans, sind sehr sympathisch und dabei durchaus lebensecht gezeichnet, mit eigenen Sorgen und Nöten und doch immer hellwach in ihrem Job. Gut beschrieben ist die hohe Belastung, unter der die Ermittler:innen stehen, physisch wie psychisch, sowie die immer mehr steigenden Herausforderungen durch das Wetter. Hier greifen die Autoren, das Ehepaar Angélique und Andreas Kästner, geschickt auf das Stilmittel zurück, Funksprüche darzustellen, die zwischen den verschiedenen Einsatzgruppen, die den Hafen sichern sollen, ausgetauscht werden. Dadurch entsteht eine enorme Dynamik, ein hohes Tempo in der Handlung.
Bis zum dramatischen Ende ahnt man wirklich nicht, wer den Mord begangen hat und den Fliehenden verfolgt. Auch so lässt sich in einem Krimi gute Spannung erzeugen. Dazu kommt ein gut und flüssig zu lesender Schreibstil.
Ein Manko aber liegt in dem, was auch gleichzeitig ein Vorteil ist: Der Autor war einst selbst Hauptkommissar am Hamburger Hafen, so dass insbesondere die Beschreibungen der Örtlichkeiten sowie der Abläufe unbedingt realistisch dargestellt sind. Was aber andererseits leider immer mal wieder zu Informationsüberfluss, sogenanntem Infodump, führt. Da werden die Gegebenheiten, wie z.B. die Rangordnung, auf einem Containerschiff beschrieben, die Zuständigkeiten der Wasserschutzpolizei und die diversen Orte im Hafen. Geschickt eingebaut werden diese durch die wissensdurstigen Fragen der Mordkommissarin an Tom Bendixen, der ihr diese Dinge dann immer gerne und ausführlich erklärt. Hilfreich erweist sich hier auch das Glossar am Ende des Buchs, das all die verwendeten Fachausdrücke erklärt. So interessant und auch durchaus wichtig solche Hintergrundinformationen sind, so reißt es doch leider auch manchmal aus der laufenden Handlung heraus.
Ebenso wie die häufig wechselnden Handlungsorte und damit auch die ebenso häufig wechselnden Protagonisten der Szenen. Einerseits ein Schachzug, durch Cliffhanger die Spannung zu erhöhen, andererseits reißt auch das aus der aktuellen Szene heraus, deren Faden man dann erst wieder finden muss, wenn die Ereignisse an der Stelle später weitergehen.
Dazu kommen ein paar Handlungsfäden, die es m.E. nicht gebraucht hätte, auch wenn ich den die einzelnen Bände verbindenden Faden erkenne. So hat mich die Geschichte um die vom Ex bedrohte Psychologin doch ein wenig gestört, denn das trug wirklich gar nichts zur Haupthandlung bei.
Aber trotz dieser recht kleinen Mängel ein fesselnder Krimi mit sympathischem Personal, der Lust auf die bereits angekündigte Fortsetzung macht.
Kästner & Kästner – Tatort Hafen: Tod im Schatten der Elbflut
Knaur, Dezember 2024
Taschenbuch, 382 Seiten, 12,99 €

Bewertung vom 08.01.2025
Black, Katherine

May Morrigans mysteriöse Morde


sehr gut

Immer um den Neujahrstag herum verschwinden 16-jährige Mädchen, um dann etwa 14 Tage später tot aufgefunden zu werden. Das geschieht in einem ansonsten beschaulichen Dorf, in welchem die ehemalige Bibliothekarin May Morrigan ein ansehnliches Landhaus bewohnt. Ihre Mitbewohner sind zwei Dackel sowie ihr ehemaliger Studienkollege Fletcher.
May, die auch ehemals eine Buchhandlung betrieb, entledigt sich gerne mal unliebsamer Mitbürger. Wer ihr oder jemandem, der ihr etwas bedeutet, querkommt, wird schonungslos eliminiert. Doch als nun wieder ein Mädchen verschwindet, wird Mays Spürsinn geweckt: Sie beschließt, den Täter zu finden und sein grausliches Tun zu beenden. Die Zeit drängt, er muss vor Ablauf der üblichen 14 Tage gefunden werden.
Währenddessen bereitet man sich in der Buchhandlung auf die Lesung der berühmten Liebesromanautorin Barbara Bouvier vor, einer guten Freundin Mays. Der jetzige Betreiber der Buchhandlung, der zwergwüchsige Bastian Lovelace, kennt sich mit Computertechnik aus und wird ein wichtiger Helfer Mays und Fletchers bei der Suche nach dem Mädchenmörder.
Fletcher schwärmt derzeit für den jungen Metzger Lee, der sich aber als große Enttäuschung erweist, als er Fletcher tödlich beleidigt. Das wiederum bekommt Lee gar nicht gut.
So gibt es mehrere Handlungsfäden, davon beschäftigt sich ein weiterer mit dem Journalisten Danny Fox, der eigentlich Karriere machen möchte, wobei ihm allerdings ein sehr unliebsamer Kollege im Weg steht. Danny beginnt ebenfalls in dem Fall der verschwundenen Mädchen zu ermitteln, an seiner Seite eine junge Frau, deren Schwester eines der entführten Mädchen kannte.
All das wird temporeich und mit ziemlich viel Witz erzählt, ohne die diversen zwischenmenschlichen Probleme wie Vorurteile, Ausgrenzung und Ablehnung zu verschweigen. Die Figuren sind allesamt recht skurril, also eigentlich typisch englisch.
Doch vieles, was sie tun, erscheint wenig plausibel oder logisch, manchmal unpassend und nicht immer unbedingt verständlich oder nachvollziehbar. Insbesondere die Handlungen Mays, der titelgebenden Hauptfigur, wirken oft überzogen, zu unrealistisch, zu dick aufgetragen.
Eine nie überführte Mörderin, die sich unliebsamer Mitbürger einfach so entledigt, ist auf den ersten Blick witzig und auch spannend, aber es funktioniert hier nicht so wirklich, es bleibt stets ein gewisses Unbehagen.
Insgesamt also ein durchaus lesenswerter, weil unterhaltsamer Kriminalroman, bei dem die Aufklärung der Tat und die Entlarvung des Täters am Ende recht überraschend daherkommen. Völlig überzeugen kann diese Protagonistin bisher jedoch noch nicht.
Katherine Black - May Morrigans Mysteriöse Morde
aus dem Englischen von Dietmar Schmidt
Lübbe, November 2024
Gebundene Ausgabe, 334 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 06.01.2025
Schmöe, Friederike

Leise tötet der Schnee


gut

Das Setting ist altbekannt aus ähnlich gestrickten Krimis: Eine überschaubare Anzahl an Figuren trifft zusammen an einem von der Außenwelt abgeschnittenen Ort, wo sogleich ein Verbrechen geschieht, für das alle in Verdacht geraten.
In Ich-Form aus der Sicht der Protagonistin Kea Laverde, von Beruf Ghostwriterin, erleben wir die Ereignisse, die sich kurz vor Weihnachten in den Tiroler Bergen zutragen. Kea, wenig trainierte Schreibtischarbeiterin, wagt sich auf eine geführte Schneeschuhwanderung. Auch die anderen Teilnehmer scheinen nicht gerade geeignet für eine solche Tour, der eine trinkt ständig, die andere ist schwer erkältet, eine plappert die ganze Zeit und eine andere lästert permanent über alle anderen. Ein explosive Mischung von Menschen, von denen einige zusammengehören, andere so tun als kennen sie sich nicht, obwohl sie durchaus miteinander bekannt sind.
Als ein völlig unvorhersehbarer Schneesturm hereinbricht, sind alle auf der Berghütte, wo eigentlich nur eine kurze Pause geplant war und wo sie auf eine zweite Gruppe treffen, eingeschneit. Weder der nahegelegene Sessellift noch Telefon oder Internet funktionieren, auch Handys haben natürlich keinen Empfang. Während des Abends brechen erwartbare Konflikte auf und am nächsten Morgen ist ein Mensch tot.
Kea fühlt sich bemüßigt, alles zu kontrollieren und zu untersuchen, sie hinterfragt, verhört, sichert Indizien, ermittelt, geht ständig trotz des Unwetters und trotz ihres eigenen Unwillens nach draußen, um den Toten zu begutachten, findet verdächtige Spuren und klärt so am Ende die Tat auf. Dabei stellen sich diverse Beziehungen zwischen den Anwesenden heraus, entscheidende Vorkommnisse aus der Vergangenheit treten zutage. Dass Kea sich bei ihren ungefragten Ermittlungen natürlich selbst in Gefahr bringt, ist erwartbar. Die Auflösung, die Aufklärung der Tat schließlich ist überraschend und war zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar, was dadurch etwas konstruiert wirkt.
Insgesamt ein recht konventioneller Krimi mit den typischen und üblichen Charakteren, dem ebenfalls typischen Setting. Spannung entsteht durchaus, wenn auch auf eher niedrigem Niveau, was auch der gewählten Ich-Form geschuldet ist. Die Handlungen und Aktionen der Protagonistin allerdings sind selten oder so gut wie nie nachvollziehbar, was die gesamte Story etwas unrealistisch oder zumindest wenig plausibel macht.
Trotz der Mängel aber ein leicht und flüssig zu lesender Kriminalroman, wenn auch mit etwas wenig Tiefgang.
Friederike Schmöe - Leise tötet der Schnee
Gmeiner, Oktober 2024
Taschenbuch, 202 Seiten, 12,00 €

Bewertung vom 03.01.2025
Cambridge, Colleen

Der Krimidinnermord / Phyllida Bright Bd.3


ausgezeichnet

Der bisher, so finde ich, beste Band der inzwischen dreiteiligen Reihe um die mit viel detektivischem Spürsinn ausgestattete Haushälterin von Agatha Christie. Herrlich englisch, voller wunderbar skurriler Typen, mit viel unterschwelligem Humor und einer fein erzeugten Spannung.
Phyllida Bright ist Haushälterin und – im Geheimen – gute Freundin der berühmten Agatha Christie. Ihr Vorbild und Schwarm ist Hercule Poirot und wie dieser verfügt Phyllida über hohe Menschenkenntnis und ausgeprägten Spürsinn für das Verbrechen.
Welches ihr diesmal in Form des Mordes am Gastgeber eines Krimidinners begegnet. Der Arme, der das Zeitliche segnet, wollte dieses Dinner vor allem begehen, um als neu Zugezogener die Bekanntschaft der in seiner Nachbarschaft lebenden berühmten Autorin zu machen. Die jedoch statt ihrer selbst ihre Freundin Phyllida zu der Veranstaltung schickt. Bevor der Abend aber richtig beginnen kann, wird der Hausherr tot aufgefunden, was zuerst niemand bemerkt, da jeder annimmt, dies gehöre zum Krimi-Spiel.
Der anwesende Arzt findet recht schnell die Todesursache, welche eindeutig auf Mord verweist. Ein Sturm mit heftigen Regenfällen sorgt dafür, dass der Inspektor von außerhalb nicht kommen kann, so dass Phyllida, nur wenig eingeschränkt durch den örtlichen Constable, sogleich ihre eigenen Ermittlungen startet.
Natürlich haben alle geladenen Gäste hinreichend Motive, sich des Ermordeten zu entledigen. Etliche Geheimnisse kommen ans Tageslicht, nicht immer zur Freude der Beteiligten, was Phyllida am Ende auch selbst gefährlich deutlich zu spüren bekommt.
Zum Glück gibt es aber ja auch noch den Chauffeur Bradford, der immer dann zu Stelle ist, wenn man ihn braucht. Zwischen ihm und Phyllida knistert es erheblich, was für weitere große Unterhaltung in diesem kurzweiligen und überaus gut strukturieren Krimi sorgt.
Ein sehr witziger Running Gag in diesem Band ist der von Phyllida neu für den Haushalt gekaufte Staubsauger, eine gewaltige, allen bisher völlig unbekannte Neuerung. Durch die Wetterlage verzögert sich die Lieferung immer wieder, was von allen außer Phyllida herzlich begrüßt wird. Denn alle Zimmermädchen im Haushalt und auch einige der Hausdiener fürchten sich sehr vor diesem neumodischen Teufelsgerät. Das selbstverständlich im Zuge der Aufklärung des Mordes noch eine erhebliche Rolle spielen wird.
Bei aller Leichtfüßigkeit, die dieser Story innewohnt, entwickelt das Ganze hinreichend Spannung und sorgt mit Humor und vor allem dank des ganz wunderbar gezeichneten Figurentableaus voller typisch englischer Sonderlinge für beste Krimi-Unterhaltung.
Herrlich verschlungen, perfekt gelungen und das alles in typischem Agatha-Christie-Stil, ohne jedoch jemals eine bloße Kopie zu sein.
Unbedingt empfehlenswerte Krimireihe, die viel Lust auf den nächsten Band macht.
Colleen Cambridge - Der Krimidinner Mord
aus dem Englischen von Angela Koonen
Lübbe, November 2024
Gebundene Ausgabe, 364 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 30.12.2024
Hallett, Janice

Der Twyford-Code


ausgezeichnet

Steven Smith ist oder besser war Analphabet, das Lesen und vor allem das Schreiben fällt ihm immer noch schwer. Also verwendet er die Sprachaufzeichnungsfunktion eines Handys, um seine Geschichte festzuhalten. Doch wem erzählt er sie?
In vielen Aufzeichnungen, teils in Form von Tagebucheinträgen, teils in Mitschnitten von Gesprächen oder Telefonaten, berichtet Smithy, wie er genannt wird, von seinen Erlebnissen auf der Suche nach dem Geheimnis des Twyford Codes. Gerade erst nach vielen Jahren aus dem Gefängnis entlassen, erinnert sich Steven Smith an Ereignisse aus seiner Kindheit, als er einen Kurs für Kinder mit Schreib- und Leseschwäche besuchte, bei Miss Trout. Nachdem er eines Morgens ein Buch der Schriftstellerin Edith Twyford gefunden und es seiner Lehrerin übergeben hatte, fuhr diese mit der kleinen Schülergruppe auf einen Ausflug, an dessen Ende, so erinnert er sich, Miss Trout verschwunden war und nie wieder auftauchte.
Dies alles lässt ihm keine Ruhe und er beginnt zu recherchieren, er will unbedingt herausfinden, was damals mit Miss Trout geschah. Dazu sucht er die damaligen Klassenkamerad:innen auf und mehr oder weniger willig sind diese bereit, ihm zu helfen. Jetzt aber beginnen die Geheimnisse erst recht, wird das Ganze immer mysteriöser. Immer mehr Ungereimtheiten entdeckt Steven, immer mehr Ungewöhnliches scheint mit dem Verschwinden der Lehrerin in Verbindung zu stehen. Denn die Autorin Twyford scheint eine Spionin im Zweiten Weltkrieg gewesen zu sein, aber war sie das wirklich? Und wenn ja, für wen? Welche geheimen Botschaften versteckt sie in ihren Kinderbüchern? Und sind seine Freunde immer ehrlich? Was erinnern sie noch von damals?
Unterstützung bekommt Steven von der Bibliothekarin Lucy, die von seiner Neugier und seiner Suche nach der Wahrheit angesteckt wird.
Vieles, was er herausfindet, erinnert ihn an seine Vergangenheit. Und so zeichnet er mit dem Handy viele seiner Erinnerungen auf. Aus seiner Zeit als Kind, aufgezogen von seinem älteren Bruder, nachdem erst die Mutter und dann der Vater spurlos verschwanden. Aus seiner Zeit als Mitglied der Gang von Andy Harrisson, die für ihn eine Ersatzfamilie war.
Nach und nach scheint es Steven und Lucy zu gelingen, mehr und mehr des Twyford-Codes zu entschlüsseln. Nach und nach finden sie Spuren zu Orten und zu noch mehr Geheimnissen. Und nach und nach wird klar, dass sie nicht allein sind, dass sie verfolgt und bedroht werden.
Das Ganze liest sich überhaupt nicht einfach, man muss sich wirklich hineinlesen in diesen Roman. Erst im Laufe der Zeit gewöhnt man sich an die Erzählweise, die Transskripte der Sprachaufzeichnungen, die viele Worte, die Steven spricht, nicht korrekt wiedergeben, die anstößige Ausdrücke überschreiben. Besonders schwierig ist es, Gesprächen zu folgen, da nur von Sprecher:in 1 und Sprecher:in 2 die Rede ist, man also hochkonzentriert sein muss, um nie zu verlieren, wer denn gerade spricht, insbesondere, wenn es mehr als zwei Sprecher:innen sind. Oft werden die Gespräche durch Hintergrundgeräusche unterbrochen, oft wird Steven beim Sprechen abgelenkt oder er kommt mit der Technik nicht klar.
All das sorgt für hohe Authentizität, aber macht eben die Lektüre hochkomplex und auch ein wenig anstrengend. Dennoch entwickelt die Geschichte trotzdem oder gerade deswegen einen enormen Sog, baut von Anfang an eine große Spannung auf, die stetig steigt. Denn die große Frage, wohin das alles führen kann, schwebt stets über den Seiten.
Dieses Ende, die Auflösung, ist dann wie eine Anti-Klimax. Nichts von dem, was am Ende aufgeklärt wird, war (jedenfalls für mich) während der gesamten Geschichte erkennbar. Von daher ist der Schluss eine absolute Überraschung, vollkommen unvorhersehbar. Andererseits verlangt diese Auflösung eine sehr langatmige, umständliche Erklärung mit zahlreichen Verweisen auf bestimmte Textstellen, die im Vergleich zum bisherigen Romanteil eher ernüchternd wirkt.
Insgesamt ein absolut ungewöhnlicher, wirklich gelungen verschlungener Roman, hochspannend, fesselnd, überraschend und aus all diesen Gründen unbedingt empfehlenswert, auch wenn man ein gewisses Durchhaltevermögen braucht.
Janice Hallett – Der Twyford Code
aus dem Englischen von Stefanie Kremer
Atrium, März 2024
Gebundene Ausgabe, 431 Seiten, 24,00 €