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meany
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Seligenstadt

Bewertungen

Insgesamt 185 Bewertungen
Bewertung vom 16.02.2025
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

In der Natur ist jede Entscheidung unumkehrbar

Ein Vermisstenfall im Ferienlager reißt alte Wunden auf: ausgerechnet Barbara, die Tochter der reichen Grundbesitzerfamilie Van Laar verschwindet etwa fünfzehn Jahre, nachdem das Gleiche ihrem Bruder geschah. Die Ermittlung nimmt natürlich Bezug zum alten Fall, aber irgendwie versucht die Familie ganz massiv, darauf Einfluss zu nehmen.

Wie Liz Moore die Vergangenheit der Fünfzigerjahre mit der Gegenwart von 1975 in verschachtelten Szenen, jeweils aus der Sicht verschiedener Akteure, miteinander verwebt, ist ein dramaturgisches Meisterwerk, das einen den Roman nicht aus den Händen legen lässt bis zum Erwachen aus der atemlosen Spannung ganz zum Schluss.

Dabei eröffnen sich mehr und mehr Abgründe, nicht nur zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Frauen und Männern, wo selbst noch in den Siebzigern die Benachteiligten wie in einer Verschwörung ohnmächtig ausgeliefert sind, die jede sachliche Erwägung im Keim erstickt. Denn der hat das Sagen, dem das Land gehört, und was haben überhaupt Frauen als Ermittlerinnen im Polizeidienst verloren? Alte Todsünden treten zutage und zeitigen ihre üblen Früchte auch noch Jahre danach. Man nimmt das mit zunehmender Empörung wahr, leidet mit den Opfern und fiebert der finalen Auflösung aller Rätsel entgegen. Während der Lektüre dieses gesellschaftskritischen Krimis hofft man die ganze Zeit auf ausgleichende Gerechtigkeit, denn die Geschehnisse können einen keineswegs kalt lassen. Dabei lässt die Autorin schlicht die Fakten für sich sprechen ohne Effekthascherei, sondern indem sie alle Details sorgfältig aufeinander abstimmt, so dass sie am Ende ein schlüssiges, glaubwürdiges Bild ergeben, das passenderweise genau die undurchdringlichen Wälder der Adirondacks widerspiegelt.

Ein aufregendes Leseerlebnis, das ich jedem wärmstens empfehlen kann.

Bewertung vom 16.02.2025
Liepold, Annegret

Unter Grund


sehr gut

Unkraut zwischen den Gräbern

Im Mittelpunkt steht Franka, eine hochgradig verwirrte junge Frau, an deren Kernproblem sich die Autorin Annegret Liepold langsam herantastet. Es manifestiert sich in der Anfangsszene in der Auseinandersetzung mit dem NSU-Prozess in München und bewegt sie zu einer Flucht in ihre Heimatgemeinde, wo alles begann. In Rückblenden fügt sie Szenen ein aus Frankas dörflicher Kindheit und lässt ihre engsten Verwandten und Freunde Revue passieren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wächst sie bei der esoterisch angehauchten Mutter, ihrer Großmutter und deren Schwester auf. Einen Kontrast dazu bildet die unkonventionelle Tante June. In ihrer jugendlichen Orientierungs- und Haltlosigkeit stolpert die eigentlich Unideologische in die rechte Szene hinein, mehr durch allgemeine Umstände und zwischenmenschliche Angelegenheiten angetrieben. Das entsprechende Gedankengut breitet sich unauffällig im Alltag aus und nimmt eine Eigendynamik an, begünstigt durch den Verfall ländlicher Strukturen.

Nach einer üblen Eskalation gelingt Franka der Schnitt und der Start in ein neues Leben, was aber nicht ohne einen schmerzhaften Lernprozess abgeht, in dem klar wird, wie schnell junge Leute in einen solchen Sog geraten. Für die meisten scheint sowieso das Gedankengut weniger wichtig zu sein als die Provokation an sich und die Subkultur, in der Musik, Geselligkeit und vor allem Alkohol eine herausragende Rolle spielen, bis die realen Konsequenzen nicht mehr zu bewältigen sind. Bemerkenswert ist dabei das Verhalten des Umfelds, das sich mit Schweigen und Aussitzen begnügt.

Es ist ein sehr nachdenkliches Buch, das anfangs vieles im Vagen lässt und bei dem am Ende noch Spannung aufkommt durch die aufgeklärten Verwicklungen.

Bewertung vom 12.02.2025
Blake, Katherine

Not your Darling


sehr gut

Liebe ist eigentlich nicht Teil des Plans

Frech, zielstrebig und skrupellos bahnt sich die 21jährige Engländerin Loretta Darling (eigentlich Margaret) ihren Weg bis nach Hollywood, trotz ihrer Jugend erfrischend schlagfertig in allen Situationen. Kaum dort angekommen, gerät sie in eine der für eine Frau übelsten vorstellbaren Lagen. In der erzählten Zeit 'zig Jahre vor der Me-too-Bewegung wird einem schon hier klar, aus welchem Sumpf diese erwuchs. Die Schlüsselszene, eine Orgie mit einer Fast-Vergewaltigung zeigt, dass sich hier eine wehren kann und wie sich einmal eine Frau nicht in die Opferrolle fügt. Dass sie daraufhin nicht ihre gesamten Ambitionen bereits im Keim abschreiben muss, hat sie allerdings dem einen oder anderen frauenfreundlichen Gönner zu verdanken.

Mit Finesse und Beharrlichkeit ebnet sie sich ihren Weg, und es nimmt für sie und ihr Schicksal ein, dass sie sich dafür nicht verkaufen muss, sondern ihren unerschrockenen Charakter bewahrt. Dabei erhält der Leser interessante Einblick in die Hintergründe des Showbusiness. Sehr apart finde ich es auch nebenbei, etwas über die Kniffe der Visagisten zu erfahren.

Erst ganz zum Schluss erfährt man, was eigentlich hinter ihrer Schnodderigkeit steckt. Sie ist ihrer Heimat nach schlimmen Erlebnissen entflohen und hatte keine andere Chance.

Sprachlich unkompliziert mit lebendigen, fast filmreifen Dialogen liest sich das Buch weg wie nichts.

Bewertung vom 28.01.2025
Schlick, Oliver

FC Stinkesocke - Glücksbringer wäscht man nicht


sehr gut

Kein Verein wie jeder andere

Relativ harmlos und frei von Ecken und Kanten kommt dieses Kinderbuch aus dem Fußballmilieu daher, das doch eigentlich genug Diskussionsstoff beinhaltet. Aufgrund der demographischen Lage bekommen ja kleine Gemeinden nur noch schwer in den jeweiligen Altersklassen eine funktionsfähige Mannschaft zusammen. Deshalb kommt man in Stokkesinke auf die geniale Idee, durch Fusion ein gemischtgeschlechtliches Team zusammenzustellen - und als Trainerin bietet sich die Sportlehrerin der örtlichen Schule an, die alle Beteiligten durch besonderen Sachverstand verblüfft.

Das alles wird anstandslos akzeptiert. Ein Wunder, dass da nicht der eine oder andere kleine oder große Macho Einspruch erhebt.

Gewonnen wird im Kopf - verloren aber auch. Wie es schließlich dazu kommt, bringt in der Vorbereitungsphase auf das entscheidende Spiel dann doch einige Spannung, besonders in der mit Fachwörtern gespickten Schilderung der Duelle. Wie Schlick da am Ende die Kurve kriegt und mit einer wichtigen Erkenntnis aufwartet, hat mich sehr amüsiert und für die Geschichte eingenommen.

Besonders schön finde ich die graphische Gestaltung, die den Fließtext immer wieder auflockert und bereichert.

Bewertung vom 25.01.2025
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Opfer müssen gebracht werden

Dieser historische Roman präsentiert uns den Querschnitt durch die Bewohner einer fiktiven deutschen Mittelstadt in Zeiten des aufkommenden Nationalsozialismus und seiner Folgen. Das Profil der bürgerlichen Bevölkerung wird gebrochen in der Spiegelung des gastierenden Zirkus. Drei Zeittranchen im Abstand von jeweil fünf Jahren bilden die Entwicklungsstadien ab.

Im Kapitel des Jahres 1935 startet die Geschichte relativ unspektakulär. Wir "Nachgeborenen" lesen freilich vieles zwischen den Zeilen. Doch genauso unauffällig hat sich dieser Ungeist wohl tatsächlich eingeschlichen - die Wahrsagerin des Zirkus prophezeit da schon so manches. Schade, dass dieser Handlungsstrang nicht weiter verfolgt wird.

Dramatischer geht es dann im Abschnitt 1940 zu, da hat der Zweite Weltkrieg schon angefangen, aber die Deutschen sind noch ganz auf den Sieg eingestellt. Und wie alles 1945 endet, ist bekannt, aber Frank verschont uns vor den übelsten Grausamkeiten, sondern entwickelt lediglich einen gnadenlosen Zynismus, indem er allen Handelnden kaum ein gutes Haar lässt. Niemand bleibt schuldlos, irgendwie sind sie alle verwickelt. Auch das romantische Liebespaar besteht aus einem BDM-Mädchen und einem Kampfflieger, der stolz ist auf seine zahllosen Abschüsse. Die Personen und ihre Beziehungen zueinander konnte ich mit der Zeit gut überblicken, weil sie treffend charakterisiert sind mit ihren typischen Eigenschaften.

Bis zum Schluss leben die beschriebenen Deutschen in ihrer eigenen Realität und wollen trotz augenscheinlicher Verluste nicht wahrhaben, dass das Spiel aus ist. Gegen Ende führen sie sich aber selbst ad absurdum, bis man sich vorkommt wie in einem surrealistischen Gemälde. Und schließlich entpuppt sich diese ganze deutsche Epoche als das, was sie von Anfang an war: eine einzige bodenlose, menschenverachtende Absurdität.

Franks Stil ist ambitioniert mit zuweilen kreativen Wortschöpfungen, manchmal wechselt er kapitelweise vom Imperfekt zum Präsens, besonders bei Action-Szenen. Wenn man sich auf das schwierige Thema einlassen kann, wird man gerade in den heutigen auch wieder labilen Zeiten einen Eindruck gewinnen, wie jeder einzelne Einfluss auf die Zeitläufte nimmt.

Bewertung vom 19.01.2025
Hüging, Andreas

Touchdown für die Grasdorf Rebels / Die Football-Freunde Bd.1


sehr gut

Warum gibt es nur so viele Fußballfans?

American Football ist hierzulande bei weitem nicht so verbreitet wie Fußball, hat aber zweifellos seine eigenen Reize. Jimmy King jedenfalls lebt und stirbt für diese Sportart und seine Mannschaft, so sehr, dass er alles andere dafür sträflich vernachlässigt, insbesondere das Schulfach Mathe.

Auch wenn man damit nicht so viel im Sinne hat, bildet dieser Sport im vorliegenden Buch eine Folie für all die Probleme, die man in dem betreffenden Alter immer hat in Schule, Familie und Freundeskreis. Hüging beschreibt das alles flott und eloquent. Mit Jimmys Umgangssprache trifft er den Jargon der jungen Sportskanonen überzeugend und verleiht den Verwicklungen Spannung und eine Folgerichtigkeit.

In die Materie American Footbal fühle ich mich als blutiger Laie keineswegs eingeführt, Sinn und Ziel eines solchen Spiels haben sich mir gar nicht erschlossen, und die vielen Fachbegriffe im Glossar nachzuschlagen fand ich recht mühsam. Deshalb habe ich Zweifel bezüglich der Nachfrage nach diesem Titel, der in erster Linie für Insider lesenswert ist.

Bewertung vom 04.01.2025

Trinken wie ein Dichter


weniger gut

Nur im Angesicht der Nacht zu sich nehmen

Befördert der Konsum alkoholischer Getränke den kreativen Prozess? Geschmeidig liegt das rote Büchlein in der Hand, das uns darüber aufklären will. Nicht konsequent chronologisch nach den Lebensdaten der Autoren reichert die nicht namentlich bezeichnete Redaktion die Rezepte zum Nachbrauen an mit einschlägigen Zitaten aus dem jeweiligen Werk der Dichter vornehmlich aus dem angelsächsischen Sprachraum. Darüber hinaus finden Bars als Treffpunkt diverser Literatenzirkel Erwähnung wie z.B. das Vesuvio Café und der Algonquin Round Table.

Der wissenschaftlichen Seriosität tut eine ausführliche Bibliographie Genüge. Dennoch darf man hier keine Literaturgeschichte erwarten, sondern in erster Linie eine Anregung zur Herstellung und zum Genuss von Spirituosen. Dabei bleibt jedem nach Veranlagung selbst überlassen, von welchen Inspirationen man sich übermann lässt. Der Rest ist Geschmackssache.

Bewertung vom 23.12.2024
Meyer, Kai

Das Haus der Bücher und Schatten


ausgezeichnet

Wie eine Schachfigur

Leipzig, vormals ein Zentrum des deutschen Verlagswesens, aber auch des Spiritismus bildet den Hintergreund für einen düsteren mysteriösen Krimi, der in einer längst vergangenen Geschichte im Baltikum kurz vor dem ersten Weltkrieg wurzelt.

Wir beobachten die brutalen Umtriebe der Nazis kurz nach ihrer Machtergreifung, die wie ein Krebsgeschwür in alle Institutionen hineinwuchern, aber dass die Ideen nicht plötzlich aus dem Boden geschossen sind, erfahren wir durch die Aufzeichnungen einer jungen Verlagslektorin, die den von ihr betreuten zwielichtigen Autor auf dem Land nahe Riga mitten im Winter besucht und dort wie in einen Albtraum hineingezogen wird.

Im geheimnisvollen Flair des alten Leipzig mit der "Roten Lotte" als gruseligem Schauplatz begegnen wir der Parapsychologie, Sekten und weltverschwörerischen Gruppen. Gebrochene Mentalitäten, nicht von Grund auf vom Faschismus überzeugt, lassen sich vereinnahmen und von den neuen Machthabern vor den Karren spannen, die Justiz ist bis in ihre höchsten Ränge verseucht. Zwischen Nazis, Kommunisten und Freimaurern verlaufen die Grenzen fließend, rufen aber gewalttätige Sequenzen hervor.

Das spannende Buch zieht mich in seinen Bann, weil die Ermittlungsergebnisse langsam aufeinander aufbauen, was aber teilweise auch wieder verschleiert wird durch die über allem wabernden Mysteryelemente. Wie geschickt Meyer die beiden Geschichten miteinander verflicht, erkennt man zum Schluss sehr deutlich. Aber bis dahin sind noch beträchtliche Kollateralschäden zu beklagen aus den verwickelten Zeitumständen heraus.

Bewertung vom 06.12.2024
Osman, Richard

Wir finden Mörder Bd.1


ausgezeichnet

Ein BMW voller Einschusslöcher

Richard Osman, der Meister des cosy crime, kann auch anders, und so steigt er gleich mit einem verjüngten Personal rasant in die Vollen. In einer Welt, in der niemand sicher ist vor Auftragsmördern, nimmt er nichts so richtig ernst, noch nicht einmal in höchster Lebensgefahr.

Jede Branche bekommt ihr Fett weg: ob es Showstars, Kriminalbeamte oder auch Mitarbeiter des organisierten Verbrechens sind. Einen vergnügt-sarkastischen Blick wirft er nebenbei auf die Welt der Influencer. Am prägnantesten erscheint ab der ersten Seite die hyperaktive, mannstolle Krimiautorin Rosie mit ihrer flotten Schnauze, dagegen bildet der pensionierte Polizeibeamte Steve, Amys Schwiegervater, den ruhenden Pol.

Über mehrere Erdteile hetzen sie im Laufe der Verfolgungsjagd durch die Gegend, bis ich ungefähr in der Mitte beinahe ein bisschen den Überblick verlor, aber der lockere Tonfall und die ironischen Seitenhiebe halten einen voller Spaß bei der Stange.

Weitere Abenteuer stellt Osman in Aussicht, doch auch mit dem Donnerstagsmordclub verspricht er zum Glück fortzufahren.

Bewertung vom 26.11.2024
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


sehr gut

Dichterische Freiheit

Um diesen Kriminalroman gebührend zu schätzen, sollte man schon ein ausgemachter Fan des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann sein. Und genau das ließ mich voller Interesse zu diesem Werk greifen, zumal ich schon voller Andacht vor dem Schreibtisch in Nidden stand, an dem er die unvergleichlichen Josephsromane schrieb.

Treffend und anschaulich lässt Eckardt die einzigartige Landschaft der Kurischen Nehrung am Auge der Leser vorüberziehen, auch das Zeitkolorit hat er akribisch recherchiert und in passende Worte gegossen. In die von ihm ausgedachte Handlung flicht er immer wieder überlieferte Texte Thomas Manns ein. So gibt er uns Einblick in dessen Konflikt zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik in einer wohldurchdachten Argumentation zum Beispiel auf Seite 232 ff.

Am Ende hätte ich mir gewünscht, das sehr erhellende Nachwort als erstes gelesen zu haben, um Dichtung und Wahrheit besser voneinander unterscheiden zu können.

Die Aufklärung des Verbrechens hätte mich nicht unbedingt bei der Stange gehalten, doch in den "reinen Tor" Miuleris, den Ermittler wider Willen, konnte ich mich zunehmend einfühlen und war erleichtert, den Schriftsteller einmal nicht als das egozentrische Ekel dargestellt zu sehen, sondern sympathische und humorvolle Züge bei ihm beobachten zu dürfen. Mein Fazit aus der Lektüre lautet, dass ich mich auf unterhaltsame Weise mit den Auseinandersetzungen eines großen Geistes mit den Unbilden des Nationalsozialismus befassen durfte.