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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1173 Bewertungen
Bewertung vom 20.09.2025
Melzener, Axel;Neviandt, Julia Nika

Blut und Spiele in Colonia


weniger gut

Dieser historische Krimi ist der zweite Fall für das ungewöhnliche Ermittlerpaar, dem Anwalt Quintus und der Patriziertochter Lucretia, der in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, kurz CCAA, also im heutigen Köln, um 87 n. Chr. spielt.

Der Inhalt ist schnell umrissen: Rund um den charismatischen Schauspieler und Tänzer Aulus, werden einige Personen ermordet. Um den Ruf seiner Stadt (und seine Macht) nicht zu verlieren, werden Lucretia und Quintus vom Statthalter der CCAA beaufragt, den oder die Täter ausfindig zu machen. Bei ihren Recherchen, müssen sie feststellen, dass auch Aulus seine Geheimnisse hat und nicht nur ein viel beklatschter Künstler ist.

Leider kann mich dieser Ausflug in die römische Geschichte nicht begeistern, denn für meinen Geschmack und mein Geschichtsverständnis wird hier die Realität viel zu stark gebeugt. Es mag ja die eine oder andere aufmüpfige unter den verwöhnten Töchtern aus Patrizierfamilien gegeben haben, aber solche Freiheiten, wie sich Lucretia nimmt, sind äußerst unwahrscheinlich. Da wäre der Pater Familias mit vollem Recht eingeschritten.

Das Buch lässt sich leicht lesen, denn einerseits gibt es am Ende ein ausführliches Glossar, das allen jenen, die sich in der römischen Antike nicht so gut auskennen, hilfreich zur Seite steht, und andererseits ist der Schreibstil der heutigen Zeit angepasst.

Fazit:

Wer einen Roman aus der Römerzeit lesen will, aber auf historische Genauigkeit nicht so viel Wert legt, wird Freude an diesem Buch haben. Wer, so wie ich, auf Authentizität achtet, muss zu anderen Büchern greifen. Von mir gibt es 2 Sterne.

1 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2025
Lackner, Robert

Seidenstraße


sehr gut

Dass die millionenschweren Investitionen Chinas in europäische Firmen und Infrastruktur nicht allzu beliebt sind, ist nichts Neues. Natürlich gibt es auch Gruppen, die aus unterschiedlichen Gründen auf solche Investments drängen. Diesmal geht es um Anteile am Hamburger Hafen. Nun stehen sich Befürworter und Gegner des Deals nicht nur mit Transparenten sondern auch mit Schlagstöcken gegenüber.

Vor diesem Hintergrund spielt dieser Politkrimi, bei dem man nicht genau weiß, wer Freund und wer Feind ist. Das muss auch Max Oster, ehemaliger BND-Mitarbeiter und Ex-Soldat, der nun als Sicherheitschef am Hamburger Hafen arbeitet, am eigenen Leib spüren, als Jessica Wang, eine musikbegeisterte Chinesin, die er in der Elbphilharmonie kennengelernt hat, ermordet wird. Sie wird nicht die einzige Tote bleiben.

Recht schnell gerät Oster zwischen die Mahlsteine unterschiedlicher Interessen. Er wird von Polizei und Geheimdienst gejagt. An seiner Seite, die junge etwas naive Journalistin Laura Schneider, die glaubt einem großen Scoop auf der Spur zu sein. Beide wissen nicht, wem sie noch trauen können und welche Rolle der eine oder andere aus Regierung und Geheimdienst spielen.

Meine Meinung:

Dieser Politkrimi ist rasant und lässt sich sehr gut lesen. Nicht immer ist es leicht, herauszufinden, wer auf welcher Seite steht. Manchmal gibt es nur die eigene Seite.

Interessant ist der Krimi allemal, denn er zeigt, dass die Regierungsmitglieder nicht einer Meinung sind und verschiedene Gruppen teils aus Eigennutz teils aus Verblendung eigene Ziele verfolgen. Trotz der oft verwirrenden Hinweisen, die sich oft als Sackgasse entpuppen, gelingt es Robert Lackner eine schlüssige, wenn auch vielleicht nicht befriedigende Auflösung darzubieten.

Die Charaktere sind recht gut ausgearbeitet. Mit Laura Schneider kann ich mich überhaupt nicht anfreunden. Zum einen wirkt sie auf mich ziemlich naiv, auf der anderen halte ich sie für ehrgeizig und berechnend. Ich denke, sie würde Max Oster bedenkenlos fallen lassen, wenn er ihr nicht mehr nützlich erscheint. Das passt für mich nicht ganz zu einer Volontärin, die gerade einmal 23 Jahre alt ist.

Ich kenne Robert Lackner von seinem ersten Buch, der Biografie von Willy Perl, jenem Anwalt, der Tausenden Juden das Leben gerettet hat.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Polit-Krimi 4 Sterne.

Bewertung vom 19.09.2025
Hörner, Unda

Frauen am Bauhaus Dessau


ausgezeichnet

Unda Hörner hat sich in ihren Büchern jener Frauen und Künstlerinnen angenommen, die zwischen 1919 und 1939 gewirkt haben. Diesmal verschreibt sie sich den Frauen am Bauhaus wie Ise Gropius, Nina Kandinsky, Gunta Stölzl und Lucia Moholy-Nagy, die 1925 gemeinsam mit ihren Männern von Weimar nach Dessau übersiedeln. Dort werden neben dem Schul- und Werkstättengebäude die sogenannten Meisterhäuser errichtet, in denen die Lehrkräfte - also sie Meister - mit ihren Familien leben.

Die Hoffnung der Lehrenden und vor allem weiblichen Studierenden nach dem Umzug in das kleiner Dessau zu einem neuen Höhenflug ansetzen zu können, erfüllt sich nicht. Die bunte Gruppe, die einen unkonventionellen Lebensstil führt, wird von den Einwohnern Dessaus scheel angesehen. Zumal auch hier antisemitische und antisozialistische Kräfte erstarken.

Das Bauhaus ist trotz aller moderner Ideen und Avantgardegedanken durch und durch patriarchalisch organisiert. So werden Frauen, entgegen aller Werbung, vorrangig in den Webereiklassen untergebracht. Weben, Wolle, Weib - diese Alliteration sollte bis zur Auflösung des Bauhauses 1932 das Credo sein. Frauen als Bildhauerinnen, als Architektin? Niemals, wenn es nach Gropius & Co geht. Lediglich die Fotografieklasse läuft unter dem Radar der Männer und kann sich, da Mann den Frauen nichts zutraut und daher keine Konkurrenz in ihr sieht, entwickeln.

Obwohl die Experiment des Bauhaus‘, eine Art Künstlerkolonie zu sein, als gescheitert bezeichnet werden muss, haben diese Jahre seiner Existenz zahlreiche Impulse für die moderne Kunst und das Kunsthandwerk gegeben. Eine Ähnlichkeit mit der Jahre zuvor von Josef Hoffmann und Koloman Moser angestrebten Erneuerung der Kunst in Symbiose mit dem Kunsthandwerk ist unübersehbar.

Meine Meinung:

Da ich einige Bücher von Unda Hörner kenne, habe ich mich auf dieses hier sehr gefreut und bin nicht enttäuscht worden. Die Autorin beschreibt die Situation der Künstlerinnen, die manche Männer recht bald als Konkurrenz gesehen haben, recht gut. Als Musen und vor allem als zahlende Schülerinnen sind sie herzlich willkommen. Doch bevor sich die Frauen in ihren künstlerischen Ambitionen entwickeln können, werden sie in die Webereiklassen gesteckt. Nur das hält der Big Boss Walter Gropius für angemessen. Angemessen für wen? So gesehen ist es kein Wunder, dass das Experiment scheitert, ja scheitern muss.

Neben kurzen Biografien der Frauen, die durch Auszüge aus ihrer Korrespondenz ergänzt werden, erfahren wir, wie es ihnen nach dem endgültigen Aus des Bauhaus in Dessau ergangen ist. Zahlreiche Fotos geben uns einen Eindruck der Frauen.

Schade finde ich, dass keine Grundrisse der Meisterhäuser abgebildet worden sind. Diese sind nach dem Auszug der Bauhäusler dem Verfall preisgegeben, im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört und ab 1990 saniert bzw. als Replik neu errichtet.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Einblick in die Welt des Bauhaus 5 Sterne.

Bewertung vom 10.09.2025
Horncastle, Mona

Peggy Guggenheim


ausgezeichnet

In diesem 10. Band aus der Serie „Reihenweise kluge Frauen“, die im Verlag Styria erschienen ist, beschäftigt sich die Kunsthistorikerin Mona Horncastle mit Peggy Guggenheim. Aber nicht mit ihr als Ehefrau, Geliebte oder Mutter, sondern als Erbin, Fluchthelferin, Kunstsammlerin und Mäzenin. Mona Horncastle erzählt den Werdegang der Kunstsammlerin als wäre sie ein Mann, denn Mäzene fragt man nicht nach Frau und Kind. Die Autorin ist für ihre penibel recherchierten Frauen-Biografien bekannt.

Peggy Guggenheim (1898-1979) ist ein Kind ihrer Zeit, das durch den frühen Tod ihres Vaters zur reichen Erbin wird, sich allerdings den jüdischen Konventionen widersetzt. Sie geht mit ihrem damaligen Mann nach Europa, lernt dort in der Zwischenkriegszeit die Avantgarde der Literatur und bildenden Künste kennen, kauft Werke noch unbekannter Künstler oder von jenen, deren Bilder als unverkäuflich gelten, weil nicht dem Geschmack potenzieller Käufer entsprechen. Als Hitler Europa mit Krieg überzieht, wird sie durch ihr Vermögen zur Fluchthelferin. Sie kann sich und auch ihre eigene Kunstsammlung aus dem besetzten Frankreich in die USA retten. Nach dem Krieg kehrt sie nach Europa zurück, kauft einen Palazzo in Venedig und errichtet die Collezione Peggy Guggenheim.

Meine Meinung:

Die 224 Seiten starke Biografie gliedert sich in sechs große (Lebens)Abschnitte, die von einem „Intro“ sowie “Echo“ und Nachwort umrahmt sind. Zahlreiche Fotos, Zitate und Ausschnitte aus ihren Briefen ergänzen Peggy Guggenheims Lebensgeschichte:

Intro
Herkunft
Emanzipation
Neuanfang
Warclouds
Art of This Century
Collezione Peggy Guggenheim
Eine Art Nachwort

Kunsthistorikerin Mona Horncastle kenne ich schon durch ihre Biografien über Gustav Klimt, Hedy Lamarr, Josephine Baker und Margarete Schütte-Lihotzky. Die beiden Frauen-Biografien sind ebenfalls Teil der Reihe „Reihenweise kluge Frauen“. Das Buch über Peggy Guggeheim passt durch sein Format und seine gediegene Aufmachung perfekt zu den neun anderen Frauen-Biografien.

Mona Horncastle Schreibstil ist schnörkellos, knapp und präzise, was ich sehr gerne mag. Anders als in anderen Biografien oder biografischen Romanen wird Peggy Guggenheim nicht auf ihr, von vielen Zeitgenoss:innen als skandalös empfundenen, Privatleben reduziert. Mona Horncastle klammert ihre private Rolle als Ehefrau, Geliebte und Mutter auf weiten Strecken bewusst aus. Deutlich kommt hervor, dass sie von ihrer Entourage häufig als Geldmaschine gesehen wird, von der man bequem leben kann. Besonders deutlich kommt das durch ihren ersten Ehemann Laurence Vail, den sie auch nach der Scheidung und seiner Wiederverheiratung weiterhin finanziert hat. Auch Max Ernst profitiert vom Geld und den Verbindungen seiner (dritten) Ehefrau.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Peggy Guggenheim neben der Rolle als Mäzenin und Kunstliebhaberin auch die der nützlichen Idiotin, auf deren Kosten man bequem leben kann, gespielt hat. Ob sie sich dessen bewusst war?

Fazit:
Gerne gebe ich dieser Biografie einer Frau, die nicht auf ihre unkonventionelle Lebensweise reduziert werden sollte, 5 Sterne.

Bewertung vom 10.09.2025
Baumgartner, Michaela

Sophie. Die Kaisermacherin (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wer an Erzherzogin Sophie (1805-1872) denkt, hat unwillkürlich ihre Darstellung als Schwiegermutter durch Vilma Degischer als Kontrapunkt zur blutjungen Romy Schneider in der Ernst-Marischka-Trilogie rund um Kaiserin Sissi vor Augen, wie der Prolog dieses historischen Romans auch andeutet.

Wie man heute weiß, ist der Mythos um die böse Schwiegermutter im Nachhinein handgestrickt, auch wenn sich die reale Sophie bewusst war, eine schlechte Nachrede zu bekommen. Nun wie war sie wirklich?

Michaela Baumgartner beleuchtet in ihrem historischen Roman rund um Erzherzogin Sophie, die als Tochter des von Napoleons Gnaden zum König von Bayern avancierten Maximilian I. geboren worden ist, eine andere Seite dieser ehrgeizigen Frau. Geschickt verquickt sie dabei Fakten und Fiktion.

Fakt ist, dass sie nach zahlreichen Fehlgeburten (insgesamt war sie elf Mal schwanger) und Kuraufenthalten in Bad Ischl erst sechs Jahre nach ihrer Hochzeit, also im Jahr 1830, ihr erstes überlebendes Kind zur Welt bringt: Franz Joseph (1830-1916). Der wird, da längst klar ist, dass nach dem Tod ihres Schwiegervaters Franz II./I. (1768-1835) auf Grund der herrschenden Primogenitur, dessen Sohn als Ferdinand I. (1793-1875) als Nachfolger feststeht, obwohl er wegen seiner zahlreichen Einschränkungen wie z.B. Epilepsie eigentlich nicht regierungsfähig ist, von Sophie systematisch und konsequent als Thronfolger aufgebaut. Ihren Ehemann Franz Karl (1802-1878), Bruder von Ferdinand, übergeht sie geflissentlich in ihren Überlegungen, da dieser wenig Interesse an den Regierungsgeschäften zeigt und lieber jagen geht.

Sophie geht hier strategisch geschickt vor, verbündet sich zeitweise mit Staatskanzler Metternich, obwohl die beiden sich nicht ausstehen können, und hat auch für ihre anderen Söhne Maximilian (1832-1867), Karl Ludwig (1833-1863) und Ludwig Viktor (1842-1919) Großes vor. Die einzige Tochter Maria Anna (1835-1840) leidet wie ihr Onkel Ferdinand an Epilepsie und stirbt mit knapp fünf Jahren.

Als nach den Revolutionen von 1848 Ferdinand zum Amtsverzicht gezwungen wird, hievt Sophie ihren Erstgeborenen Franz Joseph auf den Thron. Der unerfahrene Kaiser vertraut auf seine Mutter als Ratgeberin. Nur bei der Wahl seiner Ehefrau hört er nicht auf sie. Statt seine Cousine Helene von Bayern, wählt er ihre Schwester Elisabeth, damals noch keine 15 Jahre alt. Hier verschätzt sich Sophie, was ihren Einfluss auf die Schwiegertochter, die zugleich ihre Nichte ist. Die beiden Frauen könnten unterschiedlicher nicht sein. Sophie, intelligent, ehrgeizig und pflichtbewusst bis zur Selbstaufgabe und jugendlich unbekümmert Elisabeth. Dass hier knirschen muss, ist selbstverständlich.

Meine Meinung:

Autorin Michaela Baumgartner kenne ich durch ihre anderen historischen Romane, die alle in der Donaumonarchie spielen.

Für diesen historischen Roman um Erzherzogin Sophie, der man nachsagt während der Regierungszeit von Ferdinand „der einzige Mann im Kaiserhaus“ gewesen zu sein, hat sie penibel recherchiert. Ihr Schreibstil ist angenehm und leicht lesbar. Wie es sich für einen historischen Roman gehört, tummelt sich auch hier das „Who-is-Who“ der Donaumonarchie, was vielleicht jene Leser:innen, die mit der Welt des österreichischen Adels nicht so vertraut sind, ein wenig überfordern könnte. Hier kann das Personenverzeichnis am Ende des Romans für Klarheit schaffen. Für Interessierte gibt es noch ein ausführliches Quellenverzeichnis.

Ich finde es immer wieder spannend, Biografien oder biografische Romane von verschiedenen Autor:innen zu lesen, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die porträtierte Person betrachten. So habe ich über Erzherzogin Sophie schon einiges aus den Biografien von Ingrid Haslinger sowie Anna Ehrlich und Christine Bauer erfahren. Daneben ist sie immer wieder Bestandteil in den Biografien ihrer Söhne und auch von Schwiegertochter Elisabeth.

Um noch einmal auf die Sissi-Trilogie zurückzukommen. Die ist ein gutes Beispiel dafür, dass man nur sieht, was man sehen will oder einem zu sehen vorgesetzt wird. Allerdings muss man diese Film im Kontext der Nachkriegszeit sehen, in der man die Menschen durch einen Ausflug in eine glitzernde Traumwelt von der tristen Wirklichkeit ablenken wollte. Und was eignet sich hier besser als der Konflikt zwischen einer Mutter und ihrer Schwiegertochter?

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Roman, der versucht mit dem Mythos von der bösen Schwiegermutter aufzuräumen, 5 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2025
Kreslehner, Gabi

Wer wir geworden sind (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die oberösterreichische Autorin Gabi Kreslehner entführt uns mit diesem Roman in eine 100-jährige Familiengeschichte, die von zwei Weltkriegen, Entbehrung, Glück und Verlusten, Weggehen und Nachhausekommen, geprägt ist. Und es sind die Frauen, die kleine, bäuerliche Welt am Laufen halten.

Wir begegnen zunächst Juli, die mit ihrem Mann August, Anfang des 20. Jahrhunderts den Unterhof bewirtschaftet. Während am nahe gelegenen Oberhof, Susanna und ihr Mann Johann sich über eine Kinderschar freuen dürfen, bleibt dies Juli und August verwehrt. Nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Johann nicht und August versehrt nach Hause kommen, bringt Juli mit Anna ihr einziges Kind zur Welt. Dann muss Juli den Tod ihres Mannes verkraften, der im Wald von einem Baum erschlagen wird.

Knapp 20 Jahre später, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs heiratet Anna den Erben des Oberhofs Karl, wenige Tage bevor er an die Front muss. Während rundherum der Krieg tobt, bewirtschaften - wieder einmal - die zurückgebliebenen Frauen die Höfe. Von Karl fehlt jede Spur. Als er dann Jahre, als niemand mehr mit ihm gerechnet hat, völlig verändert aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, ist nichts mehr wie vorher.

Der nächste Zeitsprung führt uns nach Amerika zu Jahrtausendwende. Joanna findet ein vergilbtes Foto eines Kindes in den Sachen ihrer Mutter und stellt Fragen. Die Antworten lassen sich nach Österreich reisen.

Meine Meinung:

Dieser historische Roman beschreibt, hat mir sehr gut gefallen. Mit eindrucksvollen Worten, ohne kitschig zu sein, erzählt die Autorin die 100-jährige Geschichte einer Familie, in der starke Frauen die Hauptrolle spielen. Fast in jeder Generation wiederholen sich Schwangerschaften ohne zunächst oder überhaupt verheiratet zu sein.

Geschickt flicht Gabi Kresleher die historischen Ereignisse wie den Ersten und den Zweiten Weltkrieg sowie die Jahrtausendwende einfließen.

Die Charaktere, vor allem die weiblichen, sind sehr gut herausgearbeitet. Die jeweiligen Männer spielen nur eine untergeordnete Rolle.

Fazit:

Jede dieser Frauen ist die Summe ihrer Erfahrungen. Gerne gebe ich diesem Roman 5 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2025
Pérez-Reverte, Arturo

Der Italiener


ausgezeichnet

Wow, was für eine spannende Geschichte über die gefährlichen Einsätze von Kampftauchern im Zweiten Weltkrieg!

Ich habe ja schon viele Sachbücher und historische Romane zum Zweiten Weltkrieg gelesen und dabei unterschiedliche (politische) Perspektiven und verschiedene Waffengattungen kennengelernt. Doch der, auf Tatsachen beruhende historische Roman rund um secondo capo Teseo Lombardo, einem Kampftaucher der italienischen Marine Regia Marina, der gemeinsam mit sottocapo Gennaro Squarcialupo auf dem, maiale (=Schwein) genannten, bemannten Torpedo SLC geritten ist, um im Hafen von Gibraltar feindliche (also unter britischer Flagge fahrende) Schiffe zu versenken, ist wohl eine besondere Geschichte.

Die Geschichte spielt auf zwei Ebenen, jene in den Jahren 1942/43 auf der Halbinsel Gibraltar, die ja nach wie vor eine britische Enklave in Spanien ist, und Jahrzehnte später, als der Ich-Erzähler, ein Journalist auf diese Geschichte stößt und Gennaro Squarcialupo in seiner Heimat Neapel ausfindig macht und interviewt.

Gennà, wie er von Teseo genannt worden ist, erzählt, wie die beiden im Hafen von Gibraltar Sprengladungen an den Schiffen anbringen und wie der verletzte Teseo am sapnischen Strand von Algeciras von der jungen spanischen Witwe Elena Arbuès, die eine Buchhandlung führt, gefunden und gerettet worden ist. Statt ihn den Behörden auszuliefern, lässt sie ihn, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit, von den eigenen Kameraden abholen. Eine gefährlich Aktion, denn in Gibraltar wimmelt es nur so von Spionen und Doppelagenten.

Das muss Elena wenig später am eigenen Leib erfahren, als sie für Teseo, mit dem sich, zwischen seinen gefährlichen Einsätzen, eine zarte beinahe unmögliche Liebesbeziehung entspinnt, britische Schiffe im Hafen von Gibraltar lokalisiert, denn sie darf als Spanierin die Grenze überschreiten. Denn nicht nur die britische Marine verhaftet Spione, Doppelagenten und Saboteure, sondern auch die spanische Polizei, die mit Saboteuren allerdings gleich kurzen Prozess macht.

Meine Meinung:

Dieses höchst spannende Buch wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. So erfahren wir Elenas Geschichte, deren Familie vor Franco aus Spannien geflüchtet ist und deren Ehemann von den Briten getötet worden, sowie einiges über die italienischen Kampftaucher, die 1942/43 noch an der Seite Hitler-Deutschlands gegen die Alliierten kämpften, was dann später zu einer Spaltung der ohnehin sehr kleinen Truppe geführt hat. Die einen wie Teseo schließen sich den Alliierten an, andere wie Gennaro nehmen lieber Repressalien in Kauf. „Prinzipientreue gegen unehrenhaftes Verhalten.“ (S. 206). Doch auch die Briten wie zum Beispiel Kommissar Harry Compello kommen zu Wort.

Gleichzeitig bindet der Autor seine Recherchen zu diesem Stoff in die Geschichte ein. Wie er die kleine Buchhandlung Olterra in Venedig und damit Elena, Teseo und ihre Geschichte entdeckt hat. Und warum er aus dem Stoff lieber einen historischen Roman als einen Tatsachenbericht gemacht hat. So hat er Fakten, die er in Archiven recherchiert hat und einige Interviews mit Augenzeugen mit fiktiven Dialogen zu einem fesselnden historischen Roman verknüpft. Dennoch hätte ich diesen Teil des Romans lieber als Epilog gelesen, sowie mit der Erklärung was Fakt und was Fiktion ist, versehen.

Wie es für mich üblich ist, wenn mich ein Thema interessiert, beginne ich selbst zu recherchieren. Dabei bin ich auf den historischen Teseo, der mit Nachnamen Tesei hieß, gestoßen. Er hatte maßgeblichen Anteil an der Weiterentwicklung des SLC, das wegen seiner schweren Lenkbarkeit „maiale“, also Schwein genannt wurde. Tesei kam am 26. Juli 1941 bei einem Einsatz vor La Valetta/Malta ums Leben. Er wurde 22 Jahre alt. Zu seinem Gedenken heißt eine Spezialeinheit der italienischen Marine auch heute noch COMSUBIN Comando Raggruppamento Subacquei e Incursori Teseo Tesei. Diese Truppe besteht aus Tauchern, Kampfschwimmern und Kommandotruppen. Ihre Basis ist der Marinehafen von La Spezia.

Im Museo storico navale in Venedig sowie im Museo nazionale della scienza e della tecnologia Leonardo da Vinciin Mailand sind maiali zu sehen. Beim nächsten Aufenthalt in Venedig und/oder Mailand stehen beide Museen auf dem Programm, versprochen.

Die Charaktere überzeugen durchwegs. Die Kampftaucher sind Spezialisten, nicht ganz ohne Angst oder Zweifel.

Gut gefällt mir, dass Bücher und Buchhandlungen in dieser Geschichte eine sehr große Rolle spielen.

Fazit:

Dieser historische Roman, der auf wahren Ereignissen beruht, hat mit sehr gut gefallen. Ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Wer etwas über ungewöhnliche Einsätze abseits von Panzerschlachten des Zweiten Weltkriegs lesen möchte, ist hier genau richtig. Gerne gebe ich hier 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 05.09.2025
Oetker, Alexander

Wolfstal / Luc Verlain Bd.9 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In diesem 9. Fall lässt Alexander Oetker seinen Commissaire Luc Verlain zusammen mit seinem Kollegen und Freund Gilen Etxberria aus Biarritz, der ihn um Unterstützung gerufen hat, wieder in den Pyrenäen ermitteln. Was ist passiert? Jacques, ein Schäfer, der den Bewohnern des malerischen Dorfes Espelette aus dem Weg geht, liegt brutal ermordet auf der Schafsweide.

Zu beider Überraschung ist Rose Schillinger, Verlains neue Mitarbeiterin, bereits vor Ort. Die Ermittler stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Über das Motiv kann nur gerätselt werden. Der Tote hat als Einzelgänger und Störenfried gegolten. Seine feindliche Haltung den Pilgern auf dem Jakobsweg gegenüber, inklusive Schüsse aus seiner Flinte, hat die Hoteliers erzürnt. Zudem glauben die Dorfbewohner zu wissen, dass Jacques die Wiederansiedlung von Wölfen fördert. Zwar hat bislang niemand das Raubtier gesehen, aber die Eigentümer der gerissenen Schafe und Ziegen
fordern von der Bürgermeisterin Maßnahmen gegen Wolf und Jacques.

Ungewöhnlich lange tappen Verlain und Etxberria im Dunkeln, zumal Rose Schillinger ein höchst seltsames Betragen an den Tag legt. Sie ist unhöflich, gleichzeitig wichtigtuerisch und verschwindet für Stunden, ohne sich abzumelden. Teamarbeit sieht anders aus. Insgeheim sind Verlain und Etxberria nicht unglücklich, die eigenbrötlerische Kollegin, die ihre eigene Suppe zu kochen scheint, nicht ständig um sich zu wissen.

Als dann die Einvernahme eines Zeugen eskaliert und Luc Verlain einen Blick in ihre Personalakte wirft, eröffnet sich ein neue Spur.

Meine Meinung:

Diesmal dauert es für meinen Geschmack ein wenig länger bis der Kriminalfall so richtig in Gang kommt. Zunächst werden einmal Land und Leute vorgestellt. Zugegeben, die Pyrenäen sind ein spannender Schauplatz. Immerhin haben sie in der Vergangenheit immer wieder eine große Rolle gespielt und die rauen wie kargen Berge haben einen ebensolchen Menschentyp geformt, die sich gerne gegen die Obrigkeit, egal ob Frankreich oder Spanien, auflehnt.

Geschickt drapiert Alexander Oetker seinen Krimi rund um das Thema Wolf, das jede Menge Konflikte birgt, weshalb man einige Zeit auf der buchstäblich falschen Fährte ist.

Das ungewöhnlich ruppige Auftreten von Rose Schillinger, einer Elsässerin, die wie ein Wanderpokal durch Polizeidienststellen in mehreren Départements weiter gereicht worden ist, hat recht schnell eine Hypothese bei mir aufkommen lassen.

Gut gefallen hat mir der für mich viel zu kurze Exkurs in die Vergangenheit des Baskenlandes. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Infos erhofft, zumal mit Gilen Etxberria ein Betroffener im Spiel ist. Nun, immerhin hat Alexander Oetker im Nachwort einiges erklärt.

Wie immer ist auch dieser 9. Fall eine gelungene Mischung zwischen Krimi, kulinarischer Reise und Tourismusführer. Der Autor stellt die kommerziell ausgereizte Pilgerreise des Jakobswegs ein wenig an den Pranger. Haben im Jahr 1970 ganze 68 Pilger die Reise zu Fuß zurückgelegt, so sind es im Jahr 2024 knapp 500.000 Personen, die weniger zu Fuß gehen, sondern sich der üblichen Verkehrsmittel bedienen. Statt einfacher Herbergen und Speisen müssen es nun Wellnesstempel und Gourmetrestaurants sein. Zwar klingeln die Kassen der Gemeinden entlang des Pilgerwegs, der ursprüngliche Zweck, innere Einkehr zu halten, ist im Laufe der Jahre verloren gegangen.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem komplexen Krimi, der die Vergangenheit des Baskenlandes aufgreift, 5 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2025
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Schwarze Schatten der Vergangenheit

Dieser Roman über eine höchst seltsame Familie ist fesselnd bis zur letzten Seite!

Wenige Tage vor der Feier zum 80. Geburtstag ihres Großvaters Karl trifft Mona in der Marsch ein und muss feststellen, dass Großmutter Annemie verschwunden ist. Karl scheint das Verschwinden seiner Frau nicht wesentlich zu tangieren.

Wortkarg wie eh und je, maßregelt er Mona, die sich sowohl um ihn als auch um Annemie sorgt. Nur mit Widerwillen lässt er Mona in sein Haus, in dem sie ihre Sommerferien verbracht hat, einziehen. Auch der Rest der Familie, also Monas Mutter Sabine, die nur sehr selten in Deutschland ist, oder Sabines Zwillingsbrüder Sven und Stefan, wollen dem Verschwinden ihre Mutter nachgehen. Ja, man schaltet halbherzig die Polizei ein, ruft Krankenhäuser und die eine oder andere Bekannte, denn wirkliche Freundinnen von Annemie sind nicht bekannt, an. Irgendwie ist allen das Schicksal Annemies egal.

Nur Mona stochert weiter in Omas Leben. Ein vergilbtes Säuglingsfoto in Omas Geldbörse, das weder Sabine oder einen der Zwillige zeigt, gibt einen ersten Hinweis auf ein unbekanntes Familiengeheimnis, zumal es plötzlich wieder verschwunden ist.

Erst als Mona gemeinsam mit Jon, dem Freund aus Kindheitstagen aufmacht, Annemie zu suchen, kommt Bewegung in die Sache. Dabei hat Mona eigentlich mit sich selbst genug zu tun.

Bei der Geburtstagsfeier, die trotz des Fehlens von Annemie stattfindet, kommt es dann zum Eklat.

Meine Meinung:

Autorin Katja Keweritsch zeichnet hier ein Bild einer dysfunktionalen Familie, die man nicht einmal seinem schlimmsten Feind wünschen würde, aber immer wieder doch vorkommt. Alles dreht sich um die Doppelmoral und um die Angst vor Gerede im kleinen Dorf in der Marsch, wo man sich ganz genau beobachtet und zu kennen glaubt. Doch kennt man seine Nachbarn wirklich? Oder sieht man nur das, was man sehen will? Das, was in das eigene Weltbild passt?

Die Geschichte wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. So kommen neben Mona und ihre Tante Janne, auch Großmutter Annemie zu Wort. Einen weiteren Handlungsstrang mit Freya und Ayko, kann man zunächst nicht ganz einordnen.

Von Kapitel zu Kapitel steigert sich mein Zorn auf Karl und Stefan, die beide ihre Frauen misshandeln, der ein physisch und der andere psychisch. Während Janne, Stefans Frau, sich mit drei Kindern und dem Haushalt (beides will sie perfekt hinkriegen) abstrudelt, geht Stefan zur Herrenrunde, ins Fitness-Studio oder zu Feuerwehrübungen. Es ist ja sein gutes Recht - er bringt das Geld nach Hause, oder?. Kindergeschrei gehört in die Hemisphäre der Frau, weshalb er mit Ohrstöpseln schläft, um von der zahnenden Jüngsten nicht geweckt zu werden. Nicht einmal als Janne völlig zusammenbricht und in die Klinik muss, kümmert er sich um den Nachwuchs. Da springen Jannes Eltern ein.

Die Auflösung ist so tragisch wie komplex. Erst als Sabine ihr Schweigen bricht, scheint es die Möglichkeit zu geben, diese Familientraumata, die von Tochter zu Tochter weitergegeben worden sind, zu durchbrechen.

Unheimlich sind die Zitate aus Johanna Haares Buch der Kindererziehung aus der NS-Zeit. Dass dieses Buch bis 1987 (!) im Buchhandel erhältlich war, erschüttert noch einmal extra.

Fazit:

Schon lange keinen Roman über so eine dysfunktionale Familie gelesen, der mich so berührt und gleichzeitig wütend gemacht hat. Gerne bewerte ich dieses Buch mit 5 Sternen.

Bewertung vom 03.09.2025
Berbo, Vernesa

Der Sohn und das Schneeflöckchen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Als am 4. Mai 1980 Josip Broz Tito, der Staatspräsident Jugoslawiens, stirbt, weiß noch niemand, dass zehn Jahre später, der Staat, den die Person Tito mit eiserner Klammer zusammengehalten hat, auseinanderbrechen wird. Leider wird die Trennung nicht so friedlich wie bei der Tschechoslowakei, die sich in Tschechien und die Slowakei trennt, erfolgen. Auf Grund der verschiedenen Ethnien, Sprachen und Schriften, Religionen und vor allem gemischten Dörfern und Städten wie Sarajevo, in den man meist friedlich nebeneinander lebt, zetteln Anführer unterschiedlicher Parteien eine Reihe von (Bürger)Kriegen an, die uns als Jugoslawien- oder Balkankriege der Jahre 1991 bis 2001 bekannt sind. Sie scheuen dabei weder ethnische Säuberungen, noch andere Kriegsverbrechen.

Vernesa Berbo, 1968 in Proboj, im heutigen Serbien geboren, lebte während der Belagerung Sarajevos einige Zeit in der Stadt und ist selbst als Kriegsflüchtling 1992 nach Deutschland gekommen. In ihrem Debütroman schildert sie an Hand von Dijana (Sohn) und Dada (Schneeflöckchen) die Belagerung Sarajevos (5. April 1992 bis 29. Februar 1996), die rund 11.000 Menschen das Leben kostete.

Wir erfahren von diesen Jahren der Belagerung aus der Sicht von Dada, die von ihrer Familie Schneeflöckchen genannt worden ist, seit ihrer Flucht aus Sarajevo nun in Berlin wohnt und als Dolmetscherin in den Kriegsverbrecherprozessen übersetzt. Es sind Dadas Erinnerungen an ihre Familie, speziell an ihre Schwester Dijana, die allgemein nur Sohn gerufen wird, an das unbeschwertes Leben bevor der Krieg alle Pläne zunichte gemacht hat und an Mirza, ihre große Liebe.

Es sind aber auch die Erinnerungen Dijanas an die große Scham, die sie empfindet, die wir lesen. Die eine, weil sie ihre Familie nicht wissen lässt, dass sie ein anderes Leben führt und die andere, weil sie sich die Schuld gibt, die kleine Schwester im Stich gelassen zu haben.

Die Erinnerungen versetzen uns in den März 1992 als sich die Lage in Sarajevo zuspitzt und die Belagerung beginnt. Wir erleben die Ereignisse aus den Perspektiven von Dada und Dijana hautnah mit. Ein genialer Schachzug ist, Dada in der dritten Person erzählen zu lassen und Dijana als Ich-Erzählerin.

Zunächst scheinen die Berichte wie aus großer Distanz. Erst als Vater und Sohn (also Dijana) an die Front müssen und Mirza, Dadas große Liebe, nicht mehr zurückkehrt, ändert sich die Stimmung in der Familie. Es sind nicht die direkten Gefechte, die Eindruck hinterlassen, sondern die Verwandlung der Menschen. Die Rückschau auf verpasste Gelegenheiten und die Trauer, die sich stellenweise in Trotz und Wut verändern.

Viele Ereignisse sind ob der Brutalität und der Gräuel nur angedeutet.

„Sie [Dada] landete alleine direkt in einem Krankenhaus. Ab da erinnerte sie sich mehr an vieles. Bruchstückhaft weiß sie noch, dass sie sich wunderte, dass nur schwangere Frauen um sie herum waren. Dass in diesem Monat in dem sie da war, viel zur Entbindung gebracht wurden, aber alle mit leeren Händen und geschwollenen Brüsten zurückkamen, ohne ihre Kinder. Keine sprach jemals über die Entbindung oder ihr Baby. Man gab ihnen Schmerzmittel und Medikamente gegen die Brustentzüdnung, dann verschwanden sie aus dem Zimmer. Wie am Fließband kam neue Frauen mit prallen Bäuchen, neue leere Hände, neue entzündete Brüste, neue Verzweifelte, die sich wie Tauben aus dem Krankenhausfenster in die Tiefe stürzten.“ (S. 305)

Meine Meinung:

Die Autorin lässt in ihren Debütroman zahlreiche persönliche Erfahrungen einfließen, wodurch das Buch eine beklemmende Sogwirkung entfaltet. Es überzeugt durch die weibliche Sicht der Belagerung Sarajevos und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck. Gerne gebe ich diesem Debüt, das sich sowohl als Aufarbeitung eines Traumas, als auch als Plädoyer gegen den Krieg versteht, 5 Sterne. Allerdings ist es nichts für Zartbesaitete.