Benutzer
Benutzername: 
Magda
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 303 Bewertungen
Bewertung vom 19.03.2025
Caspari, Anna-Maria

Schlehengrund


ausgezeichnet

Schlehengrund ist der letzte Band der Eifel-Trilogie von Anna-Maria Caspari. Die Vorgängerbände Ginsterhöhe und Perlenbach habe ich auch gelesen. Die Trilogie stellt ein interessantes Zeitdokument über das Schicksal einer Familie in der Eifel im Zeitraum von hundert Jahren, zwischen 1865 und 1970, dar. Über die Tagebucheinträge eines Lehrers erfahren wir, was währenddessen in der Welt passiert.
Das Dorf Wollseifen ist 1946 zum Sperrgebiet geworden, da das Land um das Dorf einschließlich der Urfttalsperre zuerst von den Briten und später den Belgiern als Truppenübungsplatz genutzt wird.
1950: Albert Lintermann und seine Familie finden eine neue Heimat in dem Eifeldorf Embken. Alberts Sohn Karl kehrt erst viele Jahre nach dem Krieg aus russischer Gefangenschaft zurück. Seine Frau Johanna hatte sich in seiner Abwesenheit mit Hilfe ihrer Schwiegereltern um Haus und Hof und Sohn Rolf gekümmert. Karl fällt es schwer, ins Leben auf dem Hof zurückzufinden. Er ist traditionsbewusst, während Johanna für neue Anbaumethoden und das Konzept der biologisch-dynamischen Landwirtschaft ohne Kunstdünger, Unkrautvernichter und mit viel Handarbeit plädiert. Die Eheleute sind sich in den Jahren, in denen sie getrennt waren, fremd geworden. Auch Rolf findet keinen Zugang zu seinem traumatisierten Vater.
Rolf freundet sich mit dem neu zugezogenen Arztsohn Horst an. Horst erzählt ihm von der nationalsozialistischen Gesinnung seines Vaters, der ihn bei geringsten Vergehen verprügelt. Mit Hilfe des Lehrers schafft er es, sein Elternhaus zu verlassen. Er geht zunächst nach Heidelberg und später zu seinem Bruder nach Berlin. Ende der 1960er Jahre besucht Rolf seinen Kindheitsfreund und staunt über sein Leben, das so anders als sein eigenes ist. „Eine dumpfe Ahnung stieg in ihm auf, wie sehr sich das Leben, das Horst in Berlin führte, von dem in der rheinischen Provinz unterschied. Bonn mochte die Hauptstadt sein, aber Berlin war trotz der Teilung die lebendigere Stadt. Hier befand sich alles im Aufbruch, das Leben war härter und schneller, und so auch die Menschen, die hier lebten.“
1963 fahren viele Familien nach Köln, der ersten Station auf der viertägigen Deutschlandreise der Kennedys. Gespannt werden die Prozesse gegen zweiundzwanzig Mitglieder der Lagermannschaft von Auschwitz verfolgt. „Dass die Prozesse achtzehn Jahre nach Kriegsende geführt werden, stößt nicht bei allen auf Verständnis – viele Deutsche möchten mit der Vergangenheit lieber nichts mehr zu tun haben.“
Ereignisse wie die Mondlandung, die Beerdigung Adenauers, Kennedys Rede in Berlin und diverse Unterhaltungsshows werden im Fernsehen übertragen, zuerst in schwarz-weiß und ab 1967 in Farbe.
Mir hat der Abschlussband der Trilogie genauso gut gefallen wie die beiden Vorgängerbände. Ich habe Albert und Leni, Johanna und Rolf genau wie die anderen ehemaligen Wollseifener ins Herz geschlossen. Im Nachwort erfahren wir, dass die Handlung an reale Schicksale angelehnt ist, von denen die Autorin in Gesprächen mit einer ehemaligen Bewohnerin von Wollseifen erfahren hat. Gerne empfehle ich die Trilogie an alle weiter, die historische Romane mögen und/oder eine Beziehung zur Eifel haben.

Bewertung vom 17.03.2025
Fuchs, Katharina

Vor hundert Sommern


ausgezeichnet

Ich liebe die Bücher von Katharina Fuchs und habe alle gelesen. Auch ihren neuen historischen Roman Vor hundert Sommern habe ich mit großer Begeisterung verschlungen. Sie bleibt ihrem Stil treu, und auch ihr neuer Roman spielt auf zwei Zeitebenen, und wieder diente eine reale Person als Vorlage, diesmal ihre Großtante Clara. Die Kapitel sind mit den Monaten, Jahreszahlen und Namen der Personen überschrieben, von denen sie handeln. Das Buch habe ich teils gelesen und teils gehört, wie immer wunderbar eingelesen von Tanja Fornaro.
Anja ist Bibliothekarin an der Hochschulbibliothek in Hamburg. Sie hat zwei erwachsene Töchter, Lena studiert an der Kunsthochschule in Berlin, Anabel ist Influencerin. Anjas 94jährige Mutter Elisabeth ist vor einigen Monaten nach einem Schlaganfall in ein Pflegeheim gezogen, Anja kümmert sich um die Auflösung der Wohnung in Berlin-Charlottenburg. Ursprünglich hatte die Wohnung Tante Clara gehört. Im Keller findet sie einen Koffer voller Utensilien für die Fellpflege von Hunden und Katzen und erfährt, dass Clara in den 1920er und 1930er Jahren einen Hundesalon in Berlin-Charlottenburg betrieben hatte. Anja und Lena bitten Elisabeth, von Clara zu erzählen, deren Name in der Familie fast nie erwähnt wurde.
Lena findet einen Hund, der ausgesetzt wurde und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Von nun an begleitet Finn sie auf Schritt und Tritt, sogar in die Vorlesung. Nachdem sie in der Schule wegen ihrer Figur gemobbt wurde, leidet sie an einer Sozialphobie, und es fällt ihr schwer, auf Menschen zuzugehen oder Freundschaften zu schließen. Für ihre Eltern ist sie das Sorgenkind.
Anja bekommt ein Jobangebot in Bremen, das sie auf der Karriereleiter um einige Stufen höher bringen würde. Einerseits reizt sie die Aufgabe, andererseits wird sie gerade von ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern gebraucht.
Nach und nach erzählt Elisabeth von Claras Leben in Berlin in den Jahren 1924-1933. Bevor Clara ihren späteren Ehemann Willy kennengelernt hatte, hatte der Exilrusse Aleksei ihr Herz erobert. Eine Liebe, die keine Zukunft hatte. Aleksei war Kommunist und agierte nach der Machtergreifung der Nazis im Untergrund.
Es dauert lange, bis Lena und Anja von dem Familiengeheimnis erfahren, das Elisabeth ihr Leben lang gehütet hatte. Ein Geheimnis, das mit Judenverfolgung und Antisemitismus zu tun hat, die nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 in Deutschland wieder aufgeflammt sind.
Ich fand das Buch großartig, es behandelt viele spannende Themen von damals und heute. Ich konnte mich gut mit Anja identifizieren, da wir im ähnlichen Alter sind und auch meine Tochter am Anfang ihres Studiums steht. Als Besitzerin eines Havanesers, der Stammkunde in einem Hundesalon ist, habe ich die Passagen über Claras Grooming-Tätigkeit und Lenas liebevollen Umgang mit ihrem Hund mit besonders großem Interesse gelesen. Die von Lena erfundene elektrische Bürste mit Massagefunktion würde ich mir gern zulegen.
Ich vergebe fünf von fünf Sternen und empfehle das Buch gern an alle weiter, die gern historische, Frauen- und/oder Familienromane lesen.

Bewertung vom 13.03.2025
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


ausgezeichnet

Aufgrund des Titels oder des schlichten Covers hätte ich niemals zu dem Buch gegriffen. Ich freue mich, dass ich es doch gelesen habe, nachdem es von vielen empfohlen wurde, die meinen Lesegeschmack teilen, so auch von Christine Westermann und Mone Ameziane in ihrem Podcast „Zwei Seiten“.
Nina ist fast fünfzig und geschieden, die beiden erwachsenen Kinder sind aus dem Haus. Sie arbeitet für eine Filmproduktionsfirma. Als sie mitbekommt, dass junge Schauspielerinnen von einem bekannten Serienstar belästigt und missbraucht werden, setzt sie sich zusammen mit ihrer besten Freundin Zeynep vehement dafür ein, ihm das Handwerk zu legen.
Lena ist Ninas jüngere Schwester. Sie ist mit einem Anwalt verheiratet und nicht berufstätig. Ihr Leben lang fühlt sie sich der schönen Nina unterlegen. Sie tut alles, um in den Kreis der hippen Hausfrauen von Berlin-Grunewald aufgenommen zu werden.
Auf einer Party bei ihrem Ex-Mann und seiner neuen jungen Frau Lulu lernt Nina den 29jährigen David kennen. Bei beiden ist es Liebe auf den ersten Blick, doch Nina hadert mit dem Altersunterschied und zweifelt, ob eine Beziehung zukunftsträchtig ist.
Sehr berührend fand ich den Handlungsstrang um Karin, Ninas und Lenas Mutter. Karin ist früh verwitwet. Nach dem Tod ihres Mannes fühlte sie sich oft überfordert und führte einen ständigen Kampf als Mutter und berufstätige Frau. Nach einem Sturz versammelt sich die Familie an Karins Krankenbett, und es kommt endlich zu der längst fälligen Aussprache zwischen den drei Frauen.
Ich habe das Buch teils gelesen und teils gehört, wunderbar eingelesen von zwei großartigen Schauspielerinnen: Katja Riemann und Anna Maria Mühe.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen, es behandelt viele spannende und interessante Themen: Wechseljahre, Mutter-Tochter-Beziehungen, Freundschaft, Eheprobleme, MeToo, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und natürlich die Liebe. Ich konnte mich in beide Schwestern gut hineinversetzen und ihre Gedankengänge und ihre Probleme gut nachvollziehen. Sehr gern vergebe ich fünf von fünf Sternen und spreche eine Leseempfehlung für diesen spannenden Frauenroman aus.

Bewertung vom 13.03.2025
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


sehr gut

Das Leben fing im Sommer an ist ein autofiktionaler Roman des ehemaligen Fußballprofis und Fußballexperten Christoph Kramer. Das Cover mit einem Mann auf dem Zehn-Meter-Turm im Freibad mit lilafarbenem Hintergrund finde ich wunderschön.
Sicherlich möchten viele Fußballinteressierte, die Christoph Kramer kennen und mögen, das Buch lesen. Wie man jedoch bereits dem Klappentext entnehmen kann, geht es nur am Rande um Fußball, das Hauptthema des Buches ist die erste Liebe.
Die Handlung erstreckt sich über vier Tage im Jahr 2006, abgerundet durch den Tag des Abiturs und den Sommer 2014, in dem Kramer als deutscher Nationalspieler Weltmeister wurde.
Mit fünfzehn Jahren verliebt Chris sich in seine Mitschülerin Debbie. Obwohl er bereits in der U15-Jugend von Bayer 04 Leverkusen spielt, ist er bescheiden und eher unsicher, mit Mädchen hat er keine Erfahrungen. Wenn er nicht beim Training ist, verbringt er seine Freizeit mit seinen beiden besten Freunden Johnny und Salvo. Bereits einen Tag nach seinem ersten Date mit Debbie, sieht er sie in einer Umarmung mit einem anderen. Verzweifelt steigt er mit Johnny, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hatte, ins Auto und fährt von Solingen nach Düsseldorf. Unterwegs erleben sie wilde Abenteuer und Kramer lernt in jener Nacht auch seine spätere Ehefrau kennen.
Ich habe das Buch mit seinen knapp 250 Seiten an einem Tag durchgelesen, Kramers Schreibstil ist angenehm und flüssig lesbar. Gern hätte ich mehr über Kramers Weg zum Fußballprofi erfahren und sein Erleben des deutschen Sommermärchens 2014. Insgesamt hat mir der Debütroman gut gefallen, wobei ich eine Leseempfehlung insbesondere für die 1990er Jahrgänge ausspreche, die sich mit dem damals fünfzehnjährigen Chris sicherlich gut identifizieren können und vieles wiedererkennen werden; es sind die letzten Jahrgänge, die keine Smartphones hatten und ihre Kindheit und Jugend ohne permanenten Internetzugang verbracht hatten.

Bewertung vom 12.03.2025
Jónasson, Jón Atli

Schmerz / Dora und Rado Bd.1 (eBook, ePUB)


gut

Ich habe bereits viele Krimis isländischer Autoren gelesen, sie katapultieren mich gedanklich nach Island, das ich unbedingt mal bereisen möchte. Das Cover ist typisch für isländische Krimis und gefällt mir sehr gut, toll finde ich auch den Farbschnitt mit den aufgedruckten Namen der Ermittler.
Mit Jón Atli Jónasson habe ich einen neuen isländischen Autor entdeckt, und leider auch den ersten, dessen Kriminalroman mich nicht begeistern konnte.
Dora und Rado ermitteln in zwei Fällen: Das Verschwinden von Morgan und der Tod von Jurek.
Dora ist bei einem Einsatz schwer verletzt worden und soll noch geschont werden, Rado ist mit Ewa, der Tochter des Anführers einer Verbrecherbande, verheiratet. Dieser wird nach einer Razzia festgenommen und stirbt unter mysteriösen Umständen in der Untersuchungshaft.
Die beiden Fälle spielen sich im Hintergrund ab, der Fokus liegt auf dem Privatleben der beiden Ermittler. Wir erfahren sehr viel über Rado und seine Familie. Seine Frau Ewa stammt aus Polen, die beiden haben einen Sohn, der den gleichen Namen wie sein Großvater hat: Jurek. Dann gibt es da noch Ewas Bruder Artur und Rados Bruder Zeljko, die beide ebenfalls kriminell sind.
Dora wird brutal zusammengeschlagen und kommt knapp mit dem Leben davon, es dauert Monate, bis sie wiederhergestellt und einsatzbereit ist. Währenddessen bleibt Morgan verschwunden. Morgan wäre gern ein Junge, was ihr Umfeld nur bedingt akzeptiert, vor allem nicht ihr Vater.
Zwischendurch gibt es Kapitel über zwei weitere Verbrecher: Morra und Hector. Ich habe lange erfolglos nach einer Verbindung zwischen diesen beiden und Dora, Rado, Jurek oder Morgan gesucht.
Leider konnte der Krimi meine Erwartungen nicht erfüllen. Es waren unheimlich viele Protagonisten involviert, und ich fand es mühsam, mir die vielen isländischen Namen zu merken. Ich habe keinen Zugang zu den Ermittlern gefunden, und war mehrmals kurz davor, das Buch abzubrechen. Ab der Hälfte habe ich das Buch schließlich überflogen, um zu erfahren, was mit Morgan passiert ist. Für diesen isländischen Krimi kann ich leider keine Empfehlung aussprechen.

Bewertung vom 07.03.2025
Engelmann, Gabriella

Der Gesang der Seeschwalben / Die Bücherfrauen von Listland Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Das Cover mit dem Leuchtturm und den wunderschönen Pastellfarben gefällt mir sehr, der Klappentext klingt vielversprechend, und das Buch hält, was der Klappentext verspricht.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen – 1937 und in der Gegenwart.
1937: Die 16jährige Lene Iwersen lebt mit ihren Eltern Konrad und Beeke in Listland auf Sylt. Konrad ist Miteigentümer einer Austernzucht und Krabbenfischer, Beeke verkauft von ihr hergestellte Kleidungsstücke, die sie mit Wolle der Lister Schafe gestrickt hatte. Im Sommer vermietet die Familie Fremdenzimmer an Feriengäste. Der junge Buchhändler Marten Behlau aus Friedrichstadt möchte in der Abgeschiedenheit Listlands einen Roman schreiben und mietet ein Zimmer bei den Iwersens.
Lene und Marten verlieben sich ineinander und wollen mit dem Einverständnis von Lenes Eltern möglichst bald heiraten, doch plötzlich muss Marten zurück nach Friedrichstadt. Schon bald stellt Lene fest, dass sie ein Kind erwartet. Ihre Briefe an Marten kommen ungeöffnet zurück. Verzweifelt lässt sie sich auf eine Heirat mit Friso Pauls aus Niebüll ein, der ihre Tochter als die seine anerkennt. Lene nennt ihre Tochter Martje in Erinnerung an ihre große Liebe Marten. Als sie von Friso schwanger wird, nennt sie ihre zweite Tochter Fenja.
Heute: Anna ist erfolgreiche Journalistin und Podcasterin. Sie möchte eine Reihe über die „Bücherfrauen von Listland“ schreiben, im Mittelpunkt des ersten Buches soll die 85jährige Fenja Lorenzen stehen. Fenja lädt Anna in ihr Haus am Lister Ellenbogen ein. Als Anna eintrifft, ist Fenja nicht da, dafür trifft sie deren Tochter Elisa. Elisa hat ein distanziertes Verhältnis zu ihrer Mutter. Gemeinsam mit Elisa und deren Bruder Eric erforscht Anna die Geschichte von Lenes Töchtern Fenja und Martje, die getrennt voneinander aufgewachsen sind. Im Auftrag von Fenja macht sie sich auf die Suche nach Marten Behlau, von dem seit 1937 jede Spur fehlt.
Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Die wunderbaren Naturbeschreibungen wecken die Lust und das Interesse an Listland und Sylt. Es ist ein Buch für Literaturbegeisterte, da fast alle Charaktere die Liebe zu Büchern verbindet. Eine große Rolle spielen Mutter-Tochter-Beziehungen, die zwischen Lene und ihren Töchtern, zwischen Anna und ihrer Tochter Kathrin und schließlich Fenja und Elisa.
Ich freue mich schon auf Band 2, in dem Anna nach Fenjas verschollener Schwester Martje sucht. Sehr gern empfehle ich das Buch an alle, die gern Familienromane lesen und sich dabei nach Sylt träumen möchten.

Bewertung vom 05.03.2025
Anders, Florentine

Die Allee


gut

Das wunderschöne von Kat Menschik gestaltete Cover hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht. Auch der Klappentext hat mein Interesse geweckt, da ich gern Bücher über die Zeit der deutschen Teilung lese.
Im Mittelpunkt des Romans steht der Stararchitekt der DDR Hermann Henselmann und seine Familie, vor allem Tochter Isi und Enkelin Isa. Das Buch wurde von Henselmanns Enkelin Florentine Anders geschrieben.
Henselmanns erstes großes Projekt war die Villa Kenwin in der Schweiz, ein Wahrzeichen der Bauhaus-Bewegung.
1931 lernte Hermann die zehn Jahre jüngere Isi kennen, die damals sechzehn Jahre alt war.
Wir erfahren viel über Henselmanns Bauprojekte wie die Stalinallee und den Berliner Fernsehturm, aber auch über seine Ehe und das Familienleben. Isi und Hermann bekommen acht Kinder, trotz der Kinderschar ist Isi berufstätig und arbeitet als Architektin. Die Kinder erziehen sich gegenseitig, die Älteren kümmern sich um die Kleinen. Schon bei kleineren Vergehen werden sie vom Vater hart bestraft. Besonders die kleine Isa leidet sehr unter dem Jähzorn des Vaters. Als sie ihren späteren Mann Hermann kennenlernt, nennt sie ihn Hermi, um nicht ständig an den ungeliebten Vater erinnert zu werden.
Hermann ist notorischer Fremdgeher, Isi findet sich irgendwann wohl oder übel damit ab, sie konzentriert sich auf ihre Karriere.
Isa ist das fünfte der acht Henselmann-Kinder. Die Familie ist privilegiert, pflegt Umgang mit der Politprominenz und bekannten Künstlern wie Bertold Brecht, Manfred Krug und Brigitte Reimann.
Es ist ein sehr persönliches Buch, wir erfahren von einer Vergewaltigung und von Abtreibungen.
Es war das erste Buch, das ich über regimetreue Prominente in der DDR gelesen habe. Neben der Geschichte der Henselmanns lernen wir die Geschichte der DDR kennen – über den Tod Stalins, den Aufstand vom 17. Juni 1953, dem Mauerbau bis hin in die 1980er Jahre und den Fall des kommunistischen Regimes.
Das Buch liest sich wie ein Sachbuch, der Schreibstil ist nüchtern und sachlich, weswegen mich die teils schlimmen Erlebnisse und Erfahrungen nicht berühren konnten. Es passiert sehr viel in vielen kurzen Kapiteln. Die Kapitel sind mit den Ereignissen überschrieben, die erzählt werden. Das Buch empfehle ich vor allem Leser*innen, die einen Bezug zur DDR und/oder zur Architektur haben.

Bewertung vom 01.03.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


gut

In einem Zug von Daniel Glattauer habe ich als Hörbuch gehört, ganz wunderbar eingelesen von Christian Berkel. Ich muss zugeben, dass mich nur Christian Berkels ausdrucksstarke Stimme bei der Stange gehalten hat, ich das Hörbuch gern gehört, das Buch jedoch abgebrochen hätte. Der Dialog auf der Zugfahrt von Wien nach München hat mich leider nicht für sich einnehmen können.
Eduard Brünhofer ist Autor, dessen letztes Buch jedoch bereits vor dreizehn Jahren erschienen ist. Die Frau „frühen mittleren Alters“ (seltsamer Ausdruck…) hält er für eine typische Leserin seiner Romane. Als sie mit ihm ein Gespräch beginnt, glaubt er, dass sie ihn erkannt habe, doch sie hält ihn für ihren ehemaligen Englischlehrer und hat keines seiner Bücher gelesen.
Eduard würde die Zugfahrt gern allein und schweigend genießen, doch die Frau stellt ihm eine Frage nach der anderen. Am meisten interessiert sie sich für seinen Beruf: Autor von Liebesromanen.
Sie stellt ihm eine der fünf Fragen, die die er zu den „Grausamen Fünf“ zählt: Wie wird man ein erfolgreicher Schriftsteller? Mit ihrer nächsten Frage stockt sie die grausamen Fünf um eine weitere Frage auf: Was befähigt ihn, über die Liebe zu schreiben?
Ihre Fragen werden immer persönlicher, sie fragt ihn nach seiner Beziehung und amüsiert sich über seine Antwort, dass er „schon eine Ewigkeit glücklich verheiratet“ sei, insbesondere über das Wort „glücklich“.
Eduard greift immer öfter zum Wein, der seine Zunge lockert, er beantwortet alle persönlichen Fragen.
Gegen Ende der Zugfahrt klärt sich die Identität der Frau – ein Twist, der mich nicht wirklich umhauen konnte. Am liebsten hätte ich wie der kurzzeitig zugestiegene Italiener, den ich im übrigen als einzigen Charakter amüsant fand, das Abteil verlassen und mich in einem anderen Abteil in ein gutes Buch vertieft, vielleicht von Christian Berkel, dessen Bücher ich genauso gerne lese wie seiner Stimme zu lauschen.

Bewertung vom 28.02.2025
Lohmann, Eva

Wie du mich ansiehst


ausgezeichnet

Wie du mich ansiehst ist das zweite Buch der Autorin, das ich gelesen habe. In ihren Romanen spricht sie uns Frauen aus der Seele, Eva Lohmann versteht es meisterhaft, unsere Empfindungen in Worte zu fassen. Wie schon „Das leise Platzen unserer Träume“ ist auch dieses Buch für mich ein Highlight.
Johanna, 40, ist Inhaberin eines Blumenladens. Ihr Mann Hendrik ist Kapitän und oft wochenlang auf See unterwegs. Die beiden haben eine 15jährige Tochter namens Rosa. Jo ist mit ihrem Leben zufrieden, auch der Laden läuft gut. Doch dann stirbt ihr Vater Karl, zu dem sie ein inniges Verhältnis hatte. Karl hinterlässt ihr seinen Garten mit einem Schäferwagen, in dem er oft übernachtet hatte. Die Arbeit im Garten hilft Jo bei der Trauerbewältigung. Mit Ruby, Rosa und Lone erschaffen sie ein Blumenparadies, das sie zum einen Karl näherbringt, und zum anderen ihre physischen Kräfte bis zum Äußersten fordert.
Die Trauer um ihren Vater hinterlässt Spuren in ihrem Gesicht, so zumindest Johannas persönlicher Eindruck. Als Ruby, ihre 30jährige Mitarbeiterin, ihr versichert, dass nichts dabei sei „was machen zu lassen“, auch sie habe sich schon Botox spritzen lassen, kommt sie ins Grübeln. Sie beobachtet die Blicke der vorbeigehenden Männer und glaubt, für diese unsichtbar geworden zu sein. Kurz entschlossen sucht sie Rubys Schönheitschirurgen auf und lässt sich von ihm die Zornesfalte entfernen. Als weder Hendrik noch Rosa das Verschwinden der Falte bemerken, ist sie sehr enttäuscht.
Ich habe mir sehr viele Stellen im Buch markiert, da ich mich wie wohl jede Frau, die das Buch liest und nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend steht, sehr oft wiedererkannt habe. Warum ist das Aussehen für uns Frauen so wichtig? Johannas beste Freundin fragt, ob Jo etwa „fuckable“ bleiben will und ihr Hendrik nicht mehr genüge.
Als Jo sich die Lippen aufspritzen lässt, kommt es zum Eklat. Rosa ist entsetzt, und Hendrik versteht nicht, warum Johanna „wie ein Entchen“ aussehen will.
Doch dann kommt Rosa mit einem Problem nach Hause, und Johannas Besuche beim Schönheitschirurgen verlieren an Bedeutung. Sie muss feststellen, dass sich Mutter und Tochter in verschiedenen Lebensphasen befinden: Rosa wäre gern für Männerblicke unsichtbar, während Johanna sich Hyaluron spritzen lässt, um sichtbar (fuckable?) zu bleiben.
Ein wunderbarer Roman, der zum Nachdenken über die Sicht auf die Frau in unserer Gesellschaft anregt. Von mir eine große Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.02.2025
de Winter, Leon

Stadt der Hunde


ausgezeichnet

Die Stadt der Hunde ist das erste Buch, das ich von Leon de Winter gelesen habe. Es hat mir sehr gut gefallen.
Jaap Hollander ist pensionierter Neurochirurg, spezialisiert auf komplizierte Gehirnoperationen. Er ist Jude, aber Religion interessiert ihn nicht. Doch seine 18jährige Tochter Lea ist sehr an ihrer Abstammung interessiert und macht eine sogenannte Birthright-Reise nach Israel. Eine Reise, von der sie nie zurückkehrt. Zehn Jahre lang fährt Jaap am Jahrestag ihres Verschwindens in die Wüste Negev, von wo aus es das letzte Lebenszeichen von ihr gab.
Eines Tages wird er vom israelischen Ministerpräsidenten kontaktiert, der ein Anliegen hat, von dessen Gelingen der Frieden im Nahen Osten abhänge: Jaap soll die Tochter des saudischen Thronfolgers operieren. Die Aussichten, dass das Mädchen die Operation überlebt, liegen bei Eins zu einer Million. Trotzdem nimmt Jaap das Angebot an. Der Grund für seine Zusage sind nicht die Millionen, die er für die Operation erhält, sondern das Angebot der beiden Herrscher, ihm bei der Suche nach Lea zu helfen.
Nach der Operation hat Jaap einen Unfall und muss ebenfalls am Gehirn operiert werden. Während der Operation führt er ein Leben in einem Paralleluniversum und freundet sich mit dem Wüstenhund Avi an, der ihm verspricht, ihn zu seiner Tochter zu bringen.
Was für eine spannende, hochemotionale Geschichte! Einmal angefangen, konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Zuerst wollte ich wissen, ob Jaap die Operation durchführen wird, danach ob diese erfolgreich sein wird, aber vor allem wollte ich erfahren, ob Jaap seine Tochter finden wird.
Zu Beginn fand ich Jaap unsympathisch, doch je weiter ich las, desto sympathischer wurde er mir. „Er war bereit, sich auf jede Art von Wahnsinn einzulassen, wenn er dafür Lea umarmen, küssen und ihr sagen konnte, wie leid ihm alles tat: seine Gedankenlosigkeit, seine Besessenheit von seiner Arbeit, seine Respektlosigkeit gegenüber ihrer Mutter, dass er sich für so vieles entschuldigen müsse.“
Als Hundebesitzerin fand ich es schön, dass ein Hund zu seinem besten Freund wurde, obwohl er Hunde früher gar nicht mochte.
Das Buch liefert unheimlich viele Informationen über Israel und den jüdischen Glauben. Jaap ist zwar nicht religiös, doch in Tel Aviv wird er häufig mit jüdischen Feiertagen und Traditionen konfrontiert. Wir lernen Tel Aviv in all seiner Diversität kennen: Junge Mädchen in bauchfreien Tops neben orthodoxen Juden mit Vollbart und Pejots. Und überall Hunde: es ist die Stadt der Hunde. Ein Meisterwerk, das ich sehr gern weiterempfehle.