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Quincyliest

Bewertungen

Insgesamt 116 Bewertungen
Bewertung vom 25.01.2023
Furre, Heidi

Macht


ausgezeichnet

Die norwegische Autorin Heidi Furre hat einen fesselnden und ergreifenden Roman geschrieben, in dem eine junge, moderne Frau im Mittelpunkt der Handlung steht. Liv hat einen erfolgreichen Mann, zwei Kinder, die sie liebt und ein hübsches Heim. Doch die perfekte Fassade täuscht, in der psychischen Verfassung von Liv offenbaren sich tiefe Abgründe, denn sie wurde vor Jahren Opfer einer Vergewaltigung. Es ist genau diese Opferrolle, die sie nicht annehmen kann und will. Ihre Gedanken kreisen ständig und überall um das erlebte Trauma. Sie sucht nach Schuld, auch bei sich, hinterfragt sich selbst immer wieder.
Heidi Furre erzählt kurzweilig, ihre Gedanken sind klug, scharfsinnig und mitunter auch bissig.
"Macht" wurde 2021 von der Organisation NORLA empfohlen und dies völlig zu Recht. Es ist ein wunderbares Buch, dem ich viele Leser wünsche.

Bewertung vom 24.10.2022
Laestadius, Ann-Helén

Das Leuchten der Rentiere


ausgezeichnet

Ann - Helen Laestadius hat einen eindrucksvollen Roman geschrieben, der für mich zu den Lesehighlights des Jahres zählt. Bildgewaltig und ohne jegliche Verklärung der Realität erzählt die Autorin die Geschichte.
Das samische Mädchen Elsa muss mit 9 Jahren ansehen, wie ihr Rentierkalb von einem Wilderer brutal getötet wird. Elsa erkennt den Täter, doch er signalisiert ihr unmissverständlich, dass er auch sie töten wird, wenn sie redet. Elsa schweigt über viele Jahre und das Töten geht weiter. Die schwedische Polizei verfolgt die Straftaten halbherzig oder gar nicht. Die Wilderei bedroht die Lebensgrundlage der Samen, die von der Rentierhaltung leben müssen. Der Roman tangiert viele Probleme, mit denen das samische Volk gegenwärtig zu kämpfen hat. Es ist oftmals Diskriminierungen ausgesetzt, sei es in den Schulen, bei den Behörden oder im Alltagsleben.
Der Roman ist Familiengeschichte und Kriminalroman zugleich und darüber hinaus ein Appell gegen jegliche Form der Unterdrückung von Minderheiten.
Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 15.09.2022
Aramburu, Fernando

Die Mauersegler


sehr gut

Fernando Aramburu hat einen opulenten und beeindruckenden Roman geschrieben. Im Mittelpunkt der Handlung steht Toni, ein 54-jähriger Lehrer für Philosophie. Er kann dem Leben nichts Positives abgewinnen und deswegen will er sich in 365 Tagen das Leben nehmen.
Toni ist ein sympathischer Antiheld. Er ist unzufrieden, sein Leben verlief nicht gerade perfekt, seine Ehe ist gescheitert, die Beziehung zu seinem Sohn ist auch nicht gerade die innigste, die demente Mutter ist im Heim, aber depressiv erscheint er nicht. Eine entscheidende Begegnung bringt Toni dann von seinem Entschluss ab.
Aramburu erzählt lebendig, bunt und sehr ausschweifend, nicht jedes intime Detail hätte ich lesen und wissen müssen. Für mich wäre weniger in diesem Falle mehr gewesen. Insgesamt aber ein empfehlenswerter Schmöker für lange Herbstabende.

Bewertung vom 08.09.2022
Kordic, Martin

Jahre mit Martha


ausgezeichnet

Der Autor Martin Kordic erzählt die Geschichte einer ungleichen Beziehung. Zeljko, der von allen nur "Jimmy" genannt wird, verliebt sich mit 15 in die vierzigjährige Martha Gruber. Sie ist Professorin in Heidelberg. Zwei unterschiedliche Welten prallen aufeinander, dennoch beginnen die beiden eine Beziehung. Zeljko lebt mit seiner Familie in beengten Wohnverhältnissen, die Eltern müssen hart arbeiten, ihr Wohlstand ist dennoch bescheiden.
Der Roman ist Liebesgeschichte, Einwanderungsgeschichte und Bildungsroman zugleich. Das Finden seiner Rolle als Kroate in Deutschland wird vom Autor authentisch dargestellt. Er will unbedingt dazugehören, ist ehrgeizig, strebt nach Bildung. Durch seine Beziehung zu Martha nähert er sich dieser bisher verborgenen Welt, zu der Wohlstand und Ansehen gehören, an. Doch kann so eine ungleiche Beziehung gut gehen? Immer wieder nimmt die Handlung unvorhersehbare Wendungen und verläuft nie gradlinig.
Der Roman liest sich leicht und zügig, wird mir aber nicht ewig in Erinnerung bleiben.

Bewertung vom 07.09.2022
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


ausgezeichnet

Daniela Dröscher hat einen großartigen, autobiographisch inspirierten Roman geschrieben, der in den 80er Jahren in einem kleinen Ort im Hunsrück spielt. Sie schreibt aus der Perspektive eines Kindes. Respektvoll und feinfühlig porträtiert sie ein Bild ihrer Mutter. Essayistische Einschübe aus Erwachsenensicht fügen der kindlichen Betrachtung eine etwas objektivere und auch kritische Sichtweise hinzu. Das Gewicht der Mutter ist das zentrale Thema, um das sich alles dreht. Aus Sicht des Vaters ist das Übergewicht für seine fehlenden Karrierechancen oder sein nicht so hohes Ansehen verantwortlich.
Der Roman ist vielmehr als nur eine Familiengeschichte, er deckt patriarchale Denkmuster und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten auf.
Dröscher erzählt beeindruckend, authentisch und glaubwürdig, genauso könnte es gewesen sein. Mich hat das Buch absolut begeistert. Es ist völlig zu Recht für den Deutschen Buchpreis nominiert. Auf weitere Werke der Autorin freue ich mich jetzt schon.

Bewertung vom 23.08.2022
Litteken, Erin

Denk ich an Kiew


sehr gut

Erin Litteken hat einen bewegenden Roman über ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Ukraine geschrieben. Unter der Herrschaft Stalins verhungerten Millionen Ukrainer in den dreißiger Jahren trotz voller Getreidespeicher im eigenen Land.
Die in der Vergangenheit angesiedelte Zeitebene des Romans erzählt die Geschichte Katjas, die in einem Dorf nahe Kiew aufwächst. Die Menschen leben bis zum Einzug von Stalins Truppen und der damit verbundenen Kollektivierung autark. Doch fortan bestimmen Hunger und Armut das Leben und den Alltag. Auch Katjas Familie ist betroffen und hat furchtbare Verluste zu verzeichnen.
In einer zweiten Zeitebene wird das Leben von Cassie und ihrer Familie erzählt. Cassie hat nach dem Tod ihres Mannes den Lebensmut verloren. Sie zieht mit ihrer Tochter zur an Demenz erkrankten Großmutter, deren Lebensgeschichte Geheimnisse birgt, die Stück für Stück ans Licht gelangen. Zum Schluss verbinden sich beide Geschichten zu einem Ganzen.
Die ständigen Zeitsprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart empfand ich als störend. Überzeugt hat mich vor allem die Geschichte Katjas. Authentisch und eindringlich werden die Geschehnisse geschildert, dagegen wirkt die Geschichte, die in der Gegenwart spielt, etwas blass.
Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen, er berührt und stimmt nachdenklich.

Bewertung vom 04.07.2022
Abel, Susanne

Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2


ausgezeichnet

Susanne Abel hat mit ihrem Debütroman "Stay away from Gretchen" die Bestsellerlisten gestürmt. Nun hat sie die Geschichte von Gretchen und ihrer Familie fortgeschrieben.
Tom Monderath, ein berühmter Fernsehmoderator, lebt in einer glücklichen Beziehung. Sein Vater Konrad steht in diesem Teil im Fokus. Konrads Schwester wurde von Nazi - Ärzten getötet, sein geliebter Bruder kehrt aus Rußland nicht mehr zurück, seine Eltern sterben bei einem Bombenangriff. Konrads einziger Verwandter ist ein Onkel, er kommt als Spätheimkehrer nach dem Ende des 2. Weltkrieges aus Rußland zurück. Konrad selbst war in amerikanischer Gefangenschaft. Der Onkel motiviert ihn, Medizin zu studieren, nach Abschluss des Studiums betreiben beide gemeinsam eine Praxis.
Im Verlauf der Geschichte gelangen dunkle Geheimnisse aus düsteren Zeiten deutscher Geschichte ans Tageslicht.
Susanne Abel erzählt diese Familiengeschichte mit historischem Hintergrund lebendig und authentisch. Ich fühle mich von Anfang bis Ende bestens unterhalten. Ihr ist eine spannende Fortsetzung gelungen, die ich gern weiterempfehle.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.04.2022
Knausgard, Karl Ove

Der Morgenstern / Der Morgenstern-Zyklus Bd.1


ausgezeichnet

In seinem neuen Roman erzählt K. O. Knausgard aus der Sicht von 9 verschiedenen Menschen, deren Beziehungen zu anderen grundsätzlich problematisch sind. Er berichtet wie gewohnt detailliert und lebensecht aus dem Alltagsleben der Protagonisten. Düster ist die Stimmung, denn es geschehen merkwürdige Dinge, Vögel kreischen anders als sonst, Massen von Tieren versammeln sich. Die Welt ist aus den Fugen geraten, doch die Menschen machen einfach immer so weiter wie bisher.
Knausgard veranschaulicht damit, wie wir mit Krisen umgehen: wir sehen die Anzeichen von Veränderung z.B. hinsichtlich des Klimas, aber trotzdem läuft alles wie gewohnt weiter.
Knausgard erzeugt in seinem Roman eine schwelende Atmosphäre des Unheils und der Ungewissheit. Es erscheint ein neuer Stern am Himmel, Morgenstern wird er genannt, was hat er zu bedeuten? Quälend ist die Ungewissheit. Die Apocalypse bleibt jedoch aus. Vorerst.
Knausgard erzählt zwar immer noch vom Alltäglichen, aber diesmal spannt er den Bogen zu den wirklich wichtigen, existentiellen Fragen wie etwa die nach der Existenz Gottes. Mit diesem großartigen Werk ist ihm wirklich etwas Neues gelungen. Er erzählt realistisch und plastisch trotz der eingebauten fiktiven Elemente. Die melancholische Grundstimmung ist echt und nachvollziehbar. Der Sprung weg vom Alltäglichen hin zu den existentiellen Fragen ist ihm perfekt gelungen.
Auf die weiteren Romane aus der Reihe darf man gespannt sein.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.04.2022
McConaghy, Charlotte

Wo die Wölfe sind


sehr gut

Charlotte McConaghy hat einen spannenden Roman zu einem aktuellen Thema geschrieben. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Wolfsbiologin Inti Fynn, sie begleitet zusammen mit einem Team die Wiederansiedlung von Wölfen in den schottischen Highlands. Wölfe sind für das ökologische Gleichgewicht notwendig, doch Probleme mit der einheimischen Bevölkerung, die meist von der Schafzucht lebt, sind vorprogrammiert. Die Menschen haben Angst um ihre Tiere und tatsächlich werden tote Nutztiere aufgefunden.
Im Verlauf der Handlung werden Rückblenden aus der Kindheit der Hauptakteurin eingebaut. Inti besitzt ein sehr enge Verhältnis zu ihrer Zwillingsschwester. So manches Geheimnis wird gelüftet.
Der Roman ist vielschichtig aufgebaut, zentrales Thema ist die Wiederansiedlung der Wölfe, aber auch verschiedene Beziehungsgeschichten, in denen Gewalt eine Rolle spielt, werden erzählt. Das Ende war für meinen Geschmack zu gewollt dramatisch erzählt. Insgesamt war es für mich ein fesselndes Buch, das ich gern gelesen habe.

Bewertung vom 22.03.2022
Klönne, Gisa

Für diesen Sommer


sehr gut

Das hübsch anzusehende Cover hat mich direkt angesprochen. Sommer, Sonne, Meer. Doch ganz so idyllisch und harmonisch geht es in dem neuen Roman von Gisa Klönne nicht zu.
Sie hat eine realistische Familiengeschichte geschrieben, in der es Höhen, aber auch viele Tiefen gibt. Im Mittelpunkt der Handlung steht Franziska. Sie ist ein rebellischer Teenager mit klaren, politischen Ansichten. Streit ist vorprogrammiert. Ihre ältere Schwester ist die Vernünftigere aus Sicht der Eltern. Sie ist es auch, die sich um den alternden Vater kümmert. Doch dann kommt alles ganz anders, plötzlich ist es Franziska, die den kranken Vater betreuen muss. Die Beziehung der beiden gestaltet sich schwierig. So manches düstere Familiengeheimnis gelangt ans Licht.
Gisa Klönne schreibt gekonnt, ihre Figuren sind authentisch und lebendig. Die beührend erzählte Familiengeschichte konnte mich fesseln, jedoch empfand ich die zeitlichen Sprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit etwas störend.
Insgesamt fühlte ich mich aber beim Lesen gut unterhalten, jedoch wird mir das Buch nicht allzu lange in Erinnerung bleiben.