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Hamaru
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Nürtingen

Bewertungen

Insgesamt 76 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2024
Mosebach, Martin

Das Blutbuchenfest


ausgezeichnet

Es ist das typische Mosebach Personal: Ein Kotzbrocken namens Rotzoff, ein Schöngeist namens Wereschnikow, ein ätherisches Wesen namens Winnie, diverse Damen aus der Frankfurter High Society und ein blasser, namenloser Ich-Erzähler. Nur die bosnische Putzfrau Ivana, tough und unbestechlich, fällt aus dem Rahmen. Sie putzt bei allen Protagonisten und ist somit die Klammer in diesem Roman, der zu Beginn der 1990er Jahre spielt und unaufhaltsam zu seinem Höhepunkt zusteuert, als parallel ein aus dem Ruder laufendes Fest und der Beginn des Krieges in Bosnien erzählt wird. Mosebach ist wie immer ein begnadeter Erzähler, der die verschiedenen Charaktere auf das genaueste analysiert. Dass er es liebt, altertümliche Fremdwörter einzubauen, sich nicht an die neue Rechtschreibung hält - die Gattinnen der Entrepreneure sitzen auf dem Sopha - er mittels Parenthesen immer wieder den Erzählfluss unterbricht, sei ihm verziehen. Kurzum man genießt diese kluge Buch, das sich wohltuend von der Betroffenheitsprosa zeitgenössischer Literat*innen abhebt.

Bewertung vom 11.10.2024
Strout, Elizabeth

Am Meer


ausgezeichnet

Lucy Barton ist Elizabeth Strouts alter ego und man ertappt sich immer wieder, die Ich-Erzählerin mit der Autorin gleichzusetzen, weil beide erfolgreiche Schriftstellerinnen sind und aus Maine stammen. Wie Tagebuchaufzeichnungen aus der dunklen Corona-Zeit, in einer scheinbar einfachen Sprache gehalten, kommen dem Leser die kurzen Kapitel aus Strouts Roman vor und zuerst denkt man, dass " Am Meer" nicht an die wunderbaren Olive Kitteridge- Romane heranreicht. Aber Lucys Ratlosigkeit und Verzweiflung eröffnen einen empathischen Blick auf die gespaltene amerikanische Gesellschaft, jenseits des üblichen Schwarz- Weiß-Denkens. Nur warum der Verlag glaubte , das Cover mit dem Bild einer heilen Urlaubsidylle gestalten zu müssen, erschließt sich nicht.

Bewertung vom 08.10.2024
Mosebach, Martin

Krass


ausgezeichnet

Krass - nomen est omen - ist diese Hauptfigur, eine menschenverschlingende, unersättliche und durch und durch amoralische Person. Und wenn man gerade leichte Zweifel anmelden will, ob es solche Menschen gibt und ob all dies Zufälle überhaupt realistisch sind, dann wird man wieder von Mosebachs Erzählkunst und überbordender Phantasie als kleinmütiger Bedenkenträger entlarvt.

Bewertung vom 28.09.2024
Mosebach, Martin

Was davor geschah


ausgezeichnet

Auch wenn am Ende nicht ganz klar wird, wer nun die junge Frau ist, die von dem Ich-Erzähler wissen will, "was davor", vor ihrer Beziehung "geschah", ist dieser Roman ein Genuss. Wie Mosebach die Mitglieder der Frankfurter High-Society seziert, wie er Figuren wie den alten Schmidt-Flex oder einen Joseph Salam entwirft, wie er den Zufall immer neue überraschende Volten schlagen lässt, das ist große Erzählkunst. Einige Personenkonstellationen aus " Taube und Wildente" sind schon in diesem Roman aus dem Jahr 2010 angelegt, z.B. das anscheinend so perfekte Ehepaar, das sich plötzlich in einem Rosenkrieg befindet. Mosebach zeigt sich hier als Meister des Gesellschaftsromans, den ich leider erst jetzt entdeckt habe.

Bewertung vom 20.09.2024
Mosebach, Martin

Taube und Wildente


ausgezeichnet

Martin Mosebach erzählt in "Taube und Wildente" von einem Rosenkrieg im Bildungsbürgermilieu, ohne Geschrei und Gewalt, der so subtil, aber deshalb umso bösartiger ist. Mosebach seziert die Psychologie seiner Figuren in der erlebten Rede bis in die feinsten Verästelungen und erinnert dabei an seinen Namensvetter vom Bodensee in dessen besten Zeiten. In einem fulminanten Schluss lässt er das Paar sich wieder näher kommen, weit entfernt von einem Happy end.

Bewertung vom 14.09.2024
Leutenegger, Gertrud

Panischer Frühling


weniger gut

Ein seltsames Buch. Liegt es daran, dass die Autorin zu viel wollte? Zur Zeit als der Vulkan Eyjafjallajökull auf Island den Flugverkehr in Europa zum Erliegen brachte, lernt die Ich-Erzählerin einen jungen Mann kennen, der auf der Londonbridge eine Obdachlosenzeitung verkauft. Seine rechte Gesichtshälfte ist von einem Feuermal verunstaltet, was für sie seltsam faszinierend ist. Sie verliebt sich in ihn und sie beginnen sich Jugenderinnerungen zu erzählen; er, die Geschichten seiner Großmutter aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, sie die Geschichte der Zimmer im Sommerhaus ihres Onkels in der Schweiz. Eine große Rolle spielen dabei die Tapeten. Dazwischen kommen Schilderungen aus dem Dschungel, denn die Tochter der Ich-Erzählerin ist offenbar auf einer Weltreise. Eines Tages reagiert der junge Mann verärgert, wirft seine Lederjacke in die Themse und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Das Ganze wird in 41 Kapitel erzählt, die nach dem jeweiligen Pegelstand der Themse benannt sind. Gertrud Leuteneggers metaphernreiche Sprache lässt vieles in der Schwebe, was sehr schön bei Gedichten, bei einem Roman jedoch eher störend ist.

Bewertung vom 12.09.2024
Maar, Michael

Die Schlange im Wolfspelz


ausgezeichnet

Was für ein kluges Buch! Michael Maar ist in "Die Schlange im Wolfspelz" dem Geheimnis großer Literatur auf der Spur und analysiert auf unnachahmliche Weise den Stil bekannter und fast vergessener Autoren. Dass er dabei manchmal mit seinem Hang für Gallizismen ("voulu", "idées recues", "tordu") gegen die von ihm angeführte Regel Paul Valérys verstößt ("Zwischen zwei Wörtern wähle das geringere") sei ihm verziehen. Und gerade als man denkt, Stil ohne Inhalt ist wie ein 3-Sternelokal, in dem es nur Desserts gibt, serviert er im letzten Kapitel ("Das Pikante und der Spaß der Welt") kräftige Fleischgerichte.

Bewertung vom 02.09.2024
Fosse, Jon

Der andere Name


schlecht

Der andere Name von Jan Fosse, ein Buch über einen Maler namens Asle und einen anderen Maler, der genauso heißt, ein Buch über 470 Seiten in einem Satz ohne Punkt wie bei Thomas Bernhard und genauso gefeiert vom Feuilleton denke ich, in dem sich die Sätze ständig wiederholen wie bei Thomas Bernhard, denke ich, nur nicht so zynisch sondern katholisch, der Maler, betet seine Rosenkränze und da wiederholt sich ja auch alles, denke ich,und das finden die Kritiker gut, Form und Inhalt entsprechen sich, Entschleunigung, und der Autor hat dafür auch den Literaturnobelpreis bekommen, denke ich, und deshalb muss etwas dran sein und ich muss weiterlesen, 474 Seiten und ich schaue auf mein Tablett, wie viel Prozent ich geschafft habe, 10 Prozent jeden Tag, denke ich, muss ich schaffen und dann ein Punkt!!!!

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Bewertung vom 09.08.2024
Knausgard, Karl Ove

Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit / Der Morgenstern-Zyklus Bd.2


ausgezeichnet

Ich habe den zweiten Band von Knausgårds Trilogie nach dem dritten Band gelesen. Aber das ist kein Problem, da er hauptsächlich in den 1980er Jahre in Bergen spielt. Der knapp zwanzigjährige Syvert entdeckt, dass sein Vater vor seinem Tod ein Verhältnis mit einer Russin hatte. Wieder schafft es Knausgård den Alltag eines suchenden Jugendlichen so zu beschreiben, dass man selbst die Zubereitung eines Spiegeleis mit Spannung liest. Die zweite Hälfte des Romans erzählt die Geschichte von Alevtina, Syverts Stiefschwester, von deren Existenz er nichts wusste und ihrem Treffen in Moskau 30 Jahre später, als der ominöse Morgenstern auftaucht. Spannend ist, wie diese beiden grundverschiedenen Menschen zueinander finden und Knausgårds Dialogkunst ist so groß, man merkt fast nicht, dass die beiden sich auf Englisch unterhalten. Nur Vasilisas Essay über die russisch-sowjetische Forschung den Tod zu besiegen, fällt meiner Ansicht ab. Wollte der Autor damit sein mystisches Thema von der Unsterblichkeit wissenschaftlich untermauern?

Bewertung vom 26.07.2024
Knausgard, Karl Ove

Das dritte Königreich / Der Morgenstern-Zyklus Bd.3


ausgezeichnet

Der dritte Band greift Episoden aus dem ersten auf und erzählt sie aus der Perspektive einer anderen Person. Das ist keineswegs langweilig, obwohl praktisch noch einmal die drei gleichen Tage geschildert werden. Es geschehen jedoch nicht mehr so viele mysteriöse Vorfälle, was dem Roman gut tut. Der Knausgård-Sound, die Mischung aus hyperrealistisch und magisch, entwickelt so einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.