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MarcoL
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Füssen

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Insgesamt 258 Bewertungen
Bewertung vom 04.03.2025
Wunnicke, Christine

Wachs


ausgezeichnet

Historische, magisch anziehende Erzählung über zwei starke Frauen

Dies ist die Geschichte von Marie Marguerite Bihéron (1719-1795) und Madeleine Françoise Basseporte (1701-1780). Historisch verbürgt ist das Werk der beiden Frauen, ihre (wahrscheinliche) Liebesbeziehung zueinander gibt dem wunderbaren Roman eine feine romantische Ader.
In schönen Worten, und vor allem herrlichen Bildern, erzählt uns die Autorin über das Leben der beiden Frauen, die sich abseits der gesellschaftlichen und vor allem sehr patriarchalischen Normen jeweils in ihrem Fach behaupteten.
Marie Bihéron war von der Anatomie der Lebewesen, vor allem der Menschen, von klein auf sehr interessiert. Gleich zu Beginn des Buches lernen wir die zwölfjährige Marie kennen, wie sie 1733 in der Nacht im Schutz der nahen Pariser Bastille zu einer Kaserne der Schwarzen Musketiere geht, dort eindringt und nach einer Leiche fragt, um diese zu sezieren. In ihrem weiteren Leben erreicht sie über die Grenzen Frankreichs hinweg Berühmtheit mit ihren in Wachs gegossenen, sehr lebensecht gestalteten Modelle von menschlichen Organen. Großabnehmerin und Gönnerin war Marie Antoinette.
Die Geschichte beginnt mit dem jungen Mädchen, aus dessen Sicht erzählt wird, und sie endet mit der Greisin Bihéron, in und nach den Wirren der Französischen Revolution. Allerdings sind die letzten Jahre der Frau reine Fiktion, denn die Aufzeichnungen enden in den 1780er Jahren.
Madeleine Basseporte war eine angesehene Zeichnerin von Blumen, auch lehrte sie das Zeichnen. In beider Umfeld kommen Persönlichkeiten wie zum Beispiel Diderot vor, die mit ihrem Lebensstil und philosophischen Ansätzen ihren Beitrag zur Geschichte (fiktional wie historisch) leisteten.
Soweit die (harten, historischen) Fakten zu diesem Buch. ABER! Es ist kein historischer Roman, der sich nur auf die Begebenheiten fokussiert. Was Christine Wunnicke uns hier mit Bravour vorstellt ist der Zeitgeist des achtzehnten Jahrhunderts. Sie versteht es gekonnt, ihre Leser*innen durch jene Welt zu führen, die als Absolutismus und Ancien Régime in die Geschichtsbücher eingegangen ist bis hinüber in die Zeit der Revolution, als der Guillotine mit Begeisterung gefrönt wurde.
Wir finden uns wieder in den Gassen, in den verarmten Haushalten, in vor Schmutz, Fäkalien und Unrat starrenden Straßenzügen von Paris, wo jede*r seinen persönlichen Kampf ums Überleben mit Einfallsreichtum führen muss. Plastisch, realistisch. Man sieht die Szenen vor dem inneren Auge und glaubt beinahe, die Ausdünstungen zu riechen (muss tatsächlich sehr schlimm gewesen sein, jenseits unserer Vorstellungskraft)
Die Beziehung der beiden Frauen zueinander steht im Buch eigentlich immer im Hintergrund, wird versteckt (auch wenn sich der Roman im Klappentext als Liebesgeschichte outet), wie sich auch die beiden Frauen in ihrer Zuneigung vor der Öffentlichkeit verstecken mussten.
Wunnicke skizziert äußerst lebendig das Leben der beiden Frauen, die ein Beispiel dafür sind, wie man es mit Gewitztheit und der nötigen Portion Hartnäckigkeit schafft, seine Träume und Ziele nicht nur zu verfolgen, sondern auch zu erreichen.
Das Büchlein mit seinen nicht mal 190 Seiten ist ein historisches Spektakel mit so viel Inhalt in und zwischen den Zeilen, das sich vor den übergroßen Wälzern nicht zu verstecken braucht. Ganz im Gegenteil – in der Kürze liegt hier mehr als Würze (auch im beschriebenen olfaktorischen Sinne).
Wunnicke ist hier (wieder) ein sehr eindrückliches Werk gelungen, das den eigenen Horizont erweitert, historische Fakten gekonnt mit etwas Fiktion vermischt. Und vor allem: hätten wir sonst von diesen beiden starken, kreativen Frauen je etwas erfahren, oder wären sie in den Einträgen der Geschichte in Vergessenheit geraten?
Ganz große Leseempfehlung für diesen herrlichen, unterhaltsamen wie informativen, und vor allem flüssig zu lesenden historischen Roman.

Empfehlen möchte ich auch den Roman „Die Dame mit der bemalten Hand“ der Autorin, der es 2020 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat und mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.03.2025
Röder, Britta

Fliehkraft


ausgezeichnet

Sieben wunderbare Geschichte über Menschen, die ihr eigenes Glück suchen

Wir drehen uns im Trubel des Alltags so schnell um die eigene Achse, dass wir nicht mehr das Zentrum unseres Seins erkennen können. Manchmal hilft dabei die enorme entstandene Fliehkraft und schleudert uns quasi aus der Bahn, wirft uns aus unserem Hamsterrad. Der Aufprall mag manchmal heftig sein, aber auch manchmal sehr gewollt und herbeigeführt.
In sieben unterhaltsamen Erzählungen berichtet die Autorin von Menschen, die an einem Scheidepunkt in ihrem Leben angekommen sind. Für sie stellt sich die Frage: was ist das Leben? Was ist Glück? Darf ich glücklich sein?
Und ja, jeder darf glücklich sein, den Mühlstein um seinen Hals abwerfen und am letzten Strohhalm aus dem Sumpf klettern.
Es sind liebevoll gezeichnete Figuren, die uns Britta Röder hier präsentiert. Menschen wie du und ich, die mitten im Leben sind, denen Veränderungen gut tun.
Da ist Ingrid, die minutiös ihr Abendessen zu ihrem Hochzeitstag plant, obwohl die Ehe längst nur mehr auf dem Papier stattfindet. Und der Abend dann ein klein wenig, aber nicht minder befreiend läuft.
Eine Urlaubsfahrt nach Südfrankreich, die schon als Katastrophe beginnt und so manche Nerven strapaziert. Und dennoch entwickelte sich in der Fremde etwas Wunderbares, trotz der sprachlichen Barrieren.
S.44: „Ich hatte die Magie der Sprache entdeckt.“
S.45: „Ich begriff: Worte sind dazu da, die Wahrheit, die hinter den Dingen liegt, zu entschlüsseln und indem man sich der Bedeutung der Worte nähert, nähert man sich auch ein wenig der Wahrheit der Welt.“

Eine andere Urlaubsgeschichte betrifft Gert. Er benötigte dringend eine Auszeit, und buchte sich ein recht ordentliches Hotel am Meer. Zu seinem allergrößten Schrecken taucht gerade dort sein Chef auf, vor dem er eigentlich flüchtete. Was sich da wohl entwickeln mag?
Sehr gekonnt spielt hier die Autorin mit Zwischenmenschlichem, hinterfragt, leuchtet hinter die Szenen, die in unserem Alltag oftmals so offensichtlich erscheinen und dann sich als ganz etwas anderes entpuppen.

S.100: „Das erste Mal seit Beginn seiner Reise, ja, vielleicht sogar das erste Mal in seinem Leben, hatte er das Gefühl, dass es ihm vorbehaltlos zustand, glücklich zu sein, und dass es nur eine einzige Person auf der Welt gab, die er für sein Glück verantwortlich machen durfte: sich selbst.“

In diesem Satz steckt so viel drinnen – und ist für mich die geballte Quintessenz aus diesem Buch. Auch wenn es uns der Alltag tagtäglich vermiesen möchte: wir alle haben das Recht, wie oben schon erwähnt, glücklich zu sein. Und dieses Glück findet sich an so vielen Stellen, an denen wir es am allerwenigsten vermuten, selten winkt es mit knallrotem Schild und schreit „hier bin ich“. Aber die Suche führt uns immer wieder an einen Punkt zurück, und der liegt in uns selber.


Auch Tante Trude – eine weitere Erzählung – ist ein Musterbeispiel daran, wie wir Menschen be- und verurteilen, aus Gründen, die wir nicht oder nur kaum kennen. Warum sind Menschen so wie sie nun mal sind oder uns erscheine? Wo ist deren Glück im Leben geblieben, das wir ihnen in unserer Missachtung nicht zugestehen wollen?

Es sind sieben wunderbare Geschichten, in denen so viele Botschaften stecken. Sie sind bewegend, anrührend, alle mit einer tiefen Wahrheit und einfach nur herrlich locker wunderbar einfühlsam erzählt.
Von mir gibt es eine ganz große Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.02.2025
Schindl, Andreas

Die Verspätung


ausgezeichnet

Bewegendes Schicksal einer Familie im Frühjahr 1945, autofiktional wunderbar erzählt

Franz Schindl sen. wird im Februar 1945 doch noch einberufen, um mit seinem Leben der schon unausweichlichen Niederlage einen möglichen Aufschub zu bringen. Dabei hatte er bis dahin Glück gehabt. Er war ein guter Schlosser und Arbeiter in der Firma Eisert in Heidenreichstein/Niederösterreich, unweit der tschechischen Grenze. Er war stets pünktlich, genau, loyal zur Firma, aber die Sache mit den Nazis hat ihm nie geschmeckt, trat nie in die Partei ein und war als „Sozi“ bekannt. An einem schicksalhaften Morgen kam er 45 Minuten zu spät zur Schicht. Auslöser und Grund genug, um ein paar Tage später den Einberufungsbefehl zu bekommen.
Just, als ihm seine Frau die frohe Botschaft eröffnete, dass deren Sohn Franzi, geboren 1931, ein Geschwisterchen bekommen wird.
Franzi war anders als sein Vater. Er ließ sich von der Propaganda einlullen. Er war begeistertes Mitglied der HJ, fand sich selbst wieder in der strammen Organisation, und vor allem in dem Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Es kam zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater, der seinem Sohn mehrmals mit Ohrfeigen für dessen NS-Engagement dankte.
Andreas Schindl erzählt hier in sehr bewegender Weise die Geschichte seines Großvaters Franz Schindl, dessen Feldpostbriefe er gefunden hatte und als Basis für diesen Roman nahm. Dreh- und Angelpunkt ist aber der Vater des Autors, Franzi, wie er in der NS-Zeit aufwuchs, mit Gleichaltrigen Schabernack führte und sich mit Willen und auch so etwas wie Disziplin in der Hierarchie der Jungs Respekt und Anerkennung schaffte. Franzis Eltern waren stets brave Arbeiter*innen, die sich ihren Lebensunterhalt hart erarbeiteten, und auch manchmal ein klein wenig Luxus in den kargen Zeiten vom Mund absparten. Die Mühlen des furchtbaren Krieges machten auch vor dieser Familie nicht halt.
Auf gerade mal 120 Seiten zeichnet der Autor hier ein sehr inniges, genaues Portrait der Familie. Die Entbehrungen der Arbeiterschaft, das Geschick mit Geld umzugehen seiner Großmutter, und vor allem das Aufwachsen vor und während des Krieges.

S.20: „Der Bauer blieb immer ein Untertan, der Arbeiter immer ein Ausgebeuteter. Da war es gleich, ob man Kopf und Knie vor dem Grafen, dem Bankier oder dem Fabrikanten beugen musste: Die Summe der Demütigungen blieb konstant.“

Das Infiltrieren des braunen Gedankenguts in die Jugend, und der Bevölkerung allgemein, das laute und leise Zustimmen zum Wahnsinn, und die Ohnmacht der Gegner hat der Autor sehr gut eingefangen. Er beschreibt es, ohne zu bewerten, und gibt uns mit seinem Werk ein belletristisches Zeitzeugnis der damaligen Zeit.
Der Roman ist 2020 erschienen, hat heute eine Aktualität mehr denn je, und zeigt auf, wie leicht die jungen Menschen in einer Ideologie gefangen werden können.

Sehr gerne gelesen, regt das Buch zum Nachdenken an. Man sieht die Familie plastisch vor sich, kann vor allem mit dem Vater voll und ganz mitfühlen.
Sehr gerne gebe ich eine Leseempfehlung für diesen bewegenden Roman.

Bewertung vom 25.02.2025
Schirach, Ferdinand von

Regen


ausgezeichnet

Eine Liebeserklärung an das Leben – an den Regen, literarisch hochwertig.

Als was mögen wir dieses Büchlein bezeichnen? Als Erzählung, fünfzig augenfreundlich gesetzte Zeilen, und ein nochmal so langes Interview mit interessanten Lebenseinblicken des Autors? Oder als Theatermonolog?
Auf jeden Fall ein leicht und locker zu lesendes Werk über das Leben. Über die Melancholie, wie sie es nur der Regen schaffen kann. Dieses stete, leicht rauschende, mal plätschernde Geräusch, das einen einlullen mag in Gedankengänge, die bei Sonnenschein wohl kaum zu Tage kommen. Die Frage nach dem Scheitern, nach einem Verlust, die graue Monotonie, das tun zu müssen, was wir nicht tun wollen. Über den Sinn des Lebens sinieren? Oder einfach nur Alltäglichkeiten vergessen und fortspülen lassen, Raum schaffen für sinnfreilose Banalitäten.
Der Protagonist wird als Schöffe bestellt. Wider seinem Willem. Er erzählt vom Gericht, von den Verhandlungen – in einer markanten Präzision; und dennoch hat man das Gefühl als wäre es eine Nebensächlichkeit, mit einem Winken der Hand abgetan. Aber es geht in die Tiefe. In die Abgründe des Seins. Wer klagt hier wen an und warum? Dürfen wir das überhaupt oder sind wir befangen?
Während all dieser tieferen Gedanken kommen Trivialitäten ans Tageslicht. Von Schirach arbeitet mit Humor und Sarkasmus Ideen aus, die einem normalerweise wohl kaum in den Sinn kommen würden
Zum Beispiel die 80%-Regel. 80% unseres Alltags beschäftigen sich mit „Mist“. Mit unnötigen Dingen, die wir dennoch tun. Egal, ob Erledigungen, oder ein Buch (wie er meint, aber da halte ich dagegen), oder die visuelle Berieselung seitens Film oder TV.
Oder die Geschichte mit den weißen Karibikstränden. Hinterfragt doch mal, woher der schöne weiße Sand kommt. Oder in was wir da tatsächlich im Meer so herumschwimmen … tierisch.

Dieses kleine Schriftstück ist eine herrliche Persiflage auf das Leben an sich, kurz und prägnant erläutert, oft in spartanischen Sätzen, die das riesengroße Allgemeinwissen des Autors und dessen Genius unterstreichen.
Auch das anschließende Interview ist sehr lesenswert und lässt tiefe Einblicke zu.

In Summe sehr gerne gelesen. Leseempfehlung für diesen literarischen Ausflug

Bewertung vom 24.02.2025
Reichart, Elisabeth

Komm über den See


ausgezeichnet

Ein sehr bewegender Roman über das große Schweigen nach der NS-Zeit

Dieser bereits 1988 erschienene Roman, und nun in einer überarbeiteten Neuauflage vorliegend, hat von seiner damaligen Aktualität nichts eingebüßt. Der Aufschrei der Frauen gegen die überbordende Macht der Männer verhallt an der Mauer des Patriarchats wie ein leises Wimmern, kaum zu einem Echo fähig.
Ruth Berger wartet auf einen Brief. Tag für Tag. Ihre Stelle in Wien wurde nicht verlängert, ihr Ansuchen in einer anderen Schule lässt auf sich warten. Die Beobachtung ihres Briefkastens scheint zur Obsession zu werden. Sie zieht sich in ihr Schneckenhaus zurück, weicht allen Konfrontationen und Konversationen aus, bar jeder Stimme. Seit sie denken kann, wurde sie von Männern zum Schweigen verdammt. Es quält sie, und dennoch schafft sie es nicht, auszubrechen.
Der ersehnte Brief kommt endlich an. Sie ignoriert das Getuschel über sie in der Nachbarschaft und zieht nach Gmunden, um für ein Jahr als Lehrerin zu arbeiten. Ihren gelernten Beruf als Dolmetscherin konnte sie nur mit Kleinaufträgen ausüben.
Kaum in Gmunden angekommen, erklärt ihr der Schuldirektor ganz unverblümt, dass sie nur geduldet ist, gefälligst den Mund zu halten hat und nur auf Grund seiner Bekanntschaft mit ihrem ach so tollen Vater die Stelle erhalten hat. Dabei kannte sie ihren Vater gar nicht richtig.
Sie nahm ihre Recherchen über die Widerstandskämpferinnen während der NS-Zeit wieder auf. Aber auch hier trifft sie fast nur auf eine Mauer des Schweigens. Es ist ein Stille halten, das im Prinzip auch ihr innewohnt, und das sie selbst nicht versteht. Erst als sie mit Anna Zach spricht, einer jener starken Frauen, die im Untergrund gegen die Nazis arbeiteten, verändert sich ihr Verständnis, auch wenn die Mauer des Stillschweigens weiterhin nicht bröckelt, und der Schulleiter ihr verbietet, über den Widerstand zu unterrichten.
Der Roman ist aber noch viel mehr als der Kampf einer Frau gegen das Vergessen. Ein Vergessen der unsäglichen Zeit, das Programm geworden ist, in Teilen der Bevölkerung immer noch Programm ist, indoktriniert von den alten Schergen der NS-Zeit.
Eine Entnazifizierung, wie wir alle wissen, fand nicht statt.

S. 150: „Als ich aus dem KZ nach Hause kam und noch reden wollte, bekam ich wieder und wieder zu hören: „So schlimm wird es nicht gewesen sein, sonst säßen Sie ja nicht mehr hier!“ Unter diesen Sätzen lernte ich zu schweigen.“
Diesen Satz muss man sich mal so richtig auf der Zunge zergehen lassen!

Weiter: [Auszug 1945 aus der österreichischen Presse]: „Vergessen wir die letzten sieben Jahre! Gemeinsam in die Zukunft!“ Mit diesem ‚gemeinsam‘ wurden die Ermordeten noch einmal ermordet. Die Mörder sind an der Macht. Sie wussten, was sie taten.“

Der Roman ist eine zu Recht heftige Anprangerung an die Gesellschaft. Vor allem aber auf die Zeit nach dem Krieg, mit allen Versuchen, das Geschehene durch Schweigen und Nichtaussprechen ungeschehen zu machen.
Die Sprachführung ist sehr direkt, wechselt manchmal in einem Absatz von der dritten Person in die erste, was nur die Verwirrtheit und Unentschlossenheit der Protagonistin Ruth Berger, eine Kriegsgeborene, ein Trümmerkind, unterstreicht. Es ist ein starkes Buch. Es ist ein literarischer Aufschrei, auszusprechen, was nicht unterdrückt gehört. Die Männer brechen die Stimme der Frauen, bilden eine Wand. Und ja, während der Lektüre musste ich oftmals an Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ denken, obwohl beide Bücher im formalen Inhalt eigentlich keine Gemeinsamkeiten haben, wohl aber in der tieferen Aussage.

Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung. Ein sehr bewegendes, eindringliches Buch, das hoffentlich in seiner Neuauflage viele Leser*innen erreichen wird. Es ist nur zu wünschen. Und noch eins: lest es aufmerksam, und nicht in den fünf Minuten vor dem Schlafengehen, sondern mit der ganzen Kraft der Wahrnehmung.

Bewertung vom 16.02.2025
Klune, T. J.

Jenseits des Ozeans


ausgezeichnet

Ein fantasievoller Roman über das Andersein und das Bestreben nach Inklusion. Herzerwärmend und ergreifend!

Arthur Parnassus ist zurück. Endlich, nach langer Zeit, konnte er wieder auf seine geliebte Insel Marsyas zurückkehren. Mit ihm kommen auch seine Schutzbefohlenen Lucy, Talia, Phee, Chauncey, Theodore, Sal, alles magisch begabte Kinder oder Wesen (Gnome, Elementare, ein amorpher Blobb, etc.) zurück, sowie sein liebvoller Partner Linus Baker. Und David, ein ganz besonderes Kind – ein Jeti, der statt Tränen Eiswürfel weint.
Der Roman ist die Fortsetzung des Buches „Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte“, und steht seinem Vorgänger in nichts nach. Im Gegenteil, die Geschichte ist noch intensiver, noch liebevoller, noch herzerweichender, noch kämpferischer. Und voller eindeutiger Botschaften: auch wenn Schmerz und Verlust tief sitzen, es ist Heilung möglich. Wenn du anders bist, sei stolz darauf. Sei wie du bist und lasse dir von niemand anderem etwas anderes einreden. Besonders darauf zielt der Roman sehr stark ab – auf Inklusion. Eingliederung all jener, die den Standards der Masse nicht entsprechen und einfach anders sind.
Gekonnt, mit vielen fantastischen Details, voller Esprit und Witz erzählt Klune seine Geschichte über die Insel und deren Bewohner. Und vor allem über ihren Kampf, anerkannt zu werden als das was sie sind: besondere Geschöpfe.
Doch die BBMM - Behörde für die Betreuung magischer Minderjähriger – hat andere Pläne, und sieht in Parnassus Arbeit nur einen Störfaktor der geordneten, von Staat indoktrinierten Gesellschaft. Es werden ihm mehr als Prügel zwischen die Beine geworfen. Und er muss sich manchmal ziemlich beherrschen, um nicht in der aufkeimenden Wut wegen all der Ungerechtigkeiten sein Alter Ego – den Phoenix in ihm mit seinen alles verzehrenden Flammen – in die Welt zu lassen. Man könnte es ihm nicht verübeln. Aber er bleibt beharrlich, und mit seinen wunderbaren Geschöpfen auf der Insel, vor allem mit der Inselelementarin Zoe (und wahren Herrscherin des kleinen Reiches) und Lucy, der siebenjährige Sohn des Satans (der Antichrist), planen sie Großartiges.
Die Kinder, so unterschiedlich sie alle sind, halten zusammen, bilden eine verschworene Gemeinschaft. Ob es gelingt?
Es ist ein herrlich zu lesender Roman, spannend erzählt. Auf beinahe spielerische Art kommen die wahren Probleme der Welt zur Sprache: Respekt, Empathie, Vertrauen.
Es kann so schön miteinander sein … könnte …, wenn es nicht im wieder machtgierige Menschen gäbe.
Knapp 500 Seiten verfliegen im Nu. Man kann dabei lachen und weinen, sich ärgern und freuen. Zurück bleibt ein unvergessener Leseeindruck.
In der Danksagung spricht sich der Autor sehr intensiv für die Rechte von queeren und Transmenschen aus. Er macht auch keinen Hehl daraus, was er von J.K Rowling mit ihren Ansichten darüber hält. Es sind ein paar wenige, einfache, aber sehr starke Worte, die Klune an seine Leser*innen und die Gesellschaft richtet. Worte, die ausgeschmückt mit viel Fantasie diesen wunderbaren Roman ergeben haben.
Ganz große Leseempfehlung für dieses Herzensbuch.

Bewertung vom 13.02.2025
Schilke, Kristina

Alles was lebt


sehr gut

Elf eindrückliche, unterhaltsame Kapitel über das Thema Leben, gut und einfach erzählt, die zum Nachdenken anregen

Karla erbt von ihren Eltern ein Haus, irgendwo im Bayerischen Wald. Die Ortschaft ist überschaubar, man kennt sich in der Nachbarschaft, hilft untereinander, wenn und wo und wie es geht. Soweit nichts Spektakuläres. Karla hat das Haus so übernommen, wie sie es von ihren verstorbenen Eltern vorgefunden hatte. Die alten Möbel, Nippes und sonstiges Zeug belässt sie zunächst, so wie es ist. Zuerst einmal einleben, nur nicht zu viel auf den Kopf stellen. Apropos Kopfstellen: ein Zimmer im Obergeschoß des Hauses ist so gut wie leer, bis auf eine alte Kommode. Allerdings scheinen die Naturgesetze dort außer Kraft zu sein, zumindest was die Schwerkraft anbelangt. Denn jedes lebende Wesen, das den Raum betritt, schwebt unweigerlich zur Zimmerdecke. Egal ob Mensch oder Maus. Gegenstände lassen sich davon nicht beeindrucken.
Die Autorin erzählt uns in elf Kapitel von Zwischenmenschlichem, vom Leben miteinander, oder auch nebeneinander, von den Alltagsproblemen, mit denen die Menschen so zu kämpfen haben. Sie führt schriftstellerisch mit zarter Feder durch mehrere Genres, ohne es zu übertreiben (bisweilen hätte es für meinen Geschmack ruhig intensiver werden können). Manchmal steht die Liebe im Vordergrund, dann eine kleine Gruselstory. Karla ist der Anknüpfungspunkt in den Kapiteln. Ihr sonderbares Zimmer taucht auch immer wieder auf, mal mehr, mal weniger. Und ob wir das Geheimnis am Ende lüften können? Oder ist es eine Metapher – eine Art Ausflucht von einem sorgenbereitenden Leben, eine kleine schwerelose Auszeit, die wir alle ab und an benötigen?
Das komplexe Thema Leben in all seinen Facetten (also auch dessen Ende) wird auf eine zugängliche und auch einfühlsame Weise zu behandelt, die Charaktere haben „Hand und Fuß“ – wirken authentisch.
Es sind gerne gelesene Episoden, die in einer leichten, lockeren Erzählweise uns nähergebracht werden, und zum Nachdenken anregen, gepaart mit magischem Realismus.

Bewertung vom 09.02.2025
Bodrozic, Marica

Das Herzflorett


ausgezeichnet

Ein sehr bewegender Roman über ein junges Mädchen aus Dalmatien, das allen familiären und politischen Widrigkeiten zum Trotz die Welt der Bücher für sich entdeckt hat.

Ganz vorne weg: Was für ein intensives Buch, das einen mitnimmt, entführt in Pepsis Welt, geprägt mit autofiktionalen Zügen. Schmerzhaft, erschütternd – und in einer so wunderbaren Sprache, die ihresgleichen suchen muss. Ich bin hellauf begeistert, trotz des schweren Inhaltes – und für mich ein weiteres #Jahreslesehighlight

S.12: „Das Dorf, die Wiese, das Surren der Insekten fielen zurück in der Zeit, und die Zeit selbst wurde eine Grenze […] Die Weite des wie hingemalten und tröstenden Himmels war auf eine so entbehrende Weise weg, dass auch das südliche Blau und die Bäume anfangen, Pepsi sehr bald und sehr bitter zu fehlen.“

Pepsi wuchs in Dalmatien auf, meistens getrennt von ihrer Schwester und ihrem Bruder, am Hof ihres Großvaters, und manchmal auch bei einer Tante. Sie wurde als lästiges Anhängsel weitergereicht, lernte früh, was es bedeutete zu hungern, obwohl der Tisch reichlich gedeckt war. Ihre Eltern arbeiteten in Hessen, kamen nur in den Ferien zu spärlichen Besuchen zurück in den Süden. Mit neun Jahren ertrug sie das nicht mehr, schrieb ihren Eltern einen Brief, sie mögen sie zu sich nehmen. Das taten sie auch 1983, mit ihren Geschwistern, und die erste Zeit lebten sie zu fünft in einer Einzimmerwohnung. Der Vater war entweder arbeiten oder betrunken. Die Mutter nahm eine Putzstelle nach der anderen an, Pepsi musste helfen.
Und dennoch schuf sich das Mädchen mit Kraft der neuen Sprache einen eigenen Rückzugsort. Sie bekam ein Lexikon, und begann, all die Wörter und Begriffe zu lernen, versuchte sie zu verstehen. Und sie verstand sie, denn Pepsi war sehr klug. Es war der Startpunkt zu einer innigen Liebe zur Literatur. Sie begriff auch sehr rasch ihre Stellung in der Gesellschaft. Ein Platz, dem sie irgendwann entrinnen wollte. Pepsi war nicht gewollt, weder von ihrer Mutter noch von ihrem Vater, der lieber einen Sohn an ihrer statt gehabt hätte. Beide machten keinen Hehl daraus. Die beschriebenen Szenen der körperlichen und seelischen Gewalt bedürfen beinahe einer Triggerwarnung.

S. 79: „Ihr Bruder war ein richtiges Kind, und Herzmandel (Anm.: ihre Schwester) und Pepsi waren keine richtigen Kinder. Da sie nun mal da waren, ertrug man sie nur, weil man sie ertragen musste.“

Pepsi hatte es, wie gesagt nicht leicht, aber sie war stark, allen Widrigkeiten zum Trotz und arrangierte sich mit ihrem Leben. Sie gab nicht auf, die Worte halfen ihr … mehr wird nicht verraten.

Nur eines noch:
S. 279 „Pepsi baut um sich herum einen Kreis aus Büchern, ihre runde Welt aus diesem kostbaren Papier, und wie ein Insekt aus ihrer Kindheit, ein Rosenkäfer in seinem Element, getragen von der Sommerluft der Freiheit, schwirrt sie von Tasche zu Tasche und holt Buch für Buch heraus und durchdenkt auch die Verwandtschaft der Bücher …“
Was für eine wunderbare Vorstellung das doch ist, sich in einem Turm aus Büchern aufzuhalten. – und die Zeilen schließen auch den Kreis zu erstgenanntem Zitat.

Der Roman aus der Feder der Autorin ist viel mehr als eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort. Ich sehe es als einen Aufruf, an seinen Idealen und Zielen festzuhalten; eingepackt, wie schon erwähnt, in eine wunderbare Sprache. Ich bin restlos begeistert, ganz große Leseempfehlung und ein Muss für alle Bücherliebhaber*innen.

Bewertung vom 04.02.2025
van der Wouden, Yael

In ihrem Haus


ausgezeichnet

Eindringliche Erzählung über die Erben des Krieges, verpackt in ein packendes Psychogram einer jungen Frau.

Niederlande 1961. Amsterdam, Zwolle, Den Haag. Seit ihrer Kindheit lebt Isabel im Haus ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter. Alles blieb so, wie es war. Nichts wurde verändert, das Haus mutiert zu einem Denkmal für die Verstorbene. Isabels Brüder Louis und Hendrik sind längst ausgezogen, leben ihr eigenes Leben abseits der Familie, die es als solches nicht mehr gibt. Während Hendrik schon länger sein Glück mit Sebastian gefunden hat, kostet Louis das Leben auf seine Weise aus mit wechselnden Liebschaften. Bis Eva auftaucht, ihm gehörig den Kopf verdreht und sie seinen Geschwistern vorstellt.
Isabel bleibt mehr als distanziert, wie immer. Sie hasst Gesellschaft, ist lieber allein, obwohl sie in ihrer Kindheit ein inniges Verhältnis zu Hendrik pflegte. Ihre wenigen sozialen Kontakte beschränken sich auf ihre junge Haushälterin, seltenen Besuchen ihrer Brüder und den Gottesdiensten. Die Avancen von Jonas lässt sie über sich ergehen, aber die Vorstellungen von körperlicher Nähe grauen ihr.
Bis Eva für ein paar Wochen im großen Haus einzieht. Eva ist lebenslustig, neugierig, das Gegenteil von Isabel. Die Distanz ist groß, Isabel verabscheut diese Gesellschaft, doch tief in ihrer Brust brennt noch eines kleines Feuer, bereit, einen Teil ihrer Misanthropie in Asche zu verwandeln. Ob sie es sich eingestehen wird?
Ihr Misstrauen Eva gegenüber spiegelt sich in einer Liste von Habseligkeiten im Haushalt wieder. Und Isabel stellt fest, das nach und nach Teile fehlen. Löffel, ein Messer oder eine Schale. Bis auf das Service mit dem Hasenmuster, das Isabels Mutter so geliebt hatte und immer schon im Haus war. Ein Haus, in das die Kinder während des Krieges einzogen. Fragen, wenn überhaupt, kommen erst später, als Isabel eine Entdeckung macht …
Das Buch lebt von Isabels innerer Zerrissenheit. Seit ihrer Kindheit, als sie in das Haus eingezogen ist, lässt sie ein unbeschreibbares Gefühl nicht mehr los. Sie kopiert in Ermangelung einer Vaterperson ihre Mutter.
Besonders nach einem einschneidenden, sehr harschen Erlebnis an der Haustür, glaubt sie, hart, eisern, sein zu müssen, ihren Mitmenschen keinerlei Gnade oder Mitgefühl gewähren zu können.
Bis Eva kommt – und so vieles auf den Kopf stellt – sehr lesenswert.
Es geht aber um so viel mehr in diesem Buch. Isabels Gefühlsleben ist nur der Rahmen der Geschichte. Der eigentliche Kern ist zwanzig Jahre zurück in der Vergangenheit zu suchen. Mehr kann und will ich dazu nicht sagen – denn auch der Klappentext lässt darüber nichts verlautbaren.
Lest das Buch, es lohnt sich so sehr. Es ist weit mehr als sehr gute Unterhaltung. Es lässt einen Damm über Ungesagtes brechen, fesselt und reißt einen mit. Auch wenn manche Schilderungen im zweiten Teil abdriften mögen, der dritte Teil hat es in sich, flutet die Emotionen und zeigt spätestens hier seine wahren Qualitäten als Pageturner.
Dieser Debütroman von Yael van der Wouden stand nicht umsonst auf der Shortlist des Booker Prize 2024.
Ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 26.01.2025
de Winter, Leon

Stadt der Hunde


ausgezeichnet

Ein äußerst beeindruckender Roman über Verlust und Läuterung.

Jaap Hollander ist Gehirnchirurg. Und nicht irgendeiner, sondern er zählt zu den besten der Welt. Wenn nicht gar der Beste. In seinen jungen Jahren wurde sein Aussehen mit Al Pacino verglichen – ein Umstand, der ihm gefiel, und er auch auszunützen wusste. Er ließ keine Möglichkeit aus, seinen Trieben Folge zu leisten. Denn schließlich waren ja all die Ärztinnen und Krankenschwestern an nichts anderem interessiert, als mit ihm in der Kiste zu landen, damit deren Karriere auch einen Sprung nach vorne machte. Klingt sehr misogyn, ist es auch, macht den Herrn nicht gerade zu einem Sympathieträger.
Die Ehe von Jaap mit Nicole ist nicht gerade zum Vorzeigen. Er kümmert sich kaum um Frau und Tochter Lea.
Lea, kaum erwachsen, wollte zum Judentum konvertieren. In diesem Zuge durfte sie auf Einladung der jüdischen Gemeinde nach Israel. Zusammen mit ihrem Freund Joshua reiste sie in die Wüste Negev zum Ramon-Krater. Während heftiger Regenfälle verschwanden dort beide spurlos. Ob Unfall, Entführung, Mord oder freiwilliges Verschwinden, konnte niemals herausgefunden werden.
Jaap und Nicole reisten sofort an den Unglücksort. Auch Joshuas Eltern waren anwesend. Das machten sie dann zu jedem Jahrestag des Verschwindens. Besonders Jaap wollte sich damit nicht abfinden, dass seine Tochter tot war. Allmählich begann er begreifen, dass ihm damals seine Karriere weit wichtiger war als seine Familie. Sehr viele Jahre nach Leas Verschwinden war die Ehe zerbrochen. Seinen Trieben blieb Jaap treu, auch wenn er sich mittlerweile mit blauen Pillen helfen musste, und das schwarze Al Pacino Haar einer Glatze gewichen ist.
Er beginnt, immer mehr und mehr Zeit in Israel zu verbringen. Als Pensionist versäumte er in Amsterdam in seinem großen Haus nichts. Da erreichte ihn ein Hilferuf der besonderen Art…
Mittlerweile finanziell unabhängig beauftragt er Archäologen, den Krater vollständig zu erforschen. Er wollte Spuren seiner Tochter finden, koste es, was es wolle. Da übereilt ihn ein weiterer Schicksalschlag.
Jaaps Realität beginnt zu verschwimmen zwischen… mehr wird jetzt wirklich nicht mehr verraten. Bitte unbedingt selber lesen.
Auch was es mit den titelgebenden Hunden auf sich hat, wäre jetzt nur gespoilert.
Leon de Winter erzählt diese Geschichte in einer sehr fesselnden Art. Die Sprache ist direkt, schnörkellos, kommt schnell auf den Punkt. Er versteht es, präzise Bilder zu schreiben. Sie rücken an die Leser*innen heran, als wäre man mitten drin und direkter Augenzeuge der Geschehnisse. Die vielen Fachtermini rund um die Gehirnchirurgie sind, soweit ich das beurteilen kann, sehr gewissenhaft recherchiert.
Die ganze Geschichte beschreibt den Wandel des misogynen, selbstverliebten Gottes in Weiß zu einem geläuterten alten Mann, dessen biologische Uhr, wie bei Menschen es nun mal so ist, auch nicht aus Gold ist, und das Ticken manchmal zu holpern beginnt.
Der Umgang mit Verlust ist ein zentrales Thema. Eine andere Botschaft mag sein, dass man sich mit Geld vieles, aber nicht alles kaufen kann. Es ist nebenbei eine Liebeserklärung an die Stadt Tel Aviv – und das Land Israel. Letztendlich schlägt der Autor auch einen Bogen zu den politischen Geschehnissen, wenn auch nur am Rande.
Was mich allerdings etwas irritiert hat, ist die (lüsterne) Sicht auf Frauen. Ich kann nicht immer zuordnen, ob diese Sexualisierungen gekonnt provokant zu verstehen sind.
Nichts desto trotz ist der Roman eine sehr intensive Geschichte, der indirekt viele Gesellschaftsthemen anspricht, dem Lesefluss aber keinen Abbruch tun.
Gerne gebe ich eine Leseempfehlung für diesen (großen) Eindruck hinterlassenden Roman, in dem die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum manchmal verschwimmen.