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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

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Insgesamt 451 Bewertungen
Bewertung vom 20.02.2025
Goerz, Tommie

Im Schnee


ausgezeichnet

IM SCHNEE
Tommie Goerz

Der Schorsch ist tot - die Totenglocke hat für ihn geläutet.
Jahrelang haben sie sich begleitet - der Schorsch, der eigentlich Georg hieß - doch so nannte ihn keiner - und der Max. Im selben Dorf aufgewachsen, gemeinsam die Schulbank gedrückt - sogar auf dieselbe Frau hatten sie ein Auge geworfen. Doch sie entschied sich für Schorsch, und Max blieb allein.

Eigentlich hätte es ein schöner Wintertag werden können, mit glitzerndem Schnee und klarer Luft. Doch ausgerechnet heute holte der Tod den Schorsch.

Und so begleiten wir Max zur Totenwache. Die Männer dort erzählen Geschichten aus dem Dorf - über die, die gegangen sind, und die, die geblieben sind. Über alte Fehden, die selbst nach vierzig Jahren noch schwelen. Über die „Neuen“, die vor 30 Jahren hergezogen sind und noch immer „Neubürger“ genannt werden, aber nie wirklich dazugehören. Sie erinnern sich gemeinsam. Sie hielten zusammen und schwiegen, denn Geheimnisse blieben im Dorf, auch wenn jeder sie kannte.

Doch das Dorf verändert sich. Die Jungen verkaufen die Höfe, das Land. Und die Neuen? Sie wollen keine Bauern sein, keine Felder bestellen. Sie wollen spazieren gehen und das Leben genießen.

Was wird aus dem Dorf, wenn bald auch für sie die Totenglocke läutet?

Tommie Goerz hat ein leises, eindringliches Buch geschrieben - eine Momentaufnahme des Dorflebens, das zwischen Tradition und Veränderung schwankt. Ein Ort, an dem jeder jeden kennt, an dem man seit Generationen zusammenlebt und füreinander einsteht.

Gerne habe ich den Anekdoten und Erzählungen gelauscht. Die Stimme von Thorsten Loibl hat dazu beigetragen, dass ich mich fühlte, als säße ich selbst in einem kleinen Dorf, während es draußen stürmt und schneit.
4½/5

Bewertung vom 18.02.2025
Boo, Sigrid

Dienstmädchen für ein Jahr


sehr gut

DIENSTMÄDCHEN FÜR EIN JAHR
Sigrid Boo

Norwegen in den 1930er-Jahren:
Helga hat gerade ihr Abitur bestanden, doch ihr Traum von einem Aufenthalt in Frankreich wird von ihrem Vater, dem Direktor der großen Papierwerke, abrupt zunichtegemacht.
Stattdessen verbringt sie ihre Tage in gehobener Gesellschaft, feiert mit ihren wohlhabenden Freunden und genießt das Leben in Bars und Cafés. Bei einem dieser Treffen stellt sich eine provokante Frage: Ist das moderne Mädchen von heute noch zu etwas anderem fähig als zum Flirten und Tanzen? Kann es eine anständige Mahlzeit zubereiten?

Gekränkt in ihrer Ehre geht Helga eine folgenschwere Wette mit dem Mann ein, in den sie verliebt ist: Sie wird ein Jahr als Hausmädchen arbeiten - und wenn sie durchhält, erhält sie als Belohnung einen Brillantring.

Ihr Vater und ihre Tante sind entsetzt über ihre Entscheidung, doch schließlich lassen sie sie ziehen.

Schnell muss Helga feststellen, dass es ohne Zeugnisse und Referenzen schwierig ist, eine Anstellung zu finden. Doch dann erhält sie eine Stelle auf Gut Vinger - nicht als Gast, sondern als Dienstmädchen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sitzt sie nicht mit den Herrschaften am Tisch, sondern bedient sie. Sie teilt sich ein Zimmer mit der Köchin, schrubbt Böden und erledigt Arbeiten, die ihr bisher fremd waren.

Doch Helga wächst an ihren Aufgaben. Immer wieder wird sie auf die Probe gestellt - sei es durch eine verschwundene Brosche der Herrin oder durch ihre Gefühle für den attraktiven Chauffeur.

Sigrid Boo (*1898, †1954) war eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen Norwegens. Mit einem wunderbar distanzierten Erzählstil, der perfekt zur Zeit des Romans passt, schildert sie die Geschichte einer jungen Frau, die ihrer Epoche ein wenig voraus war.

Ich habe das Buch mit großer Freude gelesen. Eine erfrischend andere Geschichte – deshalb spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus.
4/5

Bewertung vom 11.02.2025
Adomeit, Janine

Die erste halbe Stunde im Paradies


ausgezeichnet

„Er ist einmal alles für mich gewesen - alles, worauf ich mich verlassen und woran ich glauben konnte. Für mich hat er die ganze Welt zusammengehalten. Und dann ist er aus ihr herausgefallen und auf einem fremden Planeten gelandet, während ich zurückgeblieben bin.“ (S.111)

DIE ERSTE HALBE STUNDE IM PARADIES
Janine Adomeit

Vor 20 Jahren:
Anne und Kai sind Geschwister - eng verbunden, obwohl fast sieben Jahre Altersunterschied zwischen ihnen liegen und sie eigentlich nur Halbgeschwister sind. Gemeinsam kümmern sie sich um ihre chronisch kranke Mutter. Während die elfjährige Anne einkauft, kocht und wäscht, übernimmt der ältere Kai die offiziellen Wege und begleitet die Mutter zum Arzt. Anne soll im Hintergrund bleiben, denn die Angst ist groß, dass das Jugendamt sie entdeckt und aus der Familie reißt.
Doch die Situation spitzt sich immer weiter zu. Die Mutter wird zum Pflegefall, kann sich kaum noch allein bewegen, und die Last auf den Schultern der Kinder wächst ins Unerträgliche.

Heute:
Anne ist Pharmareferentin, alleinstehend, bewusst kinderlos und hat seit Langem keinen Kontakt mehr zu ihrem Bruder Kai. Beruflich könnte es nicht besser laufen: Sie arbeitet für das große US-Phamaunternehmen P&H im Bereich Schmerzmittel. Ihre Aufgabe ist es, das umstrittene Schmerzpflaster Fentanyl auf dem norddeutschen Markt einzuführen - möglichst ohne die stark abhängig machende Nebenwirkung zu erwähnen.

Gerade befindet sie sich auf einer großen Tagung des Unternehmens, wo sie einen Vortrag halten soll, als ihr Bruder anruft und sie bittet, ihn aus einer Drogenentzugsklinik auf Pellworm abzuholen.

Janine Adomeit zeichnet auf zwei Zeitebenen ein eindringliches Porträt zweier Geschwister, die viel zu früh Verantwortung übernehmen mussten - überfordert, ohne Kindheit, ohne Jugend.

Die Art und Weise, wie beide ihre Traumata auf ganz unterschiedliche Weise verarbeiten, hat mich tief bewegt. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten, mich in die kühle Anne hineinzuversetzen, doch nach wenigen Kapiteln ließ mich das Buch nicht mehr los. Ich habe es in nur zwei Tagen verschlungen.

Eine klare Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 11.02.2025
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


sehr gut

WENN WIR LÄCHELN
Mascha Unterlehberg

Mitten in der Nacht springt Anto von einer Brücke über die Ruhr. Jara steht hilflos daneben, unsicher, ob sie die Polizei oder den Notarzt rufen soll - vor allem nicht jetzt, nach dem, was sie gerade getan haben. Sie könnte sich genauso gut direkt für Sozialstunden melden. Doch sie beruhigt sich: Anto wird gleich wieder auftauchen. Bestimmt übertreibt sie nur …
Während Jara wartet, ziehen gemeinsame Erinnerungen an ihr vorbei. Ihr erstes Treffen auf dem Fußballplatz - damals war sie sich nicht sicher, ob sie mit Anto überhaupt befreundet sein wollte. Doch dann folgten heimliche Treffen in der Nacht, Zigaretten, Alkohol­exzesse, Mutproben auf Bahngleisen und Ladendiebstähle. Aus zwei Jugendlichen wurden beste Freundinnen, fast Schwestern.

Ihre Leben könnten dabei kaum unterschiedlicher sein: Jaras Mutter ist alleinerziehend, arbeitet hart und bemüht sich trotz allem, für ihre Tochter da zu sein. Antos Mutter hingegen reist ständig und verdient gut - doch das bedeutet, dass Anto meist auf sich allein gestellt ist.

Mit bildreicher Sprache zeichnet Mascha Unterlehberg das intensive Porträt einer Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen, die noch nicht wissen, wo sie im Leben stehen. Wut, Übermut und Überforderung prägen ihren Alltag. Der Rückblick auf die Nullerjahre hat mir besonders gefallen, und ich konnte mich mühelos in die beiden Protagonistinnen hineinversetzen.

Der Schreibstil ist einzigartig: eine rohe, ungeschönte Sprache, große Zeitsprünge, keine wörtliche Rede - all das verstärkt die Intensität der Geschichte, anstatt sie zu stören. Die kurzen Kapitel ließen mich nur so durch das Buch fliegen und der Plot hätte nicht besser sein können.

Fazit:
Ein schmerzhafter, mitreißender Roman über zwei Freundinnen, die inmitten des Chaos des Erwachsenwerdens ihren Weg suchen.
4/5

Bewertung vom 06.02.2025
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


ausgezeichnet

DIE BLAUE STUNDE
Paula Hawkins

James Becker, Kurator der Chapman-Sammlung der Fairburn-Stiftung, erfährt, dass eine Skulptur der verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman, die derzeit in der Tate Gallery ausgestellt ist, einen menschlichen Knochen enthält.
Das Exponat wurde bereits zur Seite geräumt, und die Galerie besteht auf einer gründlichen Untersuchung. Die Fairburn-Stiftung, die nach Chapmans Tod sämtliche Kunstgegenstände erhalten hat, fürchtet einen Skandal - zumal der Ex-Mann der Künstlerin vor Jahren spurlos verschwand und zuletzt auf der kleinen schottischen Gezeiteninsel Eris gesehen wurde, wo Vanessa Chapman lebte und arbeitete.

Obwohl Becker seine hochschwangere Frau eigentlich nicht allein lassen möchte, überzeugt ihn der Inhaber der Stiftung, selbst nach Eris zu reisen, um mit Grace, der Erbin des Anwesens und ehemaligen Weggefährtin Vanessas, über den Fund des Knochens zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit soll er auch die noch immer zurückgehaltenen Tagebuchaufzeichnungen sowie die verschwundenen Kunstwerke einfordern.

Grace, einst Ärztin, betrachtet sich als Hüterin von Vanessas persönlichem Erbe und deren Geheimnissen - und sie ist nicht gewillt, ihre letzten Schätze preiszugeben.

Paula Hawkins, bekannt durch den Weltbestseller The Girl on the Train, hat ein Buch mit einer wunderbaren Atmosphäre geschaffen. Besonders der Schauplatz, die fiktive Insel Eris, die wegen der Gezeiten nur alle sechs Stunden zugänglich ist, hat mich begeistert und die besondere Freundschaft zwischen Vanessa und Grace perfekt abgerundet.

Wer hier einen Thriller oder Krimi erwartet, wird enttäuscht sein. Vielmehr erzählt das Buch die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mit geschicktem Wechsel der Erzähl- und Zeitebenen entwirft Hawkins ein vielschichtiges Porträt, das erst am Ende in einem fulminanten Höhepunkt gipfelt.

Ich habe das Buch sehr genossen und kann mir bereits vorstellen, dass es eines Tages großartig verfilmt wird - mit beeindruckenden Landschaftsaufnahmen.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 05.02.2025
Kutscher, Volker

Mitte / Kat Menschiks Lieblingsbücher Bd.11


sehr gut

MITTE
Volker Kutscher
Illustriert von Kat Menschik

Es ist die Geschichte des 16-jährigen jüdischen Fritz Thormann, der unter einem anderen Namen in Berlin lebt. Vor kurzem war er noch während der Olympischen Spiele in München Augenzeuge eines Mordes. Doch weder die Gestapo noch sein Pflegevater glaubten ihm, weshalb ihm keine andere Möglichkeit blieb, als zu fliehen.

Vier Monate später arbeitet er mit einem gefälschten Pass in einem Kohlenhandel. Inmitten der dunklen Zeiten des nationalsozialistischen Deutschlands schöpft Fritz Kraft aus dem Briefwechsel mit seinen Freunden, in dem er offen über seine Ängste, Hoffnungen und kleinen Freuden des Alltags schreibt. Doch diese Briefe, seine einzigen Lichtblicke, könnten letztlich sein Verhängnis bedeuten.
Mit dem 11. Buch von insgesamt 18 in ihrer Reihe illustrierter Lieblingsbücher hat Kat Menschik einmal mehr ein Kunstwerk geschaffen. Volker Kutscher erzählt Fritz Geschichte mit tiefem Einfühlungsvermögen und in einer Sprache, die ebenso berührt wie erfrischt. Die liebevolle Gestaltung des Buches und Kat Menschiks Illustrationen machen es zu einem wahren Schmuckstück, das nicht nur literarisch, sondern auch optisch begeistert.
4/5

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.02.2025
Wahl, William

Ella & Ben und Kraftwerk - Von geheimen Studios, perfekten Doppelgängern und fernen Sternen / Ella & Ben Bd.5


ausgezeichnet

ELLA & BEN UND KRAFTWERK
William Wahl
Illustration: Anna Breitling-Stenner

Ella, ihr kleiner Bruder Ben und ihre Eltern fahren in den Urlaub nach Holland - zumindest haben sie das vor. Doch irgendwie stehen sie nur im Stau. Ben ist langweilig und beginnt zu nörgeln, also hat Papa eine großartige Idee: Er erzählt ihnen von der Gruppe KRAFTWERK.
Papa sagt, dass es eine der berühmtesten deutschen Bands aller Zeiten ist. Doch Ella findet das seltsam, denn sie hat noch nie von dieser Band gehört! Papa aber widerspricht und erklärt, dass Kraftwerk auf der ganzen Welt Spuren hinterlassen hat.

Alles begann in einem Düsseldorfer Hinterhof. Dort gründeten zwei junge Männer, Florian und Ralf, eine Gruppe namens „Organisation“ und richteten sich ihr erstes Tonstudio ein. Sie mochten weder deutschen Schlager noch die englischen oder amerikanischen Hits. Deshalb beschlossen sie, ihre eigene Musik zu machen - eine Musik, die nach den Geräuschen und Klängen ihrer Heimat klingt: den Klängen von Maschinen.
Anfangs benutzten sie noch normale Instrumente wie ein Klavier oder eine Flöte. Doch als der Schlagzeuger Wolfgang hinzukam, bauten sie sich aus Materialien vom Schrottplatz das erste elektrische Schlagzeug der Welt, weshalb sie sich außerdem einen neuen Bandnamen - nämlich KRAFTWERK - zulegten, um ihrer neu geschaffenen Musikrichtung mehr Ausdruck zu verleihen. Ihre erste Platte „Autobahn“ war in Deutschland nicht besonders erfolgreich, aber in Amerika wurde das Album ein großer Hit! Mit ihrem neuen Bandmitglied Karl reisten sie zum ersten Mal nach Amerika und gaben dort Konzerte und ...

Aber jetzt höre ich auf, euch von dem Buch zu erzählen – sonst verrate ich noch alles! Am besten findet ihr selbst heraus, was Kraftwerk mit Modeln, Robotern, Doppelgängern und dem Raumfahrer Alexander Gerst zu tun hat. Und natürlich auch, ob Ben, Ella und ihre Eltern am Ende doch noch ihren Zeltplatz in Holland erreichen – es lohnt sich!
Leseempfehlung ab 6 Jahren.
5/5

Bewertung vom 03.02.2025
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

IN EINEM ZUG
Daniel Glattauer

Zwei Fremde sitzen sich im Zug von Wien nach München gegenüber und kommen ins Gespräch.
Catrin Meyr spricht den Mann nach kurzer Zeit an, überzeugt, ihn von irgendwoher zu kennen. Doch sie irrt sich. Nicht ihr ehemaliger Englischlehrer sitzt vor ihr, sondern der Autor Eduard Brünhofer.

Eduard fühlt sich zunächst geschmeichelt - eine so junge Frau scheint ihn und seine Bücher zu kennen. Doch als sich ihr Irrtum aufklärt, überspielt er seine Enttäuschung mit Witz und Charme.

Catrin stellt sich als Psychotherapeutin vor und löchert ihr Gegenüber mit Fragen. Eduard, in Plauderlaune, erzählt von seiner langjährigen Ehe mit Regina - wie sie sich einst kennenlernten und wie sie die schwierige Zeit nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter erlebten, bis hin zu seiner seit Jahren anhaltenden Schreibblockade. Er beginnt aus dem Nähkästchen zu plaudern - was Catrin dazu ermutigt, das Gespräch in eine sehr persönliche Richtung zu lenken: Sie spricht das Thema Sex an …

Irgendwann wird es dem Autor zu intim, doch als das eine oder andere kleine Fläschchen Beaujolais aus dem Speisewagen hinzukommt, beginnt sich seine Zunge erneut zu lösen.

Wohin dieses Gespräch führt - und vor allem, wie es endet -, müsst ihr natürlich selbst herausfinden.

Daniel Glattauer, dessen sprachlich gewandte Dialoge ich sehr schätze, konnte mich mit diesem Buch nur bedingt überzeugen. Während ich den Beginn der Unterhaltung noch amüsant und geistreich fand, gingen mir Catrins zunehmend forsche Fragen mit der Zeit auf die Nerven - zumal sie auf überraschend detaillierte Antworten seitens Eduards stießen, die ich kaum nachvollziehen konnte.

Etwa ab der Mitte schrillten bei mir alle Alarmglocken, doch Eduard, weiterhin in Plauderlaune, schien diese nicht zu hören.

Die zweite Hälfte hat mich dann jedoch versöhnt und ich bin froh, das Buch trotz der schwächeren ersten Hälfte nicht aus der Hand gelegt zu haben.
Alles in allem eine unterhaltsame Geschichte, die sich flüssig lesen lässt - sicher nicht Glattauers bestes Buch, aber wer weiß? Vielleicht hatte er selbst eine Schreibblockade und ließ sich von einer charmanten Gesprächspartnerin inspirieren?
4/5

Bewertung vom 31.01.2025
Mannion, Una

Sag mir, was ich bin


ausgezeichnet

Hier kommt ein weiteres Schätzchen aus dem Hause Steidl:

SAG MIR WAS ICH BIN
Una Mannion

Deena Garvey verlässt eines Morgens das Haus ihrer Schwester - doch auf ihrer Arbeit kommt sie nie an. Ihre Schwester Nessa ist überzeugt, dass Deenas Ex-Freund Lucas hinter dem Verschwinden steckt. Zwischen den beiden gab es zuvor immer wieder Konflikte, geprägt von häuslicher Gewalt und Sorgerechtsstreitigkeiten um die gemeinsame Tochter Ruby. Doch trotz intensiver Suche bleibt Deena verschwunden. Nessa zerbricht fast daran, besonders als Lucas mit ihrer Nichte nach Vermont zieht und jeglichen Kontakt unterbindet.
In Vermont wächst Ruby in völliger Abgeschiedenheit auf. Mit ihrer Großmutter Clover und ihrem Vater lebt sie an einem abgelegenen See. Schulbesuch wird ihr vom Vater untersagt - stattdessen lehrt er ihr, wie man fischt, Pilze sammelt und jagt. Sie lernt auch schnell, was ihn wütend macht und welche Fragen sie besser vermeidet, um seinen Zorn nicht zu provozieren. Besonders das Thema „Mutter" ist ein absolutes Tabu - nur eine Frage darüber bringt Lucas in Rage. Ein Foto von ihrer Mutter hat Ruby nie gesehen.

Nessa gibt die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Ruby auch nach Jahren nicht auf. Sie schickt regelmäßig Briefe nach Vermont, die Lucas jedoch abfängt. Erst als Ruby eines Tages so einen Brief findet, ein Foto ihrer Mutter aus einem dieser Kuverte stiehlt und den Namen ihres Vaters im Internet recherchiert, erfährt sie die erschütternde Wahrheit: Ihre Mutter hat sie nicht einfach nur verlassen - vielmehr ist sie spurlos verschwunden und Rubys Verdacht erhärtet sich, dass ihr Vater ihr nie die volle Wahrheit erzählt - sie sogar vorsätzlich belogen hat.

Una Mannion hat mit diesem Roman ein packendes, tiefgründiges Werk geschaffen. Besonders beeindruckend ist der Perspektivwechsel: Verschiedene Figuren erzählen ihre Geschichte aus unterschiedlichen Zeitabschnitten, sodass sich ein immer klareres Bild von Lucas und seiner Tyrannei ergibt. Der Schreibstil ist prägnant und fesselnd. Und obwohl das Buch mit dem Ende beginnt, bleibt die Spannung bis zur letzten Seite erhalten.

Fazit:
Ein großartiges Buch, das ihr unbedingt lesen müsst!
5/5

Bewertung vom 24.01.2025
Collins, Sarah Easter

So ist das nie passiert


ausgezeichnet

SO IST DAS NIE PASSIERT
Sarah Easter Collins

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Buch ist einfach großartig!

Acht junge Menschen – Freunde, Partner und Geschwister – kommen an einem Wochenende für ein gemeinsames Abendessen zusammen. Nicht alle kennen sich, doch ihre Geschichten sind auf faszinierende Weise miteinander verwoben. Von der ersten Seite an entfaltet sich ein Sog, der mich nicht mehr loslässt.

Im Zentrum steht Willa, die den Verlust ihrer jüngeren Schwester Laika nie überwunden hat. Laika verschwand im Alter von 13 Jahren, nachdem sie morgens das Haus verließ und nie in der Schule ankam. Dieses Trauma begleitet Willa bis ins Erwachsenenalter: In jedem fremden Gesicht sucht sie vergeblich nach ihrer Schwester.

Sarah Easter Collins erzählt Willas Geschichte auf zwei Zeitebenen. Stück für Stück fügen sich die Ereignisse zu einem Gesamtbild zusammen. Wir lernen Willas wohlhabende, aber zerrüttete Familie kennen: die Mutter, die am Verlust ihrer jüngeren Tochter fast zerbricht, und den Vater, der selbst von einer schwierigen Kindheit geprägt ist. Er neigt zu Gewalt und tyrannisiert die Familie mit seinem pedantischen Perfektionismus. Willa wird schließlich aufs Internat geschickt, um dem Medienrummel zu entkommen, der das Elternhaus belagert. Dort findet sie in Robyn eine enge Freundin und erlebt erstmals, wie es sich anfühlt, Teil einer harmonischen Familie zu sein.

THINGS DON'T BREAK ON THEIR OWN, der Originaltitel des Debüts, hätte kaum besser gewählt sein können: Dinge zerbrechen nicht von alleine. Dieser eindringliche, stellenweise schmerzhafte Roman ist ein wahres Meisterwerk und hat mich tief beeindruckt.
5/5