Benutzer
Benutzername: 
Igelmanu
Wohnort: 
Mülheim

Bewertungen

Insgesamt 1033 Bewertungen
Bewertung vom 03.11.2017
Moers, Walter

Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr / Zamonien Bd.7


sehr gut

»Die Krankheit von Prinzessin Dylia war die seltenste von ganz Zamonien. Sie war noch seltener als das fiebrige Flattern, die chronische Krätze, der hysterische Husten, die paranormale Parodontose, der tonlose Tinnitus und das zantalfigorische Zittern.«

Zu den Begleiterscheinungen der seltenen Krankheit, unter der die Prinzessin leidet, gehört chronische Schlaflosigkeit. Dylia hat Wege gefunden, sich mit dem ständigen Schlafentzug zu arrangieren, auf den nächtlichen Wanderungen durch ihr Schloss erfindet sie die aberwitzigsten Wortkreationen und stellt sich immer neuen Denksportherausforderungen. In einer dieser Nächte bekommt sie Besuch von dem alptraumfarbenen Nachtmahr Havarius Opal, der ihr ankündigt, sie in den Wahnsinn treiben zu wollen. Zuvor soll es auf eine Reise quer durch Dylias Gehirn gehen. Ein Abenteuer, auf das die Prinzessin sich nur zu gerne einlässt…

Endlich wieder nach Zamonien! Endlich hat Walter Moers wieder ein Werk des zamonischen Großschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz übersetzt! Keine Frage, dieses Buch musste bei mir einziehen!
Der erste Eindruck, schon gleich zu Beginn, irritiert. Weshalb sind die Illustrationen nicht wie erwartet von Walter Moers selbst sondern von einer jungen Frau namens Lydia Rode? Kurz bin ich enttäuscht, ich hatte mich schließlich auf Bilder im bekannten Stil gefreut. Schon einige Seiten weiter bin ich aber versöhnt, denn die Aquarelle von Lydia Rode passen perfekt zum Text, sind nicht nur farbenfroh, sondern auch ausdrucksstark und spiegeln den enormen Einfallsreichtum, um den es im Text geht, wieder. Und als ich am Ende erfahre, wie es überhaupt dazu kam, dass der Autor nicht selber zum Stift griff, bin ich sehr berührt. Jeder Leser sollte unbedingt das Nachwort lesen!
Der Text hingegen ist von der ersten Zeile an genau so, wie ich ihn erwartet habe. Überschäumende Kreativität, Wortwitz und eine Phantasie, die ihresgleichen sucht, zeichnen ihn aus – ich musste beim Lesen immer wieder laut lachen. Schlafopern, unschädliche, aber hübsch ausschauende Naturkatastrophen, quergestreifte Regenbögen oder Nachtmahrpaläontologie – der Autor schöpft wieder aus dem Vollen. Freude am Spiel mit Worten und die Bereitschaft, sich wie ein Kind auf eine Reise durch Phantasiewelten einzulassen sind allerdings Voraussetzung, damit man das Buch so wie ich genießen kann.
Weshalb der Punktabzug? Nur deshalb, weil ich dieses Buch mit den anderen Zamonienromanen vergleiche, die mir meist noch besser gefielen.

Fazit: Phantastisch, kreativ, witzig. Wieder mal ein toller Ausflug nach Zamonien und ein Muss für Fans.

»Bevor mir langweilig wird, würde ich mir neunundneunzig neue Namen für Langeweile ausdenken.«

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.10.2017
Kendi, Ibram X.

Gebrandmarkt


sehr gut

»Die göttliche Vorsehung schicke Afrikaner in die Sklaverei ins christliche Amerika, damit sie von ihren Herren Kenntnis von der ruhmreichen Heilsbotschaft Christi erhielten. Sie sind Menschen, keine Tiere. … Allerdings ist ihre Dummheit entmutigend. Afrikaner zu belehren scheint keine geringere Aufgabe zu sein, als sie zu waschen.«

Afroamerikaner blicken auf eine lange Leidensgeschichte zurück. Noch heute ist ihr Leben von Benachteiligungen und Diskriminierung geprägt. Die statistische Wahrscheinlichkeit, von der Polizei getötet zu werden, liegt für einen jungen schwarzen Amerikaner einundzwanzigmal höher als für einen jungen Weißen und die durchschnittliche Finanzkraft weißer Haushalte übersteigt die schwarzer Haushalte um das Dreizehnfache.

Ibram X. Kendi, Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in Washington, D.C. erzählt die Geschichte Schwarzer in Amerika von den Anfängen bis zur Gegenwart. Überaus präzise und detailliert ist sein Bericht, vermittelt den Eindruck von Vollständigkeit und ist reich an Zitaten.

»Diese Regierung wurde nicht von Negern und nicht für Neger geschaffen, sondern von weißen Männer für weiße Männer. Das Gesetz gründe auf der falschen Vorstellung von rassischer Gleichstellung. Die Ungleichheit der weißen und der schwarzen Rasse sei ein Brandmal von Geburt an.« (Jefferson Davis, 1860)

Für seinen Bericht hat er eine sehr reizvolle Art der Umsetzung gefunden, denn er reiht im Grunde fünf Biographien von Persönlichkeiten aneinander, die zu ihrer jeweiligen Zeit die ethnischen Vorstellungen und Ideen beeinflusst oder vertreten haben. Konkret haben wir es mit Cotton Mather, Thomas Jefferson, William Lloyd Garrison, W. E. B. Du Bois und Angela Davies zu tun. Ich gestehe, dass mir manche der Namen zuvor nicht viel gesagt haben, umso interessanter war zu lesen, wie wichtig ihre Lebensläufe und Gedanken für alle maßgeblichen Debatten zum Thema Rassismus waren und sind.
Als Basis stellt Kendi drei unterschiedliche Standpunkte vor, die seit Jahrhunderten diskutiert werden, schon dabei habe ich viel Neues erfahren, zum Beispiel, dass den Anti-Rassisten zwei Hauptströmungen rassistischer Ideen gegenüberstehen. Dann die vielen Theorien, die aufgestellt wurden um zu ergründen, weshalb es eigentlich Menschen mit heller und solche mit dunkler Haut gibt. Klimatheorie, Fluchtheorie und die Überlegung, ob eine schwarze Seele weiß werden kann – ich habe gestaunt, womit sich selbst Gelehrte befasst haben.
Was versteht man unter ethnischer Ungleichheit oder schrittweiser Gleichstellung? Und wie war das mit der Kolonisation? Interessant fand ich auch die Zusammenhänge von Sexismus und Rassismus, denn auch die Gleichheit der Geschlechter wird thematisiert.

Immer wieder gab es Abschnitte, bei denen ich beim Lesen richtig wütend wurde. Manchmal wusste ich nicht, was mich mehr empört, die Grausamkeit der beschriebenen Handlung oder die Argumentation, mit der sie „gerechtfertigt“ wurde.

Vielen berühmten Namen begegnet der Leser, denn natürlich haben Martin Luther King, Malcolm X und Barack Obama ihren Platz im Buch, das neben der Geschichte des Rassismus auch viel über die Geschichte der Vereinigten Staaten erzählt. Bei den Sachinhalten fehlt, so mein Eindruck, nichts.
Persönlich hätte ich es schön gefunden, wenn es noch ein paar Bilder, vor allem aus dem historischen Teil, gegeben hätte. Auch hat mir der Stil nicht immer zugesagt, er war mir manchmal schlicht zu trocken. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Autor an einigen Stellen eine Benachteiligung hineininterpretiert, die so eigentlich nicht gemeint war. Ich halte mich wirklich für sensibel, was diese Thematik angeht und fand doch bei einigen Gelegenheiten den von Kendi geäußerten Rassismus-Vorwurf für übertrieben.

Fazit: Ein präziser und detaillierter Bericht über die Geschichte des Rassismus. Sehr wichtig und lesenswert!

Bewertung vom 08.10.2017
Russell, Craig

Auferstehung / Hauptkommissar Jan Fabel Bd.7


ausgezeichnet

»Fabel blickte hinauf … Er stellte sich den Erstickungstod des Opfers vor, bei dem die Qual in Euphorie umschlug, und fragte sich, ob der Mann auch in diesen letzten Sekunden die Illusion erlebt hatte, über seinem Körper zu schweben und auf ihn hinunterzublicken.«

Jan Fabel, Leiter der Mordkommission in Hamburg, gilt als Experte für Serienmorde, bei seiner meist erfolgreichen Arbeit achtet er stets auf sein Bauchgefühl, lässt sich von Intentionen leiten.
Vor zwei Jahren wurde er im Dienst angeschossen und wäre beinahe gestorben. Eine Nahtoderfahrung, die er dabei machte, veränderte ihn, ließ ihn die Prioritäten seines Lebens neu ordnen und so einiges, was ihm während seiner Arbeit begegnet, aus einem speziellen Blickwinkel betrachten.
Nun wird er erneut mit seinem ersten Fall als Mordermittler konfrontiert. Vor 15 Jahren verschwand eine junge Frau namens Monika Krone spurlos, sämtliche Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. Als auf einer Baustelle eine vergrabene Leiche gefunden wird, ahnt Jan sofort, um wen es sich handelt. Während er versucht, diesen Cold Case erneut aufzugreifen, geschieht ein aktueller Mord, der sich zu einer Serie steigern wird.
Eine Zufälligkeit der Ereignisse? Oder gehören der alte und die neuen Morde zusammen? Im Fokus der Ermittlungen steht ein gefährlicher Gewaltverbrecher, der gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen ist und den Jan schon vor 15 Jahren im Verdacht hatte, für Monikas Tod verantwortlich zu sein. Viel Arbeit für Jan und sein Team…

Dieses Buch aus der Reihe des Ermittlers Jan Fabel ist bereits das siebte aus der Reihe, für mich war es das erste. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich irgendeinen Nachteil hatte, weil ich die Vorgänger nicht kannte, konnte der Handlung mühelos folgen.
Und die hatte es wirklich in sich! Mehrere gleichzeitig verlaufende Handlungsstränge machten mich von Anfang an neugierig, wie alles zusammengehören würde. Besonders gefiel mir dabei, dass in einem Fall erst kurz vor Ende klar wurde, wie der überhaupt dazu gehört. Bis dahin rätselt man, versucht selber, einen Zusammenhang herzustellen – so etwas mag ich.
Ohnehin finde ich es gut, wenn sich die Handlung langsam aufbaut. Wenn man lange mitraten muss, auf falsche Fährten gelockt wird. Das ist hier wirklich gelungen!
Auch das Szenario, in das die Mordserie platziert wird, finde ich spannend, denn es ist ungewöhnlich und man muss bei der Suche nach dem Täter einige verwirrende Gedankenspiele durchgehen.
Jan gefällt mir als Ermittler, er ist ein interessanter Charakter und die immer wieder thematisierte Nahtoderfahrung macht einen zusätzlichen Reiz aus. Anfänglich hatte ich befürchtet, dass Jan irgendwelche übernatürlichen Wahrnehmungskräfte hätte, das ist aber nicht der Fall, sondern er kombiniert schlicht Erfahrung mit Bauchgefühl. Daher blicke ich am Ende auf einen spannenden, intelligenten und manchmal verwirrenden Fall zurück, der mich angenehm überraschte und gut unterhielt. Gerne werde ich ein weiteres Buch aus dieser Reihe lesen!

Fazit: Intelligent, raffiniert und manchmal verwirrend. So mag ich einen Thriller!

Bewertung vom 03.10.2017
Warnecke, Lisa

Das Geheimnis der Winterschläfer


ausgezeichnet

»Schon lange fasziniert der Winterschlaf die Wissenschaft – doch noch immer geben uns viele Vorgänge Rätsel auf: Wie schaffen Tiere es nur, sechs Monate des Jahres kalt und fast bewegungslos zu verbringen, ohne Schäden davonzutragen? Welche Vorgänge laufen dabei im Körper ab und welche Tiere nutzen weltweit Winterschlaf? Geht es dabei wirklich nur um die Einsparung von Energie?«

Ein Buch über Winterschläfer! Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich da hätte widerstehen können! Und mir wäre auch wirklich viel entgangen!

Lisa Warnecke ist promovierte Biologin und Trägerin des Forschungspreises der Deutschen Wildtier Stiftung. Auch für dieses Buch hat sie umfangreiche Untersuchungen betrieben, der Leser kann sich auf eine Reise durch vier Kontinente freuen und dabei bekannte und weniger bekannte Winterschläfer kennenlernen. Wir treffen auf Igel in Hamburg, Fledermäuse in Kanada, Beuteltiere in Australien und Lemuren auf Madagaskar.
Moment! Madagaskar? Winterschlaf?
Das wird interessant!

Das Buch startet mit ordentlichen Grundlagen. Was genau versteht man eigentlich unter Winterschlaf? Da wird zunächst einmal mit einigen Irrtümern aufgeräumt. Wer weiß zum Beispiel, dass Tiere im Winterschlaf überhaupt nicht schlafen? Dass es sich bei dem sogenannten Winterschlaf um einen faszinierenden Energiesparmodus, genannt Torpor, handelt? Dass die Dauer des Torpors artspezifisch ist, manchmal nur einen Tag dauert? Und dass die Tiere, die ihn beherrschen, besonders erfolgreich im Überlebenskampf sind?

Winterschlafforschung gibt es seit über 150 Jahren, erste Untersuchungen wurden 1938 publiziert. Trotzdem sind noch nicht alle Fragen beantwortet, was auch daran liegt, dass die Freilandforschung besonders kompliziert ist. Eine Herausforderung, die die Autorin angenommen hat!
Sehr lebendig schreibt sie über ihre Arbeit, erklärt ausführlich die Methoden und die besonderen Umstände des jeweiligen Lebensraumes. Sie staunt über die Wunder der Natur, erfreut sich daran. Da wird zwischendurch auch schon mal ein Wal vor der australischen Küste bewundert.
Im Mittelpunkt steht aber letztlich immer ihr Forschungsprojekt. Welche Anpassungsleistungen muss beispielsweise ein Igel an das Leben in der Großstadt aufbringen? Wie kann ihm der Winterschlaf dabei helfen? Und wie kann der Mensch in der Stadt wiederum den Igel unterstützen?
Und was muss man sich unter Winterschlaf in den Tropen vorstellen?

Das Thema ist wirklich hochinteressant und viel umfangreicher, als ich zunächst vermutet hatte. Schwer beeindruckt las ich, wie die Tiere ihre Körpertemperatur selbst regulieren. Ein Igel kann sich bis auf 4° runterkühlen, einzelne Tiere schaffen sogar Temperaturen unter 0°! Unglaublich! Ich staune immer wieder, welche großartigen Leistungen die Natur vollbringt.

Die Winterschlafforschung wird auch nicht nur von Tierfreunden beobachtet. Nicht wenige träumen davon, den Zustand des Winterschlafs für Menschen anwendbar zu machen, beispielsweise für medizinische Zwecke oder in der Raumfahrt. Die großen Weltraumorganisationen zeigen seit Jahrzehnten hohes Interesse an der Torporforschung.

Das Buch ist unterteilt in zwei große Abschnitte: Einschlummern und Aufwachen. Wie in jedem Buch, das sich ernsthaft mit der Tierwelt befasst, gibt es wunderschöne Abschnitte und herrliche Fotos, aber ebenfalls traurige Passagen. Die Einflüsse der Umwelt machen das Überleben schwer, ganz zu schweigen von menschlichem Einfluss, Krankheiten und der Zerstörung von Lebensräumen. Daher ist es umso wichtiger, möglichst viel über die Tiere (hier die faszinierenden Winterschläfer) zu erfahren.
»Wir können nur schützen, was wir kennen.«

Fazit: Ein hochinteressantes Thema und ein Muss für jeden Tierfreund.

Bewertung vom 03.10.2017
Galfard, Christophe

Das Universum in deiner Hand


sehr gut

»Was du von deinem Strand auf der tropischen Insel aus als die Milchstraße identifiziert hast, das war nur eine dünne Scheibe deiner Galaxie, ein Band mit Hunderten Millionen Sternen, die zu weit entfernt waren, um einzeln erkennbar zu sein, deren Lichter zusammen jedoch das diffuse Band bildeten. Und während du jetzt in das weit entfernte Unbekannte spähst, bereit, deinen Geist dorthin stürmen zu lassen, wo du das größte Geheimnis vermutest, wird dir plötzlich klar, dass all diese Lichtkleckse genauso verschwommen sind wie die Milchstraße.
Auch sie müssen Galaxien sein!«

Wer tatsächlich schon mal das große Glück hatte, den Sternenhimmel über einem tropischen Strand bewundern zu können, der kennt dieses Staunen über die schier unglaubliche Menge leuchtender Himmelskörper. In der Großstadt braucht man meist Wolkenlücken und eine Menge Phantasie, wenn man einen Blick auf das Universum werfen möchte.
Christophe Galfard, französischer Astrophysiker und Doktorand von Stephen Hawking, hilft dabei. Er nimmt den Leser mit auf eine unglaubliche Reise bis hinter die Grenze des sichtbaren Universums.

Das Besondere an dem Buch ist sicher sein für ein Wissenschaftsbuch ungewöhnlicher Stil, sehr lebendig, wie ein Roman geschrieben und doch voller Fakten auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Zunächst einmal werden Grundlagen vermittelt, über unsere kosmische Familie, Sonne, Mond, unser Planetensystem. Über die Schwerkraft und die Lichtgeschwindigkeit und die Einsteinsche Gleichung. Und dann geht die Reise erst richtig los! Zeitreisen, der Urknall, dunkle Energie, schwarze Löcher, ein Ausflug in die Quantenwelt – nichts fehlt.

Alles sehr theoretisch? Stimmt. Im Verlauf des Buchs wurde es für mich auch manchmal ein wenig zu theoretisch. Da half der angenehm leichte Stil sehr, der auch gerne mit Witz arbeitet. Beispiel?
»Aufgrund von Schätzungen der im Zentrum unseres Sterns noch vorhandenen Menge an Wasserstoff können die Wissenschaftler überschlagen, wann es zur Explosion kommen wird. Ihre Prognose: Die Sonne wird in ungefähr fünf Milliarden Jahren zerbersten – an einem Donnerstag oder bis zu drei Tage früher oder später.«

Der Autor verspricht in seinem Vorwort, dass das Buch niemanden überfordern wird. Da tut man sich schwer, zuzugeben, dass man an einigen Abschnitten ganz schön geknackt hat. Ich gebe es trotzdem zu. Der Stil ist leicht, Fachwörter und Formeln werden so gut es geht vermieden und trotzdem wird dadurch die Grundthematik nicht einfacher. Im Vergleich zu anderen Büchern über Astrophysik ist es sicher ein Spaziergang, aber dass ich einfach durch das Buch gerauscht wäre, kann ich nicht behaupten. Es gibt so viele Theorien – und bei manchen wollte sich mein Verstand schlicht weigern, zu folgen. Zum Glück hat der Autor auch für diesen Fall ein paar ermutigende Worte…
» Die Natur nimmt nicht übel. Sie ist dafür da, von uns entdeckt zu werden – fertig.«

Fazit: Eine unglaubliche Reise. Manchmal unbegreiflich und sehr theoretisch, aber immer auch faszinierend.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.09.2017
Mey, Stefan

Darknet


ausgezeichnet

Der Autor sorgt beim Leser erst einmal für eine ordentliche Grundlage, ein Basiswissen. Ich erfahre, dass ich keine kriminelle Begabung haben muss, um ins Darknet zu gelangen, sondern dass ich mir einfach eine Anonymisierungssoftware („Tor“) runterlanden könnte. Kostenlos. Ich erfahre sogar die Namen passender Seiten und beginne zu staunen. Kann ich legal ins Darknet? Und wie funktioniert das überhaupt mit der Anonymisierung?

Was als nächstes kommt, bestätigt allerdings meine alten Ansichten. Ich unternehme nämlich mit dem Autor einen Einkaufsbummel im Dark Commerce. Ich erfahre, wie man dort zahlt, dass es ein wichtiges Bewertungssystem gibt und Maßnahmen zur Selbstregulierung. Ich lese, wie ein Drogenkäufer seinem Verkäufer eine gute Bewertung ausstellt („toller Händler, jederzeit wieder“), ich sehe Falschgeldangebote („eine Zehnerpackung 50-Euro-Scheine für 150 Euro“) und muss schon fast schmunzeln, als ich zwei Gespräche, die das Deutsche Ärzteblatt über verschlüsselte Textnachrichten mit Darknet-Apotheken führte, lese. Darin zählt tatsächlich ein Händler seine diversen ethischen Grundsätze auf!
Weiter erfahre ich, dass es einen Wettbewerb der illegalen Marktplätze gibt, dass sich diese service-orientiert zeigen, Empfehlungsprogramme und Verantwortliche für „Öffentlichkeitsarbeit“ haben, die auf speziellen Branchenblogs und Diskussionsplattformen posten. Das alles wirkt so normal! Scheinbar gibt es wirklich große Ähnlichkeiten zwischen dem legalen E-Commerce und dem Dark Commerce. Abgesehen von der Handelsware natürlich ;-)
Aber neben dem Handel mit Drogen, Waffen und Falschgeld gibt es natürlich noch den traurigen Bereich der Kinderpornographie, auch dazu erfahre ich folglich einiges. Überrascht lese ich allerdings, dass die schlimmsten Dinge oft im ganz normalen Netz ablaufen!

Überhaupt ist es jetzt im Buch an der Zeit, die guten Seiten des Darknets zu beleuchten. Tatsächlich kann es nämlich auch für positive Zwecke genutzt werden, zum Beispiel als Plattform für Whistleblower oder investigative Journalisten. Wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen empfehlen die Tor-Software, etwa Reporter ohne Grenzen oder Human Rights Watch. Außerdem gibt es Nutzer, die einfach nicht länger gläsern sein wollen. Ich erfahre, dass viele „normale“ Unternehmen/Seiten auch einen Darknet-Auftritt haben, selbst Facebook betreibt eine solche Präsenz, angeblich, um auch in Ländern erreichbar zu sein, die den Zugang verbieten wollen.

Im Vergleich schneidet das gute Darknet trotzdem schlechter ab. Erhebungen liefern bedenkliche Zahlen, illegale Aktivitäten haben doch einen enorm hohen Anteil.
Was tut eigentlich die Polizei dagegen? Wie arbeitet sie und welche Möglichkeiten hat sie? Auch dieser Punkt wird thematisiert.
Ein Anhang mit Interviews, Expertenmeinungen über die Sicherheit der Tor-Software, Infos zu anderen Darknets und einem Glossar vervollständigt das Bild. Apropos Tor-Software: Hier gibt es eine pikante Info: Das Tor-Projekt tritt nämlich als effektive Waffe gegen staatliche Überwachung und Zensur auf, erhält jedoch gleichzeitig und regelmäßig Geld von der US-Regierung. Darüber kann man mal nachdenken…

Nachgedacht hat auch der Autor, und zwar über die mögliche Zukunft des Darknets. Er entwirft verschiedene Ausblicke, die er ausführlich beschreibt. Ich gestehe, dieses Kapitel fand ich entbehrlich, das Thema hätte für meinen Geschmack in zwei bis drei Sätzen behandelt werden können. Das ist natürlich subjektiv, viele Leser mögen Dystopien und Utopien, und diesen Lesern werden die Ausblicke vermutlich gefallen.

Generell ist alles sehr gut verständlich geschrieben, der Stil dabei informativ und sachlich, selbst bei unschönen Themen. Das empfand ich als sehr angenehm. Am Ende habe ich eine Menge Neues erfahren, es wurde mir aber auch klar, dass man noch viel zu wenig über das Darknet weiß und dass es dort noch viel zu erforschen und zu entdecken gibt.

Bewertung vom 22.09.2017
Mekhennet, Souad

Nur wenn du allein kommst


ausgezeichnet

»Ich sollte allein kommen. Ohne Ausweispapiere oder sonstige Dokumente; Handy, Aufnahmegerät, Uhr und Handtasche sollte ich in meinem Hotel in Antakya lassen. Erlaubt waren lediglich ein Notizbuch und ein Kugelschreiber.«

Sommer 2014. Die Journalistin Souad Mekhennet hat eine Verabredung zu einem Interview mit einem Kommandeur des IS. Mitten in der Nacht. Und allein.

Schon der Anfang des Buchs las sich wie ein Thriller. Die Gefahr, in die sich Souad Mekhennet begeben hat, wird niemand von der Hand weisen. Wie kommt eine Frau dazu, einen solchen Schritt zu wagen? Woher nimmt sie den Mut?
Ein autobiographischer Teil, der sich anschließt, hilft, die Autorin kennenzulernen. Schon früh musste sie lernen, gegen Widerstände zu kämpfen. Eben weil sie in Deutschland geboren und aufgewachsen war, es als ihre Heimat ansah und doch wegen ihrer Wurzeln diskriminiert wurde. Im September 2001 war sie eine junge Journalistin, zutiefst schockiert und von dem Wunsch getrieben zu verstehen, was da geschehen war.

Souad Mekhennet begriff es als ihre Aufgabe, die Beweggründe zu erfahren und sie der Welt mitzuteilen. Weshalb radikalisieren sich junge Männer und Frauen? Wo kommt all der Hass her? So reist sie um die Welt, von einem Krisengebiet ins nächste. Ob im türkisch-syrischen Grenzgebiet, im Irak oder in Jordanien – immer wieder begibt sie sich in Lebensgefahr. In Ägypten wird sie verhaftet und lernt ein berüchtigtes Foltergefängnis von innen kennen. Zeitgleich wird sie aber auch von westlichen Regierungen argwöhnisch beobachtet und fragt sich manchmal, von welcher Seite ihr mehr Gefahr droht.
Unbeirrt bemüht sie sich um Gespräche mit Dschihadisten, interviewt Anführer von al-Qaida, radikalisierte Jugendliche und ihre Familien, Politiker und Imame. Wo nötig zieht sie zum Gespräch eine Abaya über Jeans und T-Shirt, verzichtet aber fast nie auf das Stellen unbequemer Fragen.

In ihren Reportagen bemüht sie sich um Objektivität. Dafür bringt sie die besten Voraussetzungen mit, denn von klein auf ist sie gewohnt, zwischen den Welten zu leben. Als Kind marokkanisch-türkischer Eltern wächst sie in Deutschland auf, wird sowohl eine gläubige Muslimin als auch eine selbstbewusste, moderne Frau. Und stellt als Tochter eines Sunniten und einer Schiitin schockiert fest, dass diese beiden Glaubensrichtungen sich in Teilen der Welt abgrundtief hassen und bekämpfen.
Ihre Sichtweise und die Art zu berichten hat mich wirklich beeindruckt. Offen legt sie ihre Meinung dar, verurteilt Gewalt und Hass, bemüht sich aber auch zu verstehen, wie beides entstehen kann. Und hofft darauf, dass ihre Erkenntnisse helfen können, noch mehr Hass und Morde zu verhindern.

Ich für mein Teil habe viel Interessantes erfahren und gelernt. Souad Mekhennet schildert die Hintergründe so mancher Konflikte, erläutert die Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten, sie denkt über die wahre Natur des sogenannten Arabischen Frühlings nach und stellt Menschen vor, die an der Deradikalisierung junger Muslime arbeiten. Sie befasst sich mit Frauenrechten, spricht aber auch über Europäerinnen, die davon träumen, einen IS-Kämpfer zu heiraten. Sehr spannend fand ich auch die Enttarnung von „Jihadi John“ – meine Güte, die Autorin ist sowohl mutig, einfallsreich als auch intelligent!

Der Stil sagte mir ebenfalls sehr zu. Obwohl reichlich Fakten geschildert werden und mir manchmal aufgrund der vielen arabischen Namen der Kopf rauchte, ist die Schilderung sehr lebhaft und gut zu lesen. Immer wieder gibt Souad Mekhennet Einblicke in ihr Gefühlsleben, man spürt, dass sie durchaus Ängste hat – und zwar nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um die Zukunft der westlichen und der arabischen Welt.

Fazit: Hut ab vor dieser großartigen Frau! Sehr lesenswerter Bericht, der informiert, nachdenklich macht und um gegenseitiges Verständnis wirbt.

»Nicht die Religion radikalisiert den Menschen; der Mensch radikalisiert die Religion.«

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2017
Schami, Rafik

Sami und der Wunsch nach Freiheit


ausgezeichnet

»Inzwischen ist in Syrien so viel passiert, dass man damit Bücher füllen könnte, doch selbst eine Bibliothek würde nicht ausreichen, um alles zu erklären. Es wird Politiker und Historiker noch Jahrzehnte beschäftigen.
Ich aber wollte nur Samis Geschichte aufschreiben, so wie Scharif sie mir erzählt hat. Ich habe es ihm fest versprochen.«

Scharif und Sami wachsen in Damaskus auf. Die beiden Freunde sind unzertrennlich, haben von klein auf alles Schlimme und Schöne miteinander geteilt. In den Wirren des Krieges verschwindet Sami und Scharif gelingt die Flucht nach Deutschland. Dort erzählt er die Geschichte von Sami und seinen Narben…

Was für ein wundervolles Buch hat Rafik Schami hier wieder geschrieben! Als ich es zuhause auspackte, hatte ich eigentlich noch viel anderes zu tun, wollte ich eigentlich nur mal kurz reinschauen. Doch wie ein Sog packte mich die Geschichte und ließ mich nicht mehr los.
Der Autor versteht es, einen neugierig zu machen. Kleine eingestreute Andeutungen machten es mir unmöglich, das Buch wegzulegen. Dazu diese großartige Sprache, in der ich versinken könnte! Ich notiere mir beim Lesen immer Sätze und Ausdrücke, die mich besonders ansprechen und bewegen. Diese Liste wuchs im Rekordtempo!

In einzelnen Episoden berichtet der Erzähler über das alltägliche Leben in Syrien. Hochinteressant und sehr berührend! Die Welt, in der Sami und Scharif aufwachsen, erscheint völlig fremdartig und vertraut zugleich. Wenn beispielsweise über die unfassbare Gewalt und Unterdrückung berichtet wird, der die Kinder schon in der Schule begegnen, ist ihre Welt ganz weit weg. Dieselben Kinder und Jugendlichen sitzen aber später vor ihren Computern oder Smartphones und chatten im Internet – und schon ist die Welt wieder ganz nah.
Die einzelnen Episoden wirken so lebendig, so echt – ich hatte wirklich das Gefühl, ich sitze neben Scharif und höre ihm zu. Diverse Abschweifungen verstärken diesen Eindruck, sie machen alles noch realistischer, denn genau so erzählen Menschen, vor allem, wenn sie viel zu erzählen haben. Sami und Scharif wirken schnell so vertraut, als würde man sie schon lange kennen. Natürlich stellt man kulturelle Unterschiede fest, aber auch so viel Verbindendes, die gleichen Wünsche, Hoffnungen und Lebenspläne, die die meisten Menschen umtreiben. Nur dass der Wunsch nach Freiheit für Sami und Scharif ein sehr viel existenziellerer ist.

Dieses Buch, so unterhaltsam und fesselnd es geschrieben ist, kann helfen, Nähe zu schaffen. Der Krieg in Syrien geht ständig durch die Medien, jeder hat schon erschreckende Bilder voller Not und Zerstörung gesehen. Aber sicher hat nicht jeder präsent, wie die Verhältnisse dort vor dem Krieg waren. Oder dass es Kinder waren, die 2011 den Aufstand ausgelöst haben. Nach dem Lesen des Buchs ist man schlauer und erkennt, dass die restliche Welt sich nicht aus der Verantwortung stehlen darf.
»Ein Diktator braucht und schätzt niemanden mehr als die Gleichgültigen.«
Eine perfekt treffende Aussage, denn ohne eine große schweigende Mehrheit gäbe es für viele Verbrechen keine Durchführungsmöglichkeit, sowohl im eigenen Land als auch in der Welt.
Der Albtraum der Menschen in Syrien ist noch lange nicht zu Ende, aber diese Geschichte bewegt die Herzen und schafft es vielleicht, ein bisschen Hoffnung zu machen.

Rafik Schami wurde selbst in Damaskus geboren und verlebte dort seine Kindheit und Jugend. Als junger Mann kam er nach Deutschland und hat im Lauf der Jahrzehnte viele großartige Bücher geschrieben und zahlreiche Auszeichnungen erlangt. Ich empfinde sein Werk als ungeheuer wertvoll und habe auch dieses Buch, trotz des ernsten Themas, sehr genossen.

Fazit: Unbedingt lesen! Eine großartige Geschichte, mal faszinierend und lustig, mal traurig und schockierend. Und immer sehr berührend.


»Wir träumen alle davon, Schmetterlinge zu werden, doch man will uns nur als Raupen leben lassen.«

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.09.2017
Burger, Wolfgang

Tödliche Geliebte / Kripochef Alexander Gerlach Bd.11


sehr gut

Das Geschoss hatte den Toten mitten im Gesicht getroffen, dabei die Nase zerschmettert und war vermutlich am Hinterkopf wieder ausgetreten.
»Gucken sie mal!« Bud Spencer deutete auf die Füße des Toten, die in Puma-Sportschuhen steckten, deren alarmrote Schnürsenkel nicht gebunden waren. »Der Killer hat versucht, den armen Kerl auch noch anzuzünden!«

Ein neuer rätselhafter Fall beschäftigt Kriminaloberrat Alexander Gerlach und seine Heidelberger Kollegen. Ein junger Wissenschaftler wurde in seiner Wohnung erschossen, dann angezündet und wieder gelöscht. Bei ihren Ermittlungen werden die Beamten auf eine junge Frau aufmerksam, die scheinbar seit einiger Zeit mit dem Opfer befreundet war, sich stets sehr bedeckt und scheu präsentierte und die nun plötzlich verschwunden ist. Die Suche nach ihr wird Alexander und sein Team in einen wahren Sog von Verbrechen ziehen, der Mord an dem Wissenschaftler war scheinbar nur der Anfang…

Es hat mich nicht überrascht, aber auch diesen elften Band aus der Reihe um Alexander Gerlach habe ich wieder von vorne bis hinten genossen. Die Krimihandlung ist raffiniert und spannend, wartet mit immer neuen Spuren, Ansätzen und falschen Fährten auf und hatte bis zum Ende Überraschungen parat. Die Ermittlungsarbeit wirkte logisch und schlüssig und ebenfalls wie erwartet war sie wieder eine tolle Teamarbeit der Heidelberger Polizisten. Als Besonderheit darf diesmal der von schwerer Krankheit genesene Rolf Runkel endlich mal zeigen, was in ihm steckt!

Alexander mochte ich schon immer, er ist ein schlauer Kopf und dabei so herrlich menschlich mit seinen diversen Schwächen. Wobei er mit seinen sechzehnjährigen Zwillingstöchtern zumindest in diesem Band viel besser zurechtkommt – scheinbar ist er an seiner Aufgabe gewachsen. Allerdings sorgt nun eine andere Stelle für privaten Ärger, nämlich seine Mutter, die eines Tages bei ihm auftaucht und beabsichtigt, zu bleiben. Ich bin jetzt schon gespannt, wie es an dieser Front im nächsten Band weitergeht! Ein Einsteigen in die Reihe ist mit jedem Band möglich, Vorkenntnisse sind nicht notwendig.

Fazit: Diese Reihe ist für mich mittlerweile ein Garant für gute und intelligente Krimiunterhaltung, spannend und mit einem ordentlichen Schuss Humor.

»Oma nervt euch ziemlich, was?«
Sarah seufzte. … »Irgendwie ist sie ja auch ganz witzig. … Und weißt du, was sie uns gestern gefragt hat? … Ob wir einen alten Laptop für sie hätten. … Sie will, dass wir ihr einen Facebookaccount einrichten. Wahrscheinlich schickt sie uns eine Freundschaftsanfrage. Was sollen wir dann machen?«