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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1112 Bewertungen
Bewertung vom 19.11.2023
Bieber, Florian

Pulverfass Balkan (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Der nächste Brandherd, diesmal direkt vor unserer Haustür?

Autor Florian Bieber, geboren 1973, gilt als einer der besten Kenner der Balkanregion. Er ist Professor für Geschichte und Politik Südosteuropas an der Universität Graz und Leiter des dortigen Zentrums für Südosteuropastudien.

In diesem Buch zeigt er die komplexen wie fragilen Machtverhältnisse in Südosteuropa auf. Schon vor dem Ersten Weltkrieg ist das Zusammenspiel der vielen Ethnien, von denen zahlreiche durch das Habsburgerreich (entweder als Schutzmacht oder als Gegner) zusammengehalten worden sind, krisenanfällig und instabil. Das hat sich nach dem Ersten Weltkrieg nicht wirklich verbessert.

In 16 Kapiteln zuzüglich Vorwort und Ausblick erfährt der interessierte Leser, wie der Balkan im Laufe der Jahrhunderte zu dem wurde, was er heute ist. Spielball zahlreicher Diktatoren, oftmaliger (Bürger)Kriegsschauplatz sowie Spielwiese von ausländischen Investoren, die nicht immer das Wohl des Balkans, sondern ihr eigenes im Sinn haben.

Das Pulverfass
Blockfrei und isoliert
Die neue Weltordnung und der Krieg in Jugoslawien
Kosovo 1999. Zeitenwende für Russland und China
Das Europäische Labyrinth
Die Stunde Amerikas
Großer Bruder Russland
Jeden Tag ein Krieg
Putsch! Oder doch nicht?
Straßenfeger Sultan Süleyman
»Die Türkei ist Kosovo, Kosovo ist die Türkei.«
Dubai am Balkan
»Warum kommen immer mehr Araber?«
Die Autobahn ins Nirgendwo
»Danke, Bruder Ši!«
Die Symbiose der Autokraten

Dieses sehr gut recherchierte Buch zeigt und, dass die Grenzen am Balkan nach wie vor nicht eindeutig sind, dass Autokraten sich über internationale Verträge mehr oder weniger offen hinwegsetzen. In dieser ethnisch und religiös durchmischten Region ist das Bilden von Nationalstaaten, wie es im 19. Jahrhundert in Europa mehrheitlich gelungen ist, kaum realisierbar. Nach dem Zerfall Jugoslawiens haben dies ja einige Diktatoren probiert, was in Völkermord und Krieg gemündet hat. Über Jahrzehnte gewachsene Generationen und Strukturen werden durch Willkür auseinandergerissen. Die Risse gehen nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch oft durch Familien.

Wie eine friedliche Zukunft aussehen könnte? Schwer zu sagen, denn das Ziel, der EU beizutreten hat für einige der Machthaber nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren. Die EU ist mit eigenen Querelen beschäftigt und eine Einstimmigkeit, die für die meisten Beschlüsse notwendig ist, ist immer öfter nicht erreicbar.

„Auf dem Balkan ist diese Zukunft nur noch schwer zu erkennen. Das liegt nicht daran, dass die Bevölkerung die EU ablehnt. Das tut sie nicht. Dennoch hat die Europäische Union nicht mehr den Ruf, für die eigene demokratische Zukunft der Länder zu stehen. Zu oft haben EU‑Politiker Autokraten auf dem Balkan hofiert, keine kritischen Worte gefunden, als diese angebracht gewesen wären, und eigene Interessen bei Migration und Terrorismus über die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gestellt.“

Meine Meinung:

Das Buch ist penibel recherchiert und für Leser, die sich mit den Machtverhältnissen am Balkan gut auskennen, eine sehr gute Zusammenfassung der Ereignisse der letzten 100 Jahre. Auch jenen Leser, die sich erstmals in die komplexen Verhältnisse der Balkanregion einlesen wollen, kann ich dieses Buch empfehlen. Möglicherweise ist der Lesefluss wegen der Fülle der wechselnden Machthaber ein wenig verlangsamt, da mitunter immer wieder die eine oder andere Persönlichkeit nachgelesen werden muss.

Die wirtschaftliche Inhomogenität der Balkanstaaten nutzen Großmächte wie China, um ihren Einfluss in und auf Europa zu erhöhen, wobei hier natürlich die eigenen Interessen vorwiegen. Wenn ich in den letzten Tagen gelesen habe, dass Italiens Ministerpräsidentin Meloni die Asylsuchenden aus aller Herren Länder ausgerechnet im Armenhaus Europas, in Albanien, ansiedeln, macht das nächste Pulverfass auf.

Fazit:

Diesem penibel recherchierten und verständlich dargebotenen Zeitdokument gebe ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 19.11.2023

Gin-Quiz


ausgezeichnet

Dieses 8 cm im Quadrat große Quiz lädt Fans des Wacholderschnapses ein, in geselliger Runde 100 Fragen zu stellen und natürlich auch richtig zu beantworten. Die Kärtchen sind in einer kleinen Schachtel enthalten und können daher überall hin mitgenommen werden. Eine Spielanleitung, die mehreren Varianten vorschlägt, liegt bei.
Zugegeben, einige Fragen sind dabei, vor denen sowohl Einsteiger kapitulieren, als auch echte Koryphäen vor eine große Herausforderung stellen. Andere Fragen lassen sich leicht beantworten. So wird hier dem unterschiedlichen Niveau der Gin-Fans (und solchen, die es noch werden wollen) Rechnung getragen.

Die Kärtchen greifen sich haptisch sehr gut an. Auf der Vorderseite stehen die Fragen, auf der Rückseite die Antworten - wie beim klassischen Quiz eben. Die Themen der Fragen sind breit gestreut. Man erfährt einiges über den Brennvorgang, über Zutaten, Mixgetränke, Geschichte, Kultur, Film, Literatur, Musik sowie über berühmte Persönlichkeiten, die Gin in seinen verschiedenen Varianten schätz(t)en. Zum Beispiel Ozzy Osborne, Queen Elizabeth und ihre Mutter.

Sehr spannend zu beobachten ist, wie nach der Beschäftigung mit dem Quiz die Aufmerksamkeit auf Gin fokussiert wird. Nahezu überall lassen sich plötzlich Ginflaschen erkennen.

Aufgrund des handlichen Formates und des günstige Preises (ca. 14 Euro) ist das Quiz, das im Gruppelo-Verlag erschienen ist, auch als Mitbringsel zu einer geselligen Runde sehr gut geeignet.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Quiz, das es übrigens auch für Whisky-Fans, Wein- und Biertrinker gibt, 5 Sterne.

Bewertung vom 16.11.2023
Neuhold, Thomas

Skitouren-Schmankerl


sehr gut

Der Doyen des Alpinjournalismus, Thomas Neuhold, stellt in diesem Buch „seine“ liebsten 100 Skitouren vor. Dabei hat er - wie er sagt - eine höchst subjektive Auswahl getroffen. Sein Motto lautet: „Genuss statt Leistung“.

Seit einigen Jahren erfreut sich das Skitouren-Gehen immer größerer Beliebtheit. Deshalb sind bereits zahlreiche Bücher über diesen, vom Hobby weniger Freaks zu einem Sport für viele, gewordene Freizeitbeschäftigung, erschienen. Leider zeigen es auch die Unfallzahlen, dass sich immer mehr Menschen in die verschneite Landschaft begeben, ohne ausreichend vorbereitet zu sein. Deswegen ist es Thomas Neuhold ein Herzensanliegen, den Skitourengehern, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittene, die wichtigsten Verhaltensregeln zu predigen. Ja, predigen ist wohl der richtige Ausdruck, denn man kann es nicht oft genug sagen: Auf die richtige Planung kommt es an. Was nützt die beste (teuerste) Ausrüstung, wenn man die Regeln Lawinen- und Wetterkunde nicht kennt? Eben!

Jede Tour enthält eine verbale Beschreibung, Informationen zu Ausrüstung und Einkehr, ein Foto und eine Kartenskizze, nicht ohne die nochmalige Aufforderung, jede Tour auch ordentlich zu planen.

„Gut geplant, gut vorbereitet und gut ausgerüstet macht eine Skitour in Summe einfach mehr Spaß. Risikomanagement hat auch einen hedonistischen Faktor. Lasst euch nicht stressen, auch von der Gruppe nicht. Das Leistungsprinzip soll im Tal bleiben, niemand muss dem anderen etwas beweisen. Im Gegenteil: Wer Bedenken oder eigene Probleme nicht thematisiert, handelt fahrlässig und gefährdet sich und andere. Die Anzahl der Herzerl und Likes stehen übrigens dann auch nicht auf dem Grabstein.“

Das Buch ist in Klappenbroschur erschienen und enthält auf Vorsatz- Nachsatzseiten jeweils eine Landkarte, in der die 100 Touren eingezeichnet sind.

Fazit:

Diesem Buch, in dem Thomas Neuhold seine 100 liebsten Skitouren zeigt, gebe ich gerne 4 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2023
Stockhammer, Nicolas

Trügerische Ruhe (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieses Buch ist zum dritten Jahrestag des Terroranschlags in Wien (2. November 2020), bei dem vier völlig unbeteiligte Personen ermordet und 23 verletzt worden sind, erschienen.

Terrorismusforscher Nicolas Stockhammer geht in seinem gut strukturierten Buch der Frage nach, ob und wie der Anschlag verhindert werden, hätte können. Eine Frage, die seitdem Justiz und Politik beschäftigt. Der Autor ortet Behördenversagen, da das (inzwischen aufgelöste) Bundesamt für Verfassungsschutz und (BVT) seinen Fokus auf die „Operation Luxor“, eine groß angelegte Razzia im Milieu der Muslimbrüder sowie der diversen Corona-Demos vorgelegt hat. Zusätzlich war das chronisch unterbesetzte BVT mit sich selbst beschäftigt. So ist dem Attentäter die Entwicklung vom schmächtigen Jugendlichen zum überzeugten Islamisten direkt unter den Augen des Staatsschutz gelungen.

Der Autor geht in seinem Buch nicht nur auf den Mann, der dem Verfassungsschutz bereits als Jugendlicher aufgefallen war und sich dem Islamischen Staat als Kämpfer anschließen wollte und sich dann im Gefängnis weiter radikalisiert hat, sondern auch auf Trends und Phänomene des europäischen Jihadismus ein. Denn, so Nicolas Stockhammer sind einige Stationen in der Entwicklung des Wiener Attentäters symptomatisch für Attentäter europäischer Prägung. Europa ist mit sogenannten „Einzeltäter Plus“, also eine Art „Gelegenheitsterroristen“ konfrontiert, die durch ihren „Low-Level-Terrorismus“ besonders schwer auszumachen sind. Oft reichen schon ein Küchenmesser oder Auto (wie in Nizza oder Barcelona), um Terrorakte zu verüben.

Wie solche Anschläge in Zukunft vermieden werden können? Die potenziellen Täter kommunizieren vor allem über Messenger-Dienste und besorgen sich ihre Waffen im Darknet. Hier hat Österreich einen Nachholbedarf anderen Ländern gegenüber, deren Nachrichtendienste über deutlich mehr Personal und Befugnisse verfügen.

Seit dem 2. November 2020 ist klar: Auch Österreich und Wien sind keine Inseln der Seligkeit. Die trügerische Ruhe, die bislang geherrscht hat, hat es dem Attentäter nicht allzu schwer gemacht, seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Fazit:

Diesem profunden Überblick über die aktuelle terroristische Bedrohungslage in Europa und Österreich gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2023
Bartl, Alexander

Der elektrische Traum. Fortschrittsjahre oder eine Gesellschaft unter Strom


ausgezeichnet

Historiker und Autor Alexander Bartl entführt seine Leser wieder in das 19. Jahrhundert, das eine spannende Zeit des Umbruchs ist. Zahlreiche Erfindungen verbessern den Alltag, machen allerdings auch vielen Menschen Angst. In diesem Sachbuch bringt er uns den Aufstieg der Elektrizität näher.

Ein zentraler Punkt des Siegeszuges der Elektrifizierung von Gebäuden sind Brände in Theatern. Neben dem Brand des Theaters in Nizza im März 1881 ist es der Brand des Wiener Ringstraßentheaters im November desselben Jahres, der mehreren Hundert Menschen das Leben gekostet hat, die den Siegeszug der elektrischen Beleuchtung antreibt. Der Brand in Wien ist neben organisatorischen und baulichen Mängeln (fehlende Trennung von Bühne und Zuschauerraum, enge, mit brennbaren Materialien ausgestattete Stiegenhäuser und nach innen aufgehende Ausgänge) ist vor allem auf die Beleuchtung mit Leuchtgas zurückzuführen, die zusätzlich noch schlecht gewartet worden ist. In den Jahren zuvor ist elektrisches Licht als Spielerei für Reiche abgetan worden - illuminiertes Vergnügen.

Dabei sind Explosionen aufgrund von undichten Gasleitungen unter der Erde und in den Häusern fast schon an der Tagesordnung.

Manch einer sieht in der Elektrizität mehr Vor- als Nachteile, dennoch will man sich - schon aus Prinzip - nicht vom gefüllten Futtertrog des Monopols nicht vertreiben lassen.

»Es ist inakzeptabel, dass irgendein zweifelhafter Wettbewerber das Recht der Gasgesellschaften verletzt, Straßen und Häuser zu beleuchten. Denn das ist allein ihr Vorrecht, aus Tradition und aus Prinzip.«

Meine Meinung:

Alexander Bartl versteht es sehr gut, die Forschungen von Thomas Alva Edison und seinen Mitarbeitern darzustellen. Er verschweigt auch nicht, dass Edison ein manchmal schwieriger Mensch war. Die technischen Details, die dem elektrischen Strom zum Sieg über das Leuchtgas verhelfen, sind gut beschrieben. Ebenso können sich die Leser ein Bild von den gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Umstellung auf elektrische Beleuchtung machen. Natürlich wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Elektrizität im kleinsten Winkel der Welt angekommen ist. Es ist faszinierend zu erfahren, welche Vorbehalte die Menschen damals der Elektrifizierung gegenüber hatten. Gleichzeitig war man aber von dieser neuen Erfindung so fasziniert, dass es zum guten Ton gehört hat, Strom-Partys zu veranstalten.

Wir erfahren, dass Thomas Alva Edison und George Westinghouse, ein weiterer Strompionier, erbittert um die Antwort auf die Frage, ob „Gleichstrom“ oder „Wechselstrom“ sicherer sei, kämpften. Edisons Mitarbeiter Harold Brown hat sogar einen elektrischen Stuhl konstruiert, der zunächst als „Party-Gag“ verwendet worden ist. Recht bald (1889) hat er als „humanes“ Vollzugsinstrument der Todesstrafe in Amerika seine Verwendung gefunden.

Wie schon zuvor das Buch „Walzer in Zeiten der Cholera“ ist auch dieses hier akribisch recherchiert. So erhalten wir Einblick in das künstlerische Schaffen des Franz Jauner, seines Zeichens Direktor des Carlstheater in der Leopoldstadt und späterer Direktor des Ringtheaters.

Die historischen Fakten sind geschickt mit den technischen Details verknüpft. Auszüge aus Zeitungsberichten und/oder Korrespondenz vervollständigen das lebendige Bild dieser Zeit wie dieses Zitat aus „Der Bautechniker“ vom 2. März 1883 zeigt.

»Die Gasgesellschaften bringen nämlich den Verlust, den ihnen das vordringende elektrische Licht verursacht, dadurch wieder herein, daß sie das Gas in erhöhtem Masse zu Heizzwecken verwenden. Durch diesen Anstoss ist übrigens eine solche Zahl nützlicher Heizapparate construirt worden, daß sich auch in dieser Richtung eine neue Aera eröffnet, indem nämlich in der Zukunft immer mehr die Heizung der Herde, ja sogar der Oefen mittelst Gases bewerkstelligt werden wird.«

Man sieht, die Inhaber der Gasgesellschaften sind keine Sozialfälle geworden.

Schmunzeln musste ich, als sich ausgerechnet Brünn, das damals als „Manchester von Mähren“ mit der Auszeichnung, das erste vollständig elektrische Theater zu haben, schmücken durfte. Paris, Wien, Berlin oder München - alle wurden sie vom Stadttheater Brünn, das sein ebenfalls im Jahr 1881 abgebranntes Theater durch einen Neubau ersetzen ließ, ausgestochen.

Ergänzt wird das Buch durch kurze Lebensläufe jener Personen, die bei der Verwirklichung des elektrischen Traums maßgeblich mitgewirkt haben bzw. davon betroffen waren.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser fesselnd erzählten Geschichte rund um den „elektrischen Traum und der Gesellschaft unter Strom“ 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.11.2023
Haenni, Stefan

Eiffels Schuld


gut

In diesem historischen Roman sollte es eigentlich, wie Titel, Cover und Klappentext versprechen, um das Eisenbahnunglück vom 14. Juni 1891 gehen. Ich schreibe absichtlich „sollte“ und „eigentlich“.

Denn bevor es dazukommt, lernen wir Ida Gysin kennen, die in den Kondukteur der Jura-Simplon-Bahn, Wilhelm Münch, verliebt ist und der plötzlich verschwindet. Nachforschungen ergeben, dass er mit einem Kollegen Streit hatte. Außerdem stellt sein Freund Karl Ida nach. Als sich herausstellt, dass Ida schwanger ist, heiratet sie Karl, um der Schande eines unehelichen Kindes zu entgehen.

Ein zweiter Handlungsstrang führt uns nach Paris ins Konstruktionsbüro des Gustave Eiffel, der gemeinsam mit einem Mitarbeiter am später Eiffel-Turm genannten Wahrzeichen von Paris arbeitet. Daneben sind zahlreiche Brücken zu konstruieren sowie der Ärger mit dem Bau des Panama-Kanals auszuhalten.

Erst im 23. von 45 Kapiteln kommt es zu diesem dramatischen Zugsunglück, bei dem 73 Menschen sterben und 170 verletzt werden. Ida und ihr kleiner Sohn Willi überleben beinahe unverletzt. Karls Leiche wird erst Wochen später gefunden. Als sie Karls Taschenuhr erhält, muss sie mit einem schrecklichen Verdacht weiterleben.

Meine Meinung:

Leider geht das Zugsunglück, das zu den schwersten in der Schweiz zählt, in der Geschichte rund um Ida, Wilhelm und Karl, die sich sehr gut als Krimi eignet, fast unter.

Das ist ziemlich schade, denn sowohl die Rettungs- und Bergungsaktionen sowie das nachfolgende Gerichtsverfahren sind sehr gut dokumentiert. Es gibt Freisprüche für alle Angeklagten, weshalb der Titel „Eiffels Schuld“ als Titel des Buchs nicht richtig erscheint. Die Schuldfrage wird im Prozess diskutiert, aber der Sachverständige laviert herum. Tatsache ist, dass wegen des großen Andrangs zu einem Fest zwei Waggons und eine tonnenschwere Lokomotive als Vorspann angehängt worden sind, obwohl die Brücke über die Birs durch einen Schaden am Widerlager eine solche (Zusatz)Belastung möglicherweise nicht standhalten würde. Auch die Geschwindigkeitsbeschränkung seit der Freigabe 1875 von 30 km/h wird nicht eingehalten. Man fährt also mit einem längeren, wesentlich schwereren Zug, in dem rund 500 Personen sitzen, mit höherer Geschwindigkeit über eine nicht ordentlich gewartete Brücke - und niemand hat Schuld an diesem Unglück. Immerhin leistet die Jura-Simplon-Bahngesellschaft hohe Entschädigungszahlungen. Doch ein Schuldeingeständnis?

Leider hat mich der Schreibstil nicht wirklich fesseln können. Der Autor schwankt zwischen genauen maschinenbautechnischen Beschreibungen, die mich als Technikerin und Eisenbahnfan jetzt nicht stören, aber Leser, die sich mit „Querträgern, unteren Gurtungen, übereck reichende Flacheisen sowie Dreiecksverbände, die den nötigen Widerstand gegen Verschiebungen leisten.“ nicht auskennen, werden doch recht unsanft aus dem Lesefluss gerissen und häufig hölzern wirkenden Dialogen sowie Details, die die Handlung keinen Millimeter weiterbringen.

Auch das Verquicken des fiktiven Handlungsstrang Ida & Co., mit Gustave Eiffel und dem Eisenbahnunglück halte ich nicht für gut gelungen. Eine Trennung in einen historischen Roman, der sich voranging mit dem Eisenbahnunglück beschäftigt und in einen „Historischen Krimi“ mit Ida, Wilhelm und Karl als Hauptfiguren hielte ich für die bessere Lösung. Vor allem auch deswegen, weil es mit Idas Vater, der mit Karl ein Geheimnis zu teilen scheint und einen Detektiv bezahlt, um Wilhelm suchen zu lassen, den er eigentlich gar nicht als Schwiegersohn haben will, einen ziemlich widersprüchlichen Charakter gibt, der bei mir für allerlei Argwohn sorgt.

Nun ja, es ist so, wie es ist.

Fazit:

Leider kann ich diesem historischen Roman nur knappe 3 Sterne geben. Die Gründe sind oben genannt.

Bewertung vom 14.11.2023
Lohmann, Eva

Das leise Platzen unserer Träume (eBook, ePUB)


sehr gut

Wer kennt nicht jemanden, dessen Traum laut oder leise zerplatzt? Man träumt von einem Haus am Land (mit Garten, Pool und Kindern) oder einer tollen Wohnung, und kaum geht der Traum ganz oder teilweise in Erfüllung, zerplatzt die Idylle?

„Wie lange wollen wir das noch durchziehen? Jule hatte das Gefühl, die Frage schwebte wolkengleich über dem gemeinsamen Bett, für Jule so unangenehm präsent, dass es ihr schwerfiel, sie nicht auszusprechen.“

Dieser Roman vom Platzen der Träume spielt sich zwischen Jule, Hellen und David ab. David ist Arzt und mit Jule verheiratet. Sie bewohnen auf dem Land ein Haus mit Garten. Zum perfekten Glück fehlen noch (?) Kinder. Doch dann sitzt Jule plötzlich allein zu Hause, weil David ein heimliches Verhältnis mit Hellen hat. Man richtig mit Jule überlegen, wann und warum haben sie sich als Ehepaar voneinander entfernt? Ist es der unerfüllte Kinderwunsch, der Sex auf Knopfdruck und nach dem Kalender erfordert? Oder das erreichte Ziel - ein gemeinsame Haus?

Jedenfalls freundet sich Jule via Internet mit der alleinerziehenden Mutter von Zwillingen und Bloggerin Hellen an, ohne zu wissen, dass diese Davids Liebschaft ist. Erst ein Paar ausgefallene Laufschuhe, die sie zunächst für ihr Geburtsgeschenk hält, dann aber stolz von Hellen auf ihrem Blog präsentiert werden, öffnet ihr die Augen.

Meine Meinung:

Solche Beziehungsgeschichten gehören üblicherweise nicht unbedingt in mein Beuteschema. Aber ich wollte einmal über den Tellerrand hinausblicken.

Die Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt: jeweils alternierend aus jener der Ehefrau und jener der Geliebten. Während Jules Sicht eher eine beschreibende ist, ist die von Hellen eine sehr aktive. Sie spricht Jule quasi direkt an, obwohl sie sich ja vorerst gar nicht kennen. David kommt bei beiden Frauen vor, hat aber keinen eigene „Kolumne“.

Letztlich kommt es zu einer doch unerwarteten Wendung.

Fazit:

Aus geplatzten Träumen entsteht häufig etwas Neues. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2023
Gridling, Peter

Überraschungsangriff


ausgezeichnet

Als am 28. Februar 2018 eine Armada von Staatsanwälten und Polizeibeamten sich frühmorgens unter falschen Angaben den Zutritt zu den Büros verschaffen, gerät die Welt des Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, kurz BVT, aus den Fugen. In einer in der Zweiten Republik noch nie dagewesenen Kommandoaktion werden die diensttuenden Beamten mit folgenden Worten bedroht:

"Nehmen Sie sofort Ihre Hände von der Tastatur und vom Telefon und treten Sie zurück. Ich bin Angehöriger der Generaldirektion, und somit Ihr Vorgesetzter. Sie werden daher meinen Weisungen folgen. Sollten Sie versuchen, zu telefonieren oder auf andere Art jemanden zu verständigen, können Sie gleich mit der Staatsanwältin weiterreden. Dies wird Ihnen als Widerstand gegen eine Amtshandlung oder als Begünstigung ausgelegt und es droht Ihnen eine Anzeige und ein Strafverfahren."

Wenig später sind Zentralschlüssel, Zutrittskarten sowie willkürlich Computer, Mobiltelefone und Akten beschlagnahmt.

Wie es zu diesem Überraschungsangriff kommen konnte, wer welche Fäden gezogen hat und wer Nutznießer dieser höchst dubiosen Aktion war/ist, versucht der damalige Leiter des BVT Peter Gridling mit diesem Buch, das gleichzeitig Aufarbeitung und Abrechnung ist, nachzuvollziehen. Gridling nennt jene Namen, die er für Draht- und Strippenzieher hält, die eine Nähe zum damaligen Innenminister Kickl haben.

Gefallen hat mir, wie Peter Gridling die ganze Causa inklusive parlamentarischen Untersuchungsausschuss so objektiv wie ihm möglich war, dargestellt hat. Dazu hat auch die Einführung des fiktiven Journalisten beigetragen, der die Zerstörung einer wichtigen Behörde durch politische Ränkespiele einer Partei quasi „hautnah“ miterlebt hat.

Dass bei einem Regierungswechsel eigene Parteigänger, Freunde und Günstlinge in meist hohe Positionen gehievt werden und dafür langgediente Mitarbeiter der scheidenden Regierung entweder auf ein Abstellgleis oder gleich gänzlich abserviert werden, ist grundsätzlich nichts Neues - weder in Österreich noch anderswo. Was aber doch neu und erschreckend ist, ist die Methode, mit der hier vorgegangen wurde. Dieser Einblick hinter die Kulissen von Politikerinterventionen und Machtspielen ist informativ und erschreckend zugleich. Es ist beruhigend, dass dieses Buch erscheinen konnte.

Der Schaden, den diese Aktion angerichtet hat, ist allerdings kaum wiedergutzumachen. Allein die Umbenennung in Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) sowie das Austauschen von Führungskräften oder Türschildern wird nicht genügen. Man wird sich das Vertrauen im In- und Ausland schwer erarbeiten müssen. An den Folgen, ausländische Nachrichtendienste haben Österreich als nicht 100% vertrauenswürdig eingestuft, wird das Land noch zu kiefeln haben, wie Terrorismusforscher Nicolas Stockhammer in seinem Buch zum Terroranschlag vom 2. November 2020 „Trügerische Ruhe“ dargelegt hat. Vermutlich wären Informationen zu dem Attentäter früher an die maßgeblichen Stellen geleitet worden.

Fazit:

Man könnte versucht sein, an Österreichs Rechtsstaatlichkeit zu zweifeln. Dass das Buch erscheinen kann, versöhnt einen wieder mit der österreichischen Justiz. Ein wichtiges Buch, dem ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung gebe.

Bewertung vom 14.11.2023
Ziegler, Silke

Böse Stimmen. Ein Fall für Sina Engel


ausgezeichnet

KHK Sina Engels Leben verläuft nun wieder in ruhigeren Bahnen. Nach dem gewaltsamen Tod von Carlo, ihrem Kollegen, Lebenspartner und Vater ihrer kleinen Tochter beginnt sie langsam wieder zu leben und hat sich in Matthias, wieder einen Kollegen, verliebt.

Blöderweise ist sie den Anzüglichkeiten ihres neuen Chefs, Frank Watzlawski, ausgesetzt, der kein gutes Haar an ihr lässt und sie bedrängt „bei einem Abendessen ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen“. Das und ein anonymer Brief, in dem der Absender mitteilt, dass „das Spiel beginnt“, nagt an ihrem Selbstwertgefühl. Es wird nicht bei dem einen Brief bleiben und noch weiß niemand, welches Spiel gemeint ist. Doch nach einem weiteren Brief, in dem Sina aufgefordert wird, sich zwischen „Mann oder Frau“ zu entscheiden, wird, weil sie die Aufforderung ignoriert, ein junges Paar ermordet. Wenig später erneut ein Brief, diesmal soll sie sich zwischen „jung oder alt“ entscheiden.

Neben der katastrophalen beruflichen Situation hat es die alleinerziehende Mutter einer knapp 15 Monate alten Tochter nicht einfach. Der Spagat zwischen fordernden Arbeit, Überstunden und dem schlechten Gewissen, wenn sie Clara in die Kinderbetreuung bringt, ist schon aufregend genug. Die private Situation spitzt sich durch eine mögliche Erkrankung ihre Mutter, die gemeinsam mit ihrem Mann Sina nach Kräften unterstützt, zu. Zusätzlich belasten sie das Auftauchen von Matthias‘ Ex-Freundin und die Eheprobleme ihrer Schwester Natascha.

Weitere Briefe und Morde folgen. Fieberhaft wird nach dem Mörder gesucht und während Sinas Team zu ihr hält und alles Menschenmögliche unternimmt, den Täter zu entlarven, fällt ihr Watzlawski in den Rücken und wirft ihr Unfähigkeit vor, enthält ihr aber jede Unterstützung vor. Als sie sich in einem weiteren Brief zwischen „Clara und Matthias“ entscheiden soll, wird sie von Watzlawski der Leitung der Ermittlungen enthoben, nur um sie Matthias zu übergeben.

Wird Sina die Aufforderung wieder ignorieren?

Meine Meinung:

Für mich ist dieser Krimi der erste von Sina Engel. Wie konnte diese Reihe bislang an mir vorüber gehen? Ich muss die drei Vorgänger schleunigst nachlesen.

Der Krimi steigert die Spannung von Brief zu Brief. Und auch die privaten Nebenbaustellen tragen zum Nervenkitzel bei. Leider kann Sina nicht aus ihrer Haut heraus und hört sich geduldig die Eheprobleme ihrer Schwester an. Die hätte ich an ihrer Stelle genauso in Schranken gewiesen wie Nathalie, Matthias Ex-Freundin.

Als Leser erfährt man auch die krausen Gedanken des Täters, weiß aber lange seinen Namen nicht. Er steigert sich von Seite zu Seite, von Brief zu Brief, in seine Rachegelüste hinein. Ganz kurz, vor dem ersten Doppelmord, hatte ich ja Watzlawski als Täter in Verdacht. Einen Mann, der alles tut, um eine fähige Kollegin, die nicht auf seine Avancen einsteigt, zu desavouieren. Doch die derben Ausdrücke mit denen er Sina Engel beschimpft, passen nicht zu ihm und für bipolar halte ich ihn nicht. Für einen großen A allerdings schon. Ich denke, in einem der nächsten Fälle wird er über sich selbst stolpern.

Silke Ziegler gelingt es, einen Krimi zu schreiben, den man kaum aus der Hand legen kann. Ich freue mich auf die drei Vorgänger, die in der Städtischen Bücherei vorrätig sind.

Fazit:

Gern gebe ich diesem spannenden Krimi 5 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2023
Nagele, Andrea

Und nebenan der Tod


sehr gut

Gleich im Prolog werden die Leser Zeugen eines Verbrechens: Ein Paar vergräbt eine Leiche. Noch weiß man nicht wer und wo sie sind und wer der tote Körper ist.

Dann lenkt Krimi-Autorin und Psychotherapeutin Andrea Nagele die Aufmerksamkeit der Leser auf zwei Paare: Adele und Niklas in Venedig sowie Veronika und Konstantin in Berlin.

Die gebürtigen Hamburger Adele und Niklas bewohnen ein kleines Haus auf der Giudecca, dem historischen Stadtteil von Venedig. Alles könnte wunderbar sein, wenn nicht Marlene, eine gemeinsame Freundin in Berlin, nach einer Kopfoperation Hilfe benötigen würde, und die beiden spontan beschließen, sofort nach Berlin zu reisen. Dazu wollen sie mittels Wohnungstauschbörse eine Unterkunft finden. Recht schnell meldet sich das andere Paar, das schon länger vorhat, Berlin zu verlassen, egal wohin, in den Süden soll es gehen.

Beim Skypen findet man sich sympathisch, der Wohnungstausch beschlossen. Bei der Ankunft der beiden Paare kommt es zum Kontakt mit jeweils einer Nachbarin, die sich augenscheinlich zu sehr für die Neuankömmlinge interessiert. Adele und Niklas bereuen es schon fast, ihr schönes Haus in Venedig verlassen zu haben. Nur das Pflichtgefühl Marlene gegenüber hält sie noch in Deutschland. Doch dann stürzt die neugierige Nachbarin, die zuvor von Konstantins Freundin Pauline und dem gemeinsamen Baby erzählt, aus dem Fenster und stirbt.

Meine Meinung:

Der Prolog suggeriert einen spannenden Thriller, bei dem quasi das Ende, nämlich ein Mord, inklusive Beseitigung des Opfers, vorangestellt ist. Doch Andrea Nagele führt ihre Leser ein wenig an der Nase herum, denn sie präsentiert hier ein Thriller, in dem nicht der Mord im Vordergrund steht, sondern ein Psychodrama.

Keine der vier Hauptpersonen ist wirklich sympathisch. Adele und Niklas leiden an ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Allerdings wirkt Adele selbst noch sehr kindlich. Dazu trägt die eigenartige Beziehung zu ihrem Vater, den sie häufig anruft und der seiner „Kleinen“, seinem „Kindchen“ alle Steine aus dem Weg räumt und das Loch auf dem Konto stopft. Niklas kommt gegen den dominanten Schwiegervater, der wie eine schwarze Wolke über den beiden hängt, nicht an und scheint resigniert zu haben. Immerhin partizipiert er von den Verbindungen und dem Vermögen.

Das andere Paar, Veronika und Konstantin führt eine, wie es scheint toxische Beziehung, wie gefährlich, erfährt der Leser erst gegen Ende des Thrillers. Auch das eigenartige Verhalten zum jeweiligen Freundeskreis des anderen, gibt einem zu denken. Es scheint, als hätte sich Veronika auf Biegen und Brechen in Konstantins Leben gedrängt, nun aber, wo sie ihr Ziel erreicht hat, ziemlich unzufrieden damit ist.

Die Spannung ist zu Beginn gar nicht vorhanden bzw. wird durch nerviges Geplänkel wie über z. B. Vor- und Nachteile einer Bialetti gegenüber einer Kapselkaffeemaschine verwaschen. So richtig spannend wird es erst, als die Nachbarin tot auf Beton liegt. Der geübte Leser von Andrea Nageles Büchern hat spätestens ab hier eine Ahnung, was vor sich geht bzw. wie sich die Zusammenhänge ergeben.

Mir persönlich ist die Auflösung ein wenig zu kurz geraten. Es braucht geraume Zeit, bis die Handlung so richtig in Schwung kommt. Ein paar Seiten mehr, um Pauline, die uns nur aus Erzählungen eines dritten (!) Paares, nämlich Jochen und Luise bekannt ist, besser kennenzulernen sowie um die Beweggründe von Veronika und Konstantin für ihre Handlungen zu verstehen, hätten dem Buch gutgetan.

Ich habe Andrea Nagele auf der Buchmesse Wien getroffen. Beim dortigen Interview hat sie erklärt, dass sie bei einem Thriller nicht auf die Tat selbst, sondern eher auf die psychologischen Zusammenhänge Wert legt. Als Psychotherapeutin ist sie natürlich mit den Abgründen der menschlichen Seele vertraut und kann aus dem Vollen schöpfen. Ich bin es glücklicherweise nicht, daher hat mir ein Puzzlesteinchen gefehlt.

Fazit:

Ein Psycho-Thriller, der sich erst langsam entwickelt und ein paar Seiten mehr verdient hätte. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.