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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 758 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2016
Krankheitsursache empfindliches Genick
Bueß-Kovács, Heike

Krankheitsursache empfindliches Genick


sehr gut

Ein anschaulicher Ratgeber zum Thema Gesundheit

Die Autorin Heike Bueß-Kovács ist nicht nur Ärztin, sondern auch Medizinjournalistin. Sie versteht es, wie am Aufbau dieses Buches deutlich wird, Themen anschaulich zu vermitteln. Im Fokus stehen Krankheiten des Genicks und therapeutische Möglichkeiten zu deren Behandlung. Dabei greift sie nicht nur auf die Schulmedizin zurück, sondern erläutert auch Methoden der Physiotherapie und komplementäre Heilmethoden.

Die Ursachen für Nackenprobleme sind vielfältig. Neben Unfällen und Verletzungen ist der Einfluss der Zivilisation unverkennbar. Büroarbeit, Bewegungsmangel, Überlastung und falsche Körperhaltung tragen ihren Teil dazu bei, dass Schmerzen im Genick auftreten können. Die Autorin beschreibt, welche körperlichen Veränderungen im Zuge solcher Entwicklungen entstehen können.

In dem Buch werden Maßnahmen der modernen Medizin (Injektionstherapie, Neuromodulation u.a.m.), Methoden der Naturheilkunde, Physiotherapie und Osteopathie sowie asiatische Heilmethoden und Entspannungstechniken beschrieben. Die Autorin macht deutlich, in welchen Fällen eine Operation notwendig ist und wann alternative Methoden infrage kommen können.

Die Autorin gibt einen Überblick über die Nahrungsbausteine und äußert sich auch zu Fragen der Ernährung. Sie lässt, wie auch andere Autoren, keinen Zweifel daran, dass Süßwaren und süße Limonaden nicht zu empfehlen sind, äußert sich aber unkritisch zu Kohlenhydraten im Allgemeinen. Das steht im Widerspruch zu Aussagen von z.B. Wolfgang Lutz [1] oder Bruce Fife [2].

An dem Buch fällt positiv auf, dass sich Heike Bueß-Kovács dem Thema ganzheitlich nähert. Da darf neben Yoga auch der Hinweis auf die richtige Matratze nicht fehlen. Zu den Entspannungsübungen gehört auch die Achtsamkeits-Meditation, das Leben im Augenblick. (87) Damit steht sie im Einklang mit anderen Autoren zum Thema [3]. Das Buch ist verständlich und informativ und damit sozusagen für den Endverbraucher verfasst.

[1] Wolfgang Lutz: „Leben ohne Brot“
[2] Bruce Fife: „Gelenkschmerzen“
[3] Britta Hölzel und Christine Brähler: „Achtsamkeit“

Bewertung vom 22.07.2016
Das Universum in der Nussschale
Hawking, Stephen

Das Universum in der Nussschale


gut

Auf der Suche nach der Weltformel

In diesem populärwissenschaftlichen Werk stellt Stephen Hawking die aktuellen Theorien der Raumzeit-Forschung vor. Die Struktur des Buches ist baumartig, so dass man die Kapitel nicht in chronologischer Reihenfolge lesen muss. Es enthält zahlreiche Grafiken, die zu einer optisch gelungenen Gestaltung beitragen. Im Anhang befinden sich Erläuterungen wichtiger Fachbegriffe. Diese sind zum Verständnis auch erforderlich, weil nicht alle Begriffe im Text erklärt sind. Auch wenn das Buch rein äußerlich wie ein populärwissenschaftliches Buch wirkt, handelt es sich nicht um eine leicht verständliche Lektüre.

Der Relativitätstheorie und ihrem Schöpfer Albert Einstein ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Einstein postulierte eine vom Beobachter unabhängige konstante Lichtgeschwindigkeit und entthronte damit die absolute Zeit. Eine Konsequenz aus der speziellen Relativitätstheorie ist das bekannte Zwillingsparadoxon, welches Hawking ausführlich erläutert. Durch Einbeziehung der Gravitation kreierte Einstein eine Theorie der gekrümmten Raumzeit. Es entstand ein neues Modell, welches mit unseren Denkstrukturen nur schwer in Einklang zu bringen ist. Wer kann sich schon ein gekrümmtes vierdimensionales Raumzeit-Kontinuum vorstellen?

Seit den 1920er Jahren ist bekannt, dass sich alle Galaxien von uns fort bewegen. Aus der gegenwärtigen Expansionsrate wird gefolgert, dass sie vor fünfzehn Milliarden Jahren nahe beieinander gewesen sind. Danach kann man auf einen Anfang des Universums und einen Anfang der Zeit schließen. Da die Expansion des Universums nicht schneller als das Licht erfolgen kann, hat das Universum eine endliche Größe. Dies sind wesentliche Fakten, die zur kosmologischen Urknalltheorie geführt haben.

Kann man die Zukunft vorhersagen? Wenn wir den Ort und die Geschwindigkeit aller Teilchen im Universum kennen würden, so meinte im 19. Jahrhundert der französische Naturwissenschaftler Laplace, müssten wir anhand der physikalischen Gesetze den Zustand des Universums berechnen können. Werner Heisenberg wies in den 1920er Jahren nach, dass man niemals gleichzeitig die Position und Geschwindigkeit eines Teilchens bestimmen kann (Unschärferelation). Damit liegt ein gewichtiges Argument gegen die Determiniertheit des Universums vor.

Hawking glaubt an eine Vereinheitlichung der Physik. Er beschreibt die sogenannte M-Theorie als den letzten Stand der aktuellen Forschung. Diese vereinigt die verschiedenen bisher bekannten Stringtheorien (Teilchen werden als Schwingungszustände angesehen) in einem übergeordneten Rahmen. In dieser Theorie haben wir es mit elf Raumzeitdimensionen zu tun. Die vierdimensionale Oberfläche in einer höher dimensionalen Raumzeit nennt Hawking Branwelt. Die Modelle sind, wie Hawking selbst einräumt, äußerst spekulativ. Die Branwelten werden zur besseren Veranschaulichung mit Nussschalen verglichen, daher der Titel des Buches.

Hawking bekennt sich zum Positivismus, wonach nur das Wirkliche, Tatsächliche zur Erkenntnis führt und alle Metaphysik nutzlos sei. Man ist geneigt zu fragen, ob diese Grenze hier nicht überschritten wird – zumindest bewegt die Physik sich in einem Bereich, der jenseits der menschlichen Vorstellungswelt liegt.

„Das Universum in der Nußschale“ ist kein Fachbuch, aber auch kein leicht verständliches populärwissenschaftliches Buch. Stephen Hawking ist ein bekannter Kosmologe, der seinen Leserkreis findet, auch wenn es zu einzelnen Themen anschaulichere Literatur gibt.

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Bewertung vom 22.07.2016
Mittelmäßiges Heimweh (eBook, ePUB)
Genazino, Wilhelm

Mittelmäßiges Heimweh (eBook, ePUB)


sehr gut

Gedehnte Betrachtungen eines emotional Unscheinbaren

Wilhelm Genazino besitzt eine gute Beobachtungsgabe und hat ein Faible für die kleinen Dinge des Lebens. Detailbesessenheit, ungewöhnliche Perspektiven und langatmige Betrachtungen belangloser Ereignisse sind Markenzeichen seiner Romane. Es sind die Unzulänglichkeiten und Peinlichkeiten des Alltags, die seinen Romanen Leben einhauchen. Seine Romanhelden sind Lebenskünstler, Tagträumer, Außenseiter oder gescheiterte Existenzen.

In seinem Buch erzählt Autor Genazino aus dem Leben von Dieter Rotmund, der als Controller in einer Arzneimittelfabrik tätig ist und am Wochenende zwischen dem Schwarzwald, wo seine Familie lebt, und der Großstadt, in der er arbeitet, pendelt. Seine Frau trennt sich von ihm, aber er findet sich bald in den Armen von Sonja wieder, der Vormieterin seiner Wohnung. Sonja ist eine seltsame Person voller Geheimnisse.

Kennzeichnend für Rotmund ist seine emotionale Gleichgültigkeit. Dies gilt für seine eigenen Gefühle und auch für die Wahrnehmung seiner Person durch andere Menschen seines Umfeldes. So kann man schon mal ein Ohr verlieren und kaum einer merkt das. Die Reaktionen auf diesen seltsamen Verlust sind an Skurrilität kaum zu überbieten.

Es sind die Sachlichkeit des Ich-Erzählers, seine Beobachtungen und seine Gedankengänge, die wesentlich zur Komik beitragen. Die Lebenskrise des Protagonisten scheint unabwendbar zu sein. Seine unerwartete Beförderung ändert nichts an seiner Mittelmäßigkeit. Rotmund stolpert weiter durchs Leben und führt ein scheinbar langweiliges Dasein voller zufälliger Begegnungen, die seinen Alltag bestimmen.

Bewertung vom 21.07.2016
Selber schuld!
Bonelli, Raphael M.

Selber schuld!


sehr gut

Prinzip Selbstverantwortung

„Opferdasein ist eine psychodynamische Sackgasse“, unterstreicht Raphael Bonelli in der Einleitung seines Buches. Es geht ihm darum, selbst Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Das ist eine These, die Zustimmung auch in der Managementliteratur von Reinhard Sprenger [1] findet. Während Sprenger eher Weisheiten aus der Philosophie in seine Werke integriert, sind es bei Bonelli Erkenntnisse aus der Psychotherapie. Bonelli richtet den Fokus auf das Thema Schuld und den Umgang mit dieser, ohne zu moralisieren. Um das Thema für die Leser plastisch darzustellen, stellt er 45 Fälle aus seiner Praxis vor und untermauert seine Thesen mit Beispielen aus der Weltliteratur.

Neurowissenschaftler Bonelli befindet sich mit seinem Werk „Selber Schuld!“ in Opposition zu Thesen bekannter Hirnforscher wie Wolf Singer [2] und Gerhard Roth [3]. Der freie Wille ist umstritten, wie auch aus verschiedenen Beiträgen zum Thema [4] hervorgeht. Bonelli bezieht sich auf Experimente von Robert Cloninger und ist der Meinung: „Der Mensch ist aus naturwissenschaftlicher Sicht letztlich doch frei“. Das ist eine Aussage, die er m.E. nicht hinreichend begründet.

Wer frei entscheiden kann, kann auch Schuld auf sich laden. Der Umgang mit Schuld ist das Kernthema des Buches. So überrascht es nicht, dass Bonelli sich ausführlich mit Dostojewskis Meisterwerk „Schuld und Sühne“ beschäftigt. Dostojewski zeigt auf, wie Protagonist Raskolnikow aus einem Gefühl der Überlegenheit einen Mord begeht, an der Schuld fast zugrunde geht und erst durch ein Schuldbekenntnis und spätere Sühne frei wird. Bonelli erläutert die Zusammenhänge anhand eines einfachen Modells von „Kopf, Bauch und Herz“, welches nicht wörtlich zu nehmen, sondern als Metapher zu verstehen ist.

Bonelli nimmt sich Sigmund Freud vor. Er analysiert, wo seine Thesen heute noch Bestand haben und wo sie als überholt gelten. Er stellt Zusammenhänge und prinzipielle Unterschiede von Psychotherapie und Beichte heraus. Beides sind ritualisierte Gespräche, bei denen es um einen subjektiven Leidensdruck geht. Während der Psychotherapeut dazu beitragen soll, den Patienten frei zu machen, thematisiert der Seelsorger, was der Mensch mit seiner Freiheit anfangen kann. “Denn nur, wenn der Mensch frei ist, kann er sich zwischen Gut und Böse entscheiden ...“ und damit befindet sich Bonelli in Opposition zu Michael Schmidt-Salomon [5], der sich von den archaischen Denkmustern „Schuld und Sühne“ verabschiedet hat und das Böse für eine Wahnidee hält.

Bonelli hat ein wichtiges Buch geschrieben, welches wahrgenommen werden wird. Er macht deutlich, dass es nicht nur die Sicht der Naturwissenschaften gibt. Seine Erklärungen beruhen auf seinen Erfahrungen und klingen plausibel. Er bekennt sich zum Dualismus „Die Seele bedient sich des Gehirns wie der Fahrer des Autos“. Als Leser dieses Buches und auch diesem Buch entgegenstehenden Werken muss ich zugestehen, dass es unterschiedliche Denkmodelle gibt, die (weitgehend) in sich schlüssig sind, aber eben nicht alle richtig sein können. Stellt man wie Paul Watzlawick den Nutzen (und nicht die Wahrheit) diverser Modelle in den Vordergrund, wird manches klarer. Watzlawick [6] spricht von der Möglichkeit, dass der Konstruktivismus eines Tages die Brücke zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften schlagen könnte.

[1] Reinhard Sprenger: „Das Prinzip Selbstverantwortung“
[2] Wolf Singer: „Ein neues Menschenbild?“
[3] Gerhard Roth: „Das Gehirn und seine Wirklichkeit“
[4] Christian Geyer (Herausgeber): „Hirnforschung und Willensfreiheit“
[5] Michael Schmidt-Salomon: „Jenseits von Gut und Böse“
[6] Paul Watzlawick: „Wirklichkeitsanpassung oder angepasste „Wirklichkeit“?“ in „Einführung in den Konstruktivismus“

Bewertung vom 21.07.2016
Nie wieder achtzig!
Hildebrandt, Dieter

Nie wieder achtzig!


sehr gut

Ein Urgestein des Kabaretts

Dieter Hildebrandt beginnt sein Taschenbuch mit einem Nachwort, da sich gegenüber der gebundenen Ausgabe ja einiges geändert haben kann: „Regierungen könnten verscheucht worden sein, Meinungen sich geändert haben, Entscheidungen gefallen sein“. Mit diesem Einstieg thematisiert er den gesellschaftlichen Wandel, auf den nicht nur Politiker, sondern auch das Kabarett reagieren müssen. Sowohl Politik als auch Kabarett sind ein Spiegelbild gesellschaftlicher Strömungen, wobei das Kabarett seinen Fokus darauf richtet, wie Politiker mit gesellschaftlichen Veränderungen umgehen und dieses „wie“ auch überzeichnen darf. - Das Kabarett beginnt bereits im Vorwort.

Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt sorgen auf satirische und humorvolle Weise für Transparenz. Sie haben die Nase im Wind, wenn es darum geht, die wahren Absichten unserer Politiker offen zu legen, sie drücken die Finger in die Wunde politischer Unkorrektheiten. Die wirkungsvollste Opposition, so der Eindruck, findet man nur im Kabarett – und Aufklärung tut Not. Leider wird das Kabarett in den Medien mehr und mehr von (unpolitischer) Comedy verdrängt. Hildebrandt, in den 1950er Jahren mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft bekannt geworden, ist ein Urgestein des Kabaretts.

Sein Buch enthält einen Querschnitt aus mehreren Jahrzehnten deutscher Geschichte. Es geht um Schäubles Sicherheitspolitik, Stoibers Wort-Akrobatik, Gerichtsfälle unserer Deal-Justiz, Doping im Hochleistungssport und um die Spiegel-Affäre, um nur Beispiele zu nennen. Er geht humorvoll mit den Problemen des Alters um, wenn er schreibt: „Ich habe mit einigem Entsetzen festgestellt, dass auch die Weisheit im Alter nicht nachwächst. Das hat man mir, als ich noch jünger war, immer wieder vorgelogen.“

Natürlich ist Kabarett etwas, was man als Zuschauer in einer Aufführung erleben muss. Schauspielkunst, Betonung, Mimik, manchmal angereichert mit Musik, gehören einfach dazu. Das alles weiß man aber, wenn man ein Buch von einem Kabarettisten liest. Das einzige was ich in dem Buch vermisst habe, ist seine eigene, humorvoll aufgearbeitete Biographie, sein Fazit nach Jahren des Schaffens..

Bewertung vom 21.07.2016
So viel Zeit
Goosen, Frank

So viel Zeit


sehr gut

Sex, Drugs and Rock’n’ Roll

Rockmusik spielt in diesem Roman die zentrale Rolle. Sie ist das verbindende Element zwischen fünf unterschiedlichen Typen mittleren Alters, die es, frustriert vom Alltag, noch einmal so richtig krachen lassen wollen. Sie gründen eine Rockband und beginnen Hardrock von AC/DC, Uriah Heep, Deep Purple und Led Zeppelin einzustudieren. Geplant ist ein Auftritt auf ihrem 25-jährigen Klassentreffen in Bochum.

Der Roman gliedert sich in drei Teile. In „Früher“ blickt Autor Frank Goosen auf die Abiturfeier 1982 zurück. Die Atmosphäre und die angedeuteten Wünsche und Ereignisse dieser Zeit bilden den Nährboden für die „Macht der Vergangenheit“ im Hauptteil der Geschichte. Der Roman endet mit einem Ausblick auf die Zukunft aus der Perspektive von Bandmitglied Thomas.

Das Engagement in der Band führt, frei nach dem Motto: „Nichts ändert sich, außer man selbst ändert sich.“, zu neuem Selbstvertrauen und zu Veränderungen im Lebensumfeld der Akteure. Auch wenn dieser Wandel schnell erfolgt und klischeehaft wirkt, hat er doch einen hohen Unterhaltungswert. Aussprachen bringen Klarheit und neue Beziehungen entstehen. Das Leben wird spontan und Lebensfreude kehrt zurück.

Humorvoll beschreibt Autor Goosen die Vorbereitungen auf das erste Konzert. Für die passende Kleidung ist jugendliche Beratung vonnöten und so besorgt sich Bandmitglied Rainer Anregungen von seinem Sohn Daniel. Sollen Anzug und Krawatte eingetauscht werden gegen ein T-Shirt mit dem Emblem von Led Zeppelin? Frank Goosen trifft die Seele des in die Jahre gekommenen Mannes.

Die Charaktere sind markant, die Dialoge wirken erfrischend und die Szenen bewegen sich zwischen Komödie und Tragödie. Wer mit der Rockmusik der 1970er Jahre groß geworden ist oder das Lebensgefühl dieser Zeit kennen lernen möchte, sollte den Roman lesen. Für Träume ist „Mann“ nie zu alt. Frank Goosens „So viel Zeit“ ist unterhaltend wie Sven Regeners „Herr Lehmann“ und Tommy Jauds „Millionär“.

Bewertung vom 21.07.2016
Unten sind ein paar Typen
Dal Masetto, Antonio

Unten sind ein paar Typen


ausgezeichnet

Paranoia

Der Roman spielt im Jahr 1978 in Buenos Aires und beschreibt zwei Tage aus dem Leben von Pablo, einem argentinischen Journalisten. In Argentinien herrschte zu dieser Zeit eine Militärdiktatur Es verschwanden Zehntausende von Menschen spurlos aus ihrem Lebensumfeld.

Pablo vertreibt sich die Zeit in Kneipen, Cafés und Restaurants. Als seine Freundin Ana bemerkt, dass gegenüber seiner Wohnung ein paar Typen im Auto sitzen und das Umfeld observieren, wiegelt er ab. Aber die Saat des Zweifels ist gesät. Wurde nicht in der Vergangenheit sein Telefon abgehört?

Antonio Dal Masetto richtet den Fokus auf die Entwicklung von Pablos Beziehungen zu seinen Freunden und auf seine privaten Aktivitäten. Er verzichtet darauf, den gesellschaftlichen und politischen Rahmen im Argentinien der 1970er Jahre zu erläutern. Die permanente Bedrohung durch das Regime spiegelt sich in den Handlungen der Protagonisten wieder. Die Atmosphäre in Buenos Aires ist düster und von Misstrauen geprägt. Angst und Zweifel werfen ihre Schatten voraus. Die latente Bedrohung führt zur Distanzierung und damit in die Isolation. Pablo leidet unter Verfolgungswahn und schüttelt imaginäre Verfolger ab.

Mit einfachen sprachlichen Bildern, kurzen Dialogen und unkomplizierten Handlungen gelingt es dem Autor auf überzeugende Weise, den Kontrast zwischen der Euphorie der Massen (nach einem Fußballspiel) und der Vereinsamung des Individuums in einer Diktatur spürbar zu machen. Es bedarf keiner brutalen Szenen, um den psychischen Druck der Menschen zum Ausdruck zu bringen. So wie Autor Dal Masetto in seinem Roman „Blut und Spiele“ die Lieblosigkeit einer Gesellschaft thematisiert, inszeniert er in diesem empfehlenswerten Roman die paranoiden Auswirkungen einer permanenten Einschüchterung durch einen Unrechtsstaat.

Bewertung vom 20.07.2016
Das Zimmermädchen (eBook, ePUB)
Orths, Markus

Das Zimmermädchen (eBook, ePUB)


gut

Probleme mit der Identität

Das Buch erinnert ein wenig an Bragi Ólafssons Roman „Die Haustiere“. Auch dort liegt jemand unter dem Bett und lauscht, was in der Umgebung passiert. Während Emil Halldórsson in „Die Haustiere“ auf groteske Weise zum Beobachter seines eigenen Lebens wird, ist Protagonistin Lynn Zapatek in „Das Zimmermädchen“ die manisch getriebene Suchende, die durch das Ausforschen von Intimitäten wissen will, wie sie ihr eigenes Leben in den Griff bekommen kann. Es geht in beiden Fällen um Probleme mit der Identität.

Lynn, die eine Psychotherapie hinter sich hat, muss sich, wie sie selbst meint, „ins Handeln flüchten“. Ihren Drang nach Aktivität lebt sie beim Putzen aus. Sie putzt die Spiegel von hinten und die Stehlampen von unten – sie ist eine Getriebene. Ebenso hat sie zu den Menschen ihrer Umgebung eine zwanghafte Beziehung. Hierzu gehören Heinz, mit dem sie ein Verhältnis hat, ihre Mutter, die sie wöchentlich anruft und mit der sie Belanglosigkeiten austauscht und die Prostituierte Chiara, die sie im Hotel kennen lernt.

Autor Orths verwendet kurze Sätze, die in einigen Fällen durch das Weglassen von Artikeln oder Pronomen abgehackt wirken. Der Text ist jedoch leicht verständlich. Die Brüche in den Sätzen symbolisieren, so der Eindruck, die Frakturen in der Psyche der Protagonistin.

Die Geschichte kann von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet werden. Der Rahmenhandlung nach zu urteilen handelt es sich um leichte humorvolle Kost. Psychologisch gesehen ist es die eher ernste Geschichte der Lynn Zapatek, die ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Der Autor vermischt diese Ebenen, was ihm nur mäßig gelungen ist. Hinzu kommt, dass Autor Orths mit dem Voyeurismus spielt, der nicht nur seine Romanfigur Lynn Zapatek in den Bann ziehen soll, sondern auch die Leser.