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Bellis-Perennis
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Wien

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Insgesamt 1112 Bewertungen
Bewertung vom 27.11.2023
Luck, Harry

Bamberger Beichte (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

In ihrem 7. Fall bekommen es die beiden Ermittler Horst Müller und seine Partnerin Paulina Kowalksa mit teuflischen Abgründen im Bamberger Karmelitenkloster sowie Intrigen in der Kommunalpolitik zu tun.

Alles beginnt damit, dass ein Ordensbruder unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. Ermittlungen im Dunstkreis der Kirche sind immer heikel, noch dazu, wenn der Tote angeblich verbotene Rituale zur Teufelsaustreibung vorgenommen haben soll.

Und welche Rolle spielt die Kommunalpolitik, die mit dem Karmelitenkloster Geschäfte macht?

Meine Meinung:

"Bamberger Beichte" ist ein intelligenter und mitreißender Krimi, der nicht nur Krimifans, sondern auch Liebhaberinnen von regionalen Geschichten begeistern wird. Dieser Krimi ist bis zur letzten Seite fesselnd. Autor Harry Luck versteht es, durch raffinierte Wendungen seine Leser in die eine oder andere Sackgasse zu lotsen. Doch auch Horst Müller und Paulina Kowalska werden auf den einen oder anderen Umweg geschickt, bis sich das wahre Ausmaß der Tragödie offenbart. Die Auflösung des Falles, in dem es nicht bei dem einen Toten bleiben wird, ist überraschend, aber durchaus stimmig.

Neben den bekannten Charakteren Horst Müller und Paulina Kowalska darf auch die Stadt Bamberg einen prächtigen Hintergrund abgeben. Zahlreiche Nebenfiguren spielen anfangs eine unterordnete und dann eine größere Rolle.

Schmunzeln muss ich über Müller, der wenige Jahre vor der Pension stehend, nicht allzu technikaffin ist und sich lieber auf Block und Stift als auf die Aufnahmefunktion des Mobiltelefons verlässt. Im Gegensatz ist seine junge Kollegin Paulina Kowalska ziemlich firm, was die technischen Helferleins angeht. Herzlich auflachen musste ich dann doch, als es um den Disput Filterkaffee oder Espresso(kapseln) geht.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Krimi, der seine Leser bis zur letzten Seite zu fesseln weiß, 5 Sterne.

Bewertung vom 27.11.2023
Martin, Pierre

Monsieur le Comte und die Kunst der Täuschung / Monsieur le Comte Bd.2


ausgezeichnet

Die Fortsetzung des ersten Bandes in dem Lucien Comte de Chacarasse, nach dem Tod seines Vaters nicht nur Titel und Vermögen, sondern auch das Familienbusiness erbt, hat mir gut gefallen. Die lange Ahnenreihe derer von Chacarasse verdient ihr Brot als Auftragsmörder, die keine Spuren hinterlassen. Nicht, dass Lucien es nötig hätte, denn er ist Eigentümer eines sehr gut gehenden Restaurant. Leider ist da noch sein Onkel Edmond, der ihn immer mit Mordaufträgen versorgt, an denen er 40% des Honorars als Provision erhält. Lucien will eigentlich nichts mit dem Familienbusiness zu tun haben, aber die undurchsichtige Rolle des Onkels lässt ihm noch (?) keine Wahl. Allerdings erledigt er die Aufträge auf seine Art.

Meine Meinung:

Ich muss immer wieder über Lucien und seine Entourage, zu der sich nun auch ein kleiner weißer Hund namens Coco gesellt, schmunzeln. Die Beschreibung von Land und Leuten, die sich nun auch auf Monaco und das italienische Ventimiglia erstreckt, vermitteln Urlaubsgefühl.

Wie schon letztes Mal darf Isabelle Bonnet, Madame le Commissaire aus der gleichnamige anderen Reihe von Pierre Martin, mit ihrem Lover Rouven Mardrinac vorbeischauen. Schade, dass sie nur einen ganz kurzen Auftritt hat. Aber vielleicht ergibt sich ja noch eine Zusammenarbeit.

Mit der Polizeireporterin Anne taucht ein neuer, vielversprechender Charakter auf, der hoffentlich eine größere Rolle spielen wird.

Der Krimi liest sich leicht und flüssig und punktet mit einem Schuss Humor.

Fazit:

Diesen vergnüglichen Lesestunden gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 27.11.2023

Trotzdem


sehr gut

„Trotzdem - hinein ins Lesevergnügen“

Im Vorwort zu diesem 8. Band der „Geschichten aus dem Mölltal“ heißt es:

„Trotzdem ...ein Wort, das in sich den Widerstand birgt und die Herausforderung, sich den widrigen Umständen oder der sogenannten Normalität entgegenzustellen. Ein Trotzdem verlangt Mut und Unerschrockenheit und den Willen, den Begehrlichkeiten anderer den Gehorsam zu verweigern, während man fröhlich der Suche nach der inneren Wahrheit folgt.“

In dieser Anthologie ist das Ergebnis aus dem Mölltaler Geschichten-Festival, das 2023 zum achten Mal stattgefunden hat, zusammengefasst. Zum Motto „Trotzdem“ sind eine Vielzahl von Beiträgen eingesendet worden. Diesmal finden 33 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, Südtirol und sogar aus Afrika ihren Platz im Buch. Sie haben 33 spöttische, gefühlvolle, kriminelle, schräge, fröhliche oder fantastische Kurzgeschichten geschrieben,

Interessant, wie die Meinungen hier auseinanderklaffen. So unterschiedlich die Menschen, so unterschiedlich die Qualität der Beiträge.

Meine Meinung:

Kurzgeschichten sind ja im Allgemeinen ja nicht so meines, trotzdem lese ich diese Reihe recht gerne. Ich halte diesen Wettbewerb für eine großartige Idee. Vielleicht entwickelt sich ja doch ein neuer Bestsellerautor aus der Gruppe.

Das Spektrum der Einsendungen ist breit gefächert: Vom Schreibanfänger bis hin zum Journalisten.
Nicht alle Beiträge gefallen mir, einige sind witzig, einige sehr ernst und den einen oder anderen mag ich gar nicht. Schmunzeln musste ich über „Das Pralinengeheimnis“, weil ich selbst Pralinen und Konfekt herstelle. Berührend finde ich „Raider“ und beklemmend „Die Puppe“, die das ewige Verdrängen anspricht.

Fazit:

Gerne gebe ich für die achte Anthologie des Mölltaler Geschichten-Festivals 4 Sterne.

Bewertung vom 27.11.2023
Spera, Danielle; Faber, Toni

Wie ein jüngerer Bruder (eBook, ePUB)


sehr gut

Dieses Buch gewinnt im Lichte der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten an Bedeutung. Statt sich umzubringen, wäre es vielleicht an der Zeit, sich zu dritt (Christen, Juden und Muslime) an einen Tisch zu setzen und das Gemeinsame und nicht das Trennende zu suchen und hervorzuheben.

Dass die drei monotheistischen Weltreligionen mehr gemeinsam haben, als manchen vielleicht lieb ist, zeigt dieses Buch, das ein Dialog zwischen der Jüdin Danielle Spera und dem Katholiken Toni Faber ist. Beide fänden eine Fortsetzung mit einem Vertreter des Islams interessant.

Die beiden Gesprächspartner haben recht viel gemeinsam: Sie leben im ersten Bezirk Wiens, in unmittelbarer Nachbarschaft, sind beider gern gesehene Gäste im Fernsehen und machen kein Hehl aus ihrer religiösen Überzeugung.
Beruflich treffen sie einander, obwohl sie unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Danielle Spera ist die ehemalige Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, Autorin sowie Journalistin, Toni Faber Dompfarrer zu St. Stephan.

In diesem Buch sprechen sie über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede des Judentums und des Christentums. Dabei stellt sich heraus, dass auch Toni Faber eine falsche Vorstellung vom Judentum hatte, bis er es in Jerusalem kennengelernt hat.

Anhand so manchen Kapitels des Alten Testaments wird klar, dass die über 600 Ge- und Verbote im Judentum, einige Gläubige nach einer Religion mit weniger Vorschriften suchen haben lassen. Scherzhaft bezeichnen Spera und Faber die Juden als ältere Schwestern bzw. Brüder des Christentums.

Die nach wie vor tradierte Mär, dass die Juden Christusmörder seien, treten sowohl Danielle Spera als auch Toni Faber entschieden entgegen. Dass Jesus selbst Jude war, ist sichtlich bei einigen Christen in Vergessenheit geraten, genauso wie die Besetzung von Jerusalem durch die Römer.

Statt ständig die Unterschiede zu betonen, wäre es endlich an der Zeit, sich auf die Gemeinsamkeiten zu besinnen. Wer einen vermeintlich christlichen Psalm liest, spricht eigentlich ein jüdisches Gebet.

Nicht entweder oder, sondern sowohl als auch, ist das Gebot der Stunde.

Danielle Spera und Toni Faber sind in ihrem Glauben tief verwurzelte Gesprächspartner, was dieses Buch sehr interessant macht. Beide blicken über den eigenen Tellerrand hinaus und begegnen dem jeweils anderen mit Respekt.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem interessanten Dialog über Gemeinsamkeiten zweier großer Religionen 4 Sterne.

Das Eine nicht ohne das Andere

Bewertung vom 27.11.2023
Giovene, Andrea

Das Haus der Häuser / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero Bd.3


sehr gut

Dieses Buch ist der dritte Band der „Autobiografie des Giuliano di Sansevero“ von Andrea Giovene (1904-1995). Andrea Giovene ist Nachkomme einer italienischen Adelsfamilie, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Schriftsteller betätigte. Dieses fünf-teilige Romanreihe ist sein Hauptwerk, für das er einen internationalen Preis erhielt und sogar als Kandidat für den Literaturpreis gehandelt worden ist.

Worum geht es in diesem Gesamtwerk?

Beginnend im Jahr 1903 erzählt Giovene das Leben des Giuliano di Sansevero bis in die 1950er-Jahre. Band 1 und 2 befassen sich mit der Kindheit und Jugend bis hin zur unglücklichen Liebe zu einer Schauspielerin. Im vorliegenden Band 3 teilen wir Giulianos Leben in der Zwischenkriegszeit, bis es in Band 4 um die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und im 5. Band um die Jahre 1945-1957 geht.

Doch zurück zum vorliegenden 3. Band, der in der Zwischenkriegszeit spielt und als Erstes veröffentlich worden ist:

Nach Jahren der vergeblichen Suche nach der wahren Liebe, dem Sinn des Lebens und der Enttäuschung von den Zerstreuungen der mondänen Welt zieht sich Giuliano in das fiktive Dorf Licudi an der Küste Kalabriens zurück. Licudi ist nur über einen Säumerpfad erreichbar und vermisst den Zugang zur übrigen Welt auch gar nicht. Das Dorf ist zwar bitterarm, lebt aber autark. Die Gemüsebauern versorgen die Dorfbewohner mit ihren Erzeugnissen, die Fischer tragen mit ihrem Fang und die Olivenbäume mit ihren Früchten zum Auskommen bei. Daneben gibt es einen Tischler, einen Kesselschmied und den Maurer Janaro mit seinen Brüdern. Der geerbte Olivenhain scheint Giuliano als Rückzugsort angemessen. Gemeinsam mit Janaro plant er das Haus der Häuser. Janaro ist ein Schlitzohr. Es wird Jahre dauern, bis das Haus fertiggestellt ist, denn jeder Steinmuss per Maultier oder zu Fuß herangeschafft werden. Während dieser Zeit erarbeitet sich Giuliano eine Platz in der Gemeinschaft, bis er in unerfüllter, weil verbotener, Liebe zu einem zwölfjährigen Mädchen entbrennt. Als dann archäologische Fund eine Zufahrtsstraße bedingen, bereitet der Bau der vermeintlich Segen bringenden Straße der Idylle ein Ende.

Meine Meinung:

Diese Romanserie wurde 2010 neu entdeckt und von Moshe Kahn übersetzt. Giovene gelingen poetische Landschaftsbilder und eindringliche Charakterstudien, die von Kohn sichtlich gut übersetzt worden sind. Manchmal ufern seine Beschreibungen allerdings aus, vor allem dann, als es um die verbotene Liebe zur Zwölfjährigen geht.
Stellenweise ist das Buch ein wenig anachronistisch. So scheint das einfache Leben in Licudi für den übersättigten Ich-Erzähler als die ideale Lebensform. Dennoch geht sein persönliches Arkadien durch den Bau der Straße und die langsam fortschreitende Modernisierung zugrunde.

Fazit:

Eine poetisch anmutende Schilderung des kargen Lebens in einem rückständigen (fiktiven) Dorf in Kalabrien, dessen Gemeinschaft durch die beginnende Modernisierung zerbricht. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 27.11.2023
Notroff, Jens

Staub, Steine, Scherben


sehr gut

Archäologie kompakt und im Schnelldurchlauf

Ich geb’s zu, in meiner frühen Jugend wollte ich auch Archäologin werden und habe C. W. Cerams Bücher verschlungen. Meine Berufswahl, ich bin Geodätin, passt aber dennoch recht gut dazu. Immerhin kenne ich die technische Ausrüstung, die Jens Notroff hier in seinem Buch beschreibt von der Pike auf: Vom Schnurgerüst über Tachymeter, Theodolit, Totalstation bis hin zum 3D-Laser-Scanner. Nach einer mittels Luftbildinterpretation entdeckten Kreisgrabenanlage im niederösterreichischen Weinviertel habe ich diese mit befreundeten Ur- und Frühgeschichtlern vermessen. In der Pension dann, werde ich mich wieder mit der Archäologie beschäftigen, versprochen.

Jens Nortroff erklärt die zahlreiche Methoden zur Auffindung von Funden detailliert. Für jene, die eine romantische Vorstellung (ich sage nur Pinsel und Goldschatz) von der Archäologie haben: manchmal ist sie eher „Blood, Sweat and Tears“. Dann nämlich, wenn man sich blutige Knie oder Fingerspitzen holt, wenn einem der Schweiß überall hinrinnt und man vor Wut heulen könnte, weil sich der potenzielle Grabungsort als Niete herausstellt.

Das Buch liest sich flüssig und durchaus humorvoll. Die liebevollen Zeichnungen tragen auch dazu bei, dass der Staub draußen bleibt.

Ein grober Schnitzer hat sich aber rund um die Varus-Schlacht eingeschlichen: Der gute Varus, mit vollem Namen Publius Quinctilius Varus lebte von 47/46 v. Chr. bis 9.n. Chr.. Die Schlacht im Teutoburger Wald kann daher nicht wie im Kapitel „Fundkontext oder: Wo kommt das her“ beschrieben „in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts n. Chr. stattgefunden haben, von der antike Historiker wie Strabon und Tacitus berichten.“ Das ist die Zeit zwischen 850 und 900 nach Christus. Das Römische Reich ist längst (476 nach Chr.) zu Staub und Asche zerfallen. Im ehemaligen Germanien, nach der Völkerwanderung nunmehr als Frankenreich bezeichnet, sitzen die Karolinger mehr oder eher weniger fest auf dem Thron. Es ist das Frühmittelalter und die Zeit der Wikinger, die bis Paris kommen und der Waräger, die Konstantinopel einen Besuch abstatten.

Und ja, mit folgendem Ausspruch hat Georg Loeschcke (1852-1915) „Nichts ist dauerhafter als ein Loch!“ den Nagel auf dem Kopf getroffen - weitere Erklärungen dazu stehen im Buch.

Fazit:

Diesem Buch, das die Archäologie kompakt und durchaus humorvoll beschreibt, gebe ich gerne 4 Sterne. (den 5. kostet - siehe oben - der Murks mit der Varus-Schlacht)

Bewertung vom 27.11.2023
Brosch, Luca

Bevor die Welt sich weiterdreht


ausgezeichnet

Dieser historische Roman, der 1917 in einem Sanatorium in Davos (Schweiz) spielt, zeigt uns einen bislang wenig bekannten Aspekt des Ersten Weltkriegs: Die Rolle der neutralen Schweiz, die Geld mit der Erzeugung von Kriegsmaterial verdient, einige rekonvaleszente Soldaten aller Länder aufnimmt und gleichzeitig Drehscheibe für Spione und Geheimdienst aller Art ist. Daneben erfahren wir, wie es unverheirateten Müttern geht. Ihnen werden die Kinder behördlicherseits abgenommen und die Frauen müssen ins Gefängnis. Dieses Schicksal droht auch Johanna Gabathuler, die hochschwanger von der Front, wo sie als Krankenschwester gearbeitet hat, nach Davos zurückkommt. Der Vater ihres Kindes ist in der Schlacht von Verdun gefallen ist, bevor noch geheiratet werden konnte.

Da Johannas Vater als Leiter eines Kurhauses ein wichtiger Mann in Davos ist, beschließen er und Johannas Mathilde, die Angelegenheit in eigene Hände zu nehmen. Nach der Geburt, die im Geheimen stattfindet, wird das Baby Elli zu einer Amme gebracht. Johanna wird im Unklaren gelassen und soll Großrat Thanner, einen einflussreichen Stadtpolitiker heiraten, von dem sich Vater Gabathuler finanzielle Vorteile erhofft.

Doch die als Spionin tätige „Gräfin“ kommt hinter Johannas Geheimnis, erpresst die junge Mutter und ermöglicht einen kurzen Kontakt mit ihrem Baby. Was nun folgt, ist Spionage und Gegenspionage, zahlreiche Tote und jede Menge Risiko für Johanna Gabathuler und ein wenig Herzklopfen. Ihr Ziel ist es, für ihre Spionagedienste mit einem Pass und Geld entlohnt zu werden, um mit Elli ein neues Leben außerhalb der Schweiz anzufangen. Entgegen alle Vernunft und mit dem Mut der Verzweiflung stellt sich Johanna recht geschickt an und wird auch für die Gegenseite ein lohnendes Ziel. Die Welt der Spione ist eine rüde. Es gibt keine Regeln außer: „Wer auffliegt, stirbt“.

Meine Meinung:

Das Buch ist lt. Klappentext als Begleitung zur TV-Reihe „Davos“ gedacht. Interessant wären einige zusätzliche Erklärungen zum historischen Hintergrund und zur Entstehung von Buch und Film gewesen. Vermutlich als Vorgeschmack (?) auf den Film werden Schlachtenszenen sowie Kriegsverletzungen detailliert geschildert. Das mag vielleicht nicht allen Lesern gefallen.

Dass die Schweiz sich in Kriegszeiten nicht immer so „nett“ verhalten hat, wie man es allgemein vermutet, kommt hier deutlich heraus. Sie ist Tummelplatz allerlei windiger Gestalten und Exilanten wie Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, der als einer von rund 600 Emigranten in der Schweiz lebt. Lenin will Russland zurückkehren und das Land aus dem Großen Krieg, wie man den Ersten Weltkrieg damals nannte, herausholen. Die Vorbereitungen dazu laufen auf Hochtouren.

Die historischen Zusammenhänge sind gut recherchiert, soweit das im Geheimdienstmilieu möglich ist, und werden geschickt in die Handlung eingebunden. Manchmal ist es nicht einfach, den Überblick zu bewahren, weil es auch innerhalb der jeweiligen Spionagegruppe Eifersüchtelei, Neid und Rivalitäten sowie Auffassungsunterschiede darüber gibt, wie ein Ziel zu erreichen ist.

Die Charaktere sind gut herausgearbeitet. Johanna, als Frontkrankenschwester, die eigenständig Soldaten operiert, ist ohnehin eine toughe Person, macht aber einen weiteren Entwicklungsschub durch. Ob sich die Vernunft oder das Herz durchsetzt, wird vielleicht eine Fortsetzung zeigen. Aktuell steht es 1:0 für die Vernunft.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem historischen Roman 5 Sterne.

Bewertung vom 19.11.2023
Grill, Andrea

Seepferdchen


ausgezeichnet

Seepferdchen begegnen uns im Alltag häufig. Sei es als Abzeichen, als Schmuck oder (nicht ganz alltäglich) auf antiken Vasen. Sie haben schon vor vielen Jahrhunderten die Fantasie der Menschen beflügelt.

Andrea Grill hat dieses Buch den eleganten und farbenfrohen Meereslebewesen gewidmet. Mit viel Herzblut und noch mehr Geduld hat sich die Autorin auf die Suche nach den Seepferdchen begeben, denn die Seepferdchen sind wahre Meister der Tarnung. Stoisch warten sie versteckt, bis ihre Nahrung vorbeikommt, und schlürfen diese mit ihrem Saugrohr ein. Dabei können sie sich an Halmen festhalten. Das Foto jenes Seepferdchens, das sich anstatt an eines Stückchen Seegras an ein Wattestäbchen klammert, ist 2017 um die Welt gegangen. Aufgenommen wurde das Bild von Justin Hofman nahe der indonesischen Insel Sumbawa. Es zeigt deutlich die Verschmutzung der Meere, denn die weißen Flecken im Hintergrund sind nichts anderes als Teile von Plastiksackerln.

Wie vermutlich vielen Lesern bereits bekannt, herrscht bei den Seepferdchen bei der Familienplanung eine Umkehr der sonst üblichen Geschlechterrolle: Hier befruchten die Weibchen die von ihnen produzierten Eier in der Bauchtasche der Männchen, die anschließend die Nachkommen ausbrüten. Nicht immer klappt der Befruchtungsvorgang aufs erste Mal, denn der Paartanz muss gut einstudiert sein.

Aber was sind Seepferdchen eigentlich biologisch? Aufgrund ihres Aussehen meinte Carl von Linné 1758 »Pferdeähnliche Meereswesen«. Mit dem Stand der Wissenschaft von heute kann Andrea Grill eine präzisere Antwort geben: Seepferdchen sind »Fische, Knochenfische, um genau zu sein«.

Aber, wer weiß schon, dass sich die Seepferdchen untereinander mittels Knurr- und Knacklauten verständigen können?

Bis jetzt sind rund 57 unterschiedliche Unterarten des Hippocampus entdeckt und identifiziert worden. Ganz winzige, nur wenige Millimeter Kleine, und solche die eine stattliche Größe von ca. 30 Zentimeter erreichen können.

Andrea Grill weist in ihrem Buch darauf hin, dass diese faszinierende Meeresbewohner, wie so viele Arten, vom Klimawandel und Raubbau an den Meeren bedroht sind. Besonders die Zerstörung der Seegraswälder und des Meeresboden durch die Schleppnetze rauben den Seepferdchen ihren Lebensraum. Allerdings und das macht ein bisschen Hoffnung, sind die Seepferdchen auch Lebenskünstler. Durch die Erwärmung der Meere sind sie vereinzelt nun auch in Nord- und Ostsee anzutreffen.

Meine Meinung:

Das Buch liest sich leicht und flüssig. Die darin enthaltenen Informationen und Details zu den anmutigen Tierchen sind auch für Laien sehr gut verständlich. Man spürt das Herzblut, das Andrea Grill und Judith Schalansky in dieses Buch gesteckt haben. Zahlreiche Abbildungen ergänzen den Text.

Neben der Autorin Andrea Grill muss hier Judith Schalansky, die Buchgestalterin der Reihe „Naturkunde“, vor den Vorhang geholt werden. Ohne ihre bezaubernden Illustrationen wäre das Buch nur halb so interessant.

Wer noch mehr über Seepferdchen wissen will, kann im Literaturverzeichnis weiterführende Informationen finden.
Wer die faszinierenden Tiere live erleben will, hat im Haus des Meeres in Wien Gelegenheit dazu.

Fazit:

Diesem reich illustrierten und interessanten Buch, das uns diese faszinierenden Meeresbewohner ein wenig näher bringt, gebe ich gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 19.11.2023
Fingernagel, Wolfgang;Pregartbauer, Manfred

Lebensader Leitha


ausgezeichnet

Mit dieser Flussbiografie über die Leitha wird ein Fluss porträtiert, der viele Höhen und Tiefen erlebt hat: Grenzfluss, Wasserspender für die Dörfer an ihren Ufern und die Industrie sowie in letzter Zeit vermehrt Natur- und Freizeitraum, der auch immer öfter trocken fällt (also ohne Wasser ist).

Die Autoren Wolfgang Fingernagel und Manfred Pregartbauer nehmen ihre Leser mit auf eine rund 180 km lange Reise vom Ursprung in Lanzenkirchen, wo sie aus dem Zusammenfluss der Schwarza und Pitten entsteht, bis hin nach Mosonmagyaróvár (Ungarn), wo sie in die Kleine-Donau mündet.

Auf ihrer Reise können wir zahlreiche kulturhistorische Kleinode entdecken. Ihre Bedeutung als Grenzfluss zwischen dem damaligen österreichischen und ungarischen Teil der Donaumonarchie hat die Leitha längst verloren, dennoch zeugen Burgen, Befestigungen und Schlösser von der ehemaligen Wehrhaftigkeit. Zahlreiche Abbildungen und Fotos belegen diese Vergangenheit ebenso wie den bangen Blick in die Zukunft. Warum? Die Leitha ist nicht ganzjährig wasserführend, wie es eine EU-Verordnung für einen Fluss fordert: Hm, die EU schreibt einem Fluss vor, dass er Wasser führt? Möglichst sauber, mit gleichbleibenden Pegelstand etc.? Das klingt jetzt einmal nach „typisch EU-Bürokraten“ und hätte mich sehr interessiert. Leider bleibt es bei der (kryptischen) Erwähnung der EU-Verordnung.

Das Buch ist als Hardcover im Verlag Anton Pustet erschienen und enthält zahlreiche tolle Fotos und Abbildungen. Schon das Cover gefällt mir sehr gut. Auf der Vorsatzseite findet sich eine schematische Darstellung des Flusslaufes und den Ortsnamen links und rechts des Ufers.

Fazit:

Wer sich für Land und Leute dieser Region (Burgenland, Niederösterreich und Ungarn) interessiert, wird in diesem Buch auf beiderseits des Flusses gelegene faszinierende Orte stoßen, die einen Ausflug wert sind. Gerne gebe ich diesem Flussporträt 5 Sterne.

Bewertung vom 19.11.2023
Bub, Natascha

Ein Bild von einer Frau (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

»Also, ich muss schon sagen, du bist dickköpfiger als ein alter Seemann, kleine Kraut!«

Viele von uns kennen jenes berühmt gewordene Foto von Ernest Hemingway (1899-1961), das ihn mit einem Blue Marlin und einer jungen Frau auf seinem Boot zeigt. Wie es zu diesem Schnappschuss gekommen ist, darüber schreibt Natascha Bub in ihrem Roman.

Die jungen Fotografin Insa Schönberg macht sich kurz nach dem Krieg mit einem alten Fahrrad von Göttingen aus auf den Weg nach Hamburg, um dort bei der bekannten Fotografin Rosemarie Pierer das Handwerk der Fotografin zu lernen. Insa ist 23 Jahre, unbekümmert, unerschrocken und glaubt fest an ihr Glück. Dennoch liegt ein Schatten auf ihrer Vergangenheit, denn ihr Vater ist ohne ein Wort zu verlieren aus ihrem Leben verschwunden. Die Suche nach ihm und dem „Warum“, wird sie zusätzlich anspornen.

Bei einer der zahlreichen Partys fordert sie den Verleger Ledig-Rowohlt zu einer Wette heraus: Sie will und wird den als unberechenbar geltenden Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway fotografieren. Wenig später schifft sie sich nach New York ein. Mit wenig mehr als der Kamera und ein paar Kleidungsstücken trifft sie am Big Apple ein - von Hemingway keine Spur.

Insa durchstreift die Straßen von New York nach lohnenden Fotomotiven und dann gelingt ihr ein außergewöhnlicher Schnappschuss: Auf einer Straßenkreuzung entdeckt sie, ihre Rollei immer schussbereit, eine in sich gekehrte ältere Frau, erkennt in sie als Greta Garbo, reagiert in Bruchteilen von Sekunden und drückt ab. Das Fotos von der alternden Schauspielerin, die „Die Göttliche“ genannt und sich längst aus dem Business zurückgezogen hat, geht als Titelbild des Magazins „Life“ um die Welt.

Nach diesem Foto erhält sie die begehrte Adresse von Hemingway und reist nach Kuba. Man kennt natürlich den trinkfesten »Cheminguey«. Allerdings dauert es eine geraum Zeit, bis sie ihm persönlich gegenübersteht. Der alternde Schriftsteller spielt zwar alle seine Allüren aus, lässt aber Insa bei sich wohnen. Wie wird es Insa gelingen, den Schriftsteller zu einer Fotosession zu überreden?

Meine Meinung:

Die Nachkriegsjahre sind für viele junge Menschen Jahr des Aufbruchs. So auch für Insa Schönberg, deren reales Vorbild die bekannte Fotografin Inge Schönthal-Feltrinelli ist. Wie die Autorin Natascha Bub im Nachwort erzählt, ist dieser Roman eine fiktive Geschichte, die doch im Kern wahr ist.

Beide Hauptfiguren, also Feltrinelli und Hemingway, bieten eine Fülle von Anekdoten und Möglichkeiten, eine fesselnde Geschichte zu erzählen. Das ist der Autorin in diesem penibel recherchierten Roman vortrefflich gelungen. Das eine oder andere ist gut dazu erfunden, manche historische Begebenheit ein wenig „gebogen“, um im Roman den richtigen Platz zu erhalten. Natascha Bub schafft es mit ihrer wortgewaltigen Schilderung, die dennoch die Leichtigkeit der Aufbruchstimmung der jungen Insa verkörpert, ein rasanten farbenprächtiges Kopfkino ablaufen zu lassen. Ich konnte direkt die erotisch aufgeladene Hitze Kubas spüren und das Meer riechen. Die durchzechten Nächte mit und ohne Hemingway zeigen ein unbekümmerte junge Frau, wie sie so wohl nur durch die Nachkriegsjahre entstehen konnte.

Schmunzeln muss ich über den Titel „Ein Bild von einer Frau“. Den kann man nämlich unterschiedlich interpretieren. Erstens ganz sachlich: ein Bild/Foto, das von einer Frau gemacht worden ist oder, gemäß der Redewendung „Ein Bild von einem Mann“ als Kompliment. Wobei bei einem Mann eher Bewunderung im Sinne „der ist ein ganzer Kerl“ (was auch immer hier sehr subjektiv hineininterpretiert wird) mitschwingt.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem schwungvollen, farbenprächtigen, penibel recherchierten historischen Roman eine Leseempfehlung und 5 Sterne.