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Sago

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Insgesamt 593 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2018
Pettersen, Siri

Die Rabenringe - Odinskind


ausgezeichnet

„Odinskind“ ist der begeisternde Auftakt der Rabenringe-Trilogie. Es handelt sich um frische, ungewöhnliche Fantasy aus Norwegen.
Hirka wird als Säugling von ihrem Ziehvater gefunden. Doch etwas ist anders an diesem Kind und würde es zu einer Ausgestoßenen machen in der Welt der Ymlinge: Es besitzt im Gegensatz zu den Ymlingen keinen Schwanz. Schweren Herzens bringt Hirkas Ziehvater ihr eine Wunde bei. Fortan heißt es, Wölfe hätten ihren Schwanz gefressen. Niemand soll den Verdacht hegen, dass sie in der Tat ein Odinskind sein könnte, ein Wesen aus einer anderen Welt, das die Ymlinge mit Fäulnis infizieren und die gefährlichen menschenähnlichen Blinden in ihre Welt bringen können.
Hirka wächst auf als Hirka Schwanzlos und findet dennoch in Rime, einem Sproß aus einer berühmten Ratsfamilie, einen Freund. Aus der Kinderfreundschaft wird langsam mehr, doch Hirka ahnt nicht, dass Rime seinen Platz im Rat ausgerechnet aufgegeben hat, um ein Schwarzrock zu werden, einer der gesichtslosen Soldaten, die sie so fürchtet. Ein neues Ratsmitglied ist stattdessen der intrigante Urd, der mehr darüber zu wissen scheint, wie Hirka in diese Welt gekommen ist und finstere Absichten hegt. Doch schließlich wird Hirkas Geheimnis entdeckt und sie muss fliehen. Hirka und Rime kommen Verschwörungen auf die Spur, die sie sich nicht einmal hätten vorstellen können. Wird Rime zu Hirka halten und kommt tatsächlich eine Invasion der Blinden durch die Steinkreise, die auch Rabenringe genannt werden?
Einziges Manko an diesem Roman ist, dass ich nun bis Februar 2019 auf den zweiten Teil warten muss. Die Autorin schreibt sprachmächtig und bildgewaltig. Sie schafft Protagonisten, die mir schnell ans Herz gewachsen sind. Dazu noch ein echter Eyecatcher auf dem Titelbild: perfekt!

Bewertung vom 20.07.2018
Howard, Elizabeth Jane

Die Jahre der Leichtigkeit / Familie Cazalet Bd.1


sehr gut

Es handelt sich hier um den Auftakt einer Familiensaga, die in England unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beginnt. Die Familie Cazalet hat durch Holzwirtschaft genügend Geld verdient, um ein Leben zwischen London und dem Herrenhaus im Sussex zu führen. In Sussex verbringt die Familie traditionell die Sommermonate, drei Generationen unter einem Dach.

Die Figurenzeichnung der vor einiger Zeit verstorbenen Autorin ist so fein, dass man sich wünscht, mancher heutige Autor möge sich davon ein paar Scheiben abschneiden. Man hat das Gefühl, direkt in das Innere der Protagonisten blicken zu können. Im Gegensatz zu der eher ruhigen, getragenen Handlung erfolgt der Perspektivwechsel äußert schnell.

Im Mittelpunkt stehen die drei erwachsenen Cazalet-Söhne Edward, Hugh und Rupert, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Edward hat hinter dem Rücken seiner Frau immer wieder Affären, während Hugh noch immer unter den körperlichen und seelischen Verletzungen, die er im Ersten Weltkrieg erlitten hat, leidet. Der jüngste Sohn Rupert arbeitet als einziger nicht in der Firma der Famile, sondern ist Kunsterzieher, während er von einem Leben als Maler träumt. Früh verwitwet, ist er in zweiter Ehe mit der viel jüngeren Zoe verheiratet, für die nichts als ihre Schöhnheit zu sprechen scheint.

Sehr interessante Charaktere haben auch Edwards und Hughs Ehefrauen sowie alle Kinder aus diesen drei Ehen zu bieten, und ich bin wirklich gespannt, wie sie sich weiter entwickeln werden.

Der Roman bietet einen äußerst interessanten Einblick in die damalige, in Konventionen und einem antiquierten Frauenbild gefangene Zeit und hat mich stets gefesselt. Themen wie gleichgeschlechtliche Liebe oder Kindesmissbrauch werden auf äußerst dezente Weise thematisiert. Dass die Autorin sich so viel Zeit nimmt, ihre zahlreichen Figuren gebührend einzuführen, wird die Geduld manchen Lesers vielleicht überfordern. Mich dagegen hat sie wirklich neugierig gemacht, wie es mit den vielschichtigen Cazalets weitergehen wird. Da im nächsten Teil der Zweite Weltkrieg folgt, mache ich mir um sie etwas Sorgen. Schließlich sind sie mir im Laufe des Romans ans Herz gewachsen.

Bewertung vom 08.07.2018
Anderson, Poul

War of Gods - Krieger des Nordens


sehr gut

Mit Poul Anderson präsentiert der Mantikore-Verlag hier einen wirlich großen Namen in einer gelungenen Neuübersetzung.

Fans der nordischen Mythologie werden dabei voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Anderson präsentiert die Geschichte des sagenumwobenen Dänenkönigs Hadding und verknüpft dessen Geschichte mit der Götterwelt der Asen. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, dass es sich um einen episodenhaften Erzählstil wie in einer Saga handelt, der dazu führt, dass man eine gewisse Distanz zu den Protagonisten behält. Die Figuren sind gewaltig, fast wie Archetypen.

Königssohn Hadding wächst nach dem Tod seines Vaters verborgen bei den Jötunen auf. Für dieses Riesenvolk findet der Autor wunderbare Bilder, etwa wenn eine Jötunen-Zauberin gruselig unter dem Sichelmond singt. Dass Anderson vielfach preisgekrönt wurde, habe ich gemerkt. Die Leser begleiten Hadding bei seinem wundersamen Aufstieg zum Dänenkönig, immer unter dem Schutz Odins, bei Schlachten, Reisen in die Unterwelt, Brautwerbung bis hin zu seinem Ende.

Eine gewisse Konzentrationsspanne sollte man mitbringen, denn es handelt sich hier noch um althergebrachte Erzählkunst ohne seichtes Geplänkel.

Bewertung vom 01.07.2018
Husemann, Dirk

Die Bücherjäger


sehr gut

Poggio Bracciolini geht einer äußerst interessanten Profession nach: Er ist ein Bücherjäger, immer auf der Suche nach antiken Handschriften, um sie vor dem Überschreiben durch christliche Texte zu bewahren. Außerdem ist er ein Gefolgsmann des in Ungnade gefallenen Papstes Johannes XXIII., nur einer von drei Päpsten während des Konstanzer Konzils anno 1417.

Als Poggio in einem Kloster ein angekettetes Buch findet, kommt er einer geradezu unglaublichen Verschwörung auf die Spur, einer Theorie, von der ich persönlich noch nie etwas gehört hatte, die aber tatsächlich durch die Historie zu geistern scheint. Eine atemlose Bücherjagd beginnt, und nicht nur Poggio hat manchmal Mühe, Freund von Feind zu unterscheiden, als so wendungsreich erweist sich die Geschichte.

Hauptprotagonisten sind neben Poggio der Barde Oswald von Wolkenstein, die geheimnisvolle Agnes von Mähren und der Papst auf der Flucht. Für Agnes entwickelt Poggio bald Gefühle, doch kann er ihr wirklich trauen?

Diese vier Figuren sind tatsächlich historisch verbürgt und der Autor hat ihnen gekonnt neues Leben eingehaucht. Leider muss ich aber sagen, dass ich mit keinem der Charaktere völlig warm geworden bin, wenn sie mich auch nicht kalt gelassen haben. Es hat jedoch das Mitfiebern etwas gedämpft. Insgesamt fand ich die männlichen Protagonisten gelungener als Agnes.

Ein großes Lob gebührt der Sprachkunst des Autors, der immer wieder ungewöhnliche Bilder findet, die man zitieren möchte.

Fazit: ein gelungener Histotienroman mit ansprechendem Mix aus Fakten und Fiktion.

Bewertung vom 10.06.2018
Trope, Nicole

Das Finkenmädchen


ausgezeichnet

Das Cover kommt wunderschön verspielt und romantisch daher, aber der Inhalt des Buches hat es wirklich in sich.
Die Farm ist ein sehr moderates australisches Gefängnis, in dem weibliche Insassen auf die Freiheit vorbereitet werden. Die junge Birdy ist geistig recht einfach gestrickt und wirkt zunächst eher harmlos, so dass man sich als Leser fragt, was sie überhaupt dorthin verschlagen hat. Doch als eine neue Insassin, die fünfzigjährige gutsituierte Rose, dort inhaftiert wird, scheint Rose plötzlich finstere Pläne zu schmieden. Die beiden so unterschiedlichen Frauen eint eine gemeinsame geheimnisvolle Vergangenheit, von der Rose zunächst nichts ahnt. Denn die einstige Nachbarstochter Felicity, jetzt unter dem Spitznamen Birdy bekannt, hat sich auch optisch sehr verändert. Was plant Birdy, und was haben Rose und Birdy verbrochen?
In hoch interessanten Rückblenden, bei denen Birdy und Rose jeweils als Ich-Erzählerinnen fungieren, werden diese Fragen auf erschütternde Weise beantwortet. Die Autorin gibt dabei ihren beiden Protagonistinnen unverwechselbare Stimmen. Während Felicity ihre Umwelt zum Teil rätselhaft bleibt, ist Rose die bekannte Frau eines einstigen Fernsehstars, der viele Jahre eine erfolgreiche Kindersendung moderierte. Doch dann kam er gewaltsam ums Leben und sein Tod wirft viele Fragen auf…
Geschickt manövriert die Autorin ihre Leserschaft durch die Rätsel der Vergangenheit, während man gleichzeitig von der Frage in Atem gehalten wird, ob Birdy Rose etwas antun wird. Die Erzählung blieb fesselnd bis zu einem Schluss, der für mich alle Fragen beantwortet hat. Ein ungewöhnliches Buch, in dem nicht einmal eine Voliere voller Finken so harmlos ist, wie sie erscheint.

Bewertung vom 01.06.2018
Barnett, David M.

Miss Gladys und ihr Astronaut


gut

Thomas Major erinnert nicht nur zufällig an Major Tom aus Bowies berühmtem Song Space Oddity. Seine Mutter hat ihn direkt danach benannt, da ihr Ehename Major lautet. Wie viele Kinder ist Thomas in seiner Kindheit fasziniert von Star Wars, verbindet damit aber ein sehr unangenehmes Erlebnis. Sein Vater lässt ihn im Kino allein, um Zeit mit seiner Affäre zu verbringen. Als Thomas die beiden überrascht, ist ihre Beziehung nicht mehr die gleiche. Zudem kommt Thomas jüngerer Bruder früh ums Leben. Thomas wächst zu einem misanthropischen Menschen heran, der sich selbst und dem Leben nicht vertraut. Seine Ehe scheitert.
Er arbeitet bei der britischen Weltraumorganisation, doch eigentlich nur als Chemitechniker. Geplant ist dort der erste bemannte Flug zum Mars. Als der eigentlich Astronaut unerwartet ausfällt, gelingt es Thomas auf skurrile Weise, sich die Mission zu erschleichen. Am reizvollsten ist für ihn am All, dass es dort keine Menschen gibt.

Als nach dem Start die herkömmliche Verbindung zur Erde ausfällt, ist Thomas auf ein sogenanntes Iridium-Telefon angewiesen. Während er versucht, seine Exfrau anzurufen, erreicht er unter ihrer Telefonnummer allerdings nur noch die liebenswerte, aber fortschreitend demente Miss Gladys. Gegen seinen Willen wird Thomas immer mehr in ihre Probleme verstrickt. Denn Gladys muss sich um ihre halbwüchsigen Enkel Ellie und James kümmern, solange deren Vater Darren im Gefängnis sitzt. Doch da sie das ihr zur Verfügung gestellte Geld an einen Betrüger verloren hat, stehen die drei kurz vor der Obdachlosigkeit, bedingt durch Mietschulden. Jetzt kann eigentlich nur noch helfen, wenn James einen Schüler-Wissenschafts-Wettbewerb gewinnt, bei dem genau die benötigte Summe als Preisgeld ausgesetzt ist. Und ist da "Major Tom" nicht genau der Richtige um zu helfen? Hat er nicht trotz seiner griesgrämigen Art das Herz am rechten Fleck?

Thomas Weltverachtung hat mir Spaß gemacht und wird sehr humorvoll dargestellt. Auch die tüchtige Ellie empfand ich als liebenswerte Protagonistin. Dennoch erschien mir die Erzählung streckenweise ziemlich konstruiert. Es ist zwar gesellschaftsfähig, das Thema Demenz unterhaltsam darzustellen. Mich hat es aber doch etwas belastet und nach einer Weile angestrengt, darüber zu lesen. Zum Ende hin zog sich die Geschichte für mich, da sich Hindernis über Hindernis auf dem Weg zum Wettbewerb auftürmt. Der Abschluss ging zwar durchaus zu Herzen, war für mich aber nicht völlig glaubwürdig und vor allem viel zu Flatulenz-lastig.

Bewertung vom 27.05.2018
Dittmar, Vivian

Der emotionale Rucksack


gut

Dass Menschen zuweilen überreagieren, weil aktuelle Situationen unbewusst an alte Narben anknüpfen, ist mir sehr wohl bewusst. Die Autorin findet dafür das stimmige Bild des emotionalen Rucksacks, den es aufzuarbeiten gilt.

Leider stellt sich erst nach zahlreichen Kapiteln heraus, dass es für diese Aufarbeitung eines Partners bedarfs und die Aufarbeitung in den seltensten Fällen allein gelingt. Ich finde, ein derartiger Hinweis gehört an den Anfang des Buches, bzw. auf den Klappentext, um Enttäuschungen zu vermeiden. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der nicht jeder Mensch über derartige Vertrauenspersonen verfügt. Da hilft auch der umsichtige Hinweis nicht weiter, dass man sich in diesem Fall eine Person, bekannt aus psychologischen Seminaren, zu Hilfe nehmen soll. Die überwiegende Mehrheit der Menschen hat vermutlich einen derartigen Hintergrund an Seminaren nicht. Auch bedarf es einer grundsätzlichen Bereitschaft, sich und seine Probleme einem anderen derartig weit zu öffnen. Auch diese Bereitschaft sollte nicht bei jedem Leser vorausgesetzt werden.

Die vorgestellte Technik der bewussten Entladung des emotionalen Rucksacks klingt überraschend einfach und auch äußerst sinnvoll, ist für mich persönlich aber daher nahezu vollständig abstrakt geblieben.

Interessanter waren für mich dadurch eigentlich die vielen Hintergrundinformationen, z.B. die Unterschiede in den Wirkungen der MBSR-Technik und der Metta-Meditation, die die sehr sympathisch wirkende Autorin anschaulich erläutert.

Bewertung vom 20.05.2018
Ruby, Laura

Die Suche nach dem Schattencode / Chroniken von York Bd.1


ausgezeichnet

"Die Suche nach dem Schattencode" ist der erste Teil der neuen Serie "Chroniken von York". Angesiedelt in einem parallelen New York der Gegenwart voller Steampunk-Elemente, treffen wir die jungen Geschwister Theodore und Theresa. Sie sind nach den Zwilligen Theresa und Theodore Morningstar benannt, die mit ihren genialen Erfindungen im 19. Jahrhundert die Welt regelrecht revolutionierten, bevor sie auf mysteriöse Weise verschwanden. Noch heute suchen viele Menschen nach ihrem geheimen Vermächtnis, bei dem es sich um einen Schatz oder die Erklärung ihrer Werke handeln könnte. Die heutigen Theodore und Theresa wirken ebenso intelligent wie ihre berühmten Namensvettern. Auch ihr Wortwitz hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Sie bewohnen eins der ehemaligen Morningstar-Gebäude, das von dem rücksichtslosen Investor Darnell Slant gekauft und abgerissen werden soll. Gemeinsam mit dem Nachbarsjungen Jaime machen sie sich auf die Suche nach dem Code, in der Hoffnung, das Gebäude doch noch retten zu können.

Eine atemlose Rätseljagd quer durch New York entfaltet sich, bei der die drei auch von Nine, einer Mischung aus Siamkatze und Serval, begleitet werden. Als Katzenfan habe ich mich in Nine regelrecht verliebt. Man merkt, dass sich die Autorin mit Katzen auskennt. Überhaupt ist die Chrarakterisierung aller Protagonisten äußerst gelungen, bis hin zu allen Nebenfiguren, z.B. weiteren Nachbarn. Das Buch hat mich nicht nur amüsiert, sondern durchweg gefesselt. Das ist wieder einmal ein Jugendbuch, das auch Erwachsene zu begeistern vermag. Ich freue mich schon auf weitere Bände!

Bewertung vom 13.05.2018
Ellwood, Nuala

Was ihr nicht seht


sehr gut

Mit diesem psychologischen Thriller hat die Autorin mich wirklich bestens unterhalten. Was ist Realität und was existiert nur in der Phantasie ihrer Protagonistin Kate?

Kate tritt als Ich-Erzählerin auf, und so erfahren die Leser die Geschichte aus ihrer Perspektive. Doch Kate ist in mehrfacher Hinsicht traumatisiert. Ihre Kindheit war geprägt durch den alkoholabhängigen Vater und den rätselhaften Tod ihres Bruders. Ihre Tätigkeit als Kriegsreporterin tut ein Übriges, und ihre langjährige Beziehung zu einem verheirateten Mann endete unter äußerst belastenden Umständen. Schon lange nimmt Kate Pychopharmaka, um die Kriegsgräuel überhaupt mit ansehen zu können. Vor allem der kürzliche Tod eines kleinen syrischen Jungen verfolgt sie noch immer.

Nach dem Tod ihrer Mitter kehrt Kate zurück in ihr leerstehendes Elternhaus. Auch ihre Schwester Sally ist mittlerweile dem Alkohol verfallen. Kates Schwager Paul bittet Kate um Hilfe, doch die Schwester stehen sich nicht nahe. Kate kann wenig für sie tun. Schon bald mehren sich ihre eigenen Probleme. Wer ist der kleine Junge mit blaugeschlagenem Gesicht nachts im Garten des Nachbarhauses, von dem die Mieterin des Hauses angeblich nichts weiß? Verfolgt Kate ihre Vergangenheit oder ist dort wirklich ein Kind in Not?

In raffinierten Rückblenden entfaltet sich Rätsel um Rätsel aus der Vergangenheit der Schwestern, bezüglich des Nachbarhauses und der Geschehnisse in Syrien. Gleich zu Anfang erfahren wir, dass sich Kate selbst in Polizeigewahrsam befindet. Was hat sie sich zu schulden kommen lassen? Geschickt legt die Autorin falsche Fährten und lässt den Leser immer mehr an ihrer Protagonistin zweifeln.

Nach etwa zwei Dritteln des Romans wird die Erzählung von Sally als Ich-Erzählerin übernommen. Auch hier ist die Charakterisierung der Protagonistin äußerst fein gezeichnet, glaubwürdig und gelungen. Ich begann zwar irgendwann, die richtige Person vage zu verdächtigen, aber ich wäre niemals hinter das wahre Ausmaß der Geheimnisse gekommen. Zum Ende des Buches entfaltet sich ein wahres Feuerwerk an Ideen. Die Autorin behält dabei stets den Überblick und lässt keine Frage unbeantwortet.

Das Cover ist sehr hochwertig gestaltet mit seinen ausgestanzten Buchstaben, die den Buchtitel bilden. Das verlaufene Titelbild wirkt gleichzeitig gefährlich und geheimnisvoll und passt daher wunderbar zum Inhalt.

Bewertung vom 08.05.2018
Michaelis, Antonia

Wind und der geheime Sommer


ausgezeichnet

Antonia Michaelis gehört zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen. Daher lese ich auch ihre Kinderbücher, obwohl ich schon sehr lange nicht mehr zur eigentlichen Zielgruppe gehöre. Es fasziniert mich einfach, wie in ihren Romanen Realität und Phantasie unmerklich ineinander übergehen. Für diesen magischen Realismus ist „Wind und der geheime Sommer“ geradezu ein Paradebeispiel.
John-Marlon ist ein Scheidungskind, in der Schule nicht gerade beliebt, und auch der abwesende Vater hat nur wenig Interesse, regelmäßig Zeit mit ihm zu verbringen. Eigentlich ist John-Marlon ziemlich einsam – bis er eines Tages in einer Berliner Seitenstraße ein loses Brett in einem Bauzaun entdeckt und sich in einem geheimnisvollen Urwald wiederfindet. In einem Bauwagen lebt dort ganz allein ein Mädchen, das sich selbst Wind nennt. Wind kann nicht nur wunderbar Geige spielen. Alles was sie erzählt, wird wahr, so dass John-Marlon auf einmal phantastische Abenteuer erlebt. Nach und nach findet er dort auch weitere Freunde, denn neben John-Marlon entdeckten noch andere Kinder, die sich selbst als Außenseiter begreifen, den Weg zu Wind. Es ist beinahe wie im Paradies. Doch es gibt auch einige Schatten: Wer verstreut die rätselhaften, irgendwie bedrohlich wirkenden rosa Blütenblätter? Warum darf man Wind nur zu bestimmten Uhrzeiten besuchen? Und die drängendste Frage von allen: Warum sagt Wind, sie werde am Ende des Sommers verschwunden sein?
Die Geschichte um Wind und ihre Freunde ist spannend, poetisch, lehrreich und geht zu Herzen. Das vor Detailreichtum überbordende Titelbild illustriert die Geschichte wunderbar. Zusätzlich gibt es passende Illustrationen im Innenteil. Ganz besonders hat mir die Wahl der Kapitelüberschriften gefallen, die die wissenschaftlichen und deutschen Namen der Pflanzen tragen, die in den Urwaldabenteuern eine Rolle spielen. Ich habe mit Wind, ihrer Bande und deren Familien mitgefiebert und war froh, dass das Ende mich vollauf zufrieden gestellt hat.