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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 571 Bewertungen
Bewertung vom 24.11.2017
Thariot

Instabil


gut

Der Beginn könnte spannender nicht sein: Protagonist Patrick wird von einem Sondereinsatzkommando der Polizei verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, nach kurzer Vernehmung wird er dem FBI überstellt und soll nach Guantanamo geflogen werden. Vom Düsseldorfer Flughafen gelingt ihm eine erste spektakuläre Flucht - es werden noch weitere folgen.
Die Geschichte ist gleichermaßen fesselnd wie verwirrend - Patrick kann es zunächst selbst kaum glauben, aber er wird durch die Zeit katapultiert wie ein Flummy-Ball.
Dem Autorenteam gelingt es spielend, die Hauptfiguren - neben dem Terrorverdächtigen sind dies verschiedene Ermittler sowie eine Journalistin und deren Tochter - schnell und deutlich zu charakterisieren. Fast zu deutlich, es gibt wenig überraschende Wendungen, die nicht durch Zeitreisen hervorgerufen werden, die Charaktere sind vorhersehbar, good cop, bad cop etc. Auch die obligatorische Liebesgeschichte überzeugt nicht wirklich.
Dennoch bietet der Thriller reichlich Spannung und auch Humor. Nichts Außergewöhnliches, aber gute Unterhaltung, die mich - auch aufgrund des offenen Endes - auf die Fortsetzung neugierig macht.

Bewertung vom 21.11.2017
Gapski, Tom

Côte Sauvage


sehr gut

Ja, die Geschichte erinnert ein wenig an Jack Kerouacs Klassiker der Beatgeneration, "Unterwegs":
Der Berliner Max macht sich in seinem klapprigen "Schrottcedes" auf den Weg durch Europa, ohne Ziel und trotzdem auf dem Weg zu sich selbst.
Seine Tage sind bestimmt von Depression und Drogen, auch nachdem er schließlich bei seinem alten Freund Otto landet, der in der Bretagne eine Strandbar eröffnet hat.
Der Roman handelt vom Suchen und Finden, von Freundschaften, Wertvorstellungen und Lebensmaximen. Mal wirken Aussteiger erstaunlich spießig, mal überraschen zugedröhnte Freunde mit ihrer Weitsicht.
Sprachlich für mich etwas gewöhnungsbedürftig passt die Ausdrucksweise durchaus zum Life-Style von Max und den weiteren Protagonisten.
Fazit: Eine interessante kleine Geschichte, die Stoff für Diskussionen bietet.

Bewertung vom 19.11.2017
Sebastian 23

Die Sonnenseite des Schneemanns


sehr gut

Ian mag Ordnung, im Job wie im Privatleben. Beides bringt die unkonventionelle Julia gehörig durcheinander. Was als Wette zwischen Freundinnen begann - den stocksteifen Spießer aus der Reserve zu locken - ist bald schon mehr ...
Dabei wimmelt es in der Geschichte von überzeichneten Charakteren und skurrilen Situationen, die Dank des originellen Komik des Autors aber (fast) nie in Klamauk abdriften.
Unterhaltsame Lektüre mit viel originellem Sprachwitz.

Bewertung vom 16.11.2017
Höhtker, Christoph

Das Jahr der Frauen


weniger gut

Es hätte ein außergewöhnlich guter Roman werden können: Als Idee gleich zu Beginn eine extrem skurrile Wette, die Geschichte verpackt in Höhtkers gleichermaßen moderne wie originelle Sprache - ich freute mich auf ein ungewöhnliches Leseerlebnis.
Und ich wurde anfangs auch nicht enttäuscht: Protagonist Frank Stremmer, in der PR-Abteilung einer ominösen NGO in Genf tätig, schlägt seinem Therapeuten - gedrängt, aufgrund des bevorstehenden Jahreswechsels sich doch Vorsätze für das kommende neue Jahr zu nehmen - eine unkonventionelle Wette vor: Frank will in den kommenden zwölf Monaten je eine Frau "verbrauchen", sprich: mit ihr Sex haben. Einzige Bedingung: Er darf nicht dafür bezahlen. Schafft er das, darf er sich anschließend umbringen.
Die ersten Kapitel nehmen rasant an Fahrt auf, die hoffnungslose, düstere Welt, in der sich der depressive Frank eingerichtet hat, wird mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors beschrieben. Ein interessanter Kunstgriff ist auch die Fähigkeit, sich zu allen möglichen Menschen um ihn herum Biografien auszudenken.
Doch leider schafft es Höhtker nicht, mich bis zum Schluss zu fesseln. Zwar fordert die anspruchsvolle Schreibweise die ganze Aufmerksamkeit des Lesers, sonst kann man vor lauter Einschüben, Gedankensprüngen und eingefügten E-Mails schon mal den Faden verlieren. Dennoch habe ich mich ab dem vierten Kapitel (es sind derer zwölf, gemäß der Monate) zunehmend gelangweilt und war nach der Hälfte des Romans froh, dass das Jahr "nur" zwölf Monate hat.
Die Idee mit der Wette nutzt sich schnell ab, sie trägt keinen ganzen Roman. Über die Nebenfiguren erfahren wir wenig, dieses Wenige wird dafür oft wiederholt, so etwa dass Kollege Wilson fett und abhängig von Psychopharmaka ist. Auch über Frank bleiben viele Fragen offen, für meinen Geschmack zu viel Interpretationsspielraum: Wieso ist er so depressiv, was hat ihn - außer gemeinsamen Drogenkonsums - mit seiner Ex-Freundin verbunden, wieso arbeitet er, der Kommunikation völlig ablehnt, als PRler für eine Organisation, deren Motto lautet "Communicating for a better tomorrow"?
Als Pluspunkte des Romans verbuche ich die unverhohlene Kritik an manchen undurchsichtigen, selbsternannten Hilfsorganisationen, an der PR-Maschinerie an sich und vor allem das überraschende, offene Ende, das auch durch das gewählte Stilmittel des Gesprächsprotokolls sehr eindringlich nachwirkt.
Leider tröstet dies nur bedingt über die vielen, langatmigen Wiederholungen hinweg. Es bleibt: Ein außergewöhnlicher, jedoch außergewöhnlich langweiliger Roman, mit dem Höhtker weit hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt. Schade.

Bewertung vom 07.11.2017
Walls, Jeannette

Schloss aus Glas


gut

Was für ein spannendes Thema: Worin besteht eine glückliche Kindheit? Kann es gelingen, dass Kinder, die die finanzielle Not der Eltern am eigenen Leib erfahren, zu glücklichen Erwachsenen heranwachsen? Wie viel Freiheit ist in der Kindheit förderlich, wann beginnt es gefährlich oder schädlich zu werden? Worin genau besteht Fürsorgepflicht? Was macht es mit einem Kind, wenn es von klein auf immer wieder umziehen muss - fühlt es sich später entwurzelt oder ist es weltoffen, neugierig und ohne Angst vor Neuem?
Leider gibt Jeannette Walls darauf kaum Antworten in ihrem autobiografischen Roman. Zwar schildert sie in vielen Details, wie viele gefährliche Situationen sie und ihre drei Geschwister zu meistern hatten, da die nomadisierenden Eltern sich kaum um die Kinder kümmerten. Wir erfahren wie Jeannette und ihr Bruder aus Sondermüllabfällen "Atom-Benzin" mischten und die Explosion nur mit viel Glück überlebten, wie es zu einer Schießerei mit dem Nachbarsjungen kam oder wie Hunger zum täglichen Begleiter wurde. Dies alles jedoch in einer seltsam nüchternen Beschreibung, fast als ob die gelernte Journalistin Walls eine Reportage verfasst hätte. Mir fehlen in diesem Roman die Ängste, die die Kinder ausgestanden haben müssen, nur selten werden diese thematisiert, etwa wenn die jüngste Schwester, Maureen, wochenlang nicht mehr schlafen kann, weil nachts eine Ratte auf ihrer Decke gesessen hatte.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass Walls den All-American-Dream "Vom Tellerwäscher zum Millionär" in neuer Version erzählen möchte: "Vom Kind, das in Pappkartons schlief, zur erfolgreichen Journalistin, die in der Park Avenue in New  York wohnt."
Über Rückschläge erfahren wir wenig, als Grund für ihre Scheidung heißt es nur knapp "Er war ... nicht der Richtige für mich.". Auch die Ehe des Bruders scheitert, aber dennoch sollen wir glauben, "es ging ihm richtig gut", da er ein Häuschen renoviert und zwei Frauen an ihm interessiert sind. Maureen, die nach einem Angriff auf ihre Mutter ein Jahr in einer Klinik verbringen muss, verschwindet danach nach Kalifornien und ebenso schnell aus dem Roman.
Die Geschichte ist durchaus lesenswert, aber ich würde empfehlen, das Buch danach weiterzugeben, damit man sich mit Bekannten darüber austauschen kann. Es bietet reichlich Diskussionsstoff, tiefere Einsichten oder gar Antworten der Autorin sollte man sich nicht erhoffen.

Bewertung vom 25.10.2017
Schmitzer, Ulrike

Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt


ausgezeichnet

Vorab: Ich lese sehr viel und querbeet, aber ich war schon lange nicht mehr derart von einer Romanidee und -umsetzung begeistert wie von der vorliegenden!
Im Mittelpunkt der Erzählung steht eine junge Frau, die an einer Isolationsstudie zur Vorbereitung für künftige Marsmissionen teilnehmen soll. Vieles klingt mysteriös und bleibt geheimnisvoll, doch sie entdeckt, dass sie eine Zwillingsschwester hat und diese auch Teil des Programms ist.
Die kurzen Kapitel wechseln sich mit Notizen der Protagonistin ab, in denen sie Missgeschicke der Raumfahrt vermerkt; diese und weitere erscheinen im Anhang als "Lexikon der Astronautenfehler", eine gut recherchierte, teils erschreckende, teils amüsante Auflistung.
Ebenso genial ist die Idee, sich die im Buch beschriebenen Kunstwerke und -Projekte für den Roman aus der Realität zu holen: Die echte Künstlerin Irini Athanassakis hat die der fiktiven Zwillingsschwester zugeschriebenen Kunstwerke geplant und teilweise realisiert. Eine gleichermaßen schräge wie originelle Idee!
Ich habe das Büchlein in eineinhalb Tagen regelrecht verschlungen, meine absolute Leseempfehlung! Und am besten gleich weiterverschenken, es bietet ausreichend Stoff zur Diskussion.

Bewertung vom 22.10.2017
Hooven, Andreas van

Klangkörper


sehr gut

Gleich zu Beginn des Romans steht eine erschütternde Szene: Die Protagonistin Ela, Sängerin der aufstrebenden Band "Stereos" bricht auf der Bühne zusammen.
Aus der Perspektive ihres Freundes Phil, außerdem Bassist bei den Stereos, erleben wir,wie die an Parkinson erkrankte frühere Cellistin Ela mit dem Fortschreiten ihrer unheilbaren Erkrankung umgeht.
Eine sehr beeindruckende Liebes- und Krankheitsgeschichte, voller Symbolik und mit viel Platz für eigene Interpretationen. Kein einfaches Buch, aber eines, das sehr zum Nachdenken und diskutieren anregt.
Schönes Detail: Musikwissenschaftler und Autor van Hooven hat für den Roman eigens Lieder der Stereos komponiert.
Mein einziger Kritikpunkt ist die wiederholte Verwendung von Fachbegriffen aus der Musikszene und -theorie. Hier musste ich als Laie vieles nachschlagen, was meinen Lesefluss etwas störte.
Davon abgesehen: sehr lesenswert, nicht nur für Musiker!