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Aischa

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Insgesamt 568 Bewertungen
Bewertung vom 16.11.2017
Höhtker, Christoph

Das Jahr der Frauen


weniger gut

Es hätte ein außergewöhnlich guter Roman werden können: Als Idee gleich zu Beginn eine extrem skurrile Wette, die Geschichte verpackt in Höhtkers gleichermaßen moderne wie originelle Sprache - ich freute mich auf ein ungewöhnliches Leseerlebnis.
Und ich wurde anfangs auch nicht enttäuscht: Protagonist Frank Stremmer, in der PR-Abteilung einer ominösen NGO in Genf tätig, schlägt seinem Therapeuten - gedrängt, aufgrund des bevorstehenden Jahreswechsels sich doch Vorsätze für das kommende neue Jahr zu nehmen - eine unkonventionelle Wette vor: Frank will in den kommenden zwölf Monaten je eine Frau "verbrauchen", sprich: mit ihr Sex haben. Einzige Bedingung: Er darf nicht dafür bezahlen. Schafft er das, darf er sich anschließend umbringen.
Die ersten Kapitel nehmen rasant an Fahrt auf, die hoffnungslose, düstere Welt, in der sich der depressive Frank eingerichtet hat, wird mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors beschrieben. Ein interessanter Kunstgriff ist auch die Fähigkeit, sich zu allen möglichen Menschen um ihn herum Biografien auszudenken.
Doch leider schafft es Höhtker nicht, mich bis zum Schluss zu fesseln. Zwar fordert die anspruchsvolle Schreibweise die ganze Aufmerksamkeit des Lesers, sonst kann man vor lauter Einschüben, Gedankensprüngen und eingefügten E-Mails schon mal den Faden verlieren. Dennoch habe ich mich ab dem vierten Kapitel (es sind derer zwölf, gemäß der Monate) zunehmend gelangweilt und war nach der Hälfte des Romans froh, dass das Jahr "nur" zwölf Monate hat.
Die Idee mit der Wette nutzt sich schnell ab, sie trägt keinen ganzen Roman. Über die Nebenfiguren erfahren wir wenig, dieses Wenige wird dafür oft wiederholt, so etwa dass Kollege Wilson fett und abhängig von Psychopharmaka ist. Auch über Frank bleiben viele Fragen offen, für meinen Geschmack zu viel Interpretationsspielraum: Wieso ist er so depressiv, was hat ihn - außer gemeinsamen Drogenkonsums - mit seiner Ex-Freundin verbunden, wieso arbeitet er, der Kommunikation völlig ablehnt, als PRler für eine Organisation, deren Motto lautet "Communicating for a better tomorrow"?
Als Pluspunkte des Romans verbuche ich die unverhohlene Kritik an manchen undurchsichtigen, selbsternannten Hilfsorganisationen, an der PR-Maschinerie an sich und vor allem das überraschende, offene Ende, das auch durch das gewählte Stilmittel des Gesprächsprotokolls sehr eindringlich nachwirkt.
Leider tröstet dies nur bedingt über die vielen, langatmigen Wiederholungen hinweg. Es bleibt: Ein außergewöhnlicher, jedoch außergewöhnlich langweiliger Roman, mit dem Höhtker weit hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt. Schade.

Bewertung vom 07.11.2017
Walls, Jeannette

Schloss aus Glas


gut

Was für ein spannendes Thema: Worin besteht eine glückliche Kindheit? Kann es gelingen, dass Kinder, die die finanzielle Not der Eltern am eigenen Leib erfahren, zu glücklichen Erwachsenen heranwachsen? Wie viel Freiheit ist in der Kindheit förderlich, wann beginnt es gefährlich oder schädlich zu werden? Worin genau besteht Fürsorgepflicht? Was macht es mit einem Kind, wenn es von klein auf immer wieder umziehen muss - fühlt es sich später entwurzelt oder ist es weltoffen, neugierig und ohne Angst vor Neuem?
Leider gibt Jeannette Walls darauf kaum Antworten in ihrem autobiografischen Roman. Zwar schildert sie in vielen Details, wie viele gefährliche Situationen sie und ihre drei Geschwister zu meistern hatten, da die nomadisierenden Eltern sich kaum um die Kinder kümmerten. Wir erfahren wie Jeannette und ihr Bruder aus Sondermüllabfällen "Atom-Benzin" mischten und die Explosion nur mit viel Glück überlebten, wie es zu einer Schießerei mit dem Nachbarsjungen kam oder wie Hunger zum täglichen Begleiter wurde. Dies alles jedoch in einer seltsam nüchternen Beschreibung, fast als ob die gelernte Journalistin Walls eine Reportage verfasst hätte. Mir fehlen in diesem Roman die Ängste, die die Kinder ausgestanden haben müssen, nur selten werden diese thematisiert, etwa wenn die jüngste Schwester, Maureen, wochenlang nicht mehr schlafen kann, weil nachts eine Ratte auf ihrer Decke gesessen hatte.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass Walls den All-American-Dream "Vom Tellerwäscher zum Millionär" in neuer Version erzählen möchte: "Vom Kind, das in Pappkartons schlief, zur erfolgreichen Journalistin, die in der Park Avenue in New  York wohnt."
Über Rückschläge erfahren wir wenig, als Grund für ihre Scheidung heißt es nur knapp "Er war ... nicht der Richtige für mich.". Auch die Ehe des Bruders scheitert, aber dennoch sollen wir glauben, "es ging ihm richtig gut", da er ein Häuschen renoviert und zwei Frauen an ihm interessiert sind. Maureen, die nach einem Angriff auf ihre Mutter ein Jahr in einer Klinik verbringen muss, verschwindet danach nach Kalifornien und ebenso schnell aus dem Roman.
Die Geschichte ist durchaus lesenswert, aber ich würde empfehlen, das Buch danach weiterzugeben, damit man sich mit Bekannten darüber austauschen kann. Es bietet reichlich Diskussionsstoff, tiefere Einsichten oder gar Antworten der Autorin sollte man sich nicht erhoffen.

Bewertung vom 25.10.2017
Mattioli, Aram

Verlorene Welten


gut

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich habe wenig Geschichtskenntnisse und hatte ein informatives Sachbuch über die nordamerikanische Siedlungsgeschichte aus Blick der Native Peoples erwartet. Was habe ich bekommen? Ein sehr umfangreiches und informatives Buch über den Verlauf der Besiedlung durch die Weißen und der damit einhergehenden Dezimierung der ursprünglichen Bevölkerung, ja, aber in meinen Augen eher ein Fach- denn ein Sachbuch.
Wer ausreichend Vorwissen mitbringt, dem erschließt sich das vorliegende Werk wahrscheinlich leichter als mir. Ich hätte mir mehr erklärende Fußnoten und anschauliche Fotos, Tafeln etc. gewünscht.
Dennoch zeigt Mattioli vieles deutlich und räumt mit verbreiteten Stereotypen auf. Es gab eben nicht "die Indianer" sondern hunderte verschiendenster Native Peoples, die sich in Sprache, Kultur und Lebensgrundlage wie auch ihrer Einstellung der Siedler gegenüber sehr unterschieden. Klar benennt der Autor den oft kaum verhohlenen Rassismus nicht nur der einfachen Siedler sondern auch von amerikanischen Präsidenten. Kriege, Goldrausch und Deportationen werden ausführlich beschrieben, ebenso wie das Leben in den Reservaten und Umerziehungsinternaten. Ich hatte mir aber mehr Details zum Leben der Natives erhofft, auch wenn die Datenlage dazu mangels schriftlicher Überlieferung aus nicht-weißer Feder dürftig ist.
Bei 464 Seiten sind mir sowohl 30 Seiten Literaturverzeichnis wie auch 60 Seiten Anmerkungen (die fast ausschließlich Quellenangaben sind) für ein Sachbuch unangemessen viel.
Dennoch - bei aller Kritik - drei Sterne, da Mattioli hoffentlich dazu beiträgt, dass sich die USA endlich ihren damaligen Verbrechen stellen und die längst überfällige Aufarbeitung der schandhaften eigenen Siedlergeschichte an Stelle falscher Verklärung setzen. Die Nachkommen aller ermordeten Native Peoples haben ein Recht darauf.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.10.2017
Schmitzer, Ulrike

Es ist die Schwerkraft, die uns umbringt


ausgezeichnet

Vorab: Ich lese sehr viel und querbeet, aber ich war schon lange nicht mehr derart von einer Romanidee und -umsetzung begeistert wie von der vorliegenden!
Im Mittelpunkt der Erzählung steht eine junge Frau, die an einer Isolationsstudie zur Vorbereitung für künftige Marsmissionen teilnehmen soll. Vieles klingt mysteriös und bleibt geheimnisvoll, doch sie entdeckt, dass sie eine Zwillingsschwester hat und diese auch Teil des Programms ist.
Die kurzen Kapitel wechseln sich mit Notizen der Protagonistin ab, in denen sie Missgeschicke der Raumfahrt vermerkt; diese und weitere erscheinen im Anhang als "Lexikon der Astronautenfehler", eine gut recherchierte, teils erschreckende, teils amüsante Auflistung.
Ebenso genial ist die Idee, sich die im Buch beschriebenen Kunstwerke und -Projekte für den Roman aus der Realität zu holen: Die echte Künstlerin Irini Athanassakis hat die der fiktiven Zwillingsschwester zugeschriebenen Kunstwerke geplant und teilweise realisiert. Eine gleichermaßen schräge wie originelle Idee!
Ich habe das Büchlein in eineinhalb Tagen regelrecht verschlungen, meine absolute Leseempfehlung! Und am besten gleich weiterverschenken, es bietet ausreichend Stoff zur Diskussion.

Bewertung vom 22.10.2017
Hooven, Andreas van

Klangkörper


sehr gut

Gleich zu Beginn des Romans steht eine erschütternde Szene: Die Protagonistin Ela, Sängerin der aufstrebenden Band "Stereos" bricht auf der Bühne zusammen.
Aus der Perspektive ihres Freundes Phil, außerdem Bassist bei den Stereos, erleben wir,wie die an Parkinson erkrankte frühere Cellistin Ela mit dem Fortschreiten ihrer unheilbaren Erkrankung umgeht.
Eine sehr beeindruckende Liebes- und Krankheitsgeschichte, voller Symbolik und mit viel Platz für eigene Interpretationen. Kein einfaches Buch, aber eines, das sehr zum Nachdenken und diskutieren anregt.
Schönes Detail: Musikwissenschaftler und Autor van Hooven hat für den Roman eigens Lieder der Stereos komponiert.
Mein einziger Kritikpunkt ist die wiederholte Verwendung von Fachbegriffen aus der Musikszene und -theorie. Hier musste ich als Laie vieles nachschlagen, was meinen Lesefluss etwas störte.
Davon abgesehen: sehr lesenswert, nicht nur für Musiker!

Bewertung vom 18.10.2017
Olsberg, Karl

Boy in a White Room


gut

Der 15jährige Manuel erwacht ohne jegliche Körperwahrnehmung in einem weißen Raum, von dem aus er nur über ein Interface Kontakt zur Außenwelt aufnehmen kann. Er hat sein Gedächtnis verloren und weiß nicht wer er ist. Soweit nichts Besonderes, ein ähnliches Szenario wurde schon in unzähligen Science-Fiction-Romanen als Ausgang gewählt. In diesem Jugendroman, einem Psychothriller mit dystopischen Anklängen, finden sich jedoch auch etliche philosophische Denkanstöße. Dies dürfte für Jugendliche Leser, die auf der Suche nach der eigenen Identität sind, viel Diskussionsstoff bieten (aber nicht nur für diese).
Der Spannungsbogen wird gekonnt aufgebaut und bis zum - sehr überraschenden Ende - gehalten, die einfache Sprache ermöglicht ein flüssiges Lesen.
Je einen Stern ziehe ich ab, zum einen weil die Emotionen des Protagonisten nur sehr knapp beschrieben werden, obwohl sie einen zentrale Bedeutung bei der Frage nach dem Menschsein erhalten. Außerdem habe ich auch nach wiederholtem Lesen nicht das Gefühl einer wirklich "runden" Geschichte, mancher Erzählstrang erscheint doch recht konstruiert.
Der Verfasser, der über künstliche Intelligenz promoviert wurde, beschreibt allerdings die rasende Entwicklung der AI selbst so fundiert, dass glaubhaft ist, diese könnte in naher Zukunft außer Kontrolle der Erfinder geraten.
Fazit: Wer Denkanstöße zu den fundamentalen Fragen "Was ist die Realität?" und "Was macht einen Menschen aus?" möchte und dabei spannende Unterhaltung sucht, für den ist dieser Roman empfehlenswert.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.10.2017
Carle-Sanders, Theresa

Outlander - Das offizielle Kochbuch zur Highland-Saga


sehr gut

Outlander – Das offizielle Kochbuch zur Highland-Saga
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Aischa
zu Outlander – Das offizielle Kochbuch zur Highland-Saga

Outlander ist ein hochwertig ausgestattetes Kochbuch mit einer großen Bandbreite an Rezepten, das durch viel Liebe zum Detail überzeugt.
Gleich zwei Lesebändchen sind willkommene Marker bei der Menüauswahl. Die hochprofessionellen Fotos setzen die Speisen mit rustikalen Dekorationselementen gekonnt in Szene, immer dem Stil der Serie treu bleibend.
Stimmig dazu ist auch das Layout gewählt: keltische Muster, viel gedeckte, warme Erdtöne und großartige Aufnahmen der Highlands. Zu Beginn jedes Rezeptes findet sich ein passendes Zitat aus einem der Outlander-Bücher, für Fans eine geniale Idee, für alle anderen nicht weiter störend.
Nun aber zum Wichtigsten bei einem Kochbuch, zu den eigentlichen Rezepten:
Hier gibt es eine erstaunliche Vielfalt, von Frühstück, Suppen, Rind, Geflügel, Wild, bis hin zu Brot, Desserts, Eingemachtem oder Drinks, um nur einige der 17 (!) Kapitel zu nennen. Allen gemeinsam ist eine gewisse Bodenständigkeit, die meisten Gerichte sind einfach zuzubereiten, und die Zutaten müssen nicht aufwändig in Spezialgeschäften besorgt werden, sondern sind beim normalen Wocheneinkauf erhältlich. Was dem Geschmack aber keinen Abbruch tut, mich hat jedes der probierten Gerichte absolut überzeugt. Die Speisen sind gut gewürzt, und so manches Gericht, das man zu kennen glaubt, erhält durch eine ungewohnte Kombination an Zutaten eine überraschende, frische Geschmacksnote.
Einleitende Seiten zu Ausstattung und Grundtechniken sowie Grundrezepte wie Gemüsefond oder Mürbeteig sind vor allem für ungeübtere Hobbyköche eine Hilfe. Aber auch für alle, die regelmäßig am heimischen Herd stehen, hat Autorin Carle-Sanders wertvolle Tipps zu Zubereitung, Aufbewahrung oder Alternativen bei den einzelnen Rezepten angegeben.Mein einziger Kritikpunkt: Oftmals stehen Zutaten und Zubereitung auf Vorder- und Rückseite statt auf einer Doppelseite. Dadurch muss man bei der Zubereitung viel hin- und herblättern und riskiert, die Seiten zu verschmutzen (wenn man sich nicht nach jedem Handgriff die Finger waschen möchte), und das hat das edle Buch nun wirklich nicht verdient.

Bewertung vom 04.10.2017
Barbero, Alessandro;Rieger, Barbara

Melange der Poesie


sehr gut

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer gerne Kaffee trinkt und/oder Wien mag, wird schon während der Lektüre dieses originellen Bildbandes im Kopf die nächste Reise in die österreichische Landeshauptstadt (und zugleich Hauptstadt der Kaffeehauskultur) buchen.
Auf jeweils zwei Doppelseiten wird eines von insgesamt 55 Kaffeehäusern portraitiert. Ein Foto des Cafés steht einer fundiert recherchierten Beschreibung der Geschichte, Aufzählung prominenter Gäste , hinreißenden, Anekdoten oder Charakterisierung der Speisekarte gegenüber. Die Schwarz-weiß Fotos regen die Fantasie des Lesers an, gleichzeitig geben Farbangaben zum Interieur der Vorstellungskraft einen Rahmen. Die folgende Doppelseite zeigt ein Porträt eines Literaten in dessen Lieblingscafé sowie einen Text, den der Schriftsteller eigens zu diesem Foto verfasst hat.
Ein wirklich faszinierendes Buchprojekt, in dem auch eingefleischte Kaffeehausbesucher noch jede Menge Neues entdecken dürften.
Die Fotos von Alain Barbero sind meiner Meinung nach auf dem gleichen künstlerischen Niveau wie Fotos von Robert Maplethorpe, ein wirklicher ästhetischer Genuss! Die Beschreibungen der Kaffeehäuser durch Barbara Rieger sind äußerst unterhaltsam, was man von den Texten der porträtieren Literaten leider nicht immer behaupten kann. Dies ist jedoch mein einziger Kritikpunkt.
Weitere liebevolle Details sind zwei Ubersichtsstadtpläne Wiens; im einen sind die Kaffeehäuser eingezeichnet, im anderen die Poeten. Kurzbiografien der Schriftsteller runden das Buch ab.
Mich wird es auf jeden Fall bei meinen nächsten Reisen nach Wien begleiten.