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Frankfurt

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Insgesamt 778 Bewertungen
Bewertung vom 04.09.2021
Jügler, Matthias

Die Verlassenen -


ausgezeichnet

DDR Nachwehen – eine Aufarbeitung

Dieser schmale Band bring mich ins Schwärmen, denn Matthias Jügler hat einen richtig guten Roman geschrieben. „Die Verlassenen“ ist zwar kein sonderlich einladender Titel und das Sujet der DDR-Aufarbeitung auch nicht innovativ, aber es ist sehr gut umgesetzt und das auf knapp 170 Seiten.
Ein Mosaik, dass sich so nach und nach zusammensetzt zu einem großen Bild. Der Protagonist des Romans ist Johannes, der zu DDR Zeiten groß wird in Halle an der Saale, ungefähr 1994 mit 13 Jahren wird er bei seiner Oma vom Vater zurückgelassen, wo er doch wohl schon mit 5 Jahren seine Mutter verlor. Als Erwachsener fängt er erst an sich Gedanken zu machen und stößt auf Unerhörtes! Natürlich hatte die Stasi ihre Finger im Spiel.
Dies ist eine literarisierte wahre Geschichte, aber nicht die des Autors, sondern einer anderen Familie, die zu DDR-Zeiten von der Stasi überwacht wurden. Matthias Jügler dürfte sie für seinen Roman verwenden und hat es toll umgesetzt. Dieser wahre Hintergrund macht diesen Roman noch erschütternder. Wobei auch noch mal gesagt werden muss, dass die Stasi-Dokumente im Buch auch reine Fiktion sind.
Großartig ist wie der Ich-Erzähler Johannes modellierte. Zunächst ein zurückhaltendes Kind, was wenig hinterfragt und still ist. Dann die Entwicklungskurve mit der Neugier über die eigene Vergangenheit. Sprachlich wird auch viel vom Autor zwischen den Zeilen transportiert. Vieles bleibt ungesagt und dieses großes Schweigen der Beteiligten wird deutlich. Matthias Jügler hat diese erdrückende Stimmung, die wie eine Glocke über dem Text hängt aus meiner Sicht sehr gut beschrieben.
Eine absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.09.2021
Slimani, Leïla

Das Land der Anderen


ausgezeichnet

Aus Mathilde wird Mariam

Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani kann man nur feiern. Wieder ein Buch, dass es zu lesen lohnt! Sie packt viele Themen in ihren neuen Roman ‚ Das Land der Anderen‘ und erzählt eine Geschichte aus dem letzten Jahrhundert, aber trifft uns in der Gegenwart. Es ist der erste Teil einer Familiensaga, die sich der Geschichte Marokkos widmet.
Mathilde ist die Protagonistin dieses Romans. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges verliebt sie sich als junge Frau in einen marokkanischen Offizier, der für die Franzosen kämpfte - Amine. Sie wagt es mit ihm nach Marokko zu gehen um ein eigenes Leben zu führen fernab der eigenen Familie. Dort leben sie dörflich bei Meknes auf dem geerbten Hof von Amine. Hier möchte er in trockener Eben als Bauer leben und den Traum seines Vaters verwirklichen hier ernten zu können. Angekommen ist Mathilde, aber findet zum einen patriarchalische Strukturen vor mit sehr traditionellen Lebensweisen in der sie als Frau eine bestimmte Rolle einzunehmen hat. Sie kümmert sich vorrangig um die beiden Kinder, hat aber als „Andere“ Privilegien, darf sich dafür aber auch nicht einmischen.
On top kommt die Sicht auf Marokko als Land, dass die Franzosen kolonialisiert haben und spürt den lokalen Rassismus, die immer die „Anderen“ trifft – egal auf welcher Seite. Eine französische Perspektive, aber von unten auf diesen Kolonialmacht und Wehr gegen die Besatzungsmacht. Ein spannender Ansatz. Dieser erste Band endet mit dem Jahr 1955. Turbulente Zeiten in Marokko -aber ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, lest selbst.
Ich war bisher recht unbewandert in marokkanischer Geschichte und wie Frankreich als Kolonialmacht dort herrschte und wie die Unabhängigkeitsbewegung ihren Lauf nahm. Ich fand diesen Aspekt des Romans äußerst bereichernd.
Außerdem war der Themenkomplex der „Mischehe“ besonders spannend geschrieben, die beiden im Verhältnis zueinander, das Verhältnis zu den Lokalen inklusive der Familie und wie die Franzosen es aufnahmen.
Diese ganze Geschichte wird nüchtern erzählt von Leïla Slimani, aber so durchdringlich, dass es einen fasziniert. Wie immer reibt sie sich an den Themen und es knirscht auch mal und rüttelt den Leser auf ihre ganz eigene Weise auf. Lesenswert!

Bewertung vom 22.08.2021
Rinke, Moritz

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García


ausgezeichnet

„Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García“ ist der zweite Roman aus der Feder von Moritz Rinke, der teilweise auch in Spanien lebt. Im Mittelpunkt steht Pedro, der seinen Job an das Internet peu á peu verliert, denn er ist Postbote auf Lanzarote. Er hängt sehr an seinem geliebten Job mit der Honda über die Insel zu düsen und die Post zu verteilen und er ist gut darin zu verschleiern, dass er kaum noch zu tun hat fährt dann gelegentlich die Nobelpreisträgerroute, die Café-con-Leche-Route und noch einige mehr. Nun ist er nicht nur seinen Job so gut wie los, auch seine Frau verlässt ihn und mit ihm sein geliebter Sohn Miguel.
Das gilt es zu verhindern und hier kommen zwei weitere Spezialisten der Insel auf die Bühne des Romans: Tenaro, dessen Vater ein bekannter Fischer war, aber er selbst mit halbseidenen Geschäften versucht einen Jackpot zu knacken und im Endeffekt ein arbeitsloser Fischer ist. Und dann ist da noch Amado, ein Gestrandeter, ohne Perspektive die Insel zu verlassen. Er ist in Freiheit und in Gefangenschaft zugleich. Und dieses Trio infernale will nun mit einem ungeheuren Plan den Pedros Sohn zu ihm holen.
Der Roman ist toll geschrieben, liest sich wunderbar. Es sind unzählige Referenzen und Themen, die angeschnitten werden. Für belesene Leser:innen und Menschen mit großem Wissensschatz eine wahre Freude, ich kann mir aber auch vorstellen, dass man bei weniger Hintergrund auch an mancher Stelle Informationen vermisst. Es kommt beispielsweise der spanische Bürgerkrieg vor, Saramango, Hemingway, die Flüchtlingswelle. Ich fand es toll wie das alles hier eingeflossen ist und hat mir besondere Freude beim Lesen bereitet.
DIE perfekte Urlaubslektüre, wenn man nach Lanzarote fliegen sollte, aber das ist sicherlich schon allen klar. Aber auch sonst ein sehr sehr lesenswerter Roman, kennt man die Insel schon oder auch nicht, denn sie wird ausführlich beschrieben.
Taucht ein und lasst euch von Wind und Sonne von den drei Chaoten nach Lanzarote in Gedanken mitreißen!

Bewertung vom 20.08.2021
Nguyen, Viet Thanh

Die Idealisten


weniger gut

Wiederholende Reflektionen

Viet Thanh Nguyen bekam für sein Debüt ‚Der Sympathisant‘ den Pulizer Preis. Ein Roman in dem sein Protagonist am Ende des Vietnamkriegs aus Saigon in die USA kommt und dort als kommunistischer Agent zum Mörder wird. Dann wieder zurück in Vietnam wird er in ein Umerziehungslager gesteckt und unter Folter ein irrwitziges Geständnis ablegen. Ein lesenswerter Roman.
Und genau um diesen Mann geht es wieder, denn ‚Die Idealisten‘ ist die Fortsetzung von ‚ Der Sympathisant‘. Es braucht das Vorwissen aus ‚Der Sympathisant‘ nicht notwendigerweise um ‚Die Idealisten‘ zu verstehen, aber natürlich erhöht es das Verständnis vom Text. Wenn es überhaupt verständlich ist. Aber dazu später mehr.
1981 – Paris. Nun ist er im Land der Kolonialisten. Frankreich, das Land, dass Vietnam jahrelang geknechtet hat. Das Land seines französischen Vaters. Frankreich bezeichnete sein Tun in Indochina als zivilisatorisches Wirken, aber es war eine Unterdrückung. Hier nun hält der Protagonist sich auf und man weiß als Leser:in nicht so recht, ob es Überlegungen, psychodelische Verwirrungen oder doch nur Traumphasen sind.
Der Roman mit ordentlichen 480 klein bedruckten Seiten machte mir zu schaffen beim Lesen, da ich viele Referenzen nicht so recht verstand und auch kein Experte für vietnamesische Geschichte en detail bin, blieb vieles in Fragezeichen stehen. Die inneren Widersprüche und immer erneuten Wiederholungen machte das wenig stringent erzählte Werk unfassbar schwer zu lesen.
Ich fand das erste Werk um Längen besser und auch verständlicher.

Bewertung vom 20.08.2021
Kunrath, Barbara

Wir für uns


ausgezeichnet

Wenn eine Tür zugeht, öffnet sich eine andere

Mich hat dieser Roman überzeugt, weil ich sicherlich genau in die Altersschublade der beiden Protagonistinnen passe. Gefühlt hat Barbara Kunrath MIR einen Roman geschrieben, denn ich sehr sehr mochte. Ach und wenn ihr jetzt grübelt wo ihr den Autorinnennamen schon gehört habt, sie schrieb schon „Schwestern bleiben wir immer“ und „Töchter wie wir“ mit großem Erfolg. Nun kommt: „Wir für uns“.
Es geht in „Wir für uns“ um die schwangere Josie. Soweit erscheint es wenig spektakulär, aber leider ist das Kind von einem verheirateten Mann und der will es nicht und Josie ist Anfang 40 und das vielleicht die letzte Chance auf ein Kind. Die Protagonistin ist Kathi, die wiederum schockierend unerwartet Witwe geworden ist. Insgeheim ärgert sie sich über den Verstorbenen, der sie alleine gelassen hat und dann bringt auch noch ihr einziger Sohn Unruhe in ihr Leben, denn Max trennt sich von seiner Lebensgefährtin und ist tatsächlich schwul. So hat Kathi sich das nicht vorgestellt und muss ihr traditionelles Familienbild neu sortieren.
In dieser Situation treffen die beiden Frauen aufeinander und sind sich gegenseitig eine Stütze, ein Spiegel und zugleich eine Reibungsfläche, die beide so dringend brauchen.
Ach, einfach mal wieder ein Buch, dass ich gerne gelesen habe und mir richtig gut gefallen hat. Lockere leichte Lektüre, aber mit Tiefe, die mich ansprach. Es war aber keinesfalls gefühlsduselig, eher emotional betont auf eine positive Art, aber nicht überborden.

Bewertung vom 19.08.2021
Stamm, Peter

Das Archiv der Gefühle


sehr gut

Es ist nie zu spät oder irgendwann ist der Zug abgefahren?
Keine 200 Seiten umfasst diese Geschichte eines skurrilen Mannes, eines Archivars, der leider seinen Job verlor als Papierarchivar im Pressehaus und nun im Haus seiner verstorbenen Mutter sein eigenes Archiv pflegt. Wir sind alle Teil einer bestimmten Bubble, aber er – namenlos – lebt so ganz in seiner eigenen Welt, seiner Phantasie. Wirklich kurios! Nur eines bringt den Mann aus dem Konzept und das ist Franziska, seine Jugendliebe, die in der Zwischenzeit eine große Karriere hingelegt hatte unter dem Pseudonym Fabienne. Sie taucht wieder in seinem Leben auf und stellt alles auf den Kopf. Es geht so weit, dass er sein geliebtes Archiv, seine Traumwelt in die er sich zurückzog vom echten Leben im wahrsten Sinne auf den Müll kippt und sich öffnet.
Peter Stamms Roman ‚Das Archiv der Gefühle‘ ist leise erzählt, die Charaktere gut skizziert, kein Wort zu viel, keines zu wenig. Ein melancholischer Unterton bestimmt das Erzählen und koloriert das Geschehen in gedämpfte Farben. Sehr stimmig und überzeugend zeigt Stamm die Besinnung eines Mannes und deutet an, dass es nie zu spät ist für jeglichen Sinneswandel.
Fazit: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

Bewertung vom 18.08.2021
Setterwall, Carolina

Betreff: Falls ich sterbe


gut

Plötzliches Herzversagen und das Leben der Anderen geht trotzdem weiter

Es gibt diese Unterhaltungen in jeder engen Beziehung, dass man entweder scherzhaft oder eben auch sehr ernsthaft Kommentare macht falls man Sterben sollte. Und hier in diesem Buch ist es diese Email, die der Protagonist seiner Lebensgefährtin schreibt: „Betreff: Falls ich sterbe“ und sie sich darüber mokiert und leider trifft dann der worst case ein – er stirbt an plötzlichem Herzversagen.
Leider war es der Autorin Carolina Setterwall nicht vergönnt noch viele Jahre mit ihrem Lebensgefährten zu verbringen und hat ihr persönlich Erlebtes in diesem autofiktionalen Text verarbeitet. Genau diese autofiktionale Ebene, das Wissen um den wahren Hintergrund dieses Buches erschütterte mich als Leserin noch mal mehr. Es trifft einen sehr tief bei den ureigenen Ängsten: den Verlust der engsten Liebsten, aber dafür ist dieses Buch erstaunlich sachlich als Text geschrieben und die Grundlage ist übrigens ein Blog den Carolina Setterwall nach dem Tod ihres Partners begann.
Es gibt zwei Zeitstränge, der eine rast voran, wir begleiten das junge verliebte Paar, Carolina und Aksel, wie sie zueinander finden, Leben, Lieben, Baby. Und dann gibt es einen zweiten Strang, denn ohne Aksel, nur noch die Trauernde Carolina mit dem Baby. Beide Stränge münden im vernichtenden Ereignis selbst – diesen Moment durchleben wir zweimal mit Carolina – zu Beginn und am Ende.
Der Text ist an Aksel gerichtet, wir übernehmen die Haltung und Position von Carolina ein und verschmelzen förmlich mit ihr. Manches mal erhellend, traurig und an anderer Stelle auch etwas zu viel mit der immer wiederkehrende Frage der Schuld der Protagonistin am Tod Aksels. Sicher ein Verarbeitungsmechanismus, der hier zu Papier gebracht wurde. Aber den zweiten Teil empfand ich persönlich als etwas anstrengend. Das mag andere Leser:innen anders nachfühlen. Es ist in der Tat eher eine emotionale Dokumentation als eine Geschichte. Daher würde ich das Buch nur Leser:innen empfehle, die sich aktuell mit dem Thema Tod dezidierter auseinandersetzen wollen, keine unterhaltende Lektüre.

Bewertung vom 14.08.2021
Mank, Ute

Wildtriebe


sehr gut

3 Frauen – 3 Generationen: jede Menge Konflikte

Ute Mank ist eine Frau mit Tatendrang und immer noch „die aus der Stadt“, obwohl sie seit über 30 Jahren im Dorf lebt, aber halt eingeheiratet. Genau dieser Umstand und wie die älteren Dorfbewohner über die Jahre ihre Normen und Ansprüche wie jemand zu sein hat selbstverständlich vor sich her tragen, hat Ute Mank sicher zu ihrem guten Debüt inspiriert. Aber nur eine Spekulation meinerseits.
‚Wildtriebe‘ ist zwar mit einem harmonisch altmodischen Cover versehen, aber darin brodelt es gewaltig und daher passt das Äußere dann doch zum Inhalt. Denn auf dem bäuerlichen Bethches-Hof, auf dem jeder mit anpackt und das selbstverständlich ist um die Last zu teilen, zieht eine Schwiegertochter, Marlies, ein, die das anders sieht. Konrad, der Erbe des Hofes hat sich aus der Sicht seiner Mutter, Lisbeth, mit dieser Frau keinen Gefallen getan. Marlies will sich der Hofordnung nicht unterordnen, nicht nach Lisbeth Regime leben und einen eigenen Beruf außerhalb des bäuerlichen Betriebs ergreifen. Eigene Entscheidungen treffen und selbstbestimmt Leben. Um den Generationenkonflikt komplett zu machen, wird Marlies ungewollt schwanger und das Kind Joanna, die dritte Frau und Generation steht zwischen den Stühlen und ist zugleich das verbindende Element von Mutter und Großmutter. Und hat nochmals andere Ideen sich zu verwirklichen.
Ute Mank schafft es sehr gekonnt mit leiden Tönen die drei Generation mit ihren Konflikten zu zeichnen, die entstehen, wenn Lebensentwürfe aufeinandertreffen, wenn Modernität nicht mit Tradition vereinbar ist und wenn Individualität wichtiger wird als Familie. Gebettet ist das in die geschichtliche Veränderung, denn die drei Generationen wachsen jeweils in anderen Verhältnissen auf, andere Voraussetzung und natürlich auch sehr unterschiedliche Möglichkeiten der Selbstverwirklichung als Frauen. Die kriegserlebende Großmutter, die Mutter im Wirtschaftswunder und das Enkelkind in der Postmodernen.
Mich hat der Roman berührt, erinnert an die eigene bäuerliche Großmutter, tief ergriffen und mich ein wenig sensitiver zurückgelassen, dass die Prägung nicht einfach wegwischbar ist und immer ein Teil der Persönlichkeit bleibt – ob mit oder ohne Einsicht.
Lesenswert – lasst euch nicht vom Cover irritieren! ;0)

Bewertung vom 13.08.2021
Whitehead, Colson

Harlem Shuffle


ausgezeichnet

Harlem – ein Kosmos für sich!

New York ist im ewigen Wandel, eine Stadt die nie schläft, nie zur Ruhe kommt, sich immer wieder neu erfindet, sich selbst in Frage stellt und stets die innovative und kreative Speerspitze der USA ist. Aber wie sieht es aus, wenn es um rassistische Fragen geht? Um Viertel, die schon immer das „Hinterzimmer“ der Stadt waren? Ist New York da auch allen anderen einen Schritt voraus, wenn es um Rassismus geht? Ich hoffe schon, aber leider vielleicht nur einen und nicht einige viele Schritte!
Und nun richten wir den Blick nach innen und in die Vergangenheit und wir halten mit Colson Whitehead innen und begeben uns in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts nach Harlem. Dort ist Ray Carney als Antiquitätenhändler tätig. Ein Mann, der versucht für seine Familie den Lebensstandard zu ermöglicht, der ihnen gebührt, aber leider wird er ungewollt in familiäre Ausrutscher hineingezogen. Der ewige Zwiespalt lockt, denn das Geld ist zu knapp, aber auf legale Weise scheint Ray es nicht auftreiben zu können und dann noch die nötigen Schutzgelder. Ein negativer Kreislauf aus dem er kaum eine Chance hat eigenständig auszubrechen.
Harlem Shuffle ist ein gesellschaftliches Zeitportrait, dass Harlem als Kosmos in sich selbst darstellt und Probleme fiktional beleuchtet und uns vor Augen führt wie wenig sich die strukturelle Schieflage verändert hat. Gebettet ist die Geschichte um Ray in die Präsidentschaft von J.F. Kennedy, denn die Zeitspanne oder besser gesagt die Zeitpunkte um die es geht sind: 1959-1961-1964 und finden dort auch ihren Höhepunkt mit den Harlem Riots (’64). Trotz aller rassistischer Probleme hat Colson Whitehead Harlem mit diesem Roman auch ein Denkmal gesetzt und eine Liebeserklärung geschrieben. Ein Viertel wie kein anderes mit Jazz im Blut und viel Liebe im Herzen!
Colson Whitehead macht was er kann: Aufrütteln & ins Grübeln bringen und uns trotz allem gut unterhalten und das mit großartiger Prosa! Natürlich ist der Roman auch wunderbar übersetzt von Nikolaus Stingl. Der eigenwillige Sound vom Autor bleibt aus meiner Sicht erhalten.

Bewertung vom 06.08.2021
Vargas, Fred

Klimawandel - Ein Appell


ausgezeichnet

Absurd, aber wahr, ich habe dieses Hörbuch ‚ Klimawandel - Ein Appell‘ meist beim Autofahren gehört. Ja, würde Fred Vargas das mitbekommen, würde sie mich sicher schweigend anschauen und fragen, ob ich ab jetzt mit dem Fahrrad fahre, wo ich doch nun um so viele Informationen reicher bin.
Und das ist man nach diesem sehr interessanten Hörbuch. Absolut fantastisch gesprochen von Elke Schützhold, man mag förmlich den französischen Subtext durchhören – pure Einbildung, ich weiß.
Der Text der uns hier vorgestellt wird, ist schon etwas älter und man merkt ihm das auch an und auch, dass viele Fakten, politischer Ohnmacht und absurde Verwaltungsakte französischer Natur sind. Nichtsdestotrotz sind die umwelttechnischen Fakten global gültig und treffen auch auf uns zu und die Probleme, die wir politisch haben, mögen nicht exakt die gleichen sein, aber es ähnelt sich doch sehr.
Eindringlich auf pragmatisches Handeln bedacht will uns Fred Vargas, die sonst so großartige Krimischreiberin, überzeugen, dass wir alle als Erdbevölkerung JETZT handeln müssen. Sie präsentiert viele Fakten und Unmengen an Zahlen, die ich meist sofort wieder vergaß, aber das beklemmende Gefühl wir müssen ganz schnell ins Handeln kommen blieb und sie hat mich mit der Verzahnung ihrer Informationen überzeugt.
Definitiv hörenswert, auch wenn es etwas unaktuell und auch sehr Französisch ist, ist es eine Bereicherung für alle Menschen, die gerne die Fakten hinter einer Diskussion kennen. Vor allem geht sie analytisch vor was mich sehr anspricht. Kratzt nicht an der Oberfläche sondern taucht tief ein und bewertet ganzheitlich.
So, nun hol ich mal mein Rad aus dem Schuppen und fahre zum örtlichen Bauer. Auf das es unserer Welt noch lange gut geht, wir haben doch nur die eine!

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