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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 765 Bewertungen
Bewertung vom 31.07.2016

Was macht uns schlauer?


ausgezeichnet

Eine interdisziplinäre Reise durch die Welt der Gedanken

Wenn führenden Köpfen aus interdisziplinären Bereichen die gleiche Frage gestellt wird, darf man auf die Antworten gespannt sein. Die Edge-Frage 2011 lautet: Welcher wissenschaftliche Begriff würde den kognitiven Werkzeugkasten eines jeden bereichern?

In „Was macht uns schlauer?“ sind auf über 500 Seiten Antworten von 150 großen Denkern der Zeitgeschichte enthalten. Gleich im ersten Beitrag relativiert der Kosmologe Martin Rees die Stellung des Menschen im Kosmos, indem er auf die gewaltigen (Entwicklungs-)Zeiträume verweist. Dennoch können wir uns wichtig fühlen, weil wir die Macht besitzen, unser evolutionäres Erbe zu gestalten. (37)

Eine thematische Wende leitet der Evolutionsbiologe Richard Dawkins ein, indem er zum kritischen Denken auffordert und gleich das notwendige Werkzeug beschreibt. (55/56) Der Physiker Max Tegmark fordert einen „wissenschaftlichen Lebensstil“ (57) und für den Psychologen Roger Schank ist jeder Aspekt des Lebens ein Experiment. (63)

Nach diesem Hoch auf die Wissenschaft folgt durch Journalistin Kathryn Schulz wiederum eine Relativierung. „Im Unterschied zu all den Trotteln, die auf die flache Erde oder das geozentrische Universum oder die kalte Kernverschmelzung hereinfielen, haben wir selbst das große Glück, gerade während der Blütezeit korrekten menschlichen Denkens zu leben.“ (71)

Wenn schon der (objektive) Erkenntnisgewinn nur zeitkernige Gültigkeit besitzt, wie sieht es dann mit der Selbstwahrnehmung aus? Sozialpsychologe David G. Myers liefert eine Antwort dazu: „Die günstige Wahrnehmung von uns selbst und unserer Gruppe schützt uns vor Depressionen, wirkt stressdämpfend und erhält unsere Hoffnungen aufrecht.“ (81)

Letztlich ist alles in Bewegung, wie Altphilologe James O'Donnell zum Ausdruck bringt. (188) „Raum, Zeit und Gegenstände könnten einfach nur Aspekte eines Sinnesdesktops sein, der spezifisch für den Homo sapiens ist. Sie sind vielleicht gar keine tiefen Einsichten in objektive Wahrheiten, sondern nur bequeme Konventionen, die sich entwickelt haben, um unser Überleben in unserer Nische zu ermöglichen.“ (201)

Aus dem gleichen Grund sind wir blind für viele Informationen, die unterhalb der Oberfläche unseres Bewusstseins verarbeitet werden. Psychologe Adam Alter nennt Beispiele für unbewusst wahrgenommene Hinweisreize und ihre Auswirkungen. (215) Neben dieser eher psychologischen Betrachtung untersucht der Physiker Frank Wilczek verborgene Schichten im physischen Sinne in Form sich verändernder neuronaler Netzwerke. (261)

Tief gehende Hirnstrukturen im psychischen und im physischen Sinne ändern aber nichts daran, dass wir für langsame und stetige Veränderungen keine Antenne haben. Diesen, auch von der Ökologiebewegung aufgegriffenen Gedanken, verfolgt Alun Anderson in seinem Essay. (286)

Ja, wir haben nicht nur kein Gespür für langsame Veränderungen, wir wissen noch nicht einmal wo das „Wir“, oder in erster Person gesprochen das „Ich“, im Gehirn zu verorten ist. Und so ist der Weg nicht weit zu Thomas Metzingers phänomenal transparentes Selbstmodell. (291) Thomas Metzinger vertritt die These, dass das erlebte Ich von unserem Gehirn erzeugt wird, und dass das, was wir wahrnehmen, nur ein virtuelles Selbst in einer virtuellen Realität ist.

Die Erklärungen der Wissenschaft sind nicht immer einfach, und manchmal auch demütigend. Dennoch sind wir, wie der Künstler Brian Eno es zum Ausdruck bringt, Teil eines unvorstellbar großen und schönen Dramas, welches Leben heißt. (386)

Die Essays diese Buches lassen sich wie ein Puzzle zusammensetzen und offenbaren damit eine wunderbare, ja fantastisch anmutende Gesamtschau des Menschen in der Welt. Vielleicht gleicht die Welt einem Hologramm. Jedenfalls wirken Struktur und Inhalt des Buches, welches letztlich die Welt beschreibt, so. Mit jedem Kapitel wird das Gesamtbild klarer, ohne dass wir es wirklich verstehen können.

Bewertung vom 31.07.2016
Hohler, Franz

Der Stein


sehr gut

Zufall und Notwendigkeit

Franz Hohler, Schweizer Schriftsteller und Kabarettist, entwickelt in seinen Erzählungen eigene Perspektiven. Sein Fokus liegt nicht auf der großen Weltpolitik, sondern auf den kleinen Dingen des Lebens, die jedoch manchmal große Wirkungen haben können. Ob es Zufälle sind, die den Lebensweg bestimmen, oder dieser determiniert ist, müssen die Leser selbst entscheiden.

In „Der Präsident“ fordert eine kleine Katze das Schicksal heraus. Hohler stellt nicht, wie bei dem Titel zu vermuten, die präsidiale Politik in den Vordergrund, sondern thematisiert, wie Emotionen einen Mensch verändern und damit auch Entscheidungen beeinflussen können. Die Katze entpuppt sich zu guter Letzt als Lebensretter. Alles Zufall? Eine ähnliche Bedeutung kommt einem Tiger in „Die Grenze“ zu.

Ich weiß nicht, ob Autor Hohler raucht. Jedenfalls ist „Die Raucherecke“ eine Persiflage auf das gesetzlich sanktionierte und konsequent überwachte Rauchverbot in vielen Ländern. Die vermeintliche Lösung eines Problems kann mehrere neue Probleme schaffen, so die Erkenntnis.

Übernatürlich geht es in „Der vierte König“ und in „Der Sender“ zu. Vielleicht sind es auch nur das unvollständige Wissen oder die durch besondere Umstände verzerrte Wahrnehmung, die Situationen anders erscheinen lassen, als sie aus dem Blickwinkel der Vernunft sein sollten.

In „Ein Nachmittag bei Monsieur“ experimentiert Franz Hohler mit seiner Erzählweise. Ein Künstler bringt einem Jungen das Malen bei. Dabei stehen Form und Inhalt in Beziehung zueinander. Die künstlerische Freiheit, auf die der Maler, Protagonist der Erzählung, großen Wert legt, nimmt sich auch Autor Hohler heraus, indem er einen Dialog in Form eines Monologes abhält.

„Juckreiz“ ist eine lustige Geschichte über einen Lehrer mit einer Neurose. Ständig muss dieser sich kratzen. Sein Arzt spricht treffend von einem „idiopathischen Pruritus“ (Juckreiz ohne materielle Ursache). Franz Hohler hat u.a. mit Emil Steinberger zusammengearbeitet. Aus dieser Geschichte ließe sich ein Sketch kreieren, der gut zu Steinberger passen würde.

Franz Hohler hat seinen eigenen Stil, so wie auch die begabte junge Frau Bianca Carnevale in der gleichnamigen Geschichte. Er erzählt und wertet nicht. Das macht ihn und auch seine Figuren sympathisch. In seiner letzten Geschichte „Der Stein“ bringt er die Themen Zufall und Schicksal auf den Punkt, indem er beschreibt, wie ein in erdgeschichtlichen Dimensionen zufällig entstandener Stein das Schicksal eines jungen Mädchens beeinflusst.

Die Geschichten sind vielseitig und unterhaltsam. Gleiche Ursachen können verschiedene Wirkungen haben, wie uns der Autor in „Der Bleistiftstummel“ deutlich macht. Wer Erzählungen mag, die ungewohnte Perspektiven beleuchten, wird auch dieses Buch mögen.

Bewertung vom 31.07.2016
Polt, Gerhard

Hundskrüppel


sehr gut

„Ich seh mich als Chronist meiner Zeit“

Gerhard Polt, bekannter bayerischer Kabarettist und Autor, erinnert sich an die Zeit seiner Kindheit, die er ironisch als „Lehrjahre eines Übeltäters“ bezeichnet. Im Fokus stehen saftig derbe Streiche, die seiner Umgebung schon einmal ein „Du Hundskrüppel, du verreckter!“ entlockt haben. Es ist kein Buch für zartbesaitete Menschen.

Die Geschichten sind kurz gehalten und wirken authentisch. Polt kommt schnell auf den Punkt. Wenn die Streiche nicht echt sind, hätte man sie in der beschriebenen Form für ihn erfinden müssen.

„Aber es geht mir nicht nur um die einzelnen Geschichten, sondern ich hoffe, dass sich das am Ende verdichtet, zu einer Welt oder einer gewissen Haltung, die wir damals hatten“, so Polt in einem Interview. Diese Welt bzw. Haltung wird für die Leser in jedem einzelnen Kapitel erfahrbar.

Wer Gerhard Polt aus den Medien kennt und mag, wird auch dieses Buch mögen.

Bewertung vom 30.07.2016
Foerster, Heinz von;Pörksen, Bernhard

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners


ausgezeichnet

Grenzen unseres Erkenntnisvermögens

In diesem Werk wird den Lesern das konstruktivistische Denken nicht auf trockene wissenschaftliche Art und Weise, sondern in Form eines Gesprächs vermittelt. Ursprung ist ein Interview, welches Bernhard Pörksen mit Heinz von Foerster 1998 geführt hat. Aus diesem Interview entwickelte sich ein fruchtbares Gespräch, welches als Buch veröffentlicht wurde. Die Gesprächsform erweist sich als geeignetes Stilmittel zur Wissensvermittlung.

Gleich im ersten von fünf Kapiteln „Bilder des Wirklichen“ geht es um Wahrnehmung, Objektivität und Wahrheit. Unsere Sinne liefern keine naturgetreue Abbildung der Natur. Aber diese Erkenntnis ist nicht neu und gilt nicht nur für den Konstruktivismus, sondern auch für die evolutionäre Erkenntnistheorie. Diese lehnt Heinz von Foerster ab, da sie impliziert, dass es im Laufe der Evolution eine Annäherung an die wirkliche Welt, also an das „Ding an sich“ (im Sinne von Kant), gibt. Für eine Ontologie ist im Konstruktivismus kein Platz. Interviewer Pörksen versucht Heinz von Foerster darauf einzugrenzen, wo denn seine Position liegt zwischen den Extremen „naiver Realismus“ und „Solipsismus“, aber von Foerster lehnt (aus gutem Grund) Kategorisierungen ab.

Im Sinne der evolutionären Erkenntnistheorie haben realitätsferne Entwicklungen keine Chance zu überleben, da sie durch Selektion aussterben. Im Konstruktivismus müssten auch „realitätsferne“ Konstruktionen überleben können. Wenn man bei Rot über die Ampel geht, wird man überfahren, egal welches Konstrukt dem Subjekt zugrunde liegt. Das konstruktivistische Denken offenbart damit Schwächen, die in dem Buch nicht hinreichend behandelt werden. Auch der Konstruktivismus muss sich hinsichtlich des Erkennens auf neurophysiologische Vorgänge beziehen, die aber im Sinne des Konstruktivismus selbst wieder Konstrukte sein müssten. Der Bezug zu den Beobachtungen des Physiologen Johannes Müller auf den ersten Seiten des Buches dürfte so gesehen als Stütze für den Konstruktivismus gar nicht herangezogen werden.

In „Perspektiven der Praxis“ erläutert von Foerster Beispiele aus seiner Arbeit mit Schülern und Studenten, in denen die Vorzüge einer subjektiven konstruktivistischen Sicht deutlich werden. Lernende sind im Sinne seiner Definition „nichttriviale Maschinen“, die in ihrem Lernverhalten komplexer und auch kreativer sind, als manch einem Lehrenden bewusst ist.

Unter Kybernetik versteht man im Allgemeinen die Wissenschaft von der Steuerung von Maschinen, Organismen und sozialen Organisationen. Zirkuläre Kausalität ist ein kybernetisches Prinzip. Angewandt auf das Erkennen werden die Konturen einer Kybernetik der Kybernetik sichtbar. „Man lernt sich als Teil der Welt zu verstehen, die man beobachten will“, so von Foerster.

Heinz von Foerster ist ein angenehmer Gesprächspartner, da er undogmatisch ist. Er bemüht sich, nicht in Fallen zu tappen, indem er sich nicht festlegt. In diesem Buch sind nicht nur die Grundlagen, sondern für den aufmerksamen Leser auch die Grenzen des Konstruktivismus deutlich geworden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.07.2016

Einführung in den Konstruktivismus


sehr gut

Die erfundene Wirklichkeit

Wird die Wirklichkeit von den Menschen erfunden und nicht gefunden? Wenn diese These zutrifft, ist Erkenntnis absoluter Wahrheit unmöglich. Auf diesem Standpunkt stehen Vertreter des Konstruktivismus.

Das Buch erschien erstmals 1985 und enthält Beiträge aus Vorträgen zum Thema Konstruktivismus. Namhafte Vertreter dieser Lehre (Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, Paul Watzlawick, Peter M. Hejl und Siegfried J. Schmidt) stellen den Konstruktivismus aus der Sicht ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen vor. Die Leser bekommen einen Eindruck von den Grundlagen und von der Bedeutung dieser aus der wissenschaftlichen Forschung hervorgegangenen Denkrichtung.

Ernst von Glasersfeld führt in das Thema ein. Er beschreibt den Weg der Menschheit auf der Suche nach Wahrheit von der Antike bis zu Immanuel Kant. Wir können nicht hinter die Welt der Erscheinungen schauen, da die Wahrnehmung nicht vom Beobachter getrennt werden kann. Während die traditionelle Philosophie davon ausgeht, dass es eine objektive Welt hinter der Welt der Erscheinungen gibt und wir uns dieser durch Erkenntnisse der Wissenschaft stetig annähern, klammert der Konstruktivismus die objektive Welt (als vom Beobachter getrennte Welt) einfach aus.

Heinz von Foerster führt diese Gedanken weiter fort. Seine Perspektive ist die der Kybernetik. Er beschäftigt sich mit selbstbezüglichen Systemen und erläutert an Hand zahlreicher Beispiele, dass wir den damit verbundenen Kreislauf nicht verlassen können. Seine These: Leben ist ein Eigenprozess.

Paul Watzlawick erläutert die Konstruktion von Wirklichkeiten an Hand von Diagnosen aus der Psychiatrie. „Fehlerhafte“ Diagnosen führen zu „Wirklichkeiten“, die sich später selbst bestätigen, da alle Maßnahmen im Sinne der Diagnose getroffen werden und alle Indizien im Sinne der Diagnose interpretiert werden. Von Watzlawick stammt die Aussage: „Manchmal reicht es aus, die Bewertung des Problems zu verändern, statt das Problem zu verändern.“ Der Konstruktivismus wird damit instrumentalisiert, um positive Verhaltensänderungen zu erzielen. Wer Watzlawicks Schreibstil kennt, wird hier nicht enttäuscht. Sein Beitrag ist tiefsinnig und unterhaltsam.

Eine konstruktivistische Sozialtheorie (Beitrag von Peter M. Hejl), die den Standpunkt vertritt, dass wir unsere Realitäten selber erzeugen und wir damit für unser Glück und Leid selbst verantwortlich sind (erinnert an Glaubenssätze des Buddhismus), wird nicht von jedem angenommen. Es liegt in der Natur des Menschen, sich für sein Glück und seinen Erfolg selbst verantwortlich zu sehen, aber für sein Leid andere verantwortlich zu machen.

Aus den vielen Gedanken zum Thema konstruktivistischer Literaturwissenschaft (Beitrag von Siegfried J. Schmidt) greife ich einen heraus: Eine Konzeption der Realität als Konstrukt bedingt eine veränderte Diskussion über Kunst und Wirklichkeit. Der Gegensatz zwischen Kunst und Wirklichkeit würde wegfallen und Literatur und Kunst wären zwei von vielen (gleichberechtigten) Beschreibungsmöglichkeiten der Wirklichkeit. Der Unterschied liegt in der Methode. Hier bietet der Konstruktivismus die Chance, den Graben zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu überwinden.

Der Literatur zum Konstruktivismus wurde ein eigenes Kapitel gewidmet. Es enthält einführende Erläuterungen zu ausgewählten Werken und ermöglicht damit eine gezielte Vertiefung der behandelten Themen.

Bewertung vom 30.07.2016
Zastrow, Volker

Gender - Politische Geschlechtsumwandlung


sehr gut

Grundlagen und Zielsetzung des Gender Mainstreaming auf den Punkt gebracht

Journalist Volker Zastrow gliedert sein Buch in zwei Teile. Im ersten Teil geht er dem Begriff „Gender Mainstreaming“ auf den Grund und erläutert seine politische Bedeutung. Im zweiten Teil steht die wissenschaftliche Grundlage der Theorie im Fokus. Das Buch ist dünn und handlich, es sind daher keine umfangreichen wissenschaftlichen Ausarbeitungen zu erwarten. Das ändert aber nichts an der Bedeutung des Inhalts.

Wie Autor Zastrow deutlich macht, mangelt es „Gender Mainstreaming“ an einer wissenschaftlichen Grundlage. Gender behauptet (in letzter Konsequenz), dass es biologisches Geschlecht gar nicht gebe. Geschlechterrollen werden zu sozialen Konstrukten erklärt. Dies widerspricht nicht nur der wissenschaftlichen Forschung, sondern auch dem Empfinden der meisten Menschen. Trotzdem hat diese Ideologie, getragen von der Gleichstellungsbewegung, ihren Weg in die Politik gefunden.

Das Buch hat einen schwarzen Einband und kann durchaus als Schwarzbuch zum Thema angesehen werden. Eine Abgrenzung zwischen Gleichstellung und Gender Mainstreaming wäre hilfreich gewesen. Den Begriff „Gender Mainstreaming“ hört man in der Öffentlichkeit kaum. Welche Ideologie dahinter steckt, dürfte vielen Menschen nicht klar sein. Insofern handelt es sich um ein wichtiges Aufklärungsbuch zum Thema.

Bewertung vom 30.07.2016
Safier, David

Plötzlich Shakespeare


sehr gut

Leichte Unterhaltung

Bereits die ersten Kapitel stecken voller Humor und sind ein besonderes Lesevergnügen. David Safier schreibt unterhaltsam, witzig, abgedreht und einfühlsam. Er bevorzugt Frauen als Protagonisten. "Frauen reden über Gefühle, also kann ich einfacher über Frauen scheiben", sagt Safier in einem Interview dazu.

Grundschullehrerin Rosa ist auf der Suche nach der wahren Liebe. Die Geschichte spielt, dank Seelenwanderung, in zwei verschiedenen Zeitebenen. Es gibt Parallelen zwischen den Personen des 16. Jahrhunderts und der Neuzeit. Die Geschichte steckt voller Intrigen.

Mit dem Thema Seelenwanderung hat Safier eine literarische Lücke gefunden, die er auf wunderbare Weise ausgefüllt hat. Insbesondere Vielleser sind dankbar dafür, wenn Autoren kreativ sind und neuen Stoff liefern. "Plötzlich Shakespeare" passt zu den bisherigen Werken von Safier. Seine Bücher lassen sich leicht lesen und sind zurecht Bestseller.

Bewertung vom 29.07.2016
von Ditfurth, Hoimar

Das Erbe des Neandertalers


ausgezeichnet

Das Geheimnis unserer Existenz

Hoimar von Ditfurth war zweifelsohne einer der beeindruckendsten Wissenschaftspublizisten der Nachkriegszeit. Das Werk „Das Erbe des Neandertalers“ ist nach seinem Tode entstanden und enthält Beiträge aus mehr als vier Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit.

Wer Hoimar von Ditfurths Bücher gelesen hat, findet hier Stichproben seiner wissenschaftlichen, philosophischen und politischen Schriften. Wer seine Bücher nicht kennt, wird durch die breite Palette grenzüberschreitender Schriften neugierig auf seine früheren Werke.

Was zeichnete Hoimar von Ditfurth besonders aus? Er hatte sich die kindliche Neugier bewahrt, die Geheimnisse der Natur und der menschlichen Existenz zu ergründen. Er war in der Lage, isolierte Erkenntnisse der Spezialisten in einem interdisziplinären Zusammenhang darzustellen. Auf diese Weise hatte er stets die Bedeutung neuer Forschungsergebnisse für eine breite Leserschaft herausgearbeitet.

Das Buch enthält mehrere Aufsätze Hoimar von Ditfurths aus den 40er und 50er Jahren. Auffallend ist, dass er sich bereits zu dieser Zeit intensiv mit Sinnfragen beschäftigt hat. Man spürt beim Lesen, wie sehr ihn derartige Fragen berührten. So wundert es nicht, dass er immer mehr zum (politischen) Mahner wurde, wie es in den letzten Kapiteln des Buches deutlich wird.

Im Gegensatz zu den nackten wissenschaftlichen Erkenntnissen haben Hoimar von Ditfurths Aussagen nicht an Bedeutung verloren. Themen wie „Naturwissenschaft und Religion“ oder „Verantwortung der Wissenschaft“ bleiben auch künftig aktuell.

Bewertung vom 29.07.2016
Comte-Sponville, André

Woran glaubt ein Atheist?


sehr gut

Atheismus und Spiritualität

Im Vorwort erläutert André Comte-Sponville seine Motivation für das Buch. Er hat nichts gegen eine Wiederkehr des Glaubens und begrüßt ausdrücklich Spiritualität, gleichzeitig verurteilt er Dogmatismus, Aberglauben und Fanatismus. "Der Kampf für die Aufklärung geht weiter, und er war selten so dringlich, denn die Freiheit steht auf dem Spiel."

Sein Buch gliedert Autor Comte-Sponville in 3 Teile, in denen er den zentralen Fragen "Kann man auf Religion verzichten?", "Gibt es Gott?" und "Welche Spiritualität für Atheisten?" auf den Grund geht.

Die erste Frage beantwortet er eindeutig mit "Ja" und begründet ausführlich seine Position. Wenn man nachvollziehen kann, dass Religion nicht das Fundament der Moral ist, sondern umgekehrt Moral das Fundament der Religion (s. Kant), wird der Verzicht auf Religion plausibel. Nicht verzichten sollte man auf Traditionen im weitesten Sinne und auf Liebe, um nicht dem Nihilismus zu verfallen.

Im zweiten Teil des Buches untersucht der Autor einige der sog. Gottesbeweise und zeigt deren Schwächen auf. Des Weiteren führt er Argumente auf, die ihn zu seiner Entscheidung für den Atheismus veranlasst haben. Neben dem Recht auf Glauben proklamiert er das Recht, nicht zu glauben.

Die Überschrift des dritten Teils des Buches "Welche Spiritualität für Atheisten?" impliziert, dass es eine geben muss. Aus Sicht des Autors kann auf Religion, aber nicht auf Spiritualität verzichtet werden. Spiritualität ist das Leben des Geistes und dieser ist real. Der (religiöse) Begriff "Seele" zu Beginn der Ausführungen verwirrt. Hier hätte der Begriff "Psyche" besser gepasst. In den weiteren Ausführungen thematisiert der Autor seine spirituellen Erfahrungen, bestehend aus einem ozeanischen Gefühl der unauflöslichen Einheit mit dem großen Ganzen und der Zugehörigkeit zum Universellen. Stanislav Grof bezeichnet solche Bewusstseinszustände in seinem Buch "Kosmos und Psyche" als holotrop. Diese sind verbunden mit Veränderungen der sinnlichen Wahrnehmungen, heftigen und ungewöhnlichen Emotionen sowie tiefgehenden Änderungen in den Denkprozessen. Das Bewusstsein verändert sich und die im Alltag erlebte Fragmentierung löst sich auf. Holotrope Erfahrungen gehen weit über die Grenzen des "Ich" hinaus und erinnern stark an mystische Erfahrungen, wie sie unter anderem im Taoismus, Buddhismus oder in der christlichen Mystik bekannt sind.

Autor Comte-Sponville begründet seinen Weg zum Atheismus und zeigt auf, dass Atheismus und Spiritualität keine Gegensätze sind. In den ersten beiden Teilen überwiegen rationale Argumente. In den dritten Teil seines Buches fließen persönliche spirituelle Erfahrungen ein. Eine Verifikation ist nicht möglich, es sei denn, man macht eigene Erfahrungen dieser Art. Damit basiert auch der Atheismus, so wie Comte-Sponville ihn vertritt, auf einem Glauben.