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Mikka Liest
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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 02.07.2014
Langer, Siegfried

Leide! / Sabrina Lampe Bd.1


sehr gut

Das war mein erstes Buch von Siegfried Langer, aber bestimmt nicht mein letztes - es hat mir sehr gut gefallen!

Die Art der Handlung und der Spannungslevel sind für mich irgendwo zwischen Krimi und Thriller angesiedelt. Ja, es gibt blutige, grausame, sogar eklige Szenen, aber doch eher wenige - was für mich völlig ok ist; meiner Meinung nach ist Hochspannung nicht zwingend mit Schockfaktor verbunden! Für mich lag der Reiz hauptsächlich in der Art und Weise, wie die Verbrechen aufgeklärt werden. Das Buch springt hin und her zwischen Zeiten, Orten und Protagonisten, und so ergeben manche Dinge erst im Rückblick wirklich Sinn. Erst war ich ein wenig skeptisch, ob das auf Dauer nicht zu verwirrend werden würde! Aber ich habe mich schnell daran gewöhnt und fand danach sogar sehr originell und spannend, wie jedes kurze Kapitel dem Leser ein weiteres Puzzleteilchen in die Hand gibt, aus dem er nach und nach das Gesamtbild zusammensetzen kann.

Der Klappentext verspricht liebenswert-skurille Figuren, und davon gibt es hier definitiv einige! Da haben wir zum Beispiel Kommissar Niklas Steg, der gerade erst an seine neue Dienststelle versetzt wurde und dort einen ermordeten Kollegen ersetzt - und dann wird schon an seinem ersten Tag eine Leiche mit gespaltenem Schädel gefunden... Wobei er sich zuhause quasi nebenher noch um seinen kranken Vater und seine demente Mutter kümmern muss, die ihm jeden Morgen ein Pausenbrot für die Schule packt.

Niklas kam mir vor wie ein intelligenter, kompetenter Ermittler, der auch mal um die Ecke denken kann. Allerdings hätte ich gerne noch mehr aus seiner Sicht über die Ermittlungen gelesen! Er ist definitiv ein Charakter, über den ich weitere Bücher lesen würde.

Die zweite "Hauptrolle" spielt Sabrina Lampe, die wenig erfolgreiche Privatdetektivin, die immer noch nicht verwunden hat, dass sie einen lausigen Zentimeter zu klein war für eine Karriere bei der Polizei. Sie ist Mutter einer blind verliebten Teenager-Tochter und tut ihr Bestes, deren fructanen Öko-Freund zu vergraulen, bevor die Beiden zusammen in der Kiste landen. Aus Mangel an lukrativen Aufträgen ist sie gezwungen, den Auftrag der unerträglichen Nachbarin Frau Schimmelpfeng anzunehmen, deren verschwundenen Neffen ausfindig zu machen. (Frau Schimmelpfeng wäre übrigens ein gefundes Fressen für eine Doku-Soap auf irgendeinem Privatsender.) Aber das stellt sich als weit schwieriger heraus, als erwartet, und sein Verschwinden ist nur die Spitze des Eisbergs in einer Geschichte voller Hass, Neid, Verrat, Gewalt, Verzweiflung und Verblendung.

Sabrinas trockener, sarkastischer, böser Humor hat mich schnell überzeugt und war dann für mich ein echtes Highlight des Buches. Überhaupt ist sie eine Frau, die voller Überraschungen steckt - zum Beispiel entspannt sie sich am Liebsten zu Rammstein und den Toten Hosen, und das auf Maximallautstärke.

Dann gibt es noch den armen Rentner, dessen Hundedame die Leiche gefunden hat, den jungen Türken, der beim Ladendiebstahl erwischt wurde und sich seither als dilettantischer Drohbriefschreiber versucht, die Kollegin von Niklas, die unbekümmert neben einer total verstümmelten Leiche in ein Leberwurstbrot beißen kann, und und und. Und natürlich Sven, dem man im Prolog schon begegnet, in einem Rückblick in seine Kindheit. Da betätigt er sich gerade freudestrahlend als Tierquäler... Und wie jeder Krimileser weiß, ist das kein gutes Zeichen.

Sehr gut fand ich, dass sogar jeder Nebencharakter lebendig und echt wirkt, auch wenn wir ihm nur in einer kurzen Szene begegnen. Der Schreibstil ändert sozusagen seine Handschrift, je nachdem, aus wessen Sicht wir das Geschehen gerade erzählt bekommen.

Fazit:
Vor allem die Charaktere haben diesen Thriller für mich zu einem Lesevernügen gemacht. Aus verschiedenen Sichtweisen setzt sich Kapitel für Kapitel eine abgründige Geschichte zusammen, in der auch der schwarze Humor nicht zu kurz kommt.

Bewertung vom 30.06.2014
Sanderson, Brandon

Steelheart


ausgezeichnet

Das Cover lässt ein düster-dystopisches Buch erwarten, eine grausame Zukunft voller Gefahr und Unterdrückung. Auch der Klappentext klingt nach bitterernstem Freiheitskampf, nach Gewalt und Kampf und Verlust... Und einerseits wird diese Erwartung auch erfüllt - denn oft liest sich das Buch wie ein knallharter Actionfilm, in dem es keine Superhelden gibt, sondern nur Superschurken. Schon der Prolog gibt einen Vorgeschmack darauf, dass die Mutanten dieser Welt überhaupt nichts Gutes bringen. Spannung und Tempo schrauben sich immer wieder rasant in die Höhe, und in diesen Passagen flogen die Seiten für mich nur so dahin!

Andererseits: was das Cover nicht erwarten lässt sind die Leichtigkeit und auch der Humor, mit denen Brandon Sanderson diese Geschichte erzählt. Oder die Freundschaft und Verbundenheit zwischen den Widerstandskämpfern, die allesamt starke Persönlichkeiten sind - und schrullige, denn jeder davon hat seine Macken.

Bei aller Actionfilm-Atmosphäre klingen auch immer wieder nachdenklichere Motive an. Worüber David, unser jugendlicher Held, zum Beispiel oft nachdenkt: Macht korrumpiert. Er sieht es an den Superschurken, aber es gab Szenen, in denen ich dachte: er sieht es nicht an sich selbst. Und die Menschen werden von den Epics grausamst unterdrückt, aber oft drängte sich mir der Gedanken auf, dass wir Menschen uns im Verlauf der Geschichte schon ganz Ähnliches gegenseitig angetan haben und immer noch antun...

Action, Gewalt, Angst, Leichtigkeit, Humor, Nachdenkliches... Diese Mischung machts. Nämlich originell, packend und wunderbar zu lesen, und das sicher nicht nur für Fans von Superhelden.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht David, dessen Vater von Steelheart getötet wurde. Seitdem widmet er sein ganzes Leben der Aufgabe, zum Experten über die Epics zu werden, ihre Schwachstellen herauszufinden, um sie dann damit töten zu können. Er will Rache - besonders an Steelheart. Aber er weiß, dass er das nicht alleine schaffen kann, deswegen versucht er, von den Rächern aufgenommen zu werden: der bisher einzigen Widerstandsgruppe, die wirklich etwas bewirkt. Allerdings muss er schnell feststellen, dass die Rächer erstens keine Bewerbungen akzeptieren - und zweitens nicht ganz die edlen Helden sind, die er sich vorgestellt hat. Liebenswert sind sie aber irgendwie alle: die Cola-süchtige Tia, die taffe Megan, der Möchtegern-Südstaaten-Schotte Cody, der gutmütige Abraham, und nicht zuletzt der Professor mit dem messerscharfen Verstand und der mühelosen Authorität. Die Charaktere waren für mich alle echt und glaubhaft, und ich fand sie einfach großartig!

Dass ich in diesem Buch trotzt aller dystopischen Düsternis so oft laut gelacht habe, das war auch meist David zu verdanken - David und seiner innigen Liebe zu Metaphern und Vergleichen. Denn leider hat er überhaupt - kein - Talent - dafür. Und da er uns die Geschichte aus seiner Sicht erzählt, kommt man fast jede Seite in den zweifelhaften Genuß!

"Ich stellte mir vor, auf so einer Maschine durch die Straßen zu rasen. Sie sahen ungeheuer gefährlich aus. Wie Alligatoren. Wirklich schnelle schwarze Alligatoren. Ninja-Alligatoren."

Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, und er war für die Geschichte einfach perfekt passend. David ist (abgesehen von seinen haarsträubenden Metaphern) ein wunderbarer Erzähler, der einem die Geschehnisse beinahe bildlich vor Augen führt und Spannendes genauso mühelos schildert wie Komisches oder Nachdenkliches.

Fazit:
Eine Superschurken-Dystopie, die mit erstaunlicher Leichtigkeit und viel Humor erzählt wird, dabei aber immer spannend und action-geladen bleibt. Die Charaktere sind wunderbar, und besonders David, den jugendlichen Protagonisten, habe ich schnell in mein Herz geschlossen.

Bewertung vom 27.06.2014
Busby, Cylin

Wo immer du bist


ausgezeichnet

Es geht um den jungen West, der nach einem schlimmen Unfall im Krankenhaus zu sich kommt. Er ist erst völlig verwirrt und weiß nicht, was los ist - warum ist er am Bett festgeschnallt? Warum tut sein Hals so weh, und warum kann er nicht sprechen? Immer wieder verliert er das Bewusstsein, und jedes Gefühl für Zeit geht ihm verloren. Wenn er Besuch bekommt, kann er nur hilflos daliegen und zuhören - seine Besucher sprechen beinahe mehr mit sich selbst... Und dann taucht Olivia auf, das Mädchen aus dem Zimmer nebenan, und sie sagt ihm ganz unverblümt: "Du hast einen Beatmungsschlauch im Hals. (...) Und übrigens bist du gelähmt, falls dir das noch keiner gesagt hat."

Und damit beginnt eine Freundschaft zwischen Olivia und West, die schnell sehr innig wird, obwohl sich West (zuerst) nur verständigen kann, indem er einmal für ja und zweimal für nein blinzelt.

Ich fand diese Grundidee sehr originell und faszinierend. Dabei war es für die Autorin sicher eine Herausforderung, diese Idee zu einem spannenden, packenden Buch umzusetzen! Denn zum einen ist der Schauplatz sehr begrenzt: ein Großteil des Buches spielt in Wests Krankenzimmer. Und dann gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Charakteren, die wirklich eine Rolle spielen: West, seine Freundin Allie, sein bester Kumpel Mike, seine Mutter, Olivia, die nette Schwester Norris und die fiese Schwester ohne Namen... Aber Cylin Busby erschafft mit diesen begrenzten "Zutaten" eine Geschichte, die berührend ist und einen nicht mehr loslässt.

West ist ein sympathischer junger Mann - ein ganz normaler Teenager. Aber seine Gedanken entwickeln in seiner Zeit im Krankenhaus immer mehr Tiefe... Denn er hat ja außer Nachdenken nichts zu tun, und so lernt er sich nach und nach wirklich selber kennen und begreift, was für ihn im Leben wichtig ist.

Allie und Mike bleiben dabei eher am Rand des Geschehens. Allie besucht West nur selten und kann nur schlecht mit der Situation umgehen, aber so richtig lernt man sie als Leser gar nicht kennen. Mike tut sein Bestes: er bringt Musik für West mit und redet mit ihm, und man merkt deutlich, wie wichtig West für ihn ist.

Wests Mutter tut ebenfalls ihr Bestes, aber ihre Besuche werden immer kürzer, denn sie hat einfach keine Kraft mehr. Und Wests Vater kann es nicht ertragen, seinen Sohn so zu sehen. Die beiden streiten sich darüber, ob West eine riskante Operation bekommen soll: sie könnte wahnsinnige Fortschritte für ihn bedeuten, aber auch tödlich enden...

Olivia ist neben West der zentrale Charakter. Sie sagt immer klar heraus, was sie denkt, und das wirkt manchmal doch etwas gemein und gedankenlos... Aber im Laufe des Buches habe ich ihre Ehrlichkeit schätzen gelernt, und so nach und nach lernt man als Leser auch ihre verletzliche Seite kennen.

Allerdings sagt sie manchmal auch Dinge, die ich sehr egoistisch von ihr fand. Aber dazu möchte ich hier noch nicht zu viel sagen, denn das würde einiges verraten!

Apropros verraten: es gibt gegen Ende eine Enthüllung, die ich kommen sehen habe. Zuerst war ich darüber etwas enttäuscht und habe mir gedacht: hätte die Autorin das nicht besser verstecken können? Aber dann habe ich mich gefragt, ob es wirklich so schlimm ist, diese Sache schon viel früher als West zu begreifen, und die Antwort ist nein. Denn der Reiz der Geschichte lag für mich vor allem im Psychologischen: darin, wie West mit dieser extremen Situation umgeht, und wie die Menschen um ihn herum reagieren.

Als ich den Klappentext gelesen habe, war ich erst skeptisch: wie kann sich ein Mädchen zu einem Jungen hingezogen fühlen, der nicht mal mit ihr reden kann? Aber es macht Sinn, man kann es nachvollziehen und glauben, und dabei driftet es nicht in zuckersüßen Kitsch ab.

Zusammenfassung:
Ein nachdenkliches Jugendbuch der leisen Töne. Der junge West findet nach einem traumatischen Erlebnis nach und nach zurück ins Leben - und dabei eine unerwartete Liebe, die kein bisschen kitschig ist.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.06.2014
Boie, Kirsten

Schwarze Lügen


ausgezeichnet

Ein farbiges Mädchen, ein ständig betrunkener Stiefvater, ein Bankraub, eine Verwechslung, unerwartete Verbündete und gedankenlose Vorurteile...

Das bietet genug Stoff für einen packenden Jugendkrimi - oder ein sozialkritisches Problembuch. Oder eben beides! Die Mischung macht's, und zwar doppelt so originell und dreimal so spannend.

Das Buch lebt vor allem von seinen (nicht nur jugendlichen) Protagonisten, die alle ganz unterschiedlich sind, aber alle auf ihre eigene Weise authentisch, lebendig und glaubhaft. Viele habe ich geliebt, manche zumindest verstanden und wenige nicht ausstehen können - aber kaltgelassen hat mich keiner.

Melody, die Protagonistin, schlägt sich schon ihr ganzes Leben mit Vorurteilen herum, denn sie ist schwarz - schwarz in einem Land voller Weißer, die sie in irgendeiner Form für minderwertig halten: dumm, unverschämt, gewaltbereit... Dabei ist sie schlau und fleißig, und sie spielt Klarinette wie ein musikalisches Wunderkind. Auch ihr Bruder Amadeus rackert sich ab, in der Schule und im Musikunterricht, um den Traum der Mutter vom besseren Leben zu verwirklichen. Und ihre kleine Schwester Soppy ist das süßeste kleine Mädchen, dass ich je in einem Buch gelesen habe... Sie ist so ein niedliches, offenherziges Wesen!

Aber der Alltag der kleinen Familie ist schwierig, nicht nur wegen der ständigen Vorurteile, sondern vor allem wegen ihres versoffenen, selbstsüchtigen Stiefvaters, der die Mutter für sich arbeiten schickt und dem Rest der Familie sonst nur das Leben schwer macht. Als dann auch noch die Bank in ihrem Ort überfallen wird und die Polizei aufgrund von Vorurteilen direkt annimmt, Amadeus sei der Täter, tritt das eine wahre Lawine an Ereignissen los, in deren Verlauf Melody auf der Flucht eine ganze Reihe von Menschen kennenlernt.

Da wäre zum Beispiel Kenneth, der eine Menge Vorurteile mit sich rumträgt, die durch die Begegnung mit Melody ganz schön ins Wanken gebracht werden. Oder Linda, das reiche Politikertöchterchen, das quasi im goldenen Käfig lebt, aber doch eigentlich nur die Zuneigung ihrer Eltern will... Dann haben wir da noch Lindas Opa, einen verbitterten alten Grummel, der seit seiner Erblindung mit dem Leben hadert und nichts und niemanden mehr leiden kann - bis er durch eine Verwechslung Melody begegnet und feststellt, dass das Leben doch noch einiges zu bieten hat. Und nicht zuletzt Lukas, der alles losgestreten hat und nicht einmal versteht, dass sein Egoismus und seine Gedankenlosigkeit Menschenleben kosten könnten...

Im Mittelpunkt der Geschichte steht ganz klar nicht der Bankraub, sondern die Voruteile, mit denen wir Tag für Tag leben: Vorurteile, die wir selber insgeheim hegen, und Vorurteile, die uns entgegengebracht werden. Am deutlichsten sieht man das an Melody, die sich sogar bei der Fahrkartenkontrolle dumme Witze über Schwarzfahren anhören muss... Aber sogar Melody selber hat ihre Vorurteile, denn sie beschließt schon nach der ersten Begegnung, dass Kenneth dumm und ungebildet sein muss, und von Opa Sönnichsen nimmt sie erstmal an, dass jemand mit so viel Kohle keine echten Probleme haben kann. Jeder in diesem Buch hat sein Schubladendenken, und als Leser wird einem schnell klar, dass man sich selber davon auch nicht völlig freisprechen kann.

Aber trotz aller Sozialkritik liest sich das Buch wirkllich unterhaltsam und spannend! Es passiert sehr viel auf den 415 Seiten, da gab es für mich keine langweiligen Passagen. Durch die Krimi-Elemente wirkt das Buch auch nicht so schulmeisterlich und steif, wie das leider bei vielen Jugendbüchern mit ersten Themen der Fall ist.

Am Schreibstil hat mich sehr beeindruckt, dass er immer sehr nah dran ist an den Gedanken der jeweiligen Protagonisten. Er liest sich ungefiltert und wie aus dem Leben gegriffen, und das trägt dazu bei, wie echt und realistisch sich die Geschichte anfühlt - auch wenn die Gedanken oft nicht sehr angenehm sind!

Bewertung vom 19.06.2014
Ryan, Jeanne

Das Spiel ist aus, wenn wir es sagen


sehr gut

Das Titelbild ist schlicht, aber passend: ein harmloses Kästchenspiel, mit Kreide auf eine Tafel gekritzelt - wahrscheinlich von gelangweilten Schülern in der Pause zwischen Mathe und Englisch. Auch das Spiel, um das es in diesem Buch geht, wird von Jugendlichen gespielt und erscheint zunächst harmlos... Aber das ist es ganz und gar nicht! "Risk" ist genau das, was der Name verspricht: riskant, und das weit mehr, als den Mitspielern klar ist.

Vee will eigentlich gar nicht teilnehmen an diesem blöden Spiel, bei dem man sich manchmal öffentlich erniedrigen und manchmal seinen schlimmsten Ängsten stellen muss. Sie ist doch die Vernünftige, die Ruhige, die Schüchterne, die immer im Hintergrund steht! Aber was hat ihr das gebracht? Dass ihre beste Freundin, die immer im Mittelpunkt steht, sich an den Jungen ranschmeisst, in den Vee glühend verliebt ist. Vielleicht ist es an der Zeit, mal die Mutige, Verrückte zu sein, die an so etwas Bescheuertem teilnimmt wie "Risk". Und es fängt ja auch harmlos an: ihre erste Aufgabe ist es, in ein Bistro zu gehen, sich da kaltes Wasser über den Kopf zu kippen und dabei zu sagen: "Kaltes Wasser macht mich heiss!" Und natürlich muss sie sich dabei filmen lassen und den Film ins Internet stellen. Megapeinlich, aber irgendwie auch aufregend. Eigentlich will sie danach aufhören, aber die Macher von "Risk" wissen genau, mit was sie Vee ködern müssen, damit sie weiter mitmacht...

Sie bezahlen die Teilnehmer mit immer teureren Preisen: Designerschuhe, ein Wochenende im Wellness-Hotel, ein Stipendium an einer hochbegehrten Schule... Jeder bekommt, was er will. Nervenkitzel, Konsumrausch, Selbstdarstellung, Selbstverwirklichung, ganz egal. Jeder kann teilnehmen, egal wo er wohnt. Alles wird gefilmt, alles wird im Internet geteilt, das Spiel läuft komplett über die sozialen Medien, und so werden hier auch ganz deutlich deren Gefahren und Versuchungen thematisiert.

Die Spiele werden immer krasser, immer gefährlicher, immer erniedrigender, und dennoch kann Vee nicht aufhören. Immer, wenn sie beschließt, auszusteigen, bekommt sie das nächste Angebot, das sie nicht ablehnen kann. Woher wissen die Macher so viel über sie? Es scheint fast, als wäre Vee aus Glas, jeder Gedanke und jeder Wunsch klar ersichtlich. Die Geschichte wird immer spannender, und einerseits habe ich mir irgendwie gewünscht, dass Vee Vernunft annimmt und aufhört - und andererseits wollte ich wissen, wie es weitergeht.

Die Charaktere haben mir gut gefallen, und ich fand sie sehr glaubwürdig und lebendig beschrieben - sympathisch, aber mit Schwächen, Ecken und Kanten. Im Mittelpunkt stehen Vee, ihr Mitschüler Tommy, der am Anfang ihr Kameramann ist, und Ian, der ihr von den Machern als Partner für das Spiel zugeteilt wird. Alle haben ihre Gründe, das Spiel zu hassen und zu lieben, und keiner kann sich dem Sog im Endeffekt entziehen...
Natürlich wäre ein Jugendthriller kein Jugendthriller ohne eine Prise Romantik, und so findet sich auch hier eine Liebesgeschichte, die aber trotz aller Romantik angenehm kitschfrei und realistisch bleibt.

Der Schreibstil ist nichts, was mir positiv aufgefallen wäre, aber er liest sich dennoch problemlos und unterhaltsam runter.

Für mich war das Ende eher eine Enttäuschung. Plötzlich ging alles sehr schnell, Vee erschien mir auf einmal wie eine ganz andere Person, und mir fiel es schwer, manche Dinge zu glauben.Ich habe mich mit dem Ende etwas hängengelassen gefühlt.

Fazit:
Trotz des für mich eher enttäuschenden Endes hat mir das Buch gut gefallen. Es war spannend, mit überraschenden Wendungen, und das Thema ist immer noch topaktuell: soziale Medien und deren Gefahrenpotential, Internetvoyeurismus und die Frage: wie weit würdest du gehen?

Bewertung vom 16.06.2014
Zettel, Sarah

Ein Kleid aus Staub / Callie LeRoux-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Das Cover hat mich direkt angesprochen. Es hat etwas Mystisches, Düsteres an sich, und doch etwas Realistisches mit einem Hauch von verblichener Vergänglichkeit- und damit passt es perfekt zu diesem Buch. Denn Sara Zettel präsentiert uns hier eine wunderbare, originelle Mischung, in der dunkle und lichte Feen ebenso eine Rolle spielen wie die furchtbaren Staubstürme, die in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in Kansas wüteten.

Das fiel für mich übrigens unter die Rubrik "Wieder was gelernt!" - oder wusstet ihr schon, dass es damals tatsächlich eine mehrjärige Dürre gab und danach öfter dichte Staubwolken durch Kansas wüteten, die so hoch waren wie Hochhäuser? Im Buch wird eindringlich und bildhaft beschrieben, wie Menschen durch kniehohen heißen Staub waten und kaum atmen können, und wie Häuser im Sand versinken. Es ist fast unmöglich, Mahlzeiten zuzubereiten, ohne dass danach beim Essen Sand zwischen den Zähnen knirscht, und das Wasser wird zunehmend knapp und kommt nur noch als warmes, braunes Rinnsal aus der Leitung...

Die Protagonistin ist erst 13 Jahre alt, aber sie hat schon eine Staublunge wie ein erwachsener Mienenarbeiter und sieht ihrem wahrscheinlich baldigem Tod ins Auge. Viele plastische Details lassen das schwere, von Durst und Krankheit geplagte Leben der Menschen in dieser Zeit und an diesem Ort wieder auferstehen, und auch ohne die Fantasyelemente wäre daraus sicher ein spannendes Buch geworden - denn hier liest sich das wahre Leben so unglaublich und fantastisch wie ein modernes Märchen.

Aber in die staubige Welt, die Sara Zettel hier schildert, schleicht sich nach und nach das Übernatürliche ein. Callie hört Stimmen im Wind, die sie rufen, und nach dem Verschwinden ihrer Mutter begibt sie sich mit dem jungen Jack, den sie zufällig kennenlernt, auf eine Reise, die auf mehr als eine Weise ihr Leben verändert. Denn Callie ist mehr als nur ein ganz normales Mädchen. Es hat seinen Grund, warum ihre Mutter sie nie auf dem Klavier hat spielen lassen, dass ihrem Vater gehörte. Und es hat seinen Grund, dass der Vater noch vor Callies Geburt verschwand und nie mehr zurückkehrte. Und diese Gründe schlagen die Brücke zwischen den beiden Genres: geschichtlicher Roman und Fantasyroman.

Dabei sind die Fantasy-Elemente hier alles andere als tausendfach durchgenudelter Durchschnitt! Auch wenn man viele Wesen aus anderen Fantasybüchern schon kennt, sind sie hier doch auf ganz eigene Art beschrieben, und gut und böse sind nicht in Stein gemeißelt sondern eher wandelbare Konzepte. Viele Szenen wirken geradezu abstrus, schräg und verdreht wie ein fieberinspirierter Albtraum, und dann hat das Übernatürliche wieder eine verträumte Schönheit. Langweilig wurde es dabei für mich nie, und auch der fantasievolle Schreibstil mit seinen wunderbaren Bildern trug dazu bei, dass das Buch für mich von der ersten bis zur letzten Seite ein pures Leservergnügen blieb.

Das Buch konzentriert sich auf wenige Charaktere, aber die sind gut und schlüssig beschrieben. Mit Callie konnte ich problemlos mitfühlen und -fiebern, und auch Jack war mir direkt sympathisch. Die beiden hatten von Anfang an eine gute Chemie, die die Geschichte problemlos tragen konnte. Allerdings kamen mir beide deutlich älter vor als ihr angegebenes Alter - besonders Callie spricht und handelt für mich weit eher wie eine 16-jährige als eine 13-jährige! Das liegt auch an der im Klappentext versprochenen zarten Romantik, die einfach plausibler und glaubwürdiger wirkt, wenn beide Beteiligten ein kleines bisschen älter sind. Wobei die Romanze für mich nicht im Mittelpunkt steht - für mich ist das Buch vor allem ein Genremix aus Abenteuer, Fantasy und Geschichte, und die Romanze ist dabei eher die Prise Salz in der Suppe.

Fazit:
Im Buch ist weniger Romantik drin, als der Klappentext verspricht - aber ich habe nichts vermisst und diesen wunderbaren Genremix aus Abenteuer, Geschichte und Fantasy mit viel Vergnügen gelesen.