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yellowdog

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Insgesamt 2106 Bewertungen
Bewertung vom 16.04.2023
Luik, Arno

Rauhnächte


ausgezeichnet

Der Journalist Arno Luik hat die Diagnose Darmkrebs bekommen.
Das bedeutet eine langwierige, anstrengende Therapie und Todesgefahr.
Daraus resultieren harte Nächte, in denen seine Gedanken nur um den Krebs kreisen.
Um sich abzulenken hat er angefangen Tagebuch zu schreiben.
Diese Eintragungen sidn die Grundlage für dieses intensive Buch.
Man erfährt von seiner Gefühlslage. Teilweise sind es aber auch politische Ereignisse, über die er reflektiert, z.B. der Ukrainekrieg und die Rolle der USA bei der Nordstreamsabotage, WM in Katar, Letzte Generation etc. Einiges, was er schreibt ist auch durchwegs eigenwillig und provokant, z.B. seine Enttäuschung über die Grünen.

Außerdem sind ein Interview mit Angelika Schrobsdorff und eine Reportage über Georg Elser in dem Buch integriert.

Das Buch ist wegen seiner Thematik und der offenen Art, in der Luik schreibt, nahezu schonungslos. Das wird aber gemildert, weil Arno Luik einen Ton findet, der funktioniert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.04.2023
Safier, David

Solange wir leben


ausgezeichnet

Die Geschichte der Eltern

Mit Solange wir leben hat der Bremer Autor David Safier die Geschichte seiner Eltern geschrieben.
Ich nehme an, dass die Eckdaten stimmen, es aber erzählerische Freiheiten gibt.
Dadurch kann er seine eigenwilligen, aber liebenswerten Figuren lebendig werden lassen.
Joschi erlebte schlimme Zeiten als Jude , seine Eltern überlebten nicht. Joschi ist ein Überlebenstyp und er will in der Nachkriegszeit in vollen Zügen leben.
Waltraud ist 20 Jahre jünger als Joschi, muss aber in der Nachkriegszeiten auch harte Zeiten durchmachen.
Es dauert fast bis zur Mitte des  Buches, bis sie sich kennenlernen. Da ist Waltraud schon Witwe und Joschi noch mit einer anderen verheiratet.

Es gibt einige Abschnitte in Wien, aber der Großteil der Handlung spielt in Bremen. Das ist sehr reizvoll, den  Bremen ist eine wundervolle Stadt.

Man spürt, wie wichtig dem Autor die Geschichte seiner Eltern war, die ihm dann auch sehr gut gelungen ist.

Bewertung vom 15.04.2023
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


ausgezeichnet

Der Trost durch Bücher

Die Tage der Buchhandlung Morisaki ist ein interessanter, japanischer Roman über die Verarbeitung von Beziehungsproblemen.
Nachdem der Icherzählerin Takako von ihrem Freund, mit dem sie auch zusammenarbeitet, übel mitgespielt wurde, kündigt sie und zieht zu ihrem sympathischen Onkel, der ein Bücherantiquar führt.
Zuerst schläft sie nur stundenlang, für die Bücher interessiert sie sich nicht. Doch das ändert sich und schließlich lernt sie im Café nebenan neue Leute kennen, mit denen sie sich anfreundet.
In der zweiten Hälfte des Romans wird ihre Beziehung zur Tante Momoko wichtig, die nach jahrelanger Trennung zu ihrem Onkel zurückgekehrt ist.

Sowohl Onkel als auch Tante werden gut porträtiert als außerordentliche Menschen. Ich denke, das ist eine Stärke des Autors, während der Roman ansonsten überwiegend konventionell erzählt wird.

Einen Aspekt möchte ich noch gesondert erwähnen: Die Buchhandlung führt japanische Literatur der Frühmoderne, also von Autoren der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Das sind Namen, die den meisten westlichen Lesern vermutlich nicht soviel sagen. Einige von ihnen habe ich mir herausgeschrieben. Vielleicht begegne ich deren Bücher auch einmal in einem Antiquar.

Bewertung vom 15.04.2023
Harada, Hika

3000 Yen fürs Glück


sehr gut

Japanisches Gesellschaftsporträt

Ein Roman mit dem Thema Geld und Bedeutung. Warum nicht. Aber letztlich ist es doch in erster Linie ein Gesellschaftsporträt, dass das zeitgenössische Japan zeigt.
Die ersten Abschnitte sind wirklich brillant. Die ju8ngen Mädchen Mithob und Maho bekommen von ihrer Großmutter jeweils 2000 Yen geschenkt, und was sie damit machen ist für die Großmutter kennzeichnend für den Charakter des Menschen.
In erster Linie stehen Mihos Gedanken im Vordergrund. Es ist auch eine Art Familienroman. Als Erwachsene erlebt sie, wie ihre Kollegin rausgemobbt wird. Eine leise Kritik an den japanischen Arbeitsmarkt, wahrscheinlich nicht so weit weg vom deutschen.

Später hat das Buch ernüchternde Längen, bleibt auch unspektakulär.
Trotzdem ist 3000 Yen fürs Glück lesenswert, schließlich gibt es einige berührende Momente.

Das Buch schließt mit einem Kommentar der Übersetzerin sowie einer Übersicht über die handelnden Figuren und einem Glossar.

Bewertung vom 09.04.2023
Küpper, Michaela

Und trotzdem leben wir


sehr gut

Michaela Küpper wirft in ihrem gut lesbaren Roman „Und trotzdem leben wir“ einen Blick auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft. Es sind harte Zeiten. Viele Männer sind tot oder in Kriegsgefangenschaft, die Frauen müssen sich und ihre Kinder allein durchkriegen.
Dazu gehört z.B. auch Eva Koch, die mal Lehrerin war, die Frisöse Erika Schott, dann noch Gerrit mit ihrer Mutter.
Die Zwangslage prägt die Frauen und sie sind entschlossene, selbstbewusst auftretende Persönlichkeiten.
Eine typische Figur der Zeit ist der sympathisch gezeichnete 14jährige Emil, ein Überlebenstyp, der mit seinem Fahrrad mutig Aufträge erledigt und sich stets schlitzohrig gibt.

Man bekommt einen Eindruck von der Zeit, wie man sie sich vorstellt. Manche der Motive sind schon etwas vergriffen, denn solche Romane gibt es schon einige. Aber auch Michaela Küppers Roman funktioniert.

Bewertung vom 08.04.2023
Politycki, Matthias

Alles wird gut


sehr gut

Matthias Politycki neuester Roman heißt Alles wird gut. Chronik eines vermeidbaren Todes. Ein Titel, der an Gabriel Garcia-Marquez erinnert und tatsächlich hat der Roman auch etwas Exotisches. Schauplatz ist der Süden Äthiopiens im Jahr 2020.
Der Protagonist heißt Josef Trattner, aus Wien, der jetzt schon 3 Jahre in Afrika arbeitet. Er ist ein überwiegend passiver Beobachter, bleibt zunächst kühl, reagiert wenig. Das kennzeichnet den Roman, bei dem man den Figuren zunächst nicht so nahekommt, wie in Polityckis letzten Roman „Das kann uns keiner nehmen“, der auch in Afrika handelte.
Dennoch beeindrucken mich die Figuren. Politycki kann markante Typen schaffen.

Trattner ist fasziniert von einer Frau der Suri, Natu. Wegen ihr bemüht er sich mehr, Afrika zu verstehen und durch seinen Blickwinkel nehmen wir Leser das uns fremde Äthiopien wahr. Der kommende Krieg liegt in der Luft, die Konflikte zwischen den Ethnien sind spürbar.

Meiner Auffassung nach bleiben sich Trattner und Natu fremd, sie haben auch nicht so viele gemeinsame Szenen im Buch.

Die größte Stärke des Buches sind die Beschreibungen der Umgebung. Das ist auch der Erfahrenheit eines Autors geschuldet, der schon viele Romane geschrieben hat.

Bewertung vom 05.04.2023
Schubert, Helga

Helga Schubert über Anton Tschechow / Bücher meines Lebens Bd.4


ausgezeichnet

Helga Schubert, verdiente Gewinnerin des Ingeborg Bachmann-Preis 2020, spürt in diesem schmalen Buch dem Leben Anton Tschechows und seinem Werk nach und schildert sein Leben auf spannende Art. Das Besondere ist, dass sie Tschechow als Persönlichkeit wirklich Profil gibt. Das ermöglicht dem Leser eine Begegnung.

Aber Helga Schubert schreibt auch über sich und erläutert ihre Verbundenheit mit Tschechow. Und sie findet wirklich einen Ton für das Buch.
Deshalb ist es auch ein sehr persönliches Buch geworden, so dass man als Leser Dankbarkeit empfindet, dass sie es mit uns teilt.

Bewertung vom 05.04.2023
Schalko, David

Wir lassen uns gehen


sehr gut

Eigenwillige Figuren

David Schalkos Erzählungen sind ungewöhnlich, eigenwillig und originell. Und vor allen haben sie Kraft. Ein gutes Beispiel dafür ist die Erzählung Vorteil Hornicek, in der ein Tennislehrer nach einem Unfall plötzlich in die Zukunft sehen kann, aber leider nur 3 Sekunden.
Typisch für Schalko ist auch, dass die Figuren nicht unbedingt Sympathieträger sein müssen.
So wird der Protagonist der ersten Story durchgängig als Arschloch bezeichnet, und er verhält sich auch so.

Oft ist die Sprache rüde, aber so passt sie zu den drastischen Geschichten.

Nicht wenige der Figuren sind Verlierer, z.B. Jeff Kanter in Cowboys, der ein ehemals erfolgreicher Sänger war und jetzt nur noch vor wenigen Personen singt. Man denkt bei ihm ein klein wenig an Gunter Gabriel.

Zu den bizarren Geschichten gehört auch die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Johnny und der Sonne.

Einige Stories sind sehr kurz. Mit denen konnte ich persönlich nicht ganz so viel anfangen.
Aber so einiges ist wirklich bemerkenswert. Daher unbedingt ein lesenswertes Buch.

Bewertung vom 05.04.2023
Meyer, Clemens

Clemens Meyer über Christa Wolf / Bücher meines Lebens Bd.3


ausgezeichnet

Als Teil der Reihe Bücher meines Lebens ist dieses Essay von Clemens Meyer über Christa Wolf erschienen.
Clemens Meyer geht hier durch Christa Wolfs Bücher, gleichzeitig auch durch wichtige Teile der Literatur der DDR.
Es ist also von Vorteil, Christa Wolfs Werk ein wenig zu kennen und auch einige der anderen DDR-Autoren.

Es ist ein dichter Text. Clemens Meyer bleibt Christa Wolf konzentriert auf den Spuren. Als Schlüsselwerk wird immer wieder Kindheitsmuster herangezogen.

Da ich Christa Wolf viel gelesen habe, ist Clemens Meyers Buch für mich ein Glücksfall!

Bewertung vom 04.04.2023
Heuchert, Sven

Das Gewicht des Ganzen


sehr gut

Der Gesang des Sumpfengels

Der Schriftsteller Sven Heuchert, bekannt durch Dunkels Gesetz, hat einen eigenwilligen Stil. Er setzt auf seine Figuren, die sich verschlossen geben. Das trägt neben glänzenden Beschreibungen zur Atmosphäre bei.
Die Kapitel wechseln zwischen Milla und Russ, die sich in Kanada treffen und sich miteinander befreunden. Obwohl die beiden sich kaum persönliches erzählen, haben sie ein Gefühl der Vertraulichkeit. Die Dialoge sind wirklich gut gemacht.
Ein Noir-Feeling, wie in Heucherts früheren Romanen fehlt. Dadurch wird der Roman für mich umso mehr zur lesenswerten Literatur. Der Roman beginnt fast sperrig, entwicklt aber mit der Zeit immer mehr einen erzählerischen Sog, den man sich als Leser nicht entziehen kann oder will.