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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 13.03.2018
Constantine, Liv

Dein Leben gegen meins


gut

Zuallererst eine Warnung: Wer sich wirklich von der Geschichte überraschen lassen möchte, sollte den Klappentext besser nicht lesen, hier wird leider schon ein Teil des Twists verraten.
Das Schwesternpaar, das sich hinter dem Autorenpseudonym verbirgt, schildert eine nicht sonderlich neue Story: Amber, eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen möchte sich einen reichen, attraktiven Mann angeln. Blöd nur, dass dieser bereits verheiratet ist und seine bildschöne Frau Daphne geradezu vergöttert. Zwei Töchter scheinen die Familienidylle perfekt zu machen.
Aber natürlich ist nicht alles so wie es scheint - aber auch ich möchte hier nicht zu viel verraten.
Der Schreibstil des Romans ist solide, gut gemacht, die Geschichte liest sich sehr flüssig. Dennoch war ich nach den ersten Kapiteln etwas gelangweilt. Denn einerseits werden manche Aspekte einfach zu oft wiederholt und in aller Breite ausführlichst geschildert. Und andererseits wimmelt das Buch nur so von Klischees und Stereotypen. Da hätte ich mir mehr Ecken und Kanten der einzelnen Charaktere gewünscht. Vieles ist auch nur oberflächlich beschrieben. Zwar kann man sich die einzelnen Situationen und Szenen sehr gut vorstellen, die Autorinnen verstehen sprachlich ihr Handwerk. Was mir jedoch fehlt, sind tiefergehende Analysen der Protagonisten, wie wurden sie zu der Person, die wir nun erleben?
Mir kommt der Roman ein wenig vor wie ein Plot aus "Denver-Clan", nur mit weniger Akteuren. Glanz, Glamour, die Guten gegen die Bösen ...
Hat man den ersten Teil, der ausschließlich aus Ambers Sicht erzählt wird, geschafft, wird man als Leser belohnt: Die Erzählperspektive Daphnes bringt einen wirklichen Twist, und die Geschichte nimmt wieder an Fahrt auf.
Mein Fazit: Wer ein paar Stunden netter Unterhaltung sucht, Spannung ohne Blutvergießen, und sich auch an Schwarz-Weiß-Malerei nicht weiter stört, der wird das Buch genießen. Mir persönlich ist "nette Unterhaltung" hier etwas zu wenig.

Bewertung vom 09.03.2018
Sullivan, J. Courtney

All die Jahre


gut

Im Mittelpunkt des Familienromans stehen die ungleichen Schwestern Nora und Theresa, die als junge Frauen aus einem armen irischen Dorf in die USA auswandern, um dort ihr Glück zu finden.
Die Erzählung springt zwischen den zeitlichen Hauptebenen der 1950er Jahre kurz nach der Immigration, den folgenden Jahren samt Familiengründung und Heranwachsen der Kinder und der Gegenwart, in der ein Sohn ums Leben kommt.
Zentrales Thema des Romans ist die Sprachlosigkeit der Familie. Nora kehrt Probleme lieber unter den Teppich statt sie auszudiskutieren, es gibt viele Tabus und Geheimnisse. Ihre Unfähigkeit zur offenen Kommunikation gibt sie an ihre Kinder weiter, dies führt zu vielen Missverständnissen und großen Spannungen untereinander. Dieser Aspekt ist sehr gut in die Geschichte eingewoben, man kann als Leser die verschiedenen Sichtweisen gut nachvollziehen, die sich dadurch ergeben, dass nicht jeder alles weiß.
Gut gefallen hat mir die Beschreibung der Auswanderung, mit welchen Ängsten und Hoffnungen sich die Schwestern auf die lange Schiffsreise begeben haben und wie der Zusammenhalt innerhalb der irischen Communities in den amerikanischen Städten war. Auch die Gesellschaft der 50er Jahre, die Spannung zwischen religiösen Tabus und beginnendem sexuellen Aufbruch werden anschaulich dargestellt. Der ausführlichen Recherche der Autorin ist es zu verdanken, dass der Leser auch detaillierte Einblicke in das Leben eines Nonnenklosters erhält.
Allerdings ist der Roman für meinen Geschmack zu sehr mit Themen überfrachtet. Es geht um den Einfluss der katholischen Kirche auf die Moralvorstellungen der Gläubigen, um sexuellen Missbrauch durch Priester, um Homosexualität, Alkoholismus, Jugendkriminalität, ungewollte Schwangerschaft, künstliche Befruchtung, Auswanderung oder das Leben im Kloster. Alles wichtige Themen, die sich gut für die Form eines Romans eignen, aber in dieser Ballung war es mir einfach zu viel.
Außerdem hätte ich mir bei der Darstellung der Charaktere mehr Einsicht in deren Gefühlswelt gewünscht, das kam oft etwas zu kurz. Und so bleibe ich am Ende auch mit sehr vielen offenen Fragen zurück, mehr als mir lieb ist.
So bleibe ich mit dem Gefühl zurück, es müsste eine Fortsetzung geben.

Bewertung vom 05.03.2018
Krcmárová, Rhea

Böhmen ist der Ozean


ausgezeichnet

Was für ein Buch: sprachgewaltig, tiefsinnig, beeindruckend! Gemeinsam ist allen Erzählungen das Thema Wasser, oft tauchen Wassergeister und Götter der slawischen Mythologie auf. Die Sprache zog mich wie in einem Strudel in die Geschichten, es war ein intensives Abtauchen in eine mir unbekannte Welt. Aber die Geschichten handeln nur oberflächlich von Wassermännern und Nixen.
Rhea Krčmářová erzählt von den Studentenverbrennungen als Reaktion auf die Niederschlagung des Prager Frühlings. Sie schildert, wie bereits Kinder lernen, mit den Bespitzelungen umzugehen, wie Familien und Freundschaften nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zerbrechen. Wir erfahren vom Sprachverlust Ausgewanderter, von der Suche nach der Identität zwischen alter und neuer Heimat.
Dabei mutet sie dem Leser einiges zu. Ich musste mich nicht nur mit den Grundzügen der slawischen Götter und Fabelwesen vertraut machen, sondern auch so manche Bedeutung eines nicht erklärten tschechischen Ausdrucks nachschlagen. Keine leichte Kost also, aber gehaltvoll und nachhaltig.
Die poetische Sprache wechselt von zarten, gefühlvollen Bildern zu sturmflutartigen Beschreibungen, es ist alles dabei, nur keine Langeweile.
Nicht zuletzt ist das Buch auch gestalterisch eine Perle: Der Schutzumschlag, auf dem sich die Meerjungfrau erst auf den zweiten Blick entdecken lässt, ist eine gelungene optische Umsetzung des Wasserthemas. Das hochwertige Papier des Einbands lädt mit seinen Rillen und Falten auch die Finger des Lesers zum Erkunden ein.
Fazit: Außen wie innen außergewöhnlich gut. Kein Buch "to go", sondern anspruchsvolle Literatur für alle, die sich Zeit dafür nehmen.

Bewertung vom 28.02.2018
Kagge, Erling

Stille


sehr gut

Schöne Momente kann man durch zu viele Worte leider auch zerstören. Dies schildert Autor Kagge in einem seiner 33 Essays über die Stille sehr anschaulich. Die Buchlektüre hat mir einige schöne Momente beschert - nun stehe ich also vor der Herausforderung, diesem Buch mit einer angemessen knappen Rezension gerecht zu werden.
"Stille" ist einerseits ein Sachbuch, ein Ratgeber, aber andererseits erzählt Kagge so viel von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, dass ich mich manchmal wie in einem Roman wähnte. Kagge ist Verleger und Abenteurer, er war am Südpol und in den Abwasserkanälen New Yorks. Seine Geschichten geben erstaunliche Denkanstöße und verzaubern gleichermaßen. Es geht in ihnen um Langeweile, um Schärfung der Wahrnehmung durch Reduzierung von Sinneseindrücken, um den Zusammenhang zwischen Lärm und Lebensqualität. Es geht um die eigene Stille, die für jeden von uns anders ist.
Das Buch ist sehr reduziert, mit knappen Kapiteln in klarer Sprache, wenigen, ästhetischen Bildern. Bereits beim Lesen stellt sich Ruhe ein.
Lediglich für ein paar Binsenweisheiten wie etwa den Tipp, doch einfach mal ein paar Tage für niemanden erreichbar zu sein (kein Smartphone, Laptop ...), ziehe ich einen Stern ab. Insgesamt ein sehr besonderes, sehr empfehlenswertes Leseerlebnis.

Bewertung vom 26.02.2018
Rapoport, Daniel H.

Anteil des Redens an der Affenwerdung des Menschen


schlecht

Der Klappentext verspricht witzige und klare Beobachtungen zu unseren Sprachgewohnheiten, Autor Rapoport selbst hofft auf das Erklugen des Lesers anhand seiner Essays. Ich war diesbezüglich zum einen enttäuscht, konnte ich den Texten doch weder etwas Amüsantes, noch wirklich Verständliches entnehmen. Zum anderen dürfte ich als Leserin auch eine Enttäuschung für den Autor darstellen, denn wirklich schlauer bin ich durch die Lektüre nicht geworden.
Die Enttäuschung habe ich zum Teil mir selbst zuzuschreiben: Verführt durch Werbung des Verlags und die humorvolle Gestaltung des Covers hatte ich eher lustige Geschichten à la Bastian Sick erwartet. Bekommen habe ich kompliziert dargebrachte Theorien, eine enorm unklare Sprache, die mir weniger die behandelten Sachverhalte als eine deutliche Selbstverliebtheit des Autors vermittelt hat. So schreibt er etwa "Sprache bleibt die große Liebe meines Lebens" - bei der überdurchschnittlich häufigen Verwendung des Wortes "eigentlich" wie auch von Füllwörtern wie "nun ja" oder "ähm" bleibt das für mich leider ein Lippenbekenntnis. Auch Rapoports "Ich hoffe, ich bin wirklich klar verstanden" ist, was mich betrifft, ein frommer Wunsch.
Auch fühle ich mich nicht als "der liebgewonnene Leser", sondern empfinde den Autor seiner Leserschaft gegenüber eher lieblos. Vielfaches Namedropping mir völlig unbekannter Philosophen (Horkheimer, Austin, Quine, Davidson, Frege) wirkt auf mich ebenso überheblich wie die Aufforderung, ich solle doch den Hirsch-Factor googeln. Hier hätte ich mir vom Naturwissenschaftler, der das Publizieren gewohnt ist, hilfreiche Fußnoten gewünscht.
Was denkt sich der Autor dabei, ein Verb wie transmogrifizieren ohne Erläuterung zu verwenden? Dass seine Leser samt und sonders World-of-Worcraft-Spieler sind?
Ich muss gestehen, dass ich mich derart mühsam durch das Buch gekämpft habe und dass ich so sehr mit der Sprache gehadert habe, dass ich mich kaum auf den Inhalt konzentrieren konnte. Auch wiederholtes Lesen ganzer Abschnitte hat mir selten zu wirklichem Verständnis verholfen. Und das ist mein größter Kritikpunkt: Wenn Rapoport nicht nur selbstverliebt seine Ansichten zum besten geben möchte, sondern mit seiner Kritik auch Änderungen in unserer Gesellschaft bewirken will, dann sollte er doch möglichst verständlich schreiben. Eine der wenigen Aussagen, die mir klar geworden sind, ist, dass Medien die Wahrnehmung der Massen synchronisieren. Diese Ansicht teile ich, beim Großteil des Buchs kann ich ehrlicherweise nicht sagen, wie ich dazu stehe, da ich es - trotz abgeschlossenen naturwissenschaftlichen Studium - schlichtweg nicht verstanden habe.

Bewertung vom 26.02.2018
Sieverding, Bert

Das Geheimnis meines Vaters, von dem er selbst nichts wusste


gut

Karl ist in mehrfacher Hinsicht gestört: Als Mitarbeiter eines großen IT-Konzerns zieht er duckmäuserisch stets den Kürzeren. Außerhalb der Firma hat er kaum Sozialkontakte, sein Verhältnis zu Frauen ist krankhaft, er hat eine Berührungsphobie und leidet seit seiner Jugend unter Impotenz, er hatte noch nie Geschlechtsverkehr obwohl er durchaus das Verlangen dazu hat.
Durch den plötzlichen Tod seines Vaters aus der Alltagsroutine gerissen muss er als einziges Kind ins Heimatdorf reisen, um die Beerdigung und den Nachlass zu regeln. (Die Mutter war bereits vor Jahrzehnten gestorben.)
Karl hatte schon seit langem keinen Kontakt mehr zu seinem Vater, und so findet er sich auch nur mit Mühe wieder in der Dorfgemeinschaft zurecht. Es gilt einige Hindernisse zu überwinden, doch ich will hier nicht zu viel verraten.
Sieverding versteht es, einen interessanten Plot zu entwickeln, und sowohl die Protagonisten als auch die dörfliche Szenerie nehmen durch seine bildhafte, detailreiche Beschreibung schnell Gestalt an. Gut gelungen ist auch die atmosphärische Schilderung der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, sei es anhand der damaligen Amateurfotografie oder von militärischen Tiefflügen über dem Kartopffelacker zu Übungszwecken. Allerdings gab es für mich die ein oder andere unnötige Länge, etwas Straffung würde der Geschichte gut tun.
Dafür führt der Autor den Leser ab und an gehörig an der Nase herum, so mancher Twist gegen Ende des Romans sorgt für Überraschung.
Das weitestgehend offene Ende gefällt mir gut, aber leider konnte mich die Erklärung für die psychischen Probleme Karls nicht wirklich überzeugen. Auch der Titel ist für mich unglücklich gewählt, denn nicht das Geheimnis des Vaters steht im Mittelpunkt des Romans, sondern Karls Probleme mit sich und seiner Vergangenheit. Es geht weniger um die Famlilie an sich, sondern um die Selbstfindung, ja das Erwachsenwerden eines Erwachsenen, quasi ein verspätetes Coming of Age.

Bewertung vom 26.02.2018
Jacobson, Howard

Pussy


gut

Das Cover verspricht "gedruckte, eiskalte Rache". Rache an wem, an Trump, für den der Protagonist Fracassus sichtlich Pate stand? Wohl kaum. Es scheint mir extrem unwahrscheinlich, dass Donald, der seine Freizeit auf dem Golfplatz oder vor dem (tonlosen) Fernseher verbringt, tatsächlich dieses Buch lesen sollte. Und wenn, dann dürfte er wohl kaum etwas davon verstehen und/oder auf sich beziehen.
Jacobson hat eine bissige Gesellschaftssatire verfasst, die Kindheit, Erziehung und den Werdegang zum Präsidenten von "God´s own Nation" in den Mittelpunkt stellt. Einige politische Zeitgenossen sind klar erkennbar, wie etwa Sojjourner (Hillary Clinton) oder Spavchik (Putin). Viele andere Anspielungen konnte ich leider nicht entschlüsseln.
Der Autor klebt nicht 1:1 an der Realität, er ändert so manches in Klein-Donalds respektive "Fracassus´" Leben ab. Aber Satire darf das natürlich. Besonders unterhalten hat mich die Darstellung der extrem beschränkten Sprachfähigkeit Fracassus´: Wenn ihn etwas erzürnt kann er seinem Ärger nur durch Hervorstoßen der immer gleichen Schimpfwörter Ausdruck verleihen. Unterhaltungen, die über mehr als einige Sätze hinausgehen, kann er nicht folgen. Überhaupt ist Kommunikation für ihn eher eine Einbahnstraße, ist er doch gewöhnt, durch Worte primär kurz seine Bedürfnisse zu äußern und diese umgehend durch Bedienstete erfüllt zu bekommen. Insofern wundert es nicht wirklich, dass er zu seiner wachsenden Anhängerschaft - er hat es durch Teilnahme an primitiven TV-Shows zu landesweiter Bekanntheit gebracht - durch kurze Twitterbotschaften Kontakt hält.
Auch wenn ich in der Regel mehr als 140 Zeichen zur Kommunikation verwende - ehrlich gesagt fand ich Jacobsons Stil teilweise recht anstrengend zu lesen. Zudem habe ich das Gefühl, dass ich wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Umschreibungen nicht richtig deuten konnte, dazu bin ich dann doch zu wenig mit der amerikanischen Politik vertraut. Manches ist vielleicht auch durch die Übersetzung verloren gegangen.
Fazit: Für politisch und sprachlich sehr versierte Leser uneingeschränkt zu empfehlen; der Durchschnitt wird wohl auch nur durchschnittliches Gefallen finden.

Bewertung vom 20.02.2018
Vorpahl, Elias

Der Wortschatz


ausgezeichnet

Zwei Dinge an diesem Roman konnte ich gar nicht glauben: Erstens, dass es kein Verlagswerk ist. Denn sowohl Umschlag und die zauberhaften Illustrationen zu Beginn der Kapitel wie auch die Qualität des Textes brauchen keinen Vergleich mit Produktionen großer Medienunternehmen zu scheuen, hier wurde sehr professionell gearbeitet. Meine zweite Überraschung gilt dem Autor: Nicht nur dass Elias Vorpahl mit diesem Märchenroman sein erstes Buch geschrieben hat, sondern auch, dass er studierter Mathematiker und Volkswirtschaftler ist. Diesen Berufszweigen spricht man ja nicht gerade ein Übermaß an Fantasie zu.
Und doch ist es in meinen Augen gerade das, was den "Wortschatz" auszeichnet. Vorpahl hat ein wunderschönes Märchen über die Welt der Sprache geschrieben.
Der Leser begleitet ein Wort, das seinen Sinn verloren hat und diesen wieder finden möchte. Dabei fällt das Wort in den Sprachfluss, nimmt an Wortspielen teil und ist auf der Müllhalde Babel von den vielen dort lagernden verkorksten Worten verwirrt. Es gibt mehrere Erzählebenen, die nicht immer klar sind, einige Sprachspiele des Autors erschließen sich wahrscheinlich erst beim wiederholten Lesen, doch das tut dem Zauber keinen Abbruch.
Die Geschichte ist voller Kreativität, Fantasie und Verrücktheiten. Zugegeben, nicht alles ist allein dem Kopf des Autors entsprungen; er bedient sich munter bei großen Geschichtenerzählern wie Michael Ende, Lewis Carroll oder Jostein Gaarder. Aber diese Reminiszenzen sind durchweg sehr liebevoll gestaltet und hervorragend in die Handlung eingepasst.
An sich lese ich nicht gerne Fantasy-Literatur, aber "Der Wortschatz" hat mich regelrecht verzaubert. Normalerweise stören mich kleinste Logikfehler - diese Geschichte ist für mich ein wunderbarer Märchenroman, in dem so manches Ungewöhnliche erlaubt ist.
Wer "Momo" oder "Der kleine Prinz" mag, der wird "Der Wortschatz" nicht mehr aus den Händen legen können! Meiner Meinung nach hat das Buch das Zeug dazu ein Klassiker zu werden.

Bewertung vom 19.02.2018
Hammerl, Elfriede

Alte Geschichten


ausgezeichnet

Bloß nicht vom Titel abschrecken lassen: Es geht nicht um alte Geschichten, nein, alt sind in den erstklassigen Kurzgeschichten von Elfriede Hammerl lediglich die Protagonisten.
Und deren Leben sind mitnichten so schön und beschaulich wie das spiralförmige Treppenhaus auf dem Cover. Dennoch ist das Foto hervorragend gewählt: Es übt auf mich eine gewisse Sogwirkung aus, genauso wie mich die Geschichten schon nach wenigen Zeilen in ihren Bann gezogen haben.
Die Autorin - geübt durch Kolumnen in diversen Zeitungen und Magazinen - versteht ihr Handwerk: Die Texte sind auf den Punkt gebracht, Momentaufnahmen eines Lebens zeichnen ein ausführliches Psychogramm, wozu andere Schriftsteller einen Roman benötigen reichen Hammerl wenige Seiten. Der Leser lernt unterschiedlichste Frauencharaktere kennen, allen gemein ist die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben. Da ist die bissige Alte im Heim, die weder beim gemeinsamen Gärtnern mitmachen will, noch nach der Darbietung des Kinderchors zwangsapplaudieren möchte. Wir bekommen Einblick in den frustrierten Alltag einer jungen Mutter im Vorort, deren ältere Nachbarin einfach nicht die erhoffte Ersatz-Oma-Rolle übernehmen möchte. Wir sehen einer Frau dabei zu, wie ihr eigenes Leben an ihr vorbeifliegt, weil sie von ihren Töchter als ständig verfügbare kostenlose Haushaltskraft bzw. Babysitterin missbraucht wird. Es geht um Enttäuschungen, Rache, Hass und Missgunst, aber auch um Selbstbestimmung und Versöhnung.
Elfriede Hammerl erzählt unterhaltsam, mit bissigem Humor und viel Tiefgang - die Geschichten regen zur Diskussion an und hallen noch lange nach. Literatur wie ich sie liebe!