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PMelittaM
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Köln

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Insgesamt 534 Bewertungen
Bewertung vom 04.07.2021
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


ausgezeichnet

Australien 1980er Jahre: Der zwölfjährige Eli Bell lebt mit Mutter, Stiefvater und älterem Bruder in keinen guten Verhältnissen, dennoch fühlt er sich nicht unwohl – bis eine Tragödie über die Familie hereinbricht und sein Leben auf den Kopf stellt. Aber Eli ist niemand, der schnell aufgibt.

Trent Dalton ist Journalist und debütiert mit diesem Roman, der offenbar – hoffentlich nicht allzu viele – biografische Anteile hat. Der Autor lässt seinen Protagonisten selbst in Ich-Form erzählen, teilweise in recht derber Sprache, wie man es aber auch von einem Junge dieses Alters aus diesem Milieu erwarten könnte. Erzählt wird über mehrere Jahre und Eli erlebt viel, auch viel Schlimmes, aber er gibt nicht auf, kämpft für seine Familie, seine Träume (u. a. den, Journalist zu werden), und tut nicht immer das Richtige. Auf Grund seiner Herkunft stellt er sich immer wieder die Frage, wie sich gute und schlechte Menschen unterscheiden, wie man wird, was man ist – explizit beantwortet wird diese Frage aber nicht, so dass man selbst darüber nachdenken kann. Eli ist ein wunderbarer Junge, der mich emotional packt und dem ich durchgehend die Daumen gedrückt habe.

Eine ganz besondere Rolle in Elis Leben spielt Slim, der viele Jahre im Gefängnis saß, immer wieder ausgebrochen ist, und dessen Schuld offen bleibt. Er ist es, der viele Weichen in Elis Leben stellt. Ich mochte ihn, und erlebt im Nachwort eine kleine Überraschung.

Viele der Charaktere, die Eli trifft, sind gut gelungen. Sie werden alle aus Elis Perspektive, also subjektiv gefärbt, betrachtet, dennoch kann man sie sich als Leser gut vorstellen. Dass man sich in Australien befindet, spürt man immer wieder, nicht nur, weil es an Weihnachten warm ist, auch die australische Tier- und Pflanzenwelt, die Bevölkerung u. a. spielen ihre Rolle. Der Autor ist selbst Australier.

Der Roman hat mich von Anfang an gepackt und wurde schnell zum Pageturner. Elis Schicksal nahm mich schnell mit und ist spannend, gegen Ende sogar sehr spannend. Was mir zudem gut gefällt, ist, dass bei aller Tragik, immer auch Humor hervorblitzt, z. B. bei Elis Wiedersehen mit einem Schulkameraden, oder bei seinem Besuchsvorhaben im Gefängnis – turbulent, überdreht, tragikomisch. Ich könnte mir den Roman sehr gut verfilmt vorstellen, er hat eine Menge Bilder in meinen Kopf gepflanzt.

„Der Junge, der das Universum verschlang“ ist eines meiner bisherigen Jahreshighlights. Der Roman ist packend, auch emotional, und wird noch länger nachhallen. Ich vergebe sehr gerne volle Punktzahl und eine Leseempfehlung an alle, die sich von der manchmal derben Sprache und den nicht immer schönen Erlebnissen des Protagonisten nicht abschrecken lassen.

Bewertung vom 03.07.2021
Weng, Joan

Die Damen vom Pariser Platz


ausgezeichnet

1926 kommt Gretchen nach Berlin, wo sie eine Stelle als Tippfräulein bei der Sängerin Isis erhält, Gretchens Freundin Henni lebt bereits in Berlin, und bald lernt Gretchen eine bunte Mischung junger Leute kennen und hat einige turbulente Erlebnisse.

Ich freute mich sehr, endlich einen neuen Roman von Joan Weng lesen zu können. Das Besondere ihrer Romane ist u. a., dass man Charaktere aus früheren Romanen wiedertrifft, und auch hier ist das der Fall, so besucht man mit Gretchen Bernhard Greiff, und Claus von Bäumers bevorstehende Hochzeit wird mehrfach erwähnt - das weckt, zumindest bei mir, Erinnerungen das früher Gelesene und erzählt es ein bisschen weiter.

Die Charaktere sind wieder sehr gelungen, man sieht sie förmlich vor sich. Gretchen muss man einfach mögen, sie ist klug, loyal und hilfsbereit, zunächst fehlt es ihr noch ein bisschen an Selbstbewusstsein, doch das ändert sich im Laufe der Geschichte. Sie hofft, bald genug Geld für ein Studium zusammen zu bekommen, denn das ist ihr großer Traum. Hennis Verlobter Fred ist Künstler, arm aber mit Prinzipien, während Gretchens Nachbar von einer journalistischen Karriere träumt, und ihre Zimmerwirtin mit einem verheirateten Geliebten zufrieden ist, der ihr ihre Unabhängigkeit sichert – ein buntes Völkchen eben.

Joan Wengs Beschreibungen der Personen sind pointiert und bringen mich oft zum Schmunzeln. Die Geschichte läuft wie ein Film vor meinem inneren Auge ab, und ich fühle mich oft mittendrin. Auch die Atmosphäre des Berlins der 1920er Jahre wird gut eingefangen. Man merkt, dass die Autorin gut recherchiert hat. Der Roman unterhält mich wieder sehr gut, ich schmunzle, ich drücke Gretchen die Daumen, ärgere mich über den ein oder anderen Charakter, und möchte immer weiter lesen. Leider ist die Geschichte irgendwann zu Ende, aber die Hoffnung bleibt, Gretchen in einem anderen Roman der Autorin wiederzutreffen.

Mit ihrem neuen Roman hat mir die Autorin wieder gezeigt, dass sie zurecht eine meiner Lieblingsautorinnen ist. Ich fühlte mich sehr gut unterhalten, war zusammen mit den Charakteren im Berlin des Jahres 1926, und freute mich, die Namen alter Bekannter zu lesen. Ich vergebe sehr gerne volle Punktzahl und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.06.2021
Greenwood, Kerry

Mord in der Mittsommernacht


ausgezeichnet

Australien, Januar 1929: Es ist heiß, und am liebsten würde Phryne Fisher sich in ihrem Haus verkriechen, doch es werden zwei interessante Fälle an sie herangetragen, und so nimmt sie die Ermittlungen auf.

Augustin Manifolds Mutter glaubt nicht daran, dass ihr Sohn im Meer ertrunken ist oder gar Selbstmord begangen hat und bittet Phryne darum, seinen Tod aufzuklären.

Die Geschwister Bonnetti können die Erbschaft ihrer Mutter noch nicht aufteilen, denn es gibt Anzeichen, dass ihre Mutter in jungen Jahren ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat, und auf Grund des Testaments würde auch dieses erben. Phryne soll untersuchen, ob es das Kind gibt, und wo es sein könnte.

Wer die Serie „Miss Fishers mysteriöse Mordfälle“ kennt, wird sich hier bestens zurechtfinden, auch wenn das Figurenensemble ein bisschen anders ist, als dort. Phryne Fisher ist ein wunderbarer Charakter, so frei- wie großzügig, empathisch, unabhängig, liebenswert, klug und humorvoll. Aber auch die anderen Charaktere sind gelungen gezeichnet, oft mit etwas spitzer Feder, aber immer so, dass man sie sich sehr gut vorstellen kann.

Neben der Aufklärung der Fälle – die im übrigen beide überraschend aber nachvollziehbar aufgeklärt werden – nimmt der Leser an Phrynes Privatleben teil, das nicht weniger lesenswert ist. Einzig auf die Einschübe in kursiv könnte ich gut verzichten, sie haben am Anfang verwirrt und am Ende in meinen Augen zu wenig zusätzliche Informationen geliefert.

Besonders gut gefällt mir der Erzählstil, die Bilder, die die Autorin zeichnet, die Worte, die sie Phryne in den Mund legt, bringen mich sehr oft zum Schmunzeln. Und auch das Kopfkino, das erzeugt wird, ist gelungen. Duch Kerry Greenwoods Beschreibungen sehe ich zudem nicht nur, ich rieche und höre auch, und empfinde die Hitze mit.

Vor einiger Zeit las ich „Tod am Strand“, das ich auch mochte, aber dieser Band hat mich so richtig überzeugt, am Ende – und das Ende ist genauso gelungen wie der Rest des Bandes – war ich richtig traurig, dass ich mich verabschieden muss.

Neben zwei gut konstruierten Fällen erlebt der Leser auch einiges von Phryne Fishers Privatleben mit – und amüsiert sich insgesamt köstlich. Der Humor ist tatsächlich das, was ich hier am meisten mag, direkt gefolgt von dem wunderbaren Erzählstil der Autorin, die mich umfassend mitnimmt in ihre Geschichte. Gerne vergebe ich hier volle Punktzahl und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 25.06.2021
Vöhringer, Sabine

Karl Valentin ist tot / Hauptkommissar Tom Perlinger Bd.3 (eBook, ePUB)


gut

Im Karl-Valentin-Gymnasium brennt es, eine Lehrerin ist tot – Tom Perlinger und Jessica Starke stellen schnell fest, dass mehr dahinter steckt, als zunächst gedacht.

Dies ist bereits der dritte Band der Reihe, für mich allerdings erst der erste. Normalerweise macht es mir nichts aus, mitten in eine Reihe einzusteigen, hier aber hat mich manches doch gestört, z. B., dass sich viel um Iwan Maslov dreht, was mir fehl am Platz scheint, aber offenbar ein roter Faden ist, der sich durch die Reihe zieht, jedenfalls scheint Tom Perlinger in der Vergangenheit bereits öfter mit ihm und seiner Organisation aneinandergeraten zu sein.

Aber auch sonst konnte der Roman nur bedingt bei mir punkten. Die Charaktere, vor allem Tom und seine Familie könnten ziemlich interessant sein, eine alte Gastwirtfamilie, die ein gutgehendes Gasthaus betreibt und ein ziemlich bunter Haufen zu sein scheint, leider kommen die meisten ein bisschen kurz (aber auch das könnte an der fortgeschrittenen Reihe liegen). Die Schule bietet auch eine Reihe Charaktere, Schüler, Lehrer, Eltern, manche ganz gut gelungen, wie die Schülerin Leonie, andere recht klischeehaft, wie die „böse“ Lehrerin. Wirklich tiefgehend ist keiner der Charaktere, auch die Ermittler nicht, gezeichnet. Manches erscheint mir sehr aufgesetzt, warum z. B. lässt man sein Kind an so einer Schule? Oder der Strang um Tina, Toms Nichte. Wirklich berührt hat mich nur der Schüler Fabian Brühl, dem der Prolog gewidmet ist, und dessen Vater Sascha. Tom und Jessica sind mir sympathisch, mehr aber auch nicht. Christl, Toms Lebensgefährting mag ich nicht besonders, trotz des eher tragischen Erzählstrangs um sie. Insgesamt war vielleicht auch ein bisschen zu viel in den Krimi gepackt.

Der Fall ist nicht uninteressant, man kann miträtseln, auf den Täter bin ich nicht gekommen, dafür gab es auch zu wenige Hinweise bzw. die kamen erst ziemlich spät, als die Auflösung schon vor der Tür stand. Auch beim Täter fragt ich mich, wie konnte es so kommen, warum hat niemand früher etwas getan oder bemerkt.

Am schlimmsten aber ist, dass ich das Ganze nicht sehr spannend und arg langatmig finde, mich manchmal sogar gelangweilt habe. Aber das kann auch daran liegen, dass es einfach zu viel anderes um den eigentlichen Fall herum gibt, der Freund, der wieder auftaucht, Jessicas Problematik, Tina, Christl, Ivan Maslov und Toms dauernde Brustschmerzen von einer alten Schusswunde – zu viel Ablenkung, zu oft steht nicht der aufzuklärende Fall im Mittelpunkt.

Gut gefallen hat mir der Bezug zu Karl Valentin, der auch immer wieder zitiert wird, und das Lokalkolorit. Am Ende des Romans gibt es ein Personenregister, und, eine nähere Beschreibung der Menschen rund um Tom Perlinger mit netten Zeichnungen dazu.

Leider konnte der Roman bei mir nicht punkten, weitere Bände der Reihe werde ich nicht mehr lesen. Wer die Reihe mag, wird sowieso zugreifen, allen anderen empfehle ich, sie vielleicht der Reihe nach zu lesen.

Bewertung vom 22.06.2021
Bechtolsheim, Sophie von

Stauffenberg. Folgen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

2019 hat Sophie von Bechtolsheim „Stauffenberg – Mein Großvater war kein Attentäter“ veröffentlicht. Viele Menschen fühlten sich davon angesprochen, die Autorin bekam viel Post, darunter viele Briefe, in denen andere über ihre Zeit bzw. die ihrer Angehörigen während des Nationalsozialismus und danach erzählten. Einige dieser Geschichten finden sich in diesem Buch. Es geht um Verfolgte, Flüchtende, Inhaftierte, Mitläufer, aber auch Nachgeborene, deren Leben davon beeinflusst wurde.

Jeder hat seinen eigenen Rucksack zu tragen – dieses Bild durchzieht die Geschichten, und passt hervorragend. Manche Rucksäcke sind leichter, andere schwerer, manche sind voll bis obenhin, andere kaum gefüllt, z. B. auch, weil die Nachkommen wenig über das Leben ihrer Familienangehörigen während dieser Zeit wissen (aber gerade deshalb darunter leiden), manche leeren sich durch das Erzählen, werden leichter, andere bedrücken weiterhin.

Schon Bechtolsheims Buch über Claus von Stauffenberg hat mich berührt, dieses tut es noch mehr. Manche Schicksale sind furchtbar, manche Leben haben sich grundlegend geändert, die Menschen sich gewandelt, manche konnten kaum oder nicht mehr über ihr Leben in dieser Zeit sprechen, Verwandte tun es für sie. Alle Geschichten aber haben eines gemeinsam: Sie zeigen einmal mehr, dass sich das niemals wiederholen darf – es ist daher ein wichtiges Buch, das viele Leser haben sollte, gerade auch, weil manche der Erzählenden sich damals manipulieren ließen und das erst später erkannten.

Verschiedene Lebensläufe, beeinflusst durch die Zeit des Nationalsozialismus – ein wichtiges Buch, das ich jedem ans Herz lege.

Bewertung vom 21.06.2021
Langroth, Ralf

Die Akte Adenauer / Philipp Gerber Bd.1


sehr gut

Philipp Gerbers Eltern sind bereits 1939 aus Deutschland in die USA ausgewandert. Philipp kämpfte daher im 2. Weltkrieg für die USA und ist nach dem Krieg für den amerikanischen Geheimdienst in Deutschland tätig. 1953 steht er kurz vor der Beendigung seines aktiven Dienstes und der Rückkehr in die USA, als man ihn bittet, zum noch nicht lange bestehenden BKA zu wechseln und den Tod eines Mitarbeiters zu klären.

Der Autor hat sich eine spannende Zeit ausgesucht, kurz vor der zweiten Bundestagswahl, es gibt noch alte Nazi-Seilschaften, und die USA sorgt in eigenem Interesse mit allen Mitteln für die Westorientierung der Regierung. Kommunismus ist der neue Feind, und dafür macht man sich den alten Feind auch schon mal zum Mitstreiter.

Philipp Gerber ist jemand, der seine eigene Meinung hat, und sich nur ungern in eine bestimmte Richtung drängen lässt. Er hat, wie jeder andere seiner Zeit, sein persönliches Päckchen zu tragen, aber er steht zu seinen Idealen und Werten – und zu seinen Gefühlen. Als er die Journalistin Eva Herden kennenlernt, arbeitet er mit dieser zusammen, obwohl sie für eine kommunistische Zeitung schreibt.

Die Thematik sorgt dafür, dass eine Reihe Persönlichkeiten der damaligen Zeit auftauchen, wie z. B. Konrad Adenauer, Robert Lehr und Herbert Wehner. Ich bin alt genug, um einige davon noch selbst erlebt zu haben. Immer wieder lädt der Roman so auch zum eigenen Recherchieren ein, und man kann ev. noch Neues lernen.Dem Autor gelingt es gut, die Atmosphäre jener Zeit einzufangen und die Charaktere wirken authentisch.

Der Fall ist interessant und spannend und wartet mit einer Reihe überraschender Wendungen auf. Die letztliche Auflösung habe ich zwar schon geahnt, sie gefällt mir aber dennoch gut und ist auch nachvollziehbar.

Als Bonus gibt es eine Karte des Bonns der 1950er Jahre, ein lesenswertes Nachwort des Autors sowie ein Interview mit ihm. Ich freue mich, dass es sich um den ersten Band einer neuen Reihe handelt, die sich mit „spektakulären Skandalen der deutschen Nachkriegsgeschichte beschäftigt“, Band 2 ist bereits angekündigt.

Setting und Thematik des Romans sind interessant, die Charaktere wirken authentisch, die Erzählung ist atmosphärisch und ich freue mich auf Band 2. Ich vergebe gute 4 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 20.06.2021
Anour, René

Wiener Blut / Die Totenärztin Bd.1


ausgezeichnet

Wien 1908: Fanny Goldmann hat Medizin studiert und möchte gerne Rechtsmedizinerin werden –doch leider hat man ihr nur eine Stelle als Prosekturgehilfin angeboten. Als ein Obdachloser, eingeliefert wird, interessiert sich niemand für dessen Obduktion. Fanny meint Ungereimtheiten auszumachen und obduziert den Mann heimlich – der Anfang eines gefährlichen Abenteuers.

Mit Fanny ist dem Autor eine liebenswerte Protagonistin gelungen, die klug und schlagfertig ist, aber manchmal auch ein bisschen naiv und zu wagemutig handelt. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, und verstehen, dass sie mehr aus ihrem Leben machen will als Hausfrau und Mutter zu sein, sie hat es geschafft, Medizin zu studieren, und muss immer noch gegen Vorurteile ankämpfen. Auch Fannys Umfeld, sei es beruflich oder privat, ist dem Autor gut gelungen, Charaktere, wie sie wohl jeder kennt, die man sich zumindest gut vorstellen kann. Nach und nach trifft Fanny weitere Charaktere, wie den zwielichtigen „Blaumeise“, Leonitine Kuderna, eine moderne Frau, die Fanny fördern möchte, oder den gefährlichen Grafen Waidring – alle gut gezeichnete Typen.

Apropos „gut vorstellen“ – durch René Anours sehr bildhaften Erzählstil kann man sich nicht nur die Charaktere, sondern auch das Geschehen sehr gut vorstellen, was bei manchen Szenen (Obduktion) vielleicht nicht für jeden so gut ist – hier zeigt der Autor aber auch seine gute Recherche – aber den Roman insgesamt sehr lesenswert macht. Was mir besonders gut gefällt, ist die Mischung aus Humor und Spannung, immer wieder gibt es etwas zu Schmunzeln – Personen, Szenen, Dialoge, auch dafür hat der Autor ein Händchen, wie auch für die Recherche (medizinisch und historisch).

Sehr gut gefallen mir auch die vielen überraschenden Wendungen (auch wenn ich nicht über jede glücklich bin), und all die Verwicklungen, in die Fanny gerät, aus denen sich spannende, aber auch absurde Szenen ergeben – manchmal erscheint mir die Geschichte schon ein bisschen abgedreht, aber genau das gefällt mir. Bereits mit „Im Schatten des Turms“ hat mich der Autor überzeugen können, so langsam sollte ich ihn wohl zu meinen Lieblingsautoren zählen.

Die Ermittlungen in diesem Band sind zwar abgeschlossen, aber dennoch gibt es am Ende einen fiesen Cliffhanger, der zweite Band soll im Oktober 2021 erscheinen. Vier Monate, das geht ja noch.

Auch das Bonusmaterial kann sich sehen lassen, eine Karte des Wiens von 1908, ein Nachwort, in dem der Autor auf Fiktion und Wahrheit eingeht, und ein Glossar der österrischen und medizinischen Begriffe.

Ich fühle mich sehr gut unterhalten und freue mich darauf, Fanny und die anderen Charaktere bald wiederzutreffen. René Anour ist es gelungen, Spannung und Humor wunderbar zu verschmelzen, einen interessanten Kriminalfall zu konstruieren, und Charaktere zu kreieren, die alle gut gelungen sind. Dazu kommt noch gute Recherche und nützliches Bonusmaterial – natürlich gibt es dafür volle Punktzahl und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 12.06.2021
Eyssen, Remy

Verhängnisvolles Lavandou / Leon Ritter Bd.7 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein toter Junge, misshandelt und in ein Kleid gesteckt – Leon Ritter ist sicher, dass das nicht das erste Opfer des Täters sein kann, doch wo sind die anderen Leichen? Dann beginnt eine Mordserie an gut situierten Männern, die zunächst keine Verbindung zueinander zu haben scheinen – und was könnte das Motiv sein?

Der 7. Band um den Gerichtsmediziner Leon Ritter ist ziemlich düster, schon der Prolog zeigt in eine bestimmte Richtung, später vermutet man immer einmal wieder eine Verbindung dazu, ich z. B. habe jeweils gerechnet, wie alt die einzelnen Personen zum damaligen Zeitpunkt waren, doch ganz so einfach macht es uns der Autor nicht, und ich zumindet habe auch tatsächlich bis zur – nachvollziehbaren – Auflösung nicht geahnt, wer Opfer und wer Täter ist. Auch einige Gesellschaftskritik schwingt mit, wenn z. B. gezeigt wird, wie schnell Menschen mit Vorverurteilungen sind.

Leon als Rechtsmediziner sieht und vermutet manchmal mehr als die Polizei, was immer wieder zu Konflikten führt, vor allem, wenn er seine Kompetenzen überschreitet.

Ein Nebenstrang betrifft das Privatleben Leons, der eine Beziehung mit der stellvertretenden Polizeichefin Isabelle Morell hat, deren 17jährige Tochter Lilou so langsam eigene Wege geht. Natürlich nimmt auch Land, bzw. die Landschaft der Provence, und Leute ihren Platz ein, die anderen Bewohner des Ortes, Leons Bekannte außerhalb der Arbeit. Der Privatpart nimmt gerade ausreichend Platz ein, um nicht zu stören und dennoch einen Blick auf das „normale“ Leben Isabelles und Leons zu werfen und sie zu authentischen Personen zu machen – gefällt mir.

Der Roman lässt sich gut lesen, ich mag auch die Perspektivewechsel, die den Leser auch schon mal das Geschehen aus Sicht eines Opfers präsentieren. Übermäßig spannend ist das Ganze nicht, muss es aber auch nicht sein, denn es punktet mit anderem, einem schlüssigen Fall, authentischen Charakteren und eben dem Ort, an dem es spielt. Man kann die Örtlichkeiten nicht nur bildlich vor sich sehen, man kann sie nahezu riechen.

Der siebte Band der Reihe hat mir gut gefallen und ich freue mich schon darauf, weitere Bände zu lesen – Leseempfehlung für alle Krimifans, sowie 4,5 Sterne, die ich, wo nötig, aufrunde.

Bewertung vom 05.06.2021
Peter, Maria W.

Der Schatz Salomos


sehr gut

260 n. Chr.: Die Sklavin Invita reist mit ihrer Herrin und deren Vater, dem römischen Statthalter, nach Divodurum, der Stadt, in der sie früher lebte. Ob sie wohl endlich das Geheimnis ihrer Herkunft lösen kann? Doch dann findet sie eine Leiche und ein alter Freund wird der Tat verdächtigt – Invita muss wieder einmal Detektivin spielen.

Der dritte Band der Reihe führt weg aus Trier ins heutige Metz. Invita lebte dort seit sie denken kann als Sklavin des Cornelius Felix, bis dieser sie vor neun Monaten an den Statthalter verschenkte. In Divodurum herrscht keine gute Stimmung, die Stadt ist überfüllt mit Flüchtlingen, antisemitische Reden werden geschwungen, und dann gibt es noch Todesfälle, die auf Flüche hindeuten.

Invita erzählt wie gehabt in Ich-Form und durchaus selbstkritisch, so ist man immer nah bei ihr und ihren Gedanken. Auch in diesem Band ist sie wieder recht umtriebig, allerdings erkennt man sie in der Gegenwart ihrer früheren Herrn kaum wieder, viele schlechte Erinnerungen sorgen dafür, dass sie regelrecht erstarrt, wenn sie einen von ihnen trifft. Das hält sie aber nicht davon ab, u. a. im Hause der Cornelier nach Beweisen zu suchen und sich dadurch in Gefahr zu begeben. Generell handelt sie oft unüberlegt.

Erzählt wird wieder spannend, auch wenn viel Spannung durch Invitas Einzelgänge entstehen, aber man fühlt auch mit dem jüdischen Juwelier Salomo mit,der der Taten verdächtigt wird, und seinem Vater, dem Medicus Isaac, und hofft, dass es gut für die beiden ausgehen möge. Auch Marcella, die Herrin Invitas, die Christin ist, mischt mit und ist ebenfalls wegen ihres Glaubens in Gefahr. Auf der Antagonistenseite gibt es ein paar Charaktere, die man direkt nicht leiden kann – vielleicht ein bisschen zu viel Klischee und Schwarzweiß-Zeichnung, aber es passt recht gut, zumal auch Invitas eigene Geschichte tangiert wird.

Die Auflösung ist nachvollziehbar, und man kann als Leser auch gut miträtseln.

Ich besitze noch die alte Auflage, mittlerweile gibt es eine Neuauflage aus dem Piper-Verlag, der nun auch endlich den vierten Band herausbringen wird, dieser ist bereits angekündigt. Meine Auflage enthält neben einem Nachwort der Autorin mit historischen Anmerkungen auch ein Glossar und eine Karte des römischen Metz sowie das Foto der Grabstele Iunia Curmillas.

Band 3 der Reihe hat mir wieder gut gefallen und ich freue mich nun auf Band 4. Ich vergebe 4 Sterne und eine Leseempfehlung für die Reihe.

Bewertung vom 03.06.2021
Amerein, R. M.

Sturmglas


ausgezeichnet

Fünf Archen haben die Erde verlassen, um Menschen von der zerstörten Erde zu einer neuen Heimat zu bringen. Mattie hatte das Glück, ein Los für die australische Arche Freedom zu bekommen, und eigentlich erwartet in einer geschützten Umgebung mit Ärzten an ihrer Seite aus dem Cryoschlaf zu erwachen. Doch nun trudelt sie in ihrer Cryokapsel mit tausenden anderen durchs All, die Arche offensichtlich zerstört, unter sich ein Planet. Wieder hat sie mehr Glück als manch anderer, der ins All driftet, und landet ohne schwere Verletzung auf der Oberfläche des Planeten. Schon bald merkt sie, dass zu der unbekannten Fauna auch Beutejäger, Raubtiere, Prädatoren zu gehören scheinen – und trifft endlich auch auf einen anderen lebenden Menschen.

In „Akkretion“ erzählte die Autorin die Geschichte zweier der fünf Archen, hier nun erfahren wir das Schicksal der dritten. Man war auf dem Weg nach Alpha Centauri, wo man sich gute Verhältnisse für den Fortbestand der Menschen erhoffte, doch wo Mattie letztlich gelandet ist, ist nicht sicher. Der Planet bietet gute Möglichkeiten fürs Überleben, aber eben auch eine Gefahr, die im Hintergrund lauert. Das Besondere aber sind die vielen Kristalle in allen möglichen Farben – der bildhafte Erzählstil der Autorin trägt dazu bei, dass man sich nicht nur sie wunderbar vorstellen kann.

Auch die Charaktere sind R. M. Amerein wieder gut gelungen, Mattie, aus deren Perspektive erzählt wird, ist eine unsicherer Person, die mehr als einmal über ihren Schatten springen muss. Sie hat eine künstlerische Ader und liebt es zu malen. Auch optisch sticht sie hervor. Cody, den Mattie als erstes trifft, mag ich besonders, er ist ein liebevoller Charakter, anders kann man das gar nicht sagen, und tut Mattie alleine deswegen schon gut. Ein weiterer wichtiger Charakter ist Skye, eine Soldatin, die manches schon wegen ihrer Ausbildung anders sieht. Und dann ist da noch eine rätselhafte Kreatur, die in meinen Augen besonders gut gelungen ist.

Der Roman, eher eine Novelle, ist recht kurz, aber mehr wäre nicht passend gewesen, am Ende ist alles gesagt. Das Ende wird womöglich nicht jedem gefallen, ich finde es grandios und im Nachklang absolut passend. Nachklingen wird der Roman auch sonst noch länger. Unbedingt sollte man auch das Nachwort lesen, in dem die Autorin noch manches wissenswerte erzählt.

Drei Archen, drei Schicksale – was wohl mit den anderen beiden passiert ist? Sicher werden wir das noch in einem weiteren Roman erfahren, ich freue mich darauf. „Akkretion“ und „Sturmglas“ kann man übrigens unabhängig voneinander lesen, auch die Reihenfolge ist egal. Sie spielen zwar im selben Universum, erzählen aber verschiedene Geschichten.

Auch der zweite Band der Archen-Odyssee ist absolut lesenswert und berührt mich auf vielen Ebenen. Gerne vergebe ich volle Punktzahl und eine Leseempfehlung, nicht nur für SF-Fans.