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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 575 Bewertungen
Bewertung vom 02.06.2018
Corry, Jane

Lass mich los


ausgezeichnet

"Lass mich los" - was für ein treffender Titel! Obwohl fast 600 stark hat es dieser geniale Psychothriller bis zum Ende geschafft, mich nicht mehr los zu lassen.
Jane Corry zeichnet umfangreiche Psychogramme ihrer Protagonisten. Ob es die Ausgrenzung der kleinen Carla in der Schule ist, die nicht nur aufgrund ihres südländischen Aussehens, sondern auch als uneheliches Kind schon früh spüren muss, was es heißt, eine unerwünschte Außenseiterin zu sein.
Oder auch Anwältin Lily, die den Tod ihres Adoptivbruders noch nicht verarbeitet hat, als sie in eine schwierige Ehe stolpert, die nicht einfacher wird, als sie einen autistischen Sohn bekommt.
Die Figuren des Psychothrillers durchlaufen über die Jahre interessante Entwicklungen, an denen der Leser teilhaben darf. Vieles ist überraschend, doch alles war für mich nachvollziehbar.
Gut recherchiert sind die britische Rechtspraxis ebenso wie autistische Störungen. Für das für meinen Geschmack unnötig kitschige Happy End gibt es von mir einen halben Punkt Abzug, dennoch klare Leseempfehlung an alle Thriller-Fans mit 4,5 Punkten!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.05.2018
Scheffel, Annika

Hier ist es schön


weniger gut

Die Leseprobe hatte mich sofort begeistert: Annika Scheffel erzählt den ersten Teil ihrer dystopischen Geschichte als Briefroman. Dies ist gleichermaßen ungewohnt wie gekonnt und fordert den Leser, was ich durchaus mag.
Stück für Stück setzt sich so die Ausgangssituation zusammen: Die Erde ist für die Menschen unwirtlich geworden, die Sonne ist nur noch wenige Stunden im Jahr zu sehen, Obst und Gemüse gedeihen kaum noch, Nahrungsmittel und Treibstoff werden knapp und knapper. Die Mobilität ist stark eingeschränkt, es herrscht Endzeitstimmung.
Zwei Hoffnungsschimmer gibt es jedoch: Zum einen soll eine Insel existieren, auf der noch paradiesische Zustände herrschen. Zum anderen werden in einer Reality-Show zwei Jugendliche ausgewählt, die - nach zehnjährigem Training - auf Mission zu einem fernen Planeten geschickt werden sollen, um dort eine neue menschliche Gesellschaft zu gründen.
Es ist ein Plot ganz nach meinem Geschmack, er bietet viel Raum für starke Charaktere, überraschende Wendungen und Gesellschaftskritik.
Doch nur theoretisch: Sieht man vom ersten Teil ab, hat der Roman mich leider auf ganzer Linie enttäuscht.
Die Protagonisten bleiben - wie auch die meisten anderen Personen - seltsam blaß, viele Aktionen konnte ich nicht nachvollziehen, wenig hat mich emotional berührt.
Erkennen konnte ich Scheffels Kritik an der Manipulation der Massen durch die Medien, einen Aufruf, mit den Ressourcen unseres Planeten verantwortungsvoller umzugehen und das, was wir haben, zu schätzen. Und natürlich auch, Reality-Shows nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Aber das ist weder neu, noch hat die Autorin dies in großartiger Weise erzählt. Vielmehr steckt die Geschichte voller Ungereimtheiten und es werden etliche rätselhafte Figuren eingeführt, deren Rolle bis zum Schluss völlig unklar bleibt.
Zurück bleibt bei mir großer Frust über diesen Roman. Ein gutes Buch muss mich entweder unterhalten oder Informationen vermitteln oder eine Botschaft transportieren. Die ersten beiden Punkte haben sich nicht erfüllt, und wenn ich die Botschaft so lange suchen muss wie hier und mir letztlich immer noch nicht im Klaren bin, was die Autorin gemeint haben könnte, dann ist mein Resümee: Ärger über die vergeudete Zeit. Von mir keine Leseempfehlung und große Verwunderung über die Entscheidung, dieses Buch mit dem Robert-Gernhardt-Preis auszuzeichnen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2018
Spiegelman, Nadja

Was nie geschehen ist


weniger gut

Mein Erkenntnisgewinn nach Beendigung des Romans: Die Kunst, gute Geschichten erzählen zu können, ist nicht vererbbar.
Denn sonst hätte ich mich wohl kaum derart durch die vorliegende (Auto-)Biografie quälen müssen.
Autorin Nadja Spiegelmann ist die Tochter des berühmten Cartoonisten und Pulitzer-Preisträgers Art Spiegelmann (Comic "Maus - die Geschichte eines Überlebenden) und der künstlerischen Leiterin und Redakteurin des New Yorkers, Francoise Mouly. Spiegelmann hat über Jahre hinweg Gespräche mit Familienmitgliedern geführt, allen voran mit ihrer Mutter und Großmutter. Entstanden ist eine Biografie, die für mich vor allem eines ist: überflüssig.
Anfangs war ich durchaus neugierig, was in dieser unkonventionellen Künstlerfamilie alles passiert ist, wodurch Nadja geprägt wurde und wie sie zu der Person wurde, die sie ist. Schnell schlug dies aber in Enttäuschung um: Der Erzählstil ist anstrengend, der Wechsel der Perspektive erfolgt oft unvermittelt, so dass man als Leser manchmal erst nach einigen Abschnitten merkt, dass nun nicht mehr aus Sicht Nadjas, sondern aus der ihrer Mutter oder Großmutter erzählt wird.
So bewundernswert es einerseits sein mag, mit welcher Offenheit hier intimste Details ans Licht gebracht werden, so oberflächlich fand ich es, wie sich die Geschichte praktisch ausschließlich um das Familiengeflecht dreht. Geschichtliche Ereignisse wie der Holocaust oder der Anschlag auf das World Trade Center werden nur angerissen, verkommen zur Kulisse.
Spiegelmann schreibt ausschweifend, es wimmelt nur so von öden Wiederholungen und detailverliebten Nichtigkeiten, schnell war ich beim Lesen nur eins: gelangweilt.
Eine der zentralen Erkenntnisse, die das Buch wohl vermitteln soll (siehe auch die Wahl des Titels) ist die Tatsache, dass sich verschiedene Familienmitglieder völlig unterschiedlich an gemeinsame Erlebnisse erinnern. Dass die Vergangenheit durch Erzählungen verändert wird, das es anhand von Befragung von Zeugen extrem schwierig bis unmöglich sein kann, die Wahrheit zu finden. Ach wirklich? Und dazu braucht es so viele Kapitel?
Vielleicht bin ich nicht voyeuristisch genug, vielleicht interessieren mich intimste Details der Spiegelmanns zu wenig - für mich war das Lesen dieser Biografie leider größtenteils vergeudete Zeit.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.05.2018
Gordon, Kat

Kenia Valley


ausgezeichnet

Mit dem vorliegenden Roman über das Kenia der zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts ist Kat Gordon ein echter Pageturner gelungen.
Meine Befürchtung, die Geschichte könnte wie das Cover ein wenig zu kitschig und schrill daher kommen, wurde überhaupt nicht bestätigt. Wohl findet sich Schrilles zwischen den Buchdeckeln, aber das rührt von den exaltierten weißen Kolonisten her. Die junge Generation weißer Auswanderer tobt sich in Kenia aus, es gibt zügellosen Sex, der sämtliche Anstandsregeln des britischen Mutterlandes außer Kraft setzt, so mancher Dandy wechselt seine Geliebten fast so schnell wie die gestärkten Hemden. Alkohol fließt zu jeder Tages- und Nachtzeit in Strömen, und auch andere Drogen sind verfügbar. Ebenso verfügbar wie die afrikanischen Bewohner, die die weiße Elite als Bedienstete und Arbeiter schamlos ausbeutet, die Menschen werden sich ebenso angeeignet wie das Land.
Protagonist Theo, knapp 15jähriger Sohn einer gut situierten Einwandererfamilie, wird geradezu magisch von der schillernden Partywelt einiger junger Briten angezogen. Er verfängt sich in dem glamourösen Netz der (scheinbaren) Spaßgesellschaft und bemerkt nicht, dass einige der "Freunde", die er dort findet, diesen Namen nicht wirklich verdienen.
Die Autorin lässt in wunderbaren Landschaftsbeschreibungen die Faszination Afrikas zu Tage treten. Eine besondere Stärke des Romans sind die Charakterstudien. Die Figuren machen über die Jahre große Entwicklungen durch, nicht immer ist alles wie es zunächst scheint. Auch erhält man als Leser einen - oft schockierenden - Einblick, wie sich die Kolonialmacht Großbritannien in Afrika verhielt. Rassismus in erschreckendem Ausmaß war an der Tagesordnung, man meinte, die "Wilden" mit drakonischen Strafen zivilisieren zu müssen. Der Glaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse brachte unendliches Leid über viele abhängig gemachte Völker - leider ist dieses Thema nach wie vor aktuell.
Kat Gordon hat einen spannenden, tiefgründigen Roman geschaffen, der gleichermaßen vielschichtig wie unterhaltsam ist - klare Leseempfehlung von mir!

Bewertung vom 21.05.2018
Vobig, Guido

Wahrheit


sehr gut

Zugegeben: Das Cover ist nicht ganz mein Fall. Das Männchen, das "die Wahrheit" anpinkelt, finde ich eher abstoßend. Dennoch habe ich das Buch zur Hand genommen und darin geblättert, und ich bin positiv überrascht worden.
Guido Vobig nimmt uns mit dem vorliegenden Büchlein auf eine äußerst interessante Reise durch die Welt seiner Gedanken mit. Er philosophiert über Mensch und Natur, das Leben, das Individuum und natürlich über die Wahrheit. Die Texte sind voller Originalität, die Kreativität zeigt sich in Neologismen (Farbamnesieschwarz), Formen der Gedichte und der abwechslungsreichsten Typologien, die ich je auf so wenigen Seiten gesehen habe.
Ich kann nicht alle Gedankengänge des Autors nachvollziehen, manche Ansichten teile ich ganz und gar nicht. Aber die Texte sind hervorragend geeignet, um sie wieder und wieder neu zu entdecken oder sie mit Freunden zu diskutieren.
Wer nicht nur Unterhaltung, sondern auch Tiefgang sucht und bereit ist, sich auf Ungewöhnliches abseits des Mainstream einzulassen, dem empfehle ich die "Wahrheit".

Bewertung vom 21.05.2018
Lettow-Vorbeck, Nicolas Bogislav von

Stadtwild


ausgezeichnet

Wer mit seinen Kids eine Entdeckungsreise gleich vor der eigenen Haustüre starten möchte oder selbst neugierig genug ist, um einen neuen Blickwinkel auf unsere tierischen Mitbewohner inmitten der Stadt zu bekommen, dem lege ich dieses Buch uneingeschränkt ans Herz.
Alphabetisch geordnet bringt Autor Nicolas von Lettow-Vorbeck dem Leser 99 Tiere näher, die man in der Stadt (aber natürlich auch auf dem Land) entdecken kann.
Hier ist auch schon mein einziger Kritikpunkt: Das Sachbuch ist kein Bestimmungsbuch, wer eine Amsel nicht von einem Star zu unterscheiden vermag, wer eine Nutria bislang weder gesehen noch davon gehört hat, ist gut damit beraten, "Stadtwild" vor den ersten Erkundungstouren etwas ausführlicher durchzublättern.
Das Buch lädt dazu ein, beim Spaziergang durch die urbane Umgebung zu erkunden, mit wie vielen großen und kleinen Tieren wir unsere Städte teilen. Ich bin dieser Einladung gerne gefolgt, habe dabei einen aufmerksameren Blick gewonnen und bin mit zahlreichen unerwarteten tierischen Begegnungen belohnt worden.
Die ebenso kurzen wie informativen Texte werden von wunderschönen Fotos begleitet. Der Autor beschränkt sich nicht nur auf Sachinformationen zu Aussehen, Verhalten und Lieblingsort der Tiere, sondern bringt durch gut recherchierte skurrile Polizeieinsätze (etwa aufgrund liebestoller Igel) und eigener Bonmots eine gute Portion Witz in dieses unterhaltsame Sachbuch.
Tipps für Entdeckungstouren sowie ein Feld "gesichtet am" zum persönlichen Eintrag bei jeder Tierart runden den Naturführer ab.
Das handliche Format, die als Merkzeichen verwendbaren Klappen der Umschlagseiten und der wischfeste Einband zeigen, dass man auch daran gedacht hat, das Buch "safaritauglich" zu gestalten.
Für mich eine große Bereicherung, ich werde das Buch oft mit nach Draußen nehmen und kann es allen großen und kleinen Entdeckern nur wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 08.05.2018
Schuster, Stephanie

Der Augenblick der Zeit


sehr gut

Der Roman hat einige Stärken zu bieten: Die Kreativität mit der Autorin Stephanie Schuster gesegnet ist lebt sie nicht nur als Illustratorin und Malerin aus, sondern auch als Schriftstellerin. Das vorliegende Werk vereint zwei Zeitstränge, im Mittelpunkt des zeitgenössischen steht die junge Künstlerin und Galeristin Ina, die unter einer Malblockade leidet. Sie "verliebt" sich auf einer Auktion in das Portrait einer jungen Dame und setzt alles daran, in den Besitz des Gemäldes zu kommen und die von ihr vermutete Urheberschaft da Vincis bestätigen zu lassen. Der zweite Erzählstrang spielt in der Renaissance und handelt vom jungen Medizinstudenten und Sternendeuter Tannstetter, der im Auftrag des deutschen Kaisers an den Mailänder Hof reist und dort die faszinierende Bekanntschaft mit dem Universalgenie Leonardo da Vinci macht.
Guter Stoff also für reichlich Unterhaltung, und die liefert Schuster auch gekonnt ab. Sie zaubert nicht nur mit Farbe, sondern auch mit Worten tolle Bilder, die die Fantasie des Lesers anregen. Die Sprache ist ungekünstelt und dennoch besonders. Vor allem die Überschriften haben es mir angetan: Schuster hat als Titel für die Kapitel Künstlerfarben und Pigmente gewählt, wobei in jedem Erzählstrang die jeweilige "Überschriftsfarbe" wie beiläufig in die Geschichte Eingang findet. Und so lernt auch der künstlerische Laie neben bei etwas über Drachenblut, Grünspan, Sepia oder auch Caput Mortuum.
Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist die wirklich umfangreiche, fundierte Recherche. Man merkt an vielen liebevollen Details, dass die Autorin den heutigen Kunstbetrieb aber auch die historischen Originalschauplätze selbst gut kennt.
Dennoch konnte mich die Geschichte leider nicht völlig überzeugen. Denn - vor allem im Gegenwartsstrang - ist mir manches zu oberflächlich oder auch unglaubwürdig dargestellt. Einige Nebencharaktere verschwinden genauso schnell, wie sie aufgetaucht sind, und viele Handlungen der Protagonistin Ina konnte ich einfach nicht nachvollziehen. Skizzen haben in der bildenden Kunst ihre Berechtigung, auch in Kurzgeschichten. In einem Roman wünsche ich mir jedoch mehr Details, eine bessere Entwicklung der Charaktere.
Dennoch überwog der Lesegenuss und daher spreche ich gerne eine Leseempfehlung aus und vergebe vier Sterne!

Bewertung vom 04.05.2018
Krieger, Günter

Rosen für Theophanu. Braut Ottos II. - Kaiserin des Abendlandes


sehr gut

Theophanu - weder hatte ich den Namen je gehört, noch konnte ich mir unter der "Kaiserin des Abendlandes" jemanden vorstellen.
Dies hat der fundiert recherchierte Historienroman von Günter Krieger nachhaltig geändert.
Er schildert die faszinierende Geschichte der jungen Byzantinerin, die - obwohl die Brautleute einander vor der Hochzeit nicht kannten - in Otto dem II. ihre große Liebe findet. Als Ausländerin nicht nur von ihrer Schwiegermutter Adelheid abgelehnt, schafft es Theophanu mit Klugheit, Scharfsinn, Menschenverstand und beeindruckender Kraft ihrem Gatten eine treue Ratgeberin zu sein und nach dessem frühen Tod dem erst dreijährigen Thronfolger die Königskrone zu sichern. Furchtlos besteht sie bereits als junge Frau darauf, ihren Mann bei dessen Feldzügen zu begleiten. Sie scheut auch den Konflikt mit Otto nicht, wenn dieser in ihren Augen politische Fehlentscheidungen trifft und sagt ihm frank und frei ihre Meinung.
Neben der auf historischen Fakten beruhenden Herrschergeschichte ist eine weitere über ein fiktives Bauernmädchen eingewoben, das Kaiserin Theophanu zufällig nach der Geburt des Thronfolgers kennenlernt und fortan den Traum verfolgt, in im Gefolge der bildschönen Herrscherin dienen zu dürfen.
Dadurch erfährt man als Leser nicht nur Details über das Leben am Hof, sondern auch über den Alltag der armen bäuerlichen Bevölkerung. Die beiden Erzählstränge ergänzen sich gut, die Sprache - obwohl an unsere heutigen Gewohnheiten angepasst - wirkt authentisch und lässt sich flüssig lesen.
Mein einziger Kritikpunkt: Das Ende der fiktiven Handlung erscheint mir nicht ganz plausibel.
Mein Wunsch für eine Neuauflage: Eine historische Karte mit den damaligen Reichsgrenzen und eine Tabelle mit den wichtigsten geschichtlichen Daten wären eine gute Ergänzung.
Fazit: Ein interessanter Roman über eine starke Frau und ein willensstarkes Mädchen. Gut geeignet für alle, die - wie ich - anhand unterhaltsamer Literatur vorhandene geschichtliche Wissenslücken schließen wollen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.04.2018
Stauffer, Verena

Orchis


ausgezeichnet

Verena Stauffer legt ein äußerst bemerkenswertes Debüt vor: Der Roman ist nichts für Leser, die einen nüchternen Stil schätzen. Die Autorin hat eine sehr spezielle Schreibweise, ihr Umgang mit Sprache ist wirklich besonders. Von Anfang an haben mich die überschwänglichen, oftmals fast lyrischen Beschreibungen begeistert. Im weiteren Verlauf wird die Geschichte immer surrealer und phantastischer. Das wird nicht jeder mögen - ich habe es geliebt! Der Roman ist geradezu ein Rausch, ich habe selten beim Lesen so viele Sinneseindrücke so lebhaft in meiner Vorstellung erfahren. Nicht nur Bilder, sondern auch Geräusche, Gerüche und Geschmäcker, dieses Buch ist wirklich ein besonderes Erlebnis.
Dazu trägt auch die aufmerksame Gestaltung durch den Verlag bei: hochwertiges Papier für den Schutzumschlag und ein farblich passendes Lesebändchen sind liebevolle Details, die mein bibliophiles Herz schneller schlagen lassen.
Die Geschichte ist abenteuerlich: Der junge Botaniker Anselm macht sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit mehreren Forschungsreisen auf die Suche nach einer ganz besonderen Orchidee. Die Suche gerät zur fixen Idee, der er alles andere unterordnet. Das Reisen an sich ist zu dieser Zeit nicht nur beschwerlich, sondern auch gefährlich, das erfährt der Protagonist etwa auf Madagaskar, das unter der Regentschaft einer äußerst grausamen Königin leidet. Aber weitaus abenteuerlicher als die Rahmenhandlung ist der Blick in Anselms Psyche. Auch nachdem er scheinbar gesund aus einer Nervenheilanstalt entlassen wird, häufen sich mit der Zeit seine Wahnvorstellungen.
Der Leser bleibt dabei oft im Ungewissen, was Wahrheit und was Wahn ist, wo die Realität aufhört und die Fantasie beginnt. Und so bleibt bei der Geschichte - bis zum Ende - viel Interpretationsspielraum.
Wer sich darauf einlässt, bekommt ein Leseerlebnis geschenkt, das sich ins Gedächtnis einbrennt. Grandios!

Bewertung vom 25.04.2018
Ndjimbi-Tshiende, Olivier

Und wenn Gott schwarz wäre ...


sehr gut

In Bayern dürfte Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende den meisten bekannt sein - nicht unbedingt namentlich, aber als der Zornedinger Geistliche, der in seinem Amt unmenschlichen, rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war. Er hatte sich für eine menschlichere Flüchtlingspolitik eingesetzt und löste dadurch eine beispiellose Hetze auf ihn aus, auf deren Höhepunkt er letztlich sein Amt aufgab.
Was mir nicht ganz klar war: Ndjimbi-Tshiende hatte für dieses Buch einen Co-Autor, Christoph Fasel. Dieser hat wohl auch den ersten Teil verfasst, denn dort wird über den afrikanisch-stämmigen Pfarrer in der dritten Person erzählt. Das hat mich anfangs sehr irritiert, da auf dem Cover ja nur er selbst als Autor genannt ist.
Ndjimbi-Tshiende geht nicht direkt auf den Konflikt rund um seine Person ein, das hatte ich so nicht erwartet.
Vielmehr schildert er seine Vision einer zeitgemäßen und dennoch ganz auf dem Evangelium basierenden christlichen Kirche. Einer Kirche, die mit ihrem Reichtum die Armut auf der Erde bekämpft, einer Kirche ohne den Zwang des Zölibats, einer Kirche, die auch weibliche Priester zulässt und natürlich auch: einer Kirche, sie sich aktiv gegen Rassismus einsetzt.
Ich habe diese Forderungen nicht nur gerne gelesen (es ist alles auch für Laien sehr verständlich formuliert), sondern kann auch als Muslima nahezu alle Wünsche aus ganzem Herzen unterstützen.
Möge das Buch viele Leser finden und die darin enthaltenen Vorschläge auch in der Amtskirche auf offene Ohren und Herzen stoßen!