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Lu
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Hamburg

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Insgesamt 225 Bewertungen
Bewertung vom 15.02.2025
Hazelwood, Ali

The Love Hypothesis - Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe


ausgezeichnet

Dies war mein erster Roman von Ali Hazelwood – und ich fand ihn herrlich eskapistisch! Die Geschichte um Biologie-Doktorandin Olive, die aus einer Notlage heraus einen Fake-Dating-Deal mit dem berüchtigten Labortyrannen Adam Carlsen eingeht, ist vorhersehbar, aber genau auf die beste Art: witzig, charmant und einfach unterhaltsam.

Ja, Hazelwood liebt ihre stereotypen Dynamiken: die unsichere, junge Wissenschaftlerin und der unglaublich große, wortkarge, aber eigentlich fürsorgliche Mann. Was mir in Hazelwoods späteren Romanen auf die Nerven gegangen ist, konnte ich hier noch unter (leider) „typisch Romcom“ verbuchen und so gut, es ging, ignorieren. Natürlich ist auch die Handlung sehr konstruiert, aber genau das macht ja auch den Reiz dieses Genres aus und sorgt dafür, dass man in dem Roman abtauchen kann und nicht groß nachdenken muss. Wer nach einer leichtfüßigen, humorvollen Lovestory mit klugem Science-Setting sucht, wird hier auf jeden Fall fündig. Mit anderen Worten: Man bekommt hier genau das, was auch versprochen wird.

Bewertung vom 15.02.2025
May, Katherine

Überwintern. Wenn das Leben innehält


sehr gut

„Überwintern“ ist ein wunderbar poetisches und kluges Sachbuch darüber, wie wir mit Krisen, Übergangsphasen und schwierigen Zeiten umgehen können. Katherine May nutzt das Bild des Winters – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne – um zu erkunden, wie Menschen und Tiere mit Rückzug, Stillstand und Erneuerung umgehen.

Ich mochte besonders die Vielfalt an Perspektiven, die May einfließen lässt: von der Haselmaus, die sich zum Winterschlaf in ein gemütliches Nest zurückzieht, über skandinavische Saunakultur bis hin zu Ritualen wie Stricken oder Singen als Formen der Selbstfürsorge. Dabei bleibt Wintering angenehm unsentimental – es ist kein Selbsthilfebuch mit schnellen Lösungen, sondern eine feinfühlige Reflexion über das Akzeptieren schwieriger Phasen und das Finden von Wegen, sich selbst mit Geduld und Fürsorge zu begegnen.

Allerdings ist nicht zu übersehen, dass viele der Strategien, die May beschreibt – von Jobpausen bis hin zu Rückzugsreisen – einige Privilegien voraussetzen, die nicht viele Menschen haben. Dennoch bietet das Buch wertvolle Gedanken für alle, die lernen möchten, Krisen als natürliche Phasen im Leben zu betrachten, statt sich dagegen zu wehren. Ein zartes, tröstliches Sachbuch, das dazu einlädt, den eigenen Rhythmus zu finden und das Winterliche im Leben mit mehr Milde zu betrachten.

Bewertung vom 15.02.2025
Wagner, Tobias

Death in Brachstedt


ausgezeichnet

Tobias Wagners Debütroman „Death in Brachstedt“ erzählt die Geschichte von Leo, einem 15-Jährigen, der mit seinem zunehmend verwirrten, an Demenz erkrankten Vater lebt. Seine Mutter ist schon früh gestorben. Als dann sein Vater eines Morgens verschwindet, macht Leo sich zwar Sorgen, aber er sieht auch die Chance auf eine Woche voller Freiheit und Ablenkung von der Realität. Gemeinsam mit seinem besten Freund Henri, einem Filmfanatiker, nutzt er die Zeit, um einen Kurzfilm zu drehen und plant eine große Party für seinen Jahrgang, bei dem der Film Premiere feiern soll. Doch die Realität holt Leo zwischendurch immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Wagners Roman schafft es lässig locker, Tragik und Humor zu vereinen und damit einen für das Genre typischen Coming-of-age-Roman zu schreiben, wie ich ihn liebe. Die klare, unprätentiöse Erzählweise lässt die schweren Themen nie kitschig erscheinen, sondern bettet sie in eine lebendige Geschichte voller skurriler, liebenswerter Figuren ein. Die Vibes haben mich sehr an den Roman „Tschick“ und den Film „Abgedreht“ erinnert, welche beide als zwei von zahlreichen popkulturelle Referenzen auch explizit erwähnt werden. Wahrscheinlich werden das vor allem erwachsene Leser:innen erkennen, wobei ich die Geschichte ohnehin nicht so richtig zeitlich einordnen konnte, weil auch SMS geschrieben wurden.

Trotz des melancholischen Untertons bleibt Death in Brachstedt ein herrlich leichter Roadtrip ohne Auto – aber mit Kamera. Eine berührende und durchweg unterhaltsame Coming-of-Age-Geschichte, die sicher nicht nur Jugendlichen, sondern auch vielen Erwachsenen gefällt!

Bewertung vom 08.02.2025
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


ausgezeichnet

Mascha Unterlehbergs Debütroman „Wenn wir lächeln“ ist ein rasanter, sprachlich eindringlicher Roman über Freundinnenschaft, Wut und das Aufwachsen als Mädchen in einer Welt, in der sie ständig patriarchaler Gewalt ausgesetzt sind.

Es sind die Nullerjahre: Jara und Anto trinken Wodka, fahren ins CentrO, klauen Lipgloss. Sie verbindet aber noch mehr – sie sind eine Einheit, eine Schwesternschaft, die gemeinsam gegen eine feindliche Umwelt kämpft und die Wut über eine Welt auslebt, in der Mädchen nicht einfach nur sein können, sondern sich ständig behaupten müssen. Jara fixiert bald ihr gesamtes Leben auf Anto. Sie bewundert Anto, weil die immer alles im Griff hat. Doch nach und nach wird klar: Kontrolle ist eine Illusion – irgendwann entgleitet ihnen alles.

Unterlehberg erzählt diese Geschichte in einer rauen, ungeschönten Sprache, die zugleich voller Gefühl ist. Die kurzen Kapitel und präzisen Absätze wirken fast wie Gedichte, weil so intensiv und komprimiert komplexe Themen wie Freundinnenschaft, Verletzungen und Wut verhandelt werden. Ich mochte dabei besonders die vielen Zeitsprünge zwischen und innerhalb der Kapitel, weil sich dann die Zusammenhänge erst nach und nach entfaltet haben.

„Wenn wir lächeln“ ist ein aufwühlendes Porträt einer Freundinnenschaft, die an ihrer eigenen Intensität zu zerbrechen droht. Auch sprachlich hat mir der Roman sehr gut gefallen!

Bewertung vom 08.02.2025
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Manchmal braucht es keine epischen Romane, um eine Geschichte zu großen Fragen zu erzählen – „Halbe Leben“ ist der beste Beweis dafür. Auf wenigen Seiten entfaltet Susanne Gregor eine spannende Geschichte über Ungleichheit, Nähe und Abhängigkeit, die mich von Anfang bis Ende in ihren Bann gezogen hat.

Auf der ersten Seite des Romans erfährt man vom plötzlichen Tod von Familienmutter Klara, die im Beisein von Paulína, einer slowakischen Pflegekraft, die Klaras Familie unterstützt, einen tödlichen Unfall hat - oder war das kein Unfall? Auf den folgenden Seiten des Romans erfährt man mehr Verhältnis zwischen Klara und Paulína. War Paulína nur eine Angestellte? Oder schon eine Freundin? Und wie freiwillig sind Freundschaften, wenn ein Machtgefälle zwischen zwei Menschen besteht?

Gregor schreibt in einer präzisen, eindringlichen Sprache, die mir sehr gut gefallen und mich in ihren Bann gezogen hat. Die feinen sozialen Dynamiken zwischen Paulína und Klaras Familie sind scharf beobachtet und regen zum Nachdenken über die Verteilung von Care Arbeit und Pflege an und vor allem hat mir gefallen, dass keine einfachen Antworten gegeben werden. Vor allem die Frauenfiguren sind komplex und widersprüchlich, einzig der Familienvater wirkt manchmal vielleicht etwas überzeichnet.

Ein intensiver, kluger Roman über soziale Ungleichheit, Abhängigkeiten und das, was zwischen Menschen unausgesprochen bleibt!

Bewertung vom 03.02.2025
Min, Juli

Shanghai Story


gut

Juli Mins Debütroman „Shanghai Story“ erzählt die Geschichte der Familie Yang in Episoden rückwärts von 2040 zurück ins Jahr 2014. Dabei wird deutlich, dass es bei der reichen, schönen Familie hinter der Fassade einige Abgründe zu entdecken gibt. Die Figuren blieben für mich lange Zeit unnahbar, was wahrscheinlich aber auch beabsichtigt ist, da die Figuren der Familie einfach fast alle unsympathisch und neurotisch sind. Gleichzeitig gab es immer wieder starke, für sich alleinstehende Episoden – fast wie in einer Kurzgeschichtensammlung. Besonders gefallen haben mir zum Beispiel die Geschichte rund um Theia und das Kindermädchen oder die Episode über Straßenrennen in Shanghai, wobei gerade diese sich nicht um Familie Yang drehen. Auch die notwendigerweise offenen Enden der einzelnen Kapitel fand ich gelungen, weil sie Raum für eigene Gedanken lassen, auch wenn ich finde, dass die Einzelepisoden noch stärker miteinander verwoben hätten werden können.

Ein Aspekt, der mir negativ an der Erzählweise aufgefallen ist, war die konstante Betonung des weiblichen Äußeren. Fast jede Frau in diesem Roman wird in irgendeiner Weise nach ihrem Aussehen beurteilt, was mich zunehmend gestört hat. Selbst wenn das eine kritische Darstellung sein soll, hätte man diesen Aspekt nicht so oft reproduzieren müssen. Die Gesellschaftskritik, die eventuell mitschwingt, war mir für die Häufigkeit der Erwähnungen zu mild. Auch der Zukunftsaspekt war für mich nicht ganz überzeugend. Das Shanghai des Jahres 2040 wirkt technisch erstaunlich ähnlich zu unserer heutigen Welt, sodass die zeitliche Distanz eher künstlich erscheint. Besonders im Hinblick auf die Klimakrise hätte ich mir eine konsequentere Umsetzung gewünscht. Warum ein Teil der Geschichte nicht einfach in der Vergangenheit spielt, bleibt mir ein Rätsel.

Dennoch gibt es viele positive Aspekte: Die Charaktere sind komplex und das Verhältnis der Eltern hat mich besonders interessiert. Manches klärt sich erst im Laufe der Zeit auf, was dem Roman eine gewisse Tiefe verleiht. Einige Episoden haben mich wirklich gefesselt. Unterm Strich bleibt bei mir also ein zwiespältiger Eindruck. „Shanghai Story“ ist ein ambitionierter Roman mit einigen tollen erzählerischen Ideen, aber er schöpft sein Potenzial nicht ganz aus.

Bewertung vom 02.02.2025
Hazelwood, Ali

Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe


ausgezeichnet

Dies war mein erster Roman von Ali Hazelwood – und ich fand ihn herrlich eskapistisch! Die Geschichte um Biologie-Doktorandin Olive, die aus einer Notlage heraus einen Fake-Dating-Deal mit dem berüchtigten Labortyrannen Adam Carlsen eingeht, ist vorhersehbar, aber genau auf die beste Art: witzig, charmant und einfach unterhaltsam.

Ja, Hazelwood liebt ihre stereotypen Dynamiken: die unsichere, junge Wissenschaftlerin und der unglaublich große, wortkarge, aber eigentlich fürsorgliche Mann. Was mir in Hazelwoods späteren Romanen auf die Nerven gegangen ist, konnte ich hier noch unter (leider) „typisch Romcom“ verbuchen und so gut, es ging, ignorieren. Natürlich ist auch die Handlung sehr konstruiert, aber genau das macht ja auch den Reiz dieses Genres aus und sorgt dafür, dass man in dem Roman abtauchen kann und nicht groß nachdenken muss. Wer nach einer leichtfüßigen, humorvollen Lovestory mit klugem Science-Setting sucht, wird hier auf jeden Fall fündig. Mit anderen Worten: Man bekommt hier genau das, was auch versprochen wird.

Bewertung vom 02.02.2025
Hession, Rónán

Leonard und Paul


sehr gut

Es gibt Bücher, die mitreißend und dramatisch sind – und dann gibt es solche wie „Leonard und Paul“: ruhig, sanft und voller leiser Schönheit. Der Roman begleitet die beiden besten Freunde Leonard und Paul, die ein unspektakuläres, aber geordnetes Leben führen – bis kleine, aber bedeutende Veränderungen ihren Alltag aufrütteln. Mehr muss man eigentlich gar nicht wissen, weil in diesem Roman vor allem die Figuren Leonard und Paul sowie ihre Bezugspersonen und weniger die Handlung im Mittelpunkt stehen.

Besonders schön fand ich, dass der Roman den ganz normalen Alltag mit ganz normalen Menschen ins Zentrum rückt und Werte wie Freundlichkeit, Bescheidenheit und Sanftmut besonders hervorhebt. Dazu passte die unaufgeregte Erzählweise, die mir ebenfalls gut gefallen hat. Der Roman plätschert vor sich hin, aber genau das hatte für mich etwas Beruhigendes und Tröstliches. Zwischen den Zeilen steckt viel Tiefgang: Freundschaft, Veränderung und die Frage nach dem eigenen Lebensweg sind zentrale Themen, die zum Innehalten anregen und mir richtig gut gefallen haben, gerade weil in diesem Roman keine einfachen Antworten gesucht werden und an den zwei Freunden auch gezeigt wird, dass Glück auf verschiedene Weise gefunden werden kann. Eine Empfehlung für alle, die nach einer Auszeit von stressigem Alltag und Nachrichten suchen!

Bewertung vom 01.02.2025
Berend, Alice

Frau Hempels Tochter. Roman


ausgezeichnet

Dank der Klassikerinnen-Reihe des Reclam Verlags, die ich sowieso liebe, bin ich auf den Roman „Frau Hempels Tochter“ von Alice Berend gestoßen, der sich so rasant und unterhaltsam liest, dass man kaum glauben kann, dass er über 100 Jahre alt ist. Im Mittelpunkt des Romans steht eigentlich nicht Frau Hempels Tochter Laura, sondern Frau Hempel selbst. Als tüchtige Dienstbotin sehnt sie sich nach einem besseren Leben für ihre Familie oder zumindest für ihre Tochter. Durch Tatkraft und Intelligenz kommt sie ihrem Ziel, den kleinbürgerlichen Verhältnissen in einer Berliner Kellerwohnung zu entkommen, näher. Laura beobachtet währenddessen sehnsüchtig den melancholischen jungen Mann, der im selben Haus wohnt – einen verarmten Grafen. Auch dieser wird bald auf Laura aufmerksam, auch wenn die Liebe der beiden erst einmal weder in seine noch in Frau Hempels Pläne für Laura passt.

Es hat mich beeindruckt, wie zeitlos Berends Erzählweise offenbar ist – und dass ihre weiblichen Figuren so lebendig und eigenständig wirken. Sie erzählt mit viel Witz und scharfem Blick für die Gesellschaft erzählt, aber vor allem mit großer Zuneigung für ihre weiblichen Figuren. Die Frauen in diesem Roman sind die Macherinnen, die klug und entschlossen ihre Wege gehen. Trotz der humorvollen Überzeichnung und einiger Erzählerkommentare zwischen Lebensklugheit und Ironie hat mich die realistische Erzählweise teilweise an Effi Briest erinnert, wobei die Frauen bei Berend nicht nur Leidtragende gesellschaftlicher Normen sind, sondern aktiv ihr Schicksal gestalten.

Ich habe bis zum Ende mitgefiebert, ob Frau Hempels Pläne aufgehen und konnte deshalb auch über rassistische und sexistische Details hinwegsehen, die sicher der Zeit geschuldet sind, in dem der Roman entstanden ist. Wer gerne historische Gesellschaftsromane liest, aber auf trockene Lektüre verzichten will, sollte „Frau Hempels Tochter“ unbedingt eine Chance geben. Alice Berend war zu ihrer Zeit eine erfolgreiche Bestseller-Autorin, die mit ihren Romanen sechsstellige Auflagen erreichte, bevor ihre Bücher von den Nazis verboten wurden, weil sie Jüdin war. Ich bin froh, dass der Reclam Verlag diesen literarischen Schatz neu aufgelegt hat – schön gestaltet und absolut lesenswert!

Bewertung vom 31.01.2025
Prödel, Kurt

Klapper


sehr gut

„Klapper“ ist ein klassischer Coming-of-Age-Roman ganz nach meinem Geschmack: Mit viel Witz und Melancholie wird erzählt, wie sich der nerdige Außenseiter Klapper und die eigenwillige Bär anfreunden. Diese Dynamik ist das Herzstück des Romans. Bär - unbeeindruckt von sozialen Erwartungen, stark und gleichzeitig schwer greifbar - lockt den Computercrack Klapper immer mehr aus seinen eigenen, einsamen Routinen. Die Geschichte springt zwischen 2011 und 2025 und verwebt Erinnerungen an die jugendliche Intensität dieser besonderen Freundschaft mit der Ernüchterung von Klappers Erwachsenenleben.

Besonders gefallen hat mir der Erzählstil: locker, unterhaltsam und oft pointiert. Kurt Prödel hat ein gutes Gespür für absurde Details, die die Zeit und die Figuren lebendig machen – sei es die Erwähnung des großen leuchtenden M von McDonald's oder die typische Technik der Nullerjahre mit Overheadprojektoren und LAN-Partys. Einige Beschreibungen und popkulturelle Anspielungen hätten für meinen Geschmack nicht ganz so oft wiederholt werden müssen und waren mir mitunter auch doch etwas zu klischeehaft, aber insgesamt fand ich die Tonalität gelungen.

Wer Coming-of-Age-Geschichten mit schrägen, liebenswerten Charakteren mag, wird Klapper sicher mögen. Gerade für Millenials bietet der Roman viele nostalgische Momente, die den Charme der Geschichte ausmachen. Ich habe das Buch an einem Tag in einem Rutsch gelesen!