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Sago

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Insgesamt 588 Bewertungen
Bewertung vom 10.11.2019
Fletcher, Susan

Das Geheimnis von Shadowbrook


ausgezeichnet

Schon die Schönheit des Buchumschlags hat mich ungemein für den Roman eingenommen. Auch was sich zwischen den Buchdeckeln verbirgt, hat mich beeindruckt.

Die junge Clara Waterfield lebt mit Mutter und Stiefvater in London. Doch es ist kein gewöhnliches Leben, den sie leidet an der Glasknochenkrankheit und darf das Haus lange Jahre nicht verlassen. Als ihre Mutter verstirbt, sucht sie allerdings Trost in den Kew Gardens und eignet sich zur Ablenkung vielfältiges botanisches Wissen an. Dennoch überrascht es, dass ausgerechnet sie ausgesucht wird, auf einem ländlichen Herrenhaus namens Shadowbrook ein Glashaus mit Pflanzen der Kew Gardens zu bestücken. Doch Clara nimmt an, denn das konventionelle Leben einer Frau Anfang des 20. Jahrhunderts kommt für sie nicht in Frage. Und so flieht sie vor ihrer Behinderung und ihrem Verlust nach Shadowbrook.

Susan Fletcher schafft eine detaillreiche, unheimliche Atmosphäre. Clara sieht sich mit einem häufig abwesenden, geheimnisvollen Hausherren, einer schwer einzuschätzenden Haushälterinnen, Geheimnissen der Vergangenheit und Spukerscheinenungen konfrontiert. Während die sonst so rationale Clara immer mehr zweifelt, ob der Tod tatsächlich das absolute Ende darstellt, kommt sie auch erstmals näher mit der Männerwelt in Kontakt und muss sich gänzlich neuen Empfindungen stellen. Wem sie dabei trauen kann, ist wirklich schwer zu durchschauen, was sehr zur Spannung der Geschichte beiträgt. Auf die Lösung aller Rätsel wäre ich nicht gekommen. Auch das hat mir sehr gefallen.

Susan Flechtchers metaphernreicher Stil hat mich so fasziniert, dass ich sicher weitere Romane von ihr lesen werde. Ich hoffe, sie erschafft noch mehr ungewöhnliche, überzeugende Protagonistinnen wie Clara.

Bewertung vom 08.11.2019
Czerny, Theresa

Donnernde Hufe / Die Pferde von Eldenau Bd.3


ausgezeichnet

Ich freue mich immer sehr, wenn ein weiterer Band dieser Pferdeserie erscheint. Dies ist nun der dritte Teil. Wenn es nach mir geht, kann die Serie noch lange weiter gehen. Ich folge den Abenteuern von Frida und Jannis sowie ihren Pferden wirklich gern.

Frida und Jannis sind nun schon eine Zeitlang ein Paar. Glücklicherweise wird man hier nicht ewig künstlich auf die Folter gespannt, bis die Protagonisten zusammen finden. Aber natürlich ist trotzdem nicht alles eitel Sonnenschein. Jannis muss weiter mit Dari trainieren, um seinen Vater davon abzuhalten, die Stute zu verkaufen. Ausgerechnet die souveräne Frida erleidet unverschulde einen Unfall mit den Ponys, der bei ihr Spurenhinterlässt. Zur Ablenkung zieht sie sich ins Wildpferdreservat zurück und muss feststellen, dass dort einiges Im Argen liegt. Auch Max und Linh kommen in der Geschichte nicht zu kurz. Max lernt reiten und muss fürchten, mit seiner Mutter nach Shanghai zu ziehen.

Man merkt es schon, die Geschichte ist wunderbar komplex und alles andere als eindimensional runtererzählt. Frida erweist sich erneut als absolut patentes Pferdemädel, auch wenn sie mit zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen hat. Wie gewohnt erzählen Jannis und Frida abwechselnd aus der Ich-Perspektive. Die Story erhält unter anderem wieder Spannung aus dem Gegensatz zwischen Freizeitreiten und Sportreiterei und greift weitere aktuelle Themen der Pferdeszene auf.

Auch wenn das Buch meinem Eindruck nach schon umfangreicher ist als andere Pferde-Jugendbücher, hätte es für mich noch ewig weitergehen können. Bleibt also nur, auf den vierten Band zu hoffen!

Ein wahres Schmuckstück hat der Magellan Verlag wieder mit dem Cover kreiert. Jeder Band ist einzigartig schön, und trotzdem erkennt man an Gemeinsamkeiten, dass er Teil einer Serie ist.

Ich bin altersmäßig schon lange nicht mehr Teil der Zielgruppe. Die Serie ist also auch für ältere Reiterinnen, die Jugenbücher mögen, unbedingt empfehlenswert.

Bewertung vom 03.11.2019
Scharer, Whitney

Die Zeit des Lichts


sehr gut

Man Ray war mir bereits als Fotograf durchaus ein Begriff. Wie traurig, dass es Lee Miller, die neben dem Fotografieren auch schrieb, bisher nicht war. Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA geboren, zieht es sie bald ins Paris der Goldenen Zwanziger. Obwohl sie bereits erfolgreich als Fotomodel für die Vogue gearbeitet hat, möchte sie lieber selbst Kunst erschaffen. Sie sucht daher die Nähe zur Kunstszene. Schließlich gelingt es ihr, als Assistentin des bereits bekannten Fotografen Man Ray angenommen zu werden. Doch schon bald beginnt sich beider Berufs- und Liebesleben zu vermischen.

Die beiden verbindet eine lange amour fou mit allen Höhen und Tiefen. Dies ist der Aufhänger der Geschichte: Lee wird, längst verheiratet mit einem anderen, gebeten, über ihre frühere Zeit mit Man Ray zu schreiben.

Trotz ihres offensichtlichen Talents stand Lee für Man immer in seinem Schatten. Leider tappt auch das Buch ein wenig in dieselbe Falle, indem es sich so stark auf die wirklich fesselnde Liebesgeschichte zwischern Man und Lee fokussiert. Ihre spätere Zeit als Kriegsreporterin, ihre Flucht in den Alkohol, werden bloß angerissen, was ich schade fand.

Trotzdem gelingt es der Autorin, interessante Protagonisten zu schildern, allen voran Lee selbst, die sich stets durch die Augen anderer wahrzunehmen scheint. Historische Fakten hat sie dabei so aufgefüllt, wie es durchaus gewesen sein könnte und eine Biografie geschrieben, die den Spannungsbogen bis zum Schluss hält.

Bewertung vom 27.10.2019
Ryan, Anthony

Das Imperium aus Asche / Draconis Memoria Bd.3


gut

Nachdem ich der Trilogie von Beginn an gefolgt bin, wollte ich nun auch wissen, wie dieser Drachenkrieg ausgeht. Leider hat er mich nicht so begeistert wie andere Rezensenten. Der Autor punktet zwar mit einigen originellen deen, wie dem Drachenblut, das einigen Menschen, den sogenannten Blutgesegneten, je nach seiner Farbe besondere Kräfte verleiht, der künstlichen Erschaffung des besonderen weißen Drachen oder den sogenannten Verderbten, Menschen, die vom kriegerischen weißen Drachen versklavt und verändert werden.

Aus diesen Ideen hätte man nach meinem Geschmack viel mehr machen können. Für mich zog sich der gesamte Band zäh dahin. Nach beinahe vierhundert Seiten habe ich mich nicht zum ersten Mal gefragt, was ist jetzt eigentlich passiert, außer dass der Krieg zwischen den Menschen und den von diesen ausgebeuteten Drachen hin und her wogt? Der Autor schreibt akribisch und detaillreich, was ich normalerweise sehr mag. In der Regel können mir Fantasybücher auch gar nicht dick genug sein. Das war hier leider nicht der Fall. Nur wenige Einzelheiten konnten mich fesseln. Auch habe ich erneut mit den Drachen mehr gelitten als mit den Hauptprotagonisten Clay, Lizanne und Hilemore. Vor allem Lizanne wurde mir in ihrer Brutalität (sie wird nicht umsonst Miss Blut genannt) zunehmend unsympathischer. Ich bin wirklich kein Fan vom Klischee schwaches Frauchen, aber ich musste wieder feststellen, dass der Autor einfach beim Erschaffen von glaubwürdigen, facettenreichen Protagonistinnen Schwierigkeiten hat.

Überhaupt erfährt man als Leser sehr wenig über das Innenleben der handelnden Personen, weswegen sie mir wirklich fern blieben. Auf dem Buchrücken wird sogar der Vergleich mit GOT gewagt. Von der feinen Figurenzeichnung und den unglaublich faszinierenden Charakteren der berühmten Serie ist Draconis Memoriae aber leider wirklich weit entfernt.

Bewertung vom 20.10.2019
Brandt, Tanja

Die Eulenflüsterin


sehr gut

Ich gehöre wohl zu den wenigen, die die sympathische Autorin bisher nur von den wunderbaren Fotos auf ihren Buchumschlägen kannten. Da ich Tiere liebe, selbst fotografiere und von Eulen fasziniert bin, fiel mir ihr neues Buch gleich auf.

In der Buchmitte finden sich fantastische Farbfotos, die Tanja Brandt mit ihren Tieren zeigen. Das sind wirklich herrliche Aufnahmen, die bewirken, dass man jedes der im Buch vorgestellten Tiere noch persönlicher kennenlernt.

Doch zunächst heißt es, sehr lange auf die tierischen Protagonisten zu warten. Ungünstig fand ich, dass sich das Buch sehr strikt in zwei Teile gliedert. Im ersten Teil erfährt mein viel Autobiographisches und die Tiere tauchen eher am Rande auf. So ist unvermutet von den Eulen die Rede, ohne dass deren Einzug thematisiert worden wäre. Ein Ehemann mutiert unvermittelt zum Exmann.Die Jugendjahre der Autorin als Kind, das sich nicht erwünscht fühlt, sind glücklicherweise nicht so spektakulär schrecklich, dass sie allein fesseln würden.

Daher habe ich mich gefreut, als im zweiten Teil vor allem ihre Greifvögeln in kurzen Geschichten vorgestellt wurden, wobei man zunächst Wissenswertes über die Art erfährt. Dieser Teil fliegt nur so dahin. Zum Schluss wird noch Tanja Brandts Engagement für verletzte Wildtiere geschildert, das man wirklich nur bewundern kann.

Da ich vorher kaum etwas über sie wusste, hätte ich gern viel mehr über ihren Werdegang als Fotografin erfahren. Eventuell berichtet sie darüber in ihren anderen Büchern.

Ein wenig schade finde ich, dass das Buch bei manchen Menschen mal wieder als Klischee ankommen wird, wer schlechte Erfahrungen mit Menschen macht, wendet sich eben den Tieren zu. Aber wem nicht klar ist, dass Tiere aus sich selbst heraus liebenswert sind, wird das Buch wahrscheinlich gar nicht lesen.

Mir hat vor allem der zweite Teil Spaß gemacht, da mir durch den Versuch der strikten Trennung in die Schilderung der Entwicklung der Autorin und ihre Erlebnisse mit den Tieren einiges doch zu sehr durcheinander ging.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 13.10.2019
Fisser, Kristina;Heer, Carina

Dachschaden kann man nicht versichern


sehr gut

Es ist normal, nicht normal zu sein, so beginnt die kompetente Autorin ihren fundierten und dennoch gleichzeitig unterhaltsamen Ratgeber. Kristina Fisser ist Psychologen und Psychotherapeutin, weiß also, wovon sie spricht. Aber ab wann wird es doch bedenklich, so dass professionelle Hilfe anzuraten wäre? Anhand lebendiger Beispiele aus der Praxis wird aufgezeigt, wo die Grenzen liegen könnten zwischen dem Feierabendbier und Alkoholismus, ab wann Ernährungsgewohnheiten Essstörungen sein könnten und Erschöpfunggefühle wirklich gefährlich werden.

Der Text wird sehr gut strukturiert durch viele Zwischenüberschriften, ergänzende Informationen in Kästen und außerdem durch schwarz-weiß-Zeichnungen aufgelockert. Über manche Themen wie zum Beispiel das Burnout hätte ich gern viel mehr von der Autorin erfahren, aber so war der Ratgeber natürlich nicht gedacht. Er bietet auf jeden Fall äußerst interessante Einblicke in die komplexe menschliche Psyche und kann helfen, sich selbst und andere besser zu verstehen.

Bewertung vom 11.10.2019
Edelbauer, Raphaela

Das flüssige Land


sehr gut

Der Klett Cotta Verlag ist mir schon seit meiner Kindheit vor allem für außergewöhnliche fantastische Literatur bekannt. Wenn man sich im Vorfeld nicht mit dem vorliegenden Buch befasst, könnte man daher annehmen, auf eine High Fantasy zu stoßen. Erfährt man aber, für welche Preise es nominiert ist und liest nur ein paar Sätze der Leseprobe wird zweifellos klar, dass es sich hier um Literatur mit hohem Anspruch handelt. Fantastische Momente werden hier lediglich parabelartig eingesetzt. Im Grunde ist das ganze Buch eine große Metapher.

Die theoretische Physikerin Ruth arbeitet an ihrer Habilitationsschrift, als ihre Eltern bei einem Unfalltod ums Leben kommen. Ausgerechnet in ihrem Heimatort, dem österreichischen Groß-Einland, wollten sie bestattet werden. Ruth kennt diesen Ort nur aus Erzählungen. Offizielle Stellen scheinen dagegen noch nie davon gehört zu haben. Dennoch findet die traumatisierte, unter Medikamenteneinfluss stehende Ruth unter Mühen ihren Weg dorthin.  Groß-Einland scheint nicht ganz von dieser Welt zu sein. Der Bürgermeister ist eher eine Strohpuppe. Alle Zügel fest in der Hand hält dagegen die Gräfin, der beinahe alles zu gehören scheint. Zeitebenen, eigentlich Ruths Forschungsgebiet, verschwimmen für Ruth immer mehr. Sie verliert ihr eigentliches Ziel komplett aus den Augen und nimmt die Arbeit, die die Gräfin ihr anbietet an. Denn groß-Einland hat ein ganz offensichtliches Problem: Ein riesiger Hohlraum Im Erdinnern bringt nach und nach die Stadt zum Einsturz….

Nicht nur das Land, auch die ganze Erzählstruktur ist hier flüssig. Monate mäandern zu Jahren, totgeglaubte Angehörige tauchen auf und gehen unvermutet wieder unter. Klaffende Krater mutieren verbal zu Aussparungen. Was verbirgt sich in der Tiefe? Zweifellos sind Verdrängungen eines dunklen Kapitels deutsch-österreichischer Geschichte das Leitmotiv des Romans. Atmosphärisch entwickelt sich eine traumartige Anmutung, die den Leser in die Geschichte förmlich hineinstrudelt. Das geschieht auf überwiegend sehr hohem sprachlichen Niveau. Gleichzeitig bleibt aber Ruth als Protagonistin vage, als würde sie auch für die Leser in einem Medikamentennebel verschwimmen. Das Ende versickert überraschend sang- und klanglos. Der aufgebaute Erzählstrang verlor für mich final leider an Spannung und ich bin nicht sicher, welche Intention die Autorin damit verfolgt hat.

Ein Roman, der Literaturkritiker begeistert und weiter begeistern wird. Lesende, die mit den richtigen Erwartungen herangehen, werden den Roman zwar schätzen, aber mit Leerstellen wie in Groß-Einland leben müssen.

 

Bewertung vom 07.10.2019
Siegmann, Claudia

Das letzte Dornröschen / Märchenfluch Bd.1


ausgezeichnet

Wer wie ich die Märchenserie Once Upon a Time liebt wird auch von diesem Jugendroman, in dem Märchen auf Moderne trifft, begeistert sein.
Als Flora eine seltsame Einladung in eine alte Mühle erhält, gerät sie mitten hinein in ein fantastisches Abenteuer. Lange Zeit kann sie nicht glauben, dass sie tatsächlich die letzte Nachfahrin Dornröschens ist. Gemeinsam mit anderen Märchen-Abkömmlingen soll sie nun lernen, die Menschen vor Vergiftung durch magische Gegenstände zu schützen. Dabei trifft sie auf eine Schneewittchen-Verwandte, eine Rapunzel- Nachfahrin und gleich zwei junge Männer, die ihr wie veritable Märchenprinzen vorkommen. Aber nicht alles was glänzt ist Gold und schon bald bekommt Flora zu spüren, wie gefährlich Märchen in Wirklichkeit sein können...

Der Roman glänzt nur so vor fantasievollen Details wie einem heimtückischen Taschenspiegeln, dem Märchen-Gen und einercverzauberten Kröte. Mit der Ich-Erzählerin Flora punktet er zudem mit einer durchweg sympathischen, patenten Protagonistin. Die Autorin erzählt so fesselnd, dass ich das Buch an nur einem Wochenende gelesen habe. Nicht nur wegen des packenden Endes bin ich froh, dass es eine Trilogie wird. Ich habe wirklich Lust, in diese zauberhafte Welt zurückzukehren.
Ein absolutes Highlight ist auch der wunderschöne, passende Buchumschlag. Das ganze Buch ist liebevoll gestaltet. Es ist auch ohne Umschlag ein Schmuckstück und innen mit Rosen-Zeichnungen illustriert. Ein echtes Märchenbuch!

Bewertung vom 03.10.2019
Perry, Sarah

Melmoth


sehr gut

Ich war sehr gespannt auf „Melmoth“, hatte mir doch „Die Schlange von Essex“ von Sarah Perry als sehr ungewöhnliches Buch herausragend gefallen.

Tatsächlich findet sich in beiden Büchern die gleiche sprachliche, nahezu poetische Brillanz. Dennoch hat mich „Melmoth“ etwas weniger begeistert als sein Vorgänger.

Zu fesseln wusste mich der atmösphärische, düstere Auftakt, in dem der in Prag lebende, deutschstämmige J.A. Hoffmann dem Gelehrten Dr.Karel Prazan von einer absonderlichen Gestalt berichtet, die ihn zu verfolgen scheint, doch stets in den Schatten bleibt. Hier wurden wunderbare Anklänge zur schwarzen Romantik und an die englische gothic novel sichtbar. Auch Hoffmann heißt sicherlich nicht zufällig so wie der berühmte Autor des „Sandmann“.

Als Hoffmann auf mysteriöse Weise verstirbt, scheint sich die titelgebende Schattengestalt Melmoth zunächst an Karels, dann an die Fersen seiner Bekannten, der Historikerin Helen zu heften. Helen ist die Hauptprotagonistin des Romans und selbst von einem Geheimnis ihrer Vergangenheit umschattet. Ist es das, was Melmoth zu ihr zieht?

Die Erzählung entfaltet sich unter anderem auch in schriftlichen Berichten der Vergangenheit unterschiedlichster Herkunft, was mir normalerweise gut gefällt. Hier scheinen sie jedoch zum Teil unvermutet quasi aus aller Herren Länder aufzutauchen, was mir ein etwas zerfaserndes Bild lieferte und den Lesefluss in Stocken geraten ließ. Achtung Spoiler: Zudem machte die Autorin völlig unvermittelt das Grauen der NS-Zeit, anderweitigen Völkermord und die Situation heutiger Geflüchteter zum Thema. Bewegende Themen, auf die mich im Klappentext jedoch nichts vorbereitet hatte. Zufällig lese ich gerade ein anderes Buch über die Aufarbeitung des düsteren Kapitels der deutschen Geschichte. Bei letztgenanntem Buch wusste ich aber von Beginn an, worauf ich mich einlasse. Bei „Melmoth“ habe ich mich daher leider etwas hinters Licht geführt gefühlt, denn ich hatte mich auf ein in ganz anderer Hinsicht schauriges Lesevergnügen gefreut. In dem „Melmoth“ einen Bogen von früheren Greueltaten zur aktuellen Geflüchteten-Debatte schlägt, will die Autorin sehr viel erreichen. Für mich persönlich ist sie dabei etwas über das Ziel hinausgeschossen.

Wer den Hintergrund der „Melmoth the wanderer“-Legende oder des Ahasverus-Mythos nicht wie ich beinahe sein Leben lang kennt, mag ohne Erwartungen an den Roman herangehen, die dann auch nicht enttäuscht werden können. Den unvergleichlichen Charme der „Schlange von Essex“ konnte Sarah Perry mit „Melmoth“ für mich nicht wiederholen. Mit Helen und ihren Bekannten hat sie zwar ähnlich ungewöhnliche, sperrige Protagonisten erschaffen, die für mich jedoch teilweise blasser blieben. Das gilt insbesondere für Helen. Trotzdem war der Roman sprachlich erneut schön wie ein Gemälde, so dass ich nicht bereue, ihn gelesen zu haben. Auch Prag wurde märchenhaft dargestellt. Und der Buchumschlag ist absolut zauberhaft.