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easymarkt3
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Insgesamt 866 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2023
Meffire, Samuel;Kittstein, Lothar

Ich, ein Sachse


sehr gut

Was für ein wirres deutsch-deutsches Leben
In drei großen Buch- und auch Lebens-Abschnitten werden das kurze Leben des Vaters Samuel Meffire aus Kamerun und das bewegte Leben seines Sohnes gleichen Namens geschildert, was wie ein ehrliches Geständnis aus viel Einsamkeit und Weltschmerz gelesen werden kann. Rückblickend ab 1961 mit der Ankunft seines Vaters am Leipziger Bahnhof bis zum Jahr 2021 in Bonn spannt sich dramatischer Bogen um diese fremde Heimat in der DDR zwischen Dogmen des damaligen Sozialismus, in einer scheinbar arglosen Welt ohne Rassenhass, die dann nach einem mehrjährigen Gefängnisaufenthalt schließlich in der BRD endet. Eingeflochten sind besonders im zweiten Abschnitt politische Ereignisse wie die Züge der DDR-Bürger in der westdeutschen Botschaft in Prag, durch Dresden rollend und das blanke Chaos durch Arbeits- und Obdachlosigkeit nach dem Mauerfall. Das angstvolle, bedrohte Überleben der Angolaner. Mosambikaner. Vietnamesen. Algerier, einiger kaukasischen Russen kommt besonders beklemmend daher. Im dritten Abschnitt folgt der lange Weg aus Kinshasa zurück nach Dresden ins Gefängnis und schließlich in die Freiheit. Insgesamt sind viele Emotionen wie Angst, Idealismus, kritischen Gedanken zu politischen Veränderungen wortreich kreativ verarbeitet, immer auf der Suche nach Heimat.

Bewertung vom 06.05.2023
Chan, Jessamine

Institut für gute Mütter


sehr gut

Der Verlust des Sorgerechts und seine möglichen Folgen – dramatisch.
Dieser langatmige Roman über eine Besserungsanstalt mit totaler Überwachung per Kameras und Wärtern, endlosem Strafenkatalog und unmenschlichen neun Lektionen liest sich wie der blanke Horror, nicht viel anderes als im Gefängnis. Fridas Interaktion mit ihrer Tochter Harriet sowie mit der KI-Puppe Emmanuelle kommt altersgerecht daher, wobei kreative Akzente wie das Mutterisch-Konzept und das Wortzählen der Puppen besonders in Erinnerung bleibt. Diese KI-Puppe erinnert mich an das sexualpädagogische Schulprojekt ‚Eltern auf Probe‘ mit dem Babysimulator - fünf Tage Elternschaft und Babystress für Teenager.
Die Familiengerichtsbarkeit mit all ihren angegliederten Institutionen könnte man in Frage stellen, bedenkt man auch die Rechte der Kinder. Wie käme man als alleinerziehende Mutter heraus aus diesem Teufelskreis aus Überwachung und Bevormundung aufgrund nur eines einzigen Fehlers dem Kind gegenüber. Ein solches Rehabilitierungsprogramm voller Psychofolter und Unmenschlichkeit scheint mir als Laie nur unter einem totalitären Regime – oder wie in 1984 und Schöne neue Welt beschrieben - ohne allgemeine Menschenrechte und Berufungsverfahren

Bewertung vom 04.05.2023
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


gut

Roman über queere Kommunistinnen – interessant.
Viel Politik, Revolution, auch Liebe in Großbritannien und Brasilien – das sind die Themen, verbrämt mit unbändigem, revolutionärem Geist und Kommunismus zu zweit bis ins Jahr 2016. Melissas Lebensgeschichte, in London aufgewachsen, wird aufgeblättert neben der brasilianischen Familiengeschichte aus Orlando von Catalina. Mit portugiesischen Passagen im deutschen Text wird die unterschiedliche Vergangenheit dieser Frauen betont, stört aber den Lesefluss. Insgesamt taucht der Leser ein in Details zu queeren Verwandtschaften, zu Diktatur, Identität, aber auch Freundschaft. Der Schreibstil ist besonders, provokant. Der Titel des Buches geht auf Shakespeare’s Hamlet, Erster Akt, Szene 5 zurück: „Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, Horazio, als in unserer Philosophie geträumt werden.“ Hamlet spricht zu seinem Freund Horatio, der befürchtet, dass Hamlet sich umbringt. Und Hamlet sagt: Nein, er wird sich nicht umbringen, denn es gibt so viel, wofür es sich zu leben lohnt, weil so viel mehr möglich ist, als sie sich bisher erträumten, denn es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde. Die Botschaft um den Kampf zu einer besseren Welt ohne Diktatur kommt an.

Bewertung vom 01.05.2023
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


ausgezeichnet

Ein großes Lesevergnügen!
Durch ihren besonderen Schreibstil und bildhafte Wortwahl werden die Figuren im emotionalen Roman greifbar, authentisch in ihrer kargen Art des Miteinanders, verbunden mit vielen Vorurteilen und Ignoranz gegenüber Indianern oder kauzigen Mitbewohnern meist auf Farmen rund um Iola, Colorado ab 1948. Bis ins Jahr 1971 folgt der Leser der Hauptfigur Victoria Nash und ihrem Schicksal, verbunden mit der elterlichen Pfirsich-Farm am Gunnison River, der Big-Blue-Wilderness, ihrem geliebten Wil und weggegeben Säugling. Dieser Fluss mit seinem Treibgut spiegelt als Metapher Victorias Reise mit ihren Erinnerungsstücken aus ihrer Vergangenheit wider. Themen wie Liebe zu Mitmenschen und zur Umgebung, Heimat, Identität stehen im Mittelpunkt trotz aller negativer Umstände in ihrem Leben. Ihre Charakterisierung betont ihre glaubhafte Widerstandsfähigkeit, alleine erfolgreich neue Wurzeln schlagen zu können und inneren Frieden schließlich mit geliebten, lange vermissten Personen finden zu können – alles kunstvoll beschrieben, in wild romantischer Natur in Szene gesetzt.

Bewertung vom 30.04.2023
Raich, Sarah

Equilon


sehr gut

Wenn das System, der Algorithmus entscheidet, ob dein Leben zählt, was macht das mit dir?
Das Cover repräsentiert zwei Welten: das scheinbar grüne, fruchtbare Paradies im Gegensatz zu der Wüste voller Sand, Erdbeben, Dürre – optisch gut umgesetzt. Die zwei Hauptfiguren starten in diesem Roman sehr gegensätzlich: Jenny, die endlich erfolgreich die 1 Milliarde-Hürde schafft neben Dorian, dessen Score ständig abwärts tendiert und kreativ verträumt und verzweifelt daher kommt. Beide entwickeln sich auf langer Strecke getrennt voneinander jeweils in die andere Richtung, treffen erst spät im hoffnungslosen Geschehen in New Valley aufeinander – dramaturgisch nicht schlecht gelöst. Manch ein Leser mag sich an englisch verbrämten Passagen stören. Der Schluss kommt etwas hastig und unausgegoren daher. Auch in der heutigen politischen Welt gibt es Grenzländer, die auf eine bessere Zukunft hoffen, ohne diesen 1-Millarde-Score. Diktaturen erstehen immer wieder neu. Und ob mittels Demokratie ein Weg gefunden wird, diese Terror-Systeme zu kontrollieren, um zu programmieren oder den ‚Algorithmus‘ zu ändern, bleibt wie hier im Roman zu hoffen.. Er regt zum Nachdenken an.

Bewertung vom 28.04.2023
Mayer, Gina

Schlaflose Ferien / Pferdeflüsterer-Mädchen Bd.6


sehr gut

Spannende Ferien mit Freunden – schöne Kinder-Geschichte
Ruby aus Berlin und all ihre Freunde auf der Ocean Ranch teilen eine große Liebe für Pferde und eine Freundschaft untereinander, wohl nicht nur in den Schulferien. Beschrieben wird ein freundlicher Umgang miteinander in adäquater Wortwahl für junge Leser ab 8 Jahren. Spannung ist ebenso eingebaut mit Aktionen in dunklen, verregneten Nächten mit Taschenlampe – kindgerecht. Aufgelockert durch fein ziselierte Illustrationen in schwarz-weiß sind die Schriftgröße und der Schrifttyp angenehm passend gewählt. Die Rezepte für Pferdeleckerlis finden hoffentlich viel Anklang – abschließend eine nette, kleine Überraschung. Das Cover mit dem hübschen Mädchenporträt in rotem, rankendem Rahmen ist sehr ansprechend designt.

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Bewertung vom 27.04.2023
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Eine Heldinnengeschichte unserer Zeit.
Das Cover ist entweder in einer auffällig groß pinseligen Maltechnik gestaltet oder mit kleinen farbigen Papierfetzchen geklebt, um die Wasserspiegelung fest zu halten – interessant gemacht.
Dieses Buch ist in drei wichtige Teile aufgeteilt. Im ersten Teil steht Tilda in ihren durchstrukturierten Tagesabläufen im Mittelpunkt mit ihren Sorgen um die jüngere Schwester und deren unberechenbare Mutter während ihres Studiums, um all ihre Ängste, ihre immense psychische und auch finanzielle Belastung. Rückblicke in ihre Teenagerzeit lockern nicht unbedingt die depressive Stimmung hier auf, überlagert durch zu viel Verantwortung auf einer jungen Person. Entspannung, Entlastung bringt nur das Schwimmen von 22 Bahnen im Hallenbad.
Im zweiten Teil bereitet Tilda bereitet ihre Masterarbeit vor, erhält das Angebot für eine die Promotionsstelle in Berlin, während Ida sich sehr verändert. Sie liest mehr, ändert ihre Maltechnik und Motive, nachdem sie einige ihrer privaten Kunstwerke entsorgt hat. Durch den bedingungslosen Zusammenhalt der zwei Schwestern erstarken beide, schöpfen beruflich und schulisch neue Hoffnungen für ihre Zukunft. Auch ein Funke von Liebe scheint überzuspringen. Doch dann gerät die häusliche Situation an einen dramatischen Tiefpunkt. Der tolle Spannungsbogen glüht hier zu 100 %.
Im dritten Teil rückt die Mutter in ihrer depressiven Art in den Hintergrund, Ida findet am Gymnasium selbstsicher auch endlich eine Freundin und Tilda nähert sich weiter an Viktor an und trifft wichtige Entscheidungen. Das Auftauchen des Jugendamtes hätte ich hier erwartet.
Ein dramatischer Spannungsbogen ist hier gespannt, der die Szenerie rund um Alkoholismus für junge Familienmitglieder bedrückend realistisch festhält mit aufbauenden Lichtblicken und Hoffnungen auf mehr Freiheit, Sorglosigkeit und intaktem Zusammenleben. Empfehlenswerter Roman!

Bewertung vom 26.04.2023
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


sehr gut

Das Wien der einfachen Leute – eine warmherzige Milieubeschreibung!
Das Wien ab 1966 wird stimmungsvoll beschrieben und die Hauptfigur Robert Simon über mehr als zehn Jahre begleitet in seiner Tätigkeit als Pächter einer alten Gaststätte am Marktplatz. Sehr einfühlsam wird das Leben der Anwohner, Leute aus dem ärmeren sozialen Milieu und Markthändler oder Mädchen aus der nahe gelegenen Fabrik und manchem Arbeiter, teils mit Rückblicken beschrieben. Diese allzu menschlichen, teils melancholischen Beschreibungen der Menschen in ihren teils schweren Lebenssituationen lassen den Leser tief in das Milieu und die teils traurige Grundstimmung gleiten. Einzelne Porträts schätzen diesen gemütlichen, ja menschlichen Ort als ihre lebenswichtige Anlaufstelle besonders zum Miteinander-Reden, während sich drum herum bauliche Modernisierungen breit machen. Mit dem Einsturz der Reichsbrücke 1976 ist das alte Österreich endgültig vorbei, nur in Erinnerungen fühlen sich besonders ältere Menschen noch heimisch. Das warmherzige Miteinander gefällt – ein Lesegenuss!

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Bewertung vom 25.04.2023
Weinberg, Juliana

Die Kinder der Luftbrücke


ausgezeichnet

Westberlin 1948/49 – sehr gerne wäre ich bei den Ansprachen des Oberbürgermeisters Reuter dabei gewesen.
Dieser emotionale, historische Roman mit vielen einfühlsamen Details gespickt gibt ein lebendiges Bild wieder mit vielen Nöten um das tägliche Überleben zwischen Ruinen, vor allem Lebensmittel- und Brennstoffknappheit. Die für Westdeutschland und vor allem für Berlin wichtige Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg wird äußerst lebendig beschrieben. Als absolutes Lesehighlight würde ich dieses Buch Lesern empfehlen, die diese Epoche deutscher Geschichte nicht miterlebt haben. Der geschichtliche Hintergrund wird sehr unterhaltsam in Schreibstil und Wortwahl angeboten, nicht belehrend. Charakteren waren meist sympathisch, menschlich realistisch in all seinen Nöten beschrieben, nur mit Inga und dem Ladenbesitzer Kluth als negative Gegenpole. Die Gefühlswelt von Nora, hadernd zwischen ihrem verschollenen Ehemann Joachim und dem US-Piloten Matthew, hätte vielleicht etwas rarer ausgebreitet werden können. Das Cover stellt eine wichtige Szene mit den Rosinenbombern dar – gelungen.

Bewertung vom 24.04.2023
Selvig, Kim

Mutterliebe


weniger gut

Zu konstruiert und teilweise unrealistisch.
In den Rückblicken vor dem Kindermord erfährt man Aufschlussreiches zum besseren Verständnis der Tat – sinnvoll. Denn was könnte eine Mutter alles dazu bringen, ihr eigenes Kind zu töten? Insgesamt wirkt dieser Krimi sehr konstruiert, teils unrealistisch durch zu viele auch zeitlich glückliche Zufälle. Wie z.B. könnte Malte mit einer Waffe in den Gerichtssaal stürmen und ohne Probleme so nahe und lange vor der Angeklagten bzw. der Journalistin Kiki so aggressiv agieren können ohne gestört zu werden. Weitere seltsame Zufälle: Kiki setzt Maltes‘ blonde Perücke auf, hat sie natürlich immer griffbereit in ihrer Tasche und setzt sich der drastischen Gefahr aus, erschossen zu werden? Sehr gebastelt oder? Maltes‘ Schicksal ist ohnehin fragwürdig: Ist er nun im U-Haft oder wurde er im Gerichtssaal erschossen, wie im letzten Kapitel erwähnt? Dass Herr Bentz seine Tochter Larissa bei den Besuchen der Mutter in dieser Einrichtung mit einbezieht, halte ich für ungünstig. Der große Medikamenten-Skandal sticht als solcher nicht drastisch und klar strukturiert genug heraus. Überhaupt sind die Endkapitel enttäuschend. Das Cover ist künstlerisch ansprechend gewählt, die Hauptfigur mit dem Tatort und dem Gerichtsgebäude darstellend.