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meerblick

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Insgesamt 549 Bewertungen
Bewertung vom 12.08.2024
Jay von Seldeneck, Lucia

Komm tanzen!


sehr gut

Wo tanzen wir hin?

Es ist eine laue Sommernacht, die geradezu einlädt zum Tanzen, die Sorgen beiseite zu lassen, sich dem Genuss des unbeschwerten Vergnügens hinzugeben. Ein Grundstück direkt am Berliner Wannsee bietet genug Platz und die Besitzer versammeln ihre Freunde und Bekannten zum ausgelassenen Beisammensein. Vorbei ist die Zeit der Isolation durch die Corona-Krise. Doch sind wir wirklich frei von unseren Alltagsproblemen an solchen Tagen? Offensichtlich haben die Auswirkungen der klimatischen Veränderungen auf unsere Umwelt auch einen direkten Einfluss auf unser Wohlbefinden. Ein Thema, dass aufgeworfen wird in der illustren Runde durch das Verhalten eines kleinen Jungen, der Veränderungen des Klimas intensiv körperlich wahrnimmt und durch extremes Gebaren auf sich aufmerksam macht. Der Abend endet schließlich unvorhergesehen.
Lucia Jay von Seldeneck spielt mit Metaphern in ihrem Roman 'Komm tanzen!', in dem sie eine scheinbar unbeschwerte Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt, die Versäumnisse erkennt, die Zeit als unendliches Reservoir betrachtete, die Langeweile bekämpft durch Zerstreuung und schließlich doch mit den Folgen, wie auch immer sie geartet sind, zu leben hat. Stellen wir uns der uns übergebenen Verantwortung für unser Leben im angemessenen Maße? Haben wir alles im Blick?

Bewertung vom 12.08.2024
Prokopetz, Felicitas

Wir sitzen im Dickicht und weinen


ausgezeichnet

Genetische Vorbestimmung

Valerie ist die Tochter von Christina und Christina liegt wegen einer Krebserkrankung im Krankenhaus. Es ist schwierig, ihr auch nur irgendeine Sache recht zu machen. Die Beziehung zwischen Tochter und Mutter war zu keinem Zeitpunkt harmonisch, ganz im Gegenteil. Aber auch das Verhältnis zwischen Christina und ihrer Mutter Martha war äußerst problematisch, weil Martha keine Kinder haben wollte und aus diesem Grund den ersten beiden ablehnend gegenüberstand. Nur der Letztgeborene mit schwierigem Charakter erreicht ihre Aufmerksamkeit. Dieses Desinteresse am Familiennachwuchs wird über Generationen weitergegeben. Doch Valerie will dieses Muster durchbrechen, denn sie hat in ihrer Jugend sehr unter der Lieblosigkeit gelitten. Aber nun will ihr sechzehnjähriger Sohn Tobi hinaus in die Welt zum Schüleraustausch, was der Helikoptermutter so gar nicht ins Konzept passt. Baut sich da ein neuer, aber andersartiger Konflikt auf?
Felicitas Prokopetz beschenkt uns mit ihrem Debütroman 'Wir sitzen im Dickicht und weinen' durch ihre wunderschöne, feinfühlige Art ein Thema anzugehen, dass sogleich berührend als auch erschütternd ist. Das Buch stellt sich der Frage wieviel Kraft es kostet, sich aus dem Korsett der familiären Prägung der Unfähigkeit menschliche Nähe zu geben, die über viele Jahrzehnte aufgebaut wurde, zu befreien.
Ich wünsche dem Roman eine interessierte und diskussionsfreudige Leserschaft.

Bewertung vom 07.08.2024
Raimondi, Daniela

Das erste Licht des Sommers


sehr gut

Eine berührende Familiengeschichte

Man muss nicht unbedingt 'An den Ufern von Stellata' gelesen haben, um in 'Das erste Licht des Sommers' eintauchen zu können. Die Teile der Familiengeschichte lassen sich unabhängig voneinander lesen. Daniela Raimondi, die Autorin, erzählt die Geschichte der Familia Casadio über mehrere Generationen hinweg, verbindet gekonnt Erzählstränge aus unterschiedlichen zeitlichen Epochen miteinander und gestattet tiefe Einblicke in die Charaktere ihre Protagonisten. Der Roman beschäftigt sich mit Thematiken wie Freundschaft, mit Erwachsen werden und mit der Wandlung von Gefühlen im Laufe des Lebens. Melancholisch mit tiefgreifenden Emotionen zeigt sich dieser Roman.
Obwohl es einer der kältesten Tage des Jahres war als Norma zur Welt kam, bescheinigte ihr die Hebamme eine Schönheit wie das erste Licht des Sommers. Gemeinsam mit ihrer Cousine Donata wächst sie bei der liebevollen Großmutter Neve auf. Mit Elia verbindet die beiden eine herzliche Freundschaft während ihrer Kindheit. Als Norma nach England geht, verlieren sich die drei Freunde aus den Augen. Doch als sie vom Tod Donatas erfährt, bricht für sie eine Welt zusammen. Elia fängt sie auf und aus Freundschaft wird Liebe. Doch hat diese Verbindung Bestand?

Bewertung vom 05.08.2024
Jaskulla, Gabriela

Artemisia Gentileschi und Der Zorn der Frauen


ausgezeichnet

Portrait einer Künstlerin

Gabriela Jaskulla gelingt es, mit ihrer Romanbiografie 'Artemisia Gentileschi und der Zorn der Frauen' ein bemerkenswertes Portrait einer Künstlerin aus der Zeit des Barocks wiederzubeleben und vor dem Vergessen zu bewahren. Der Autorin schafft mit viel Feingefühl und Sachkenntnis zur historischen Epoche, eine starke Frau in Szene zu setzen, die weiß was sie will, die neben malerischem Talent Kraft und Mut besitzt, ihren Weg im Rahmen ihrer Möglichkeiten in der matriarchalisch besetzten Welt zu gehen. Mit sprachlichem Geschick versetzt sie den Leser in das lebhafte italienische Umfeld der blühenden Städte wie Rom, Florenz, Venedig, Neapel, in eine Gesellschaft, die geprägt ist von frauenfeindlichen Werten.
Die Protagonistin Artemisia leidet bereits in sehr jungen Jahren unter männlicher Gewalt, wird zwangsverheiratet, steht immer wieder auf, nimmt sich ihrem Schicksal an und lebt für die Kunst, für ihre Kunst. Eben diese Gemälde werden ausführlich, meisterlich in der Geschichte beschrieben. Es ist einfach ein Genuss dem zu folgen, der Fantasie freien Lauf zu lassen oder die Bilder zu bestaunen. Das Cover gibt einen kleinen Einblick in die bezaubernde Welt der Artemisia.
Ich kann dieses Buch sehr gern weiterempfehlen und wünsche viel Vergnügen beim Lesen.

Bewertung vom 05.08.2024
Spence-Ash, Laura

Und dahinter das Meer


ausgezeichnet

Fremde Heimat

Die Angst ums nackte Überleben bestimmt die Gefühlswelt der Londoner in den Septembertagen des Jahres 1940, als Teile der Stadt im deutschen Bombenhagel vernichtet werden. Familien bangen um die Sicherheit ihrer Kinder. Dieser Verzweiflung folgend, willigen sie schweren Herzens ein, ihre Kinder auch in Gastfamilien zu geben, die weit entfernt von der Heimat in den Vereinigten Staaten von Amerika ihr zu Hause haben. Eine unsagbar schwere, grausame Entscheidung, die ins Ungewisse führt, die nach dem sich bietenden Strohhalm packt, die Herzen bricht, die das Leben der Heranwachsenden schützen soll. Doch zu welchem Preis?
Die Autorin Laura Spence-Ash greift in ihrem Debütroman 'Und dahinter das Meer, die Idee der Verschickung von Kindern zum Schutz vor feindlichen Übergriffen der Nazis auf und erzählt die Geschichte der elfjährigen Beatrix aus London, die die weite Reise mit dem Schiff über den Atlantik nach Boston antritt. Aus ihrer Sicht und aus der Sicht von Reginald und Millie, den Eltern der kleinen Bea, von Ethan und Nancy, den Gasteltern, von William und Gerald, den Söhnen des amerikanischen Ehepaars, werden in kleinen Absätzen, die Gefühle und Gedanken der Protagonisten beschrieben. Empathisch, herzzerreißend erlebt der Leser gute und schlechte Tage, Tage sehnsüchtiger Erinnerungen, Tage unbeschwerter Freude und Glücks, Tage der Trauer und schließlich Tage der Zerrissenheit. Ein wunderschöner Roman, der trotz seines problembelastenden Inhalts, wertvolle Lesestunden beschert, in einer langsamen und bildhaften Sprache.

Bewertung vom 02.08.2024
Gantis, Ruben

VERMINTE HEIMAT


sehr gut

Fremde Heimat

Ruben Gantis schildert in 'Verminte Heimat' ein Südafrika fernab der Vorzeigelandschaft mit den Wildparks und tüchtigen Rangern, welches den Touristen und Besuchern präsentiert wird. Er schreibt über ein Land, das geprägt ist von Korruption, dem Wunsch in die Zeiten der Apartheit zurückzufallen, von den noch immer rassistischen Anfeindungen trotz vermeintlich demokratischem Wandel und vom wachsenden Einfluss der Chinesen auf die Wirtschaft. Ungeschönt spricht er über die Gier nach dem glänzenden Metall, dem Gold, ein Statussymbol für Wohlstand und Macht.
Jaron sucht nach dem Tod seiner Frau Zuflucht in der alten Heimat, will sich in Südafrika nach zwanzig Jahren eine neue Existenz und ein Leben im Kreise seiner verschollenen Familie aufbauen. Dabei gerät er in gefährliches Fahrwasser. Denn falsche Freunde nutzen seine Arglosigkeit aus.
Es lohnt sich, einen Blick hinter die Kulissen der fernen Welt zu werfen.

Bewertung vom 02.08.2024
Kafka, Franz

Unglücklichsein (MP3-Download)


ausgezeichnet

Kafka mal anders

Es ist eine schöne Idee, Klassiker der Literatur in einem Hörbuch zu verarbeiten und damit einen erleichterten Zugang zur anspruchsvollen, fast schweren Kost zu erhalten. Bernd Mannhardt liest 'Unglücklichsein' von Franz Kafka, eine kurze Geschichte, die von einem ungewöhnlichen Besuch berichtet und die Reaktion, die Gedanken, eines einsamen Mannes darauf festhält. Düster fast unheimlich gestaltet sich diese Begegnung. Die Atmosphäre wird wunderbar durch die Stimme des Sprechers eingefangen und wiedergegeben.
Es lohnt sich, dieser Vertonung Gehör zu schenken.

Bewertung vom 31.07.2024
Mannhardt, Bernd

Ich liebe Schlager


sehr gut

Es lebe der Schlager

Wenn die Welt des Schlagers die einzige und beherrschende Angelegenheit im Leben eines fanatischen Fans ist, können die Nerven schon mal verrücktspielen und ein Burnout zwingt zur Ruhe und Gelassenheit. Thommie Andras muss sich zwar in psychiatrische Behandlung begeben, um eine Verschnaufpause von seinem kräftezerrenden Hobby einzulegen. Doch gelingt es ihm tatsächlich abzuschalten? Ob dieser obsessive Held mit all seinen Handlungen der Traumtyp der Schlagerverehrung ist, muss jeder selbst für sich entscheiden.
Bernd Mannhardt erfreut den Lesenden mit einer witzigen, humorvollen Parodie auf den Schlager, die in Erinnerungen an die große Zeit der unvergessenen Melodien schwelgt und diese zum Mitträllern bereithält.

Bewertung vom 31.07.2024
Parrott, Ursula

Ex-Wife


sehr gut

Weg in die Emanzipation

Das Jahr 1929 ist geprägt durch die große Weltwirtschaftskrise. Die New Yorker Börse erleidet einen Crash und löst damit eine jahrelange Depression aus. Der anonym veröffentlichte Roman 'Ex-Wife' von Ursula Parrott sorgt mit seinen einhunderttausendfach verkauften Exemplaren für einen handfesten Skandal. Denn eine geschiedene Frau gilt in der konservativ eingestellten feinen Gesellschaft der Vereinigten Staaten von Amerika zur damaligen Zeit als unzumutbar, wird in die Rolle der impossible woman gedrängt. Fast einhundert Jahre später greift der S.Fischer Verlag dieses sensible Thema mit der Neuverlegung des in die deutsche Sprache übersetzten Romans auf und legt uns eine Geschichte vor, die durch seine Aktualität auch 2024 besticht.
Patrica, die Protagonistin, ist 24 Jahre alt, hat vor drei Jahren sehr jung geheiratet, liebt ihren Mann Peter, der nach dem Verlust des gemeinsamen Sohnes sich außerehelich vergnügt und das auch noch offen als naturgegeben darstellt. Diese Tatsache kann die Ehefrau nur schwer akzeptieren. Sie ist tief gekränkt und schlittert ebenso in einen Seitensprung, der Auslöser zur Trennung des Ehepaares sein wird als Hilde ihrer Möglichkeiten bei Peter erahnt. Patrica kämpft um ihre Ehe doch vergebens und flüchtet sich schließlich in die Ablenkung, in der Party, Alkohol, andere Männer eine wesentliche Rolle in den Goldenen Zwanziger Jahren New Yorks spielen.
Beeindruckend schildert die Autorin das Leben einer geschiedenen Frau, die in den Zwängen der gesellschaftlichen Regeln ihren Weg der Selbstbestimmung und des Glücks sucht. Die Entwicklung der Gedanken und Handlungen verdeutlichen in beeindruckender Weise das soziale Leben und das Zeitgeschehen.
Ich kann diesen Roman sehr gern empfehlen.

Bewertung vom 29.07.2024
Lee, Sung-Yoon

Die Schwester


ausgezeichnet

Das eiskaltes Lächeln Nordkoreas

Es ist in der Tat erschreckend wie Menschen in einer der gefährlichsten Diktaturen unserer Erde leben müssen. Während die Kim-Dynastie bereits über drei Generationen selbstherrlich und rücksichtslos ihre Interessen durchsetzt, verhungert das Volk, muss Repressalien unfassbaren Ausmaßes über sich ergehen lassen und ist von einem freien Willen oder einer freien Meinungsäußerung weit entfernt. Alles aber auch wirklich alles ist dem augenblicklichen Gemütszustand des ersten Mannes im Lande Kim Jong Un untergeordnet oder ausgeliefert. Jede Hoffnung auf Annäherung mit dem Bruderstaat Südkorea, die während der Olympischen Spiele scheinbar aufkeimten durch die Präsenz der Schwester des Staatsoberhauptes Nordkoreas Kim Yo Jong sind im nächsten Augenblick wieder vergessen und kehren sich um in Provokation und Distance. Unglaublich was für unsagbare Angstzustände unter der Bevölkerung herrschen müssen. Dazu kommen Hunger und Elend, die durch Dekadenz der Herrscherfamilie ignoriert werden
Der Asienexperte Sung-Yoon Lee schildert in seinem Buch 'Die Schwester' wie Nordkorea seit Ende des Zweiten Weltkrieges funktioniert, wie Versprechen sich in heiße Luft auflösen, sich in wilde Aggression verwandeln.
Ich spreche diesem Buch meine Leseempfehlung aus.