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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1230 Bewertungen
Bewertung vom 03.04.2022
Röpfl, Anna

Teigliebe


ausgezeichnet

Backen kann jeder!

Backt Ihr regelmäßig Kuchen, Kekse oder Torten? Wenn nicht, was hindert Euch daran? Traut Ihr Euch nicht? Fehlen Euch die passenden (Grund-)Rezepte? Meine Leidenschaft fürs Backen wurde schon früh geweckt, denn ich durfte meiner Oma oft in der Küche helfen. Von ihr habe ich auch das Standardbackbuch der DDR „Das Backbuch“ geerbt.

Etwas ganz Ähnliches aber viel Moderneres hat jetzt Anna Röpfl herausgebracht. In „Teigliebe“ erklärt sie die 4 Grundteigarten Rührteig, Mürbeteig, Hefeteig und Biskuitteig reichlich bebildert Schritt für Schritt. Außerdem kann man über einen QR-Code auch Videoanleitungen ansehen. Zu jedem Grundteig gibt es verschiedene Varianten und vegane und glutenfreie Alternativen. Wer es ausgefallen mag oder keine komplette Kücheneinrichtung hat, kann auf Rezepte ohne Backofen (Parfait), Backform (Muffins), Waage (Tiramisu) oder Rührgerät (Kekse) zurückreifen – es sollte sich also trotz jedes Handicaps das passende Backwerk finden lassen.
Da das Buch mit Tipps und Tricks zu Zutaten, Ausrüstung und Hilfsmitteln startet, ist es wirklich auch für totale Backneulingen geeignet. Und wenn man dann geübt ist, kann man am Ende eigene Rezepte eintragen.

Schon beim Betrachten der wunderbaren Fotos läuft einem das Wasser im Mund zusammen und inzwischen haben wir einige Rezepte ausprobiert. Besonders angetan haben es uns die supersaftigen Rührkuchen (das ist nämlich eine echte Kunst), der Hefekranz und der Apfel-Bienenstich, den musste ich jetzt schon zweimal backen.
Allerdings habe ich auch das Talent, genau das Rezept zu finden, welches nicht klappt. In „Teigliebe“ bin ich am No bake White Chocolat Cheesecake gescheitert, der trotz über 24 h Kühlzeit einfach nicht fest wurde. Allerdings macht er sich bestimmt gut als Dessert in Gläsern, vielleicht probiere ich das noch mal aus.

Mein Fazit: Teigliebe ist ein tolles Backbuch für Einsteiger (oder Fortgeschrittene, die auf der Suche nach neuen Rezepten sind). Mir hat die Auswahl und Vielfältigkeit der Rezepte gefallen und dass es zu jeder Teigvariante auch vegane oder glutenfreie Alternativen gibt.

Bewertung vom 02.04.2022
Keweritsch, Katja

Die wundersame Reise der Bienen


sehr gut

Phönix aus der Asche

An einem verzauberten Abend in Nizza macht Christopher Anna den Heiratsantrag, auf den sie schon 6 Jahre wartet. Trotzdem kann sie nicht ja sagen und erbittet sich Bedenkzeit. Als sie am nächsten Tag nach Hause reisen wollen, bekommt Anna im Flugzeug eine Panikattacke und muss aussteigen. Christopher fliegt allein, weil er einen wichtigen beruflichen Termin hat und denkt, dass sie mit dem nächsten Flugzeug nachkommt. Doch Anna kann kein Flugzeug mehr betreten, auch ein Bus oder Zug gehen nicht – die Enge und das Ausgeliefertsein, die Abhängigkeit vom nächsten fahrplanmäßigen Halt beängstigen sie. „Ich hatte Angst vor der Angst. Es war zum Verrücktwerden.“ (S. 28) Auch ein Auto selbst zu fahren, traut sie sich nicht zu – aber Mitfahren müsste gehen. Über die Mitfahrzentrale findet sie Harm, der in Südfrankreich Bienenköniginnen ausliefert und danach zurück an die Nordsee fährt. Doch die Reise dauert viel länger als geplant, immer wieder kommt etwas Unvorhergesehenes dazwischen. Und langsam beginnt Anna die Fahrt zu genießen und aus der Zweckgemeinschaft wird Freundschaft.

„Die wundersame Reise der Bienen“ ist ein überraschender Roadtrip der besonderen Art, der zwei völlig verschiedene Menschen zusammenschweißt.
Harm hat kein gutes Gefühl, als er Anna zum ersten Mal sieht – gestrandet am Flughafen in Nizza mit Luxuskoffer und Perlenohrringen. Warum braucht sie eine Mitfahrgelegenheit?! Aber er nimmt sie trotzdem mit und wird so zu ihrem Lebensretter, denn ihr entgleitet gerade alles. Dabei führt sie ein perfektes Leben, liebt ihre Arbeit und ihren Freund, der ihr Fels in der Brandung ist, auf den sie sich immer verlassen kann, der in ihrem gemeinsamen Leben die Richtung vorgibt.
Anna versteht ihre Angst nicht, oder warum die sie gerade jetzt erwischt, und Harm kennt sich zu ihrer Verwunderung damit aus. „Du darfst dich der Angst nicht hingeben. Aber du darfst auch unter keinen Umständen gegen sie ankämpfen Angst ist ein Wächter Sie passt auf dich auf, zeigt dir, wo du genauer hinschauen musst, weil irgendetwas in deinem Leben nicht stimmt.“ (S. 62)
Durch die entschleunigte Reise wird sie aus ihrer Komfortzone geholt und beginnt, ihr Leben zu reflektieren. Sie entdeckt das Zeichnen wieder für sich, es wird zu einer Art Therapie. „… ein Stift in der Hand beruhigte mich, wenn das Chaos aus meinem Kopf Formen annahm, die ich erkennen und begreifen konnte.“ (S. 316)
Aber auch Harm reist mit schwerem Gepäck. Er hat einen wichtigen Menschen verloren und sucht einen Weg in den Neuanfang: „Man muss Abschied nehmen, um weiterleben zu können.“ (S. 296)

Ich hatte selbst jahrelang Panikattacken, kenne die Angst vor der Angst und konnte mich sehr gut in Anna hineinversetzen. Ich weiß auch, wie wichtig dann ein Partner ist, der einen auffängt und erdet. Die Autorin erzählt dieses schwere Thema sehr einfühlsam, berührend und eindringlich, aber trotzdem auch leicht.

Katja Keweritsch hat einen tollen Schreibstil. Sie spickt die Handlung mit philosophischen Betrachtungen und ergänzt sie durch lebendige Beschreibungen der Orte und Sehenswürdigkeiten, durch die die Reise führt. Man bekommt sofort Lust, selber mit dem Auto durch die Provence zu reisen und in Lavendelfeldern und Weinbergen zu übernachten. Außerdem vermittelt sie interessanten Details zu Bienenköniginnen und Umweltschutz.

Bewertung vom 30.03.2022
Elderen, Heidi van

Raquel - Ein Polizeischwein ermittelt / Inspektor Valente und Polizeischwein Raquel ermitteln Bd.3


ausgezeichnet

Friede, Freude, Eierkuchen?

„Im Kräutergarten der Sundance Community liegt eine Leiche.“ (S. 8) ist nicht gerade der Satz, den Inspektor Fernando Valente und sein Polizeischwein Raquel beim Sonnenbaden hören wollen, zumal die Community ansonsten für Yoga, Veganismus, Frieden und freie Liebe bekannt ist. Doch nach einer Ayahuasca-Zeremonie mit einem berauschenden Trank liegt am nächsten Morgen eine der Teilnehmerinnen tot zwischen Lavendel und Majoran. Der Notarzt diagnostiziert einen Herzinfarkt, aber der Gerichtsmediziner findet heraus, dass dieser künstlich herbeigeführt wurde. Fernando und seine Chefin / Zwillingsschwester Patricia müssen mit Raquels tatkräftiger Unterstützung herausfinden, wem der Tod der Frau nutzt. Schnell stellen sie fest, dass die Community nach außen zwar den Eindruck einer großen glücklichen Familie vermittelt, es unter der Oberfläche aber ganz schön brodelt. Dabei kommt Raquel dem Täter wohl zu nah, denn sie verschwindet und Fernando bekommt zusammen mit einem Schweineohr eine Lösegeldforderung zugeschickt …

Ich bin ein Fan der ersten Stunde dieser charmanten Krimireihe. Fernando ist eine herrlich tragikomische Gestalt, unglücklich in die verheiratete Anabela verliebt, steht er auf Arbeit unter der Knute seiner Zwillingsschwester und zu Hause unter der seiner Mutter und Großmutter, obwohl er schon fast 40 ist. Zudem versucht seine Mutter immer verzweifelter, ihn endlich unter die Haube und zu kriegen, schließlich will sie Enkelkinder! Abschalten kann er am besten beim Surfen und Kuscheln mit Rachel. Die ist einfach zum Knutschen, sehr liebenswürdig und verfressen, immer glücklich und sehr anhänglich, bringt sie so manches Herz zum Schmelzen.

Auch wen ich selbst noch nie in Portugal war, habe ich dank Heidi van Elderens Schilderungen ein genaues Bild vom Hinterland der Algarve vor Augen. Sie kann das Flair dieser Landschaft und die Eigenheiten seiner Bewohner toll vermitteln.
Der Fall ist wieder sehr komplex, im Laufe der Ermittlungen tun sich immer mehr Tatverdächtige und Motive innerhalb und außerhalb der Community auf. Es hat mir großen Spaß gemacht, Fernandos und Patricias spannende Nachforschungen zu verfolgen und zu versuchen, vor ihnen auf den Täter zu kommen – was ich natürlich nicht geschafft habe. Die Philosophie der Kommune ist gut in die Handlung eingebunden und gewährt einen Einblick in eine mir sonst fremde Welt. Auch die Beziehungen und Spannungen zwischen den verschiedenen Personen waren sehr gut nachvollziehbar.
Und nachdem Fernando Anabela diesmal nicht so wirklich zugehört hat, bin ich sehr gespannt, ob sie ihr Geheimnis im nächsten Band lüften kann – ich habe da ja eine sehr starke Vermutung ;-)!

5 Sterne und meine Leseempfehlung für diesen sehr spannenden, kurzweiligen und charmanten Krimi!

Bewertung vom 28.03.2022
Gabriel, Micaela A.

Stimmen der Freiheit / Die Frauen vom Reichstag Bd.1


ausgezeichnet

Wie Frauen ihre Stimme finden

Micaela A. Gabriel, die unter den Pseudonymen Micaela Jary und Michelle Marly schon sehr erfolgreich ist, schreibt in ihrer neuen Reihe über deutsche Parlamentarierinnen. Sie berichtet aus zwei Sichtweisen über die Anfänge von Frauen in der Politik und erzählt in Rückblenden, was diese auf sich genommen haben, um ihre Ziele zu erreichen. „Um als Kandidatin aufgestellt zu werden, muss eine Frau von der Pike auf in einem Frauenverband gedient haben und dazu noch eine Studierte sein … Nur dann erhält sie die notwendige Unterstützung. Oder sie ist so berühmt, dass die Partei durch die Prominenz der Anwärterin gewinnt.“ (S. 392)

Marlene von Rungstedt ist Mitglied der DDP und eine der ersten Frauen im Berliner Parlament. Sie ist studierte Juristin, auch wenn sie nur als Assistentin ihres Vaters (einem der Mitautoren des BGB) in dessen Kanzlei arbeiten darf, und mit 38 Jahren noch unverheiratet, obwohl es nie an Bewerbern gemangelt hat – aber als Ehefrau und Mutter hätte sie ihren Beruf aufgeben müssen. Für sie war schon immer klar, dass sie für die Rechte der Frauen, das allgemeine Wahlrecht und die Gleichstellung im (akademischen) Beruf eintreten will. Gegen alle Widerstände erkämpft sie sich das Jurastudium und berät danach Frauen in juristischen Fragen. Nach dem 1. WK lässt sie sich vom Kriegsamt beauftragen, die Helferinnen der Bug-Etappe aus Warschau nach Deutschland zurückzuführen. Im Gegensatz zu den Soldaten wurden die Frauen (Krankenschwestern, Küchenpersonal etc.) bei den Transporten nämlich oft „vergessen“ und wurden so zum Freiwild für die Sieger.
Eine ihrer Konkurrentinnen ist ihre ehemalige Schulfreundin Sonja Grawitz. Diese stammt im Gegensatz zu ihr nicht aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, sondern hat sich vom 3. Hinterhaus auf die großen Theaterbühnen hochgearbeitet und ist jetzt eine Person des öffentlichen Lebens. Das hat sie auch dadurch geschafft, dass sie die langjährige Geliebte des Landadeligen Justus von Oswald wurde, Marlenes großer Liebe … Jetzt nutzt sie ihre Bekanntheit, um für die DNVP anzutreten.

Micaela A. Gabriel schreibt sehr lebendig und gewährt so einen guten Einblick in die damalige sehr unruhige, von Kriegen und Aufständen geprägte Zeit. Man begleitet die beiden Frauen von 1898 bis 1919. Damit hört die Handlung leider gerade da auf, wo es noch spannender wird – mit ihrem Einzug ins Parlament. Ihr Weg dahin ist zwar auch interessant, allerdings wurden mir manche politischen Winkelzüge zu ausführlich beschrieben. Trotzdem haben mir die beiden unterschiedlichen Ansätze bzw. Beweggründe von Marlene und Sonja gut gefallen, die Art, wie sie ihre Stimmen finden und einsetzen. Wobei Sonja das sogar im wörtlichen Sinne macht und in einem Werbefilm auftritt, der Frauen die Abläufe bei der Wahl erklärt. Es ist erschreckend, dass wir Frauen erst seit reichlich 100 Jahren wählen und uns damit aktiv an der Politik beteiligen dürfen.
Ich konnte Sonjas Wunsch nach einem gesellschaftlichen Aufstieg gut verstehen, auch wenn ich mich persönlich nicht an einen Mann hängen würde, um das zu erreichen. Sie tat mir fast leid, wie sie alle Hoffnungen und Träume auf Justus von Oswald projiziert hat und ihn einfach nicht loslassen konnte oder wollte – obwohl der nur Marlene liebt.
Marlene hingegen trifft die Entscheidung gegen einen Mann und eine Familie sehr bewusst. Sie will ihre Freiheit und Selbstbestimmung nicht aufgeben. Zudem mussten Frauen im Staatsdienst genau wie Lehrerinnen im Zölibat leben.

Ein kleines Highlight ist der Gastauftritt des jungen Hans Albers, der auch Lieder von Micaelas Vaters Michael Jary gesungen hat.

Mein Fazit: Ein spannender Auftakt mit Luft nach oben.

Bewertung vom 25.03.2022
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Nachbarn


ausgezeichnet

Mordwaffe: das eigene Auto

Wer Kommissar Tischler kennt weiß, wie sehr der an seinem Auto hängt, einem alten Jaguar E-Type von 1969. Wahrscheinlich beschäftigt ihn darum auch der Fall des getöteten ehemaligen Anwalts so sehr – dessen fast neuer Mercedes wurde nämlich so manipuliert, dass der Fahrer verunglücken musste. Verdächtige gibt es viele, nicht zuletzt Tischlers „Schrauber“ hatte allen Grund dazu, dem Toten ans Leder zu wollen. Der war nämlich dafür bekannt, sämtliche Preise zu drücken oder Rechnungen im Nachhinein zu kürzen. Auch bei Gericht hatte der Anwalt keinen guten Ruf, weil er noch die schlimmsten Schwerverbrecher mit fiesen Tricks raushauen konnte. Darauf weißen die Ordner voller Drohbriefe ehemaliger Gegner und Geschädigter hin, welche die Ermittler bei ihm finden.

Wie schon bei den Vorgängerbänden lebt auch „Prost, auf die Nachbarn“ vom Lokalkolorit und dem Zwischenmenschlichen. Gerade die Frotzeleien zwischen Tischler und POM Fink sind extrem unterhaltsam, versucht ersterer doch, den inzwischen 30jährigen Fink von Mutti, deren Kochkünsten und den ewigen Trachtenjankern abzunabeln. Diesmal spielen auch die Polizeisekretärin und der Herzhafte von Brunello eine nicht unwesentliche Rolle – ich habe Tränen gelacht – und Rosis Gastauftritt (und Tischlers Rolle dabei) hat mich sehr amüsiert!

Brunngries ist ein typischer kleiner Ort, in dem die Nachbarn alles voneinander wissen, oder sich das zumindest einbilden. So hat jeder eine Meinung zum toten Anwalt und nicht wenige haben ihm den Tod gegönnt. Er war ein echter Menschenfeind und bei allen unbeliebt! Einzig seine direkten Nachbarn beschreiben ihn als hilfsbereit und nett, das passt so gar nicht zum sonstigen Charakter des Opfers. Zumal selbst sein Enkel nicht gut auf ihn zu sprechen ist.

Polizeioberrat Schwenk macht wie immer Druck, weil ihm die Ermittlungen nicht schnell genug gehen und er um die Einnahmen aus dem Tourismus fürchtet. Dabei sind Tischler und Fink mit der TUF-Methode wieder sehr erfolgreich und präsentieren einen Täter, den ich nicht auf dem Schirm hatte, zu raffiniert hat Friedrich Kalpenstein meinen Verdacht in komplett andere Richtungen gelenkt – so muss ein Krimi sein.
Ach ja, auch privat bleibt es bei Tischler spannend, denn er hat eine neue Nachbarin die sehr an ihm interessiert zu sein scheint ...

Ich bin wieder begeistert und schon sehr gespannt auf Tischlers nächsten Fall!

Bewertung vom 23.03.2022
Paris, Helen Frances

Das Fundbüro der verlorenen Träume


ausgezeichnet

Vom Verlieren und Finden

„… manchmal … stehe ich nur da … und blicke auf die Reihen über Reihen des Verlustes.“ (S. 7) Dot ist Anfang 30 und arbeitet im Londoner Fundbüro. Sie ist stets die erste, die kommt und die letzte, die geht. Ihr ist bewusst, dass sie sich seit der Schulzeit kaum verändert hat – sie trägt immer noch eine Art Uniform, die inzwischen schon ziemlich abgetragen ist, und macht sich dieselben Pausenbrote wie früher. Man fragt sich beim Lesen permanent: Ist sie in der Zeit stehengeblieben, oder ist die Zeit für sie stehengeblieben? Dot liebt die Ordnung der Dinge im Fundbüro, dass alles seinen Platz hat und mit einem dijonsenffarbenen Anhänger gekennzeichnet ist. Sie braucht diese Struktur im Leben, denn nach dem Tod ihres Vaters, dem sie sehr nah stand, hat sie den Halt verloren. Eigentlich hatte sie große Pläne und war auf dem besten Weg, diese auch zu verwirklichen, doch dann passierte „es“.
Ihre größte Freude ist es, wenn sie einem Kunden einen verlorenen Gegenstand wiedergeben kann. Eines Tages kommt ein älterer Herr und sucht eine kleine Reisetasche, in der sich das Portemonnaie seiner verstorbenen Frau befindet. Dieser Fall lässt Dot nicht mehr los, sie will die Tasche um jeden Preis finden, denn es sind „… Gegenstände, die Erinnerungen bewahren, Momente, Spuren eines gelebten Lebens. Portale, die wir in Händen halten können, die uns zurückbringen zu denen, die wir verloren haben, und sei es nur für einen Moment.“ (S. 301)

„Das Fundbüro der verlorenen Träume“ ist kein fröhliches oder leichtes Buch, auch wenn es in sich die zarte Hoffnung auf Veränderung und die Verarbeitung unserer Verluste trägt. Es ist sehr philosophisch und tiefgründig, voller überraschender Geheimnisse, gefühlvoll und macht (mich) stellenweise auch sehr traurig.

Dot kennt den Schmerz, den Verluste auslösen, gibt sich ganz oft die Schuld für Dinge, für die sie nichts kann. Dann hat sie das Gefühl, das Leid der ganzen Welt auf ihren Schultern tragen, dass die Schuld sie niederdrückt. „Denn ich kenne mich aus mit Verlust. Ich kenne seine Gestalt, seine Schwächen, seine Ecken und scharfen Kanten. Ich habe seine Koordinaten gespürt.“ (S. 12) Sie ist dabei, die Fehler ihrer Mutter zu wiederholen und sich selbst – ihre eigene Identität – zu verlieren, wenn auch aus einem anderen Grund. Die Suche nach der verlorenen Tasche wird zur Suche nach Antworten auf nie gestellte Fragen, nach tiefvergrabenen Familiengeheimnissen und einer hoffnungsvollen Zukunft.

Helen Frances Paris regt mit ihrem Buch zum Nachdenken an – welche Träume haben wir, welchen haben wir schon verloren und welche können wir uns noch verwirklichen. Für mich ist es ein Herzensbuch.

Bewertung vom 21.03.2022
Renk, Ulrike

Eine Familie in Berlin - Ursula und die Farben der Hoffnung / Die große Berlin-Familiensaga Bd.2


ausgezeichnet

Gefühlsfarbempfinden

„Ursula … Ein grauer Name, kantig, scharfkantig zuweilen.“ (S. 199) Ursula Stolte wächst am Vorabend des ersten Weltkrieges in einer gutbürgerlichen Familie auf. Ihr Großvater ist der Bürgermeister von Potsdam und die Freundinnen seiner Frau gehören zum Hofstaat der Kaiserin. Trotzdem gibt es zwei „Makel“ in Ursulas Leben: ihre Mutter hat sich vom Vater scheiden lassen und Ursula interessiert sich nur für Kunst. „Es ist … mein Leben. Ich sehe Dinge und möchte sie festhalten, möchten sie malen, zeichnen, sie einfangen.“ (S. 27) Dass man davon auch leben kann, erfährt sie von Paula Dehmels Tochter Vera, die sie in den Kreis ihrer Künstlerfreunde und Mitstudenten einführt. Ermuntert durch die anderen plant Ursula, an einer Kunstgewerbeschule zu studieren – sie möchte Gebrauchskunst erschaffen, Dinge, die schön und nützlich sind. „Vera war wie eine Verheißung, ein Versprechen auf das, was kommen könnte. Eine Zukunft, eine Zukunft, in der Zeichnen eine Rolle spielte. Innerhalb von Stunden hatte Ursula plötzlich eine Perspektive erhalten, von der sie vorher nicht wusste, dass es sie gab.“ (S. 133) Und dann ist da Veras Bruder Heinrich, in den sie sich verguckt. Hat ihre Liebe eine Chance?

Im zweiten Band von Ulrike Renks „Eine Familie in Berlin“ Trilogie geht es um eine faszinierende Frau mit einer außergewöhnlichen Begabung. Ursula ist Synästhetikerin, für sie hat alles eine Farbe, egal ob es sich dabei um einen Geruch, ein Gefühl, eine Person oder Eigenschaft handelt. Ihr Lebensweg hat mich sofort gefesselt. Ulrike Renk beschreibt ihre Abnabelung von der Familie, ihre künstlerische und politische Entwicklung. Aus dem jungen, schüchternen, chaotischen Mädchen wird eine zielstrebige und selbstbewusste Künstlerin, die ihren Weg geht und sich aus dem Korsett der herrschenden Konventionen befreit.
Gleichzeitig bekommt man aus Ursulas Sicht einen weiteren Einblick in die Familie Dehmel, begleitet Paula und Richard, die längst geschieden, aber als Künstler weiterhin eng verbunden und erfolgreich sind, und deren Kinder Vera und Heinrich ebenfalls künstlerische Ambitionen haben, auch wenn Heinrich dann einen ganz anderen Weg einschlägt.

Ulrike Renk hat einen wahnsinnig tollen Schreibstil, ich bin förmlich durch das Buch geflogen und schon sehr gespannt, wie es im nächsten Band weitergeht. Die Charaktere orientierten sich an ihren historischen Vorbildern, die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten – und alles wirkt so lebendig und bunt. Über die Dehmels und ihr Studium kommt Ursula mit vielen Berühmtheiten ihrer Zeit in Berührung, wie z.B. Heinrich Vogeler, Else Lasker-Schüler, Tetjus Tügel, Georg Grosz und Emil Orliks. Einige von ihnen kannte ich bereits, die anderen habe ich beim Lesen für mich entdeckt.
Und auch wenn die Erlebnisse der Protagonisten während des 1. WK im Buch nur angerissen werden, wird trotzdem klar, wie sehr der Krieg ihr Leben und Schaffen beeinflusst. Besonders bewegend ist für mich der letzte Absatz: „Blau und Gelb. Die Farben der Hoffnung!“ (S. 455) Eigentlich bezieht er sich auf Paula und ihre Kinder, aber natürlich wird bei mir sofort die Assoziation zum Krieg in der Ukraine geweckt. Hoffen wir, dass diese Farben wirklich Hoffnung bedeuten!

Bewertung vom 16.03.2022
Archan, Isabella

Die MörderMitzi und der Sensenmann


ausgezeichnet

Geht in Österreich ein Serien-Mädchenmörder um?!

Polizistin Agnes Kirschnagel ist sauer. Sie ist im sechsten Monat schwanger und wurde in den Innendienst versetzt. Doch als bei der Erweiterung einer Bar die eingemauerte Leiche eines jungen Mädchens gefunden wird, reißt sie den Fall an sich. Offiziell macht sie zwar nur die Hintergrundrecherche, trägt neue Fakten und Ermittlungsergebnisse zusammen, aber keiner kann sie daran hindern, sich den Fundort und die Verdächtigen mal anzusehen … Und als dann noch herauskommt, dass es vor 5 Jahren schon mal einen identischen und bisher ungeklärten Mordfall in Krems gab, gibt es für sie kein Halten mehr.
Unterstützt wird sie dabei natürlich wieder von der Mitzi, die ihre ganz eigene Theorie zu dem Mörder der Mädchen hat. Vor Jahren hat ihr jemand erzählt, dass sich der Sensenmann verlorene Seelen holt. Seitdem hat sie Angst, dass sie die nächste ist – schließlich hat sie ihre ganze Familie auf dem Gewissen.

Isabella Archan hat es wieder geschafft, mich von der ersten Seite an in Mitzis verqueren Kosmos zu ziehen und an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben zu lassen. Sie tut mir leid, die Mördermitzi, ihren Spitznamen wird sie wohl nie mehr los. Egal wo sie hinkommt, es gibt immer jemanden, der ihr tragisches Schicksal kennt und sie darauf anspricht. Doch im aktuellen Fall werden erstmals Zweifel laut, ob damals wirklich alles so passiert ist, wie sie sich zu erinnern glaubt und wie es ihr erzählt wurde. Hat sie wirklich den Tod ihrer Eltern und ihres Bruders verursacht oder war sie nur der Sündenbock?
Jetzt hat sie auch noch ihre Oma verloren und sich von ihrem Freund getrennt. Sie braucht eine eigene Wohnung, leisten kann sie sich die aber nur, wenn sie das geerbte Grundstück verkauft. Dabei bekommt sie es ausgerechnet mit der Baufirma zu tun, die auch in den Fall der beiden toten Mädchen involviert zu sein scheint.

Im Gegensatz zu den Vorgängerbänden hatte ich diesmal schon sehr früh einen Verdacht, wer der Täter ist und lag am Ende sogar richtig. Aber die Autorin hat es „leider“ geschafft, mich zwischendrin komplett zu verwirren, indem sie immer neue potentielle Verdächtige mit wirklich schlüssigen Motiven auftauchen lässt.
Die Handlung ist extrem spannend und sehr dramatisch, denn nicht nur Mitzi, sondern auch die hochschwangere Agnes gehen dem Täter ins Netz. Ein filmreicher Showdown mit garantiertem Nägelknabbern krönt diesen Band.

5 Sterne und meine Leseempfehlung.

Bewertung vom 14.03.2022
Dix, Elsa

Die kalte Mamsell / Viktoria Berg Bd.3


ausgezeichnet

Carpe Noctem – Nutze die Nacht

„Hinrichs, ich verlasse mich auf Sie. Machen Sie mir keine Schande. Das Kommissariat muss ein Erfolg werden.“ (S. 54) Christian Hinrichs hat seinen Beruf als Journalist endgültig an den Nagel gehängt auf Fürsprache des Badekommissars die Ausbildung zum Kriminalassistent absolviert. Schließlich hat er zusammen mit der jungen Lehrerin Viktoria Berg auf Norderney schon 2 Fälle gelöst. Dass sich die beiden dabei auch privat nähergekommen sind, passt leider weder dem Direktor von Viktorias Schule noch ihrem Vater, sie dürfen sich in Hamburg nicht mehr treffen. Darum freut sich Christian um so mehr, dass Viktoria bei seinem Dienstantritt im September 1913 Urlaub gerade auf der Insel macht. Doch viel Zeit für Zweisamkeit bleibt ihnen nicht. Schon bevor seine Arbeit offiziell beginnt, werden im Eiskeller eines Hotels zwei Leichen entdeckt – die Kaltmamsell und ein Fremder. Als sich Viktoria die tote Frau genauer ansieht, entdeckt sie etwas, was mit ihrer Familie zu tun hat und eigentlich nicht sein darf. Sie erzählt Christian nichts davon, stellt heimlich eigene Nachforschungen an und bringt sich damit in extreme Gefahr.

„Die kalte Mamsell“ ist schon der dritte Band der Seebadkrimi-Reihe und genau wie seine Vorgänger wieder extrem spannend und sehr atmosphärisch. Im Laufe der Ermittlungen kommen immer neue Erkenntnisse über die Kaltmamsell ans Licht, aber der Tote bleibt Christian und Viktoria ein Rätsel – niemand scheint ihn zu kennen oder wenigsten schon mal gesehen zu haben. Erst auf einer anderen Insel kommen sie ihm endlich auf die Spur.

Auch privat läuft es nicht rund. Viktoria ist zusammen mit ihrem Vater auf Norderney, weil er sich von einem Herzinfarkt erholen muss. Der trifft eine alte Bekannte wieder und Viktoria fühlt sich von den beiden oft ausgeschlossen. Außerdem erfährt sie, dass diese eine enge Freundin ihrer verstorbenen Mutter war und ihr Vater sie in einigen wichtigen Dingen belogen hat.
Auch Christian hat ein großes Geheimnis, dass auf keinen Fall ans Licht kommen darf, doch jetzt droht ihm jemand – der Mörder? – mit dessen Aufdeckung. Wie soll er sich verhalten?

Ich mag die Krimi-Reihe von Elsa Dix sehr, mir gefällt, wie sie geschickt das Privatleben der beiden Ermittler, ihre Besonderheiten und Eigenschaften in die Handlung einfließen lässt. Viktoria ist sehr unkonventionell und unerschrocken, leider geht sie die Nachforschungen oft zu forsch an und bringt sich und andere damit in Lebensgefahr. Zudem ist sie in einer echten Zwickmühle. Sie liebt ihre Arbeit als Lehrerin und Christian, doch wenn sie heiraten, darf sie nicht mehr unterrichten. Ich bin schon sehr gespannt, wie sich ihre Beziehung in der nächsten Sommerfrische hoffentlich weiterentwickelt.

Ein Highlight des Buches ist übrigens eine Verfolgungsjagd mitten im Gewitter in einem sehr ungewöhnlichen Transportmittel (welches, wird natürlich nicht verraten) – mehr Spannung und Theatralik geht kaum!

5 Sterne für dieses Lesehighlight.

Bewertung vom 14.03.2022
Leo, Maxim

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße


ausgezeichnet

Held wider Willen

Im November 2019 ist Michael Hartung selbst der beste Kunde seiner Videothek, außer ein paar Nachbarn leiht schon lange keiner mehr DVDs aus. Vorher war er Stellwerker bei der S-Bahn, Baggerfahrer im Tagebau, Vertriebsmitarbeiter einer Satellitenschüssel-Firma und hat C-Netz-Telefone verkauft – eine typische DDR- und Nachwendekarriere.
Da taucht Alexander Landmann vom Nachrichtenmagazin Fakt bei ihm auf und will ein Interview zum 30. Jahrestag des Mauerfalls machen. Er hat in einem Stasi-Archiv eine Akte ausgegraben, nach der Hartung am 02.07.1983 am Bahnhof Friedrichstraße eine S-Bahn in den Westen umgeleitet und damit 127 DDR-Bürgern die Flucht ermöglicht hat. „Sie, Herr Hartung, haben die Weiche gestellt, die den Zug der Geschichte in die Zukunft fahren ließ.“ Und obwohl Hartung ihm erklärt, dass es nur eine Verkettung widriger Umstände war, überzeugt Landmann ihn mit viel Geld, dass er den Artikel schreiben darf. Keiner von ihnen rechnet damit, dass sie dadurch über Nacht berühmt werden. Hartung ist plötzlich ein Held und Landmann wird endlich Chefredakteur.
Doch die Geschichte verselbständigt sich, Hartung wird ins Radio und Fernsehen eingeladen, ein Verlag lässt Landmann ein Buch über die Massenflucht schreiben, das auch noch verfilmt werden soll. Und als Krönung soll Hartung am beim offiziellen Festakt zum Mauerfall am 9. November eine Rede im Bundestag halten. Während Landmann jubiliert und immer mehr Geld für sie beide scheffelt, versucht Hartung verzweifelt, der Medienmaschinerie wieder zu entkommen …

Maxim Leo erzählt die Geschichte eines absoluten Antihelden, der mir in seiner Hilflosigkeit, Beeinflussbarkeit und Lebensuntüchtigkeit ans Herz gewachsen ist. Bei Hartung geht immer alles schief: Die Massenflucht war nicht geplant, als Strafe wurde er in den Tagebau abgeschoben, nach der Wende hat ihn seine Partnerin mit der gemeinsamen Tochter verlassen und Landmanns Artikel sollte ihm nur ein bisschen Geld einbringen, damit er seine Videothek noch ein paar Monate vor der Pleite retten kann. Doch dann geht die Geschichte viral, jeder sieht etwas in ihm, überträgt seine Erwartungen, Erfahrungen und Erinnerungen auf ihn. Und je öfter Hartung die Geschichte erzählen muss, um so mehr glaubt er sie selber, die kleinen Lügen, die beschönigten Wahrheiten – sie kommen ihm realer vor als das, was wirklich passiert ist. Dabei hat er sie zum Teil noch nicht mal selbst erfunden – das war Landmann. Immer öfter hofft er, dass ihn jemand durchschaut damit endlich Schluss ist. Und dass er jemanden hat, mit dem er sein Geheimnis teilen kann.
Dieser Jemand könnte Paula sein, die eines Tages in seinem Laden steht. Sie saß damals in der S-Bahn und wollte mit ihren Eltern an die Ostsee fahren. Aber sie sind in den falschen Zug gestiegen und im Westen gelandet. Das Trauma hat sie nie richtig verarbeitet. „Dieser Bahnhof ist mir unheimlich geblieben, als könnte man hier immer wieder, ohne es zu wollen, von einem Leben in ein anderes rutschen.“ Hartung und Paula verlieben sich, aber die Lüge steht zwischen ihnen …

Maxim Leo hält uns einen Spiegel vor. Wer von uns würde seine Vergangenheit nicht beschönigen, wenn uns daraus Vorteile erwachsen und wir unsere Gegenwart und Zukunft maßgeblich verbessern könnten? So wie Hartung, der sich von seinem Erfolg mitreißen lässt, die Aufmerksamkeiten genießt, den schnellen Ruhm, das Geld. Und dann kann er irgendwann nicht mehr zurück.

Der Autor spielt gekonnt mit den Vorurteilen und Unterschieden zwischen Ost und West, mit dem Verhalten der Medien, die sich ohne einen Hintergrund-Check sofort auf den neuen Helden stürzen, alle etwas vom großen Kuchen abhaben wollen. Er schreibt sehr ehrlich, plakativ und sarkastisch, lässt Hartung in seiner Hilflosigkeit unfreiwillig komisch wirken.

Peter Kurths Stimme verkörpert Hartung perfekt. Ich sehe einen mittelalten Mann vor meinem inneren Auge, der schon viel erlebt hat. Zu Beginn klingt dessen Stimme leidenschaftslos, er