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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 454 Bewertungen
Bewertung vom 21.06.2019
Ani, Friedrich

All die unbewohnten Zimmer


ausgezeichnet

Mal wieder ein großer Wurf...
Mal wieder ein großer Wurf von Friedrich Ani! Für seinen neuen Roman hat er sein Personal aufgestockt, spielen doch neben Tabor Süden drei weitere Kommissar*innen eine Hauptrolle. Auch in dieser Geschichte sind die Tötungsdelikte nicht die Hauptsache sondern lediglich das Szenario, auf dem der Autor ein Bild des aktuellen Status unserer Gesellschaft entwickelt. Schon der Titel gibt ja Rätsel auf! Verschiedene Handlungsstränge sind miteinander verwoben, die sich am Ende in ein stimmiges Gesamtbild fügen; die Handlung wird vorangetrieben durch unglückliche Zufälle und enttäuschte, frustrierte und 'unbehauste' Menschen. Ani beschreibt hervorragend, wie die Menschen nicht zueinander finden können, wie das Leben und die Jobs sie frustrieren, es wird viel getrunken und es gibt eine Unfähigkeit das alles angemessen zu betrauern - es geht einfach nur abwärts... Was der letzte Satz, den Buchtitel erklärend, auf den Punkt bringt: "Manchmal denke ich, vielleicht wohne ich gar nicht hier. Vielleicht komme ich bloß her, um zu träumen und wieder zu verschwinden - in die Wirklichkeit da draußen, von der es heißt, ich sei ein Teil von ihr."

Bewertung vom 31.05.2019
Karig, Friedemann

Dschungel


ausgezeichnet

Auf der Suche...
Friedemann Karig hat ein tolles Buch geschrieben! Der Jugendfreund Felix verschwindet spurlos in Asien und der Ich-Erzähler beschließt - auch im Namen von Felix' Mutter - sich nach ihm auf die Suche zu begeben. Der Roman wechselt zwischen zwei Zeitebenen: die Freundschaft im Jugendalter und die eigentliche Handlung in der Gegenwart, die Suche; eine Zuspitzung in beiden Zeitebenen. Dass jede Reise in unbekannte Regionen auch eine Reise zu sich selbst ist, das spiegelt diese wunderbar erzählte Geschichte wider. Der Ich-Erzähler ist zunehmend besessen von der Suche nach seinem alten Freund und stellt immer mehr auch sein eigenes Leben in Frage, koppelt sich ab von seiner Vergangenheit, bis hin zur Trennung von seiner in der Heimat verbliebenen Freundin. Eine gute Geschichte, die den Leser auch ermuntert, Selbstverständliches in Frage zu stellen: "Das Smartphone als Speerspitze des Individualismus."
"... Über zwei Milliarden pro Jahr. Der ganze Planet brummt von unseren Bewegungen. Wir sind wieder zu Jägern und Sammlern geworden. Aber nicht, um zu überleben, sondern um zu erleben. Am liebsten in armen Ländern, wo man sich viel mehr leisten kann als zu Hause. Man reist sich reich. Und eine ganze Industrie kassiert:..."
Unbedingte Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 31.05.2019
Ott, Ursula

Das Haus meiner Eltern hat viele Räume


sehr gut

Pflichtlektüre für Babyboomer.
Ursula Ott ist Chefredakteurin des Magazins 'Chrismon' und hat mit "Das Haus meiner Eltern hat viele Räume" ein wichtiges Buch für die Generation der Babyboomer geschrieben! Gerade diese Generation ist seit einigen Jahren gefordert, sich nicht nur mit dem eigenen Älterwerden sondern zusätzlich mit der zunehmenden Hilfs- und Pflegebedürftigkeit und auch mit dem Tod der eigenen Eltern auseinanderzusetzen. Und zwangsläufig auch zu entscheiden, was mit dem eigenen Elternhaus weiter geschehen soll. Der Leser erfährt viel Nachdenkenswertes über die Kriegsgeneration, sowie über die Generation der Kriegskinder und Kriegsenkel - selbstverständlich finden auch die Forschungen von Sabine Bode Erwähnung. Sensibel beschreibt die Autorin das Ausräumen des eigenen Elternhauses und arbeitet Generationstypisches zu den Themen Leben, Arbeiten und Wohnen heraus.
Das Buch läßt mich zurück mit vielen guten und wichtigen Gedanken zu einem Ereignis, welches mir als fast 60-jährigem noch bevorsteht. Es lässt mich das Bevorstehende als eine wichtige Aufgabe betrachten - auch für mein eigenes Leben!

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.05.2019
Poirier, Agnès

An den Ufern der Seine


sehr gut

Welch aufregende Zeit
Ich finde es schon sehr mutig, wenn eine Autorin des Jahrgangs 1975 sich die 'magischen Jahre' 1940 bis 1950 in Paris vornimmt, um eine Zeitenwende in Philosophie, Kunst und Literatur zu beschreiben! Das kann man wohl nur dann so gut wie in diesem Buch geschehen umsetzen, wenn man eine eigene Faszination für die intellektuellen und künstlerischen 'Produkte' dieser Zeit empfindet, wenn sie auf das gegenwärtige Ich noch eine Faszination ausüben. Dem Buch ist zur besseren Übersicht eine Chronologie der Ereignisse vorangestellt. Schon da macht der werte Leser / die werte Leserin Bekanntschaft mit vielen bekannten und auch weniger bekannten Künstlern und Intellektuellen dieser Zeit. Wohnorte und Treffpunkte sind auf einem Stadtplan von Paris markiert. Der Autorin gelingt es ausgesprochen gut, das Besondere dieser Jahre herauszustellen: Der Kampf ums (nicht nur physische) Überleben im Zweiten Weltkrieg; alles schien irgendwie politisch; die Suche nach dem 'Dritten Weg' - eine neue Möglichkeit zur Freiheit, irgendwie zwischen Konservativismus und Kommunismus gelegen; neue Freiheiten in der Sexualität, Experimente in den Beziehungen; das Überbordwerfen des Altvertrauten. Sehr datailliert beschreibt die Autorin die Ereignisse dieser Jahre - vor allem auch das tägliche Überleben und das Aufleben nach der Befreiung. Als Leser hat man das Gefühl, hautnah dabei gewesen zu sein. Auch überraschende Details finden Erwähnung und runden das Bild über die handelnden Personen dieser Zeit ab! Und es waren schließlich mehr als nur Camus, Sartre und de Beauvoire. Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 14.05.2019
Perel, Esther

Die Macht der Affäre


sehr gut

Gut lesbarer 'Affären-Ratgebr'
Das wunderbare Buch 'Die Macht der Affäre' ist viel eher ein Beziehungsratgeber als ein Affären-Ratgeber. Und weil in den modernen westlichen Gesellschaften das Vorkommnis 'Affäre' eher die Regel als die große Ausnahme darstellt, sollte dieses Buch allen zukünftigen Paaren gewissermaßen prophylaktisch verordnet werden - gemeinsam lesen und sich über den Inhalt austauschen. Auf den knapp 400 Seiten finden sich vertraute neben neuen Gedanken und Überlegungen. Das Buch der Psychotherapeutin Esther Perel hat eine klare Struktur und ansprechende Kapitelüberschriften ("Nach dem Sturm - Das Vermächtnis einer Affäre"). Zitate, Vergleiche und Bezüge zu Literatur und Film bereichern die Ausführungen der Autorin. Es wird zunächst das Wesen der Affäre ansich beleuchtet - wie so oft im Leben gibt es auch diesbezüglich nicht die eine Wahrheit. Es werden unterschiedliche Perspektiven ausgeleuchtet: die Betroffenen, die 'Täter' und auch "das Dilemma der Geliebten". Viele Berichte aus der therapeutischen Praxis füllen das Buch mit Leben, laden die Leserin / den Leser zur Selbstreflexion ein und machen das Buch gut lesbar ohne sich dabei im 'Geschichtenerzählen' zu verlieren. Unbedingte Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 24.04.2019
Tanner, Simon

Harte Landung


sehr gut

Beachtlich.
Für einen Erstlingsroman sehr beachtlich. Simon Tanner, studierter Jurist mit Managementerfahrung, ist das einfühlsame Porträt eines Mannes, des Protagonisten Heiko Anrath, gelungen, der in der unsicheren Konzernwelt scheitert, weil er sich in einem karriereorientierten Stellenpoker verspekuliert und ein Opfer intriganter Machtspiele wird. Auch der Versuch, neben dem hohen Zeitaufwand für die Führungskarriere noch ein Privatleben zu pflegen, scheitert - zumindest zunächst. Die Familie zerbricht, selbst den Kontakt zu den Kindern aufrecht zu erhalten gestaltet sich als nahezu unmöglich. Auch die neue Liebe scheint sich unaufhaltsam in Richtung Scheitern zu entwickeln. Der Abstieg beginnt - 'Harte Landung' - und fordert den Protagonisten schließlich heraus, sich mit den zentralen Fragen nach dem Lebenssinn zu beschäftigen. Als er dann nach Wochen der Selbstauseinandersetzung - wozu er ja in karrierebewegten Zeiten nie gekommen ist - einen Weg gefunden hat, der Lebensunsicherheit eine verlässliche Struktur entgegenzusetzen, da ereignet sich tatsächlich ganz am Ende doch noch das nicht mehr vermutete Liebesglück. Ein schön komponierter Roman - als (männlicher) Leser geht man(n) innerlich mit! Unbedingte Leseempfehlung! Man darf gespannt sein auf einen Nachfolgeroman??!!

Bewertung vom 24.04.2019
Berkel, Christian

Der Apfelbaum


gut

Jahrhundertschau.
Ich muss zugeben, dass ich zunächst skeptisch war: ein Schauspieler versucht sich als Literat! Aber ich muss Daniel Kehlmann in seinem Kommentar der auf dem Umschlag des Buches abgedruckt ist, Recht geben: Es ist das werk eines schriftstellers. Ein Jahrhundert Familiengeschichte mit vielem was dazugehört; die Weltkriege, das Dritte Reich, die Judenverfolgung, Vernichtung, Flucht und Kriegsgefangenschaft, alternative Lebensversuche in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg, Heimat finden in einer Welt die zerbrochen ist; und schließlich dann die Liebe in dieser unmöglichen Zeit. "Sie hatten das Leben gegen den Krieg getauscht, ihr Fühlen, Denken und Handeln seinen Gesetzen unterworfen. Sie hatten nicht geahnt, wie viele Schattierungen die Farbe Schwarz unter dem Hakenkreuz bereithielt." Dass die Liebenden sich nach jahrelangen Wirren am Ende dann doch wieder finden - und dies in genau jenem Augenblick, als aus einem Radio der Jubel über das Siegtor der deutsche Fussballnationalmanschaft zur Weltmeisterschaft tönt - das erinnert dann doch ein wenig an einen Freitagabendfilm in der ARD.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.04.2019
Gerold, Ulrike;Hänel, Wolfram

Allee unserer Träume


gut

Gute Unterhaltung mit historischem Bezug.
Dem Autorenpaar Ulrike Gerold und Wolfram Hänel – beide Jahrgang 1956 – ist ein guter Unterhaltungsroman mit biographischem und historischem Bezug gelungen. Man kann das Buch lesen als die Geschichte einer Berliner Straße, als Architekturgeschichte, als geschichtlicher Exkurs von der Zeit kurz vor dem Dritten Reich bis hin in die Zeit nach der Wiedervereinigung, als Familiengeschichte und auch als eine Emazipationsgeschichte. Das über 500-seitige Werk ist schnell gelesen, der Leser muss nicht viel rätseln (psychologische Hintergründe) sondern bekommt alles erklärt – was aber gerade die Leichtigkeit dieses Werkes ausmacht. Eine schöne Lehrstunde über die systemimmanenten Widersprüche der ehemaligen DDR sind die Szenen und Beschreibungen mit und über Walter Ulbricht. Es gibt einige für meinen Geschmack überzeichnete Passagen (Ausflug über die Grenze nach Westberlin in einen Club) – die aber gleichwohl gut unterhalten. Am Ende nimmt der Roman ein allzu großes Tempo auf, sind doch die Zeitsprünge etwas groß; es macht ein wenig den Eindruck, als wenn die Autoren das ihnen wichtige erzählt hätten, und die Geschichte dann alsbald hätten abschließen wollen. Meine Lieblingsszene ist die Beschreibung der Grenzkontrolle inklusive Zwangsumtausch im Jahre 1978; wer also eigene Erinnerungen an diese Zeit hat, dem sei das wirklich sehr gut unterhaltende Buch wärmstens empfohlen.

Bewertung vom 24.04.2019
Kawakami, Hiromi

Die zehn Lieben des Nishino


ausgezeichnet

Atmosphärisch dicht und still...
Dieses Buch der japanischen Autorin Hiromi Kawakami ist ein Kleinod! In Japan bereits 2003 erschienen und nun auch für uns übersetzt. Im Zentrum der Geschichten stehen zehn Frauen unterschiedlichen Alters, die eines gemeinsam haben - in ihrem Leben eine Liebesbeziehung mit Nishino gehabt zu haben. Nishino ist das Bindeglied zwischen den Geschichten. Über die Geschichten ihrer Liebe erfahren wir indirekt etwas über den Menschen Nishino und den groben Verlauf seines Lebens. Stets trennen sich die Frauen von Nishino und nie ist sich eine der Protagonistinnen sicher, ob sie Nishino, den souverän-kühlen Mann mit seiner "nonchalanten Distanz", wirklich lieben. In kurzen, ausdrucksstarken Sätzen beschreibt die Autorin die Unmöglichkeit wahrer Begegnung; es bleibt das Gefühl einer existenziellen Einsamkeit, welches nur durch den Versuch der Annäherung und des sich endlich Findens kurzzeitig unterbrochen wird: "Wir waren besorgt. Entrückt. Verzweifelt. Wir waren leicht. Drauf und dran, einander zu lieben. Dennoch verharrten wir an der Schwelle der Liebe, unfähig, sie zu überschreiten." Wie Figuren, die sich in einem langsam auseinanderdriftenden Universum durch einen Zufall begegnen und wieder verlieren. Und ein wenig japanisch-schräg sind die Geschichten auch! Unbedingte Leseempfehlung!

Bewertung vom 24.04.2019
Pierce, Thomas

Die Leben danach


gut

Gut geschrieben, aber...
"Die Leben danach" lässt mich ein wenig ratlos zurück. Der Autor hat zwar einen sehr angenehmen Erzählstil. Auch die eingeflochtenen Überlegungen zu Fragen der menschlichen Existenz, zum eventuellen Leben nach dem Tod, zu möglichen Verbindungen zwischen den Lebenden und den Toten, seine Gedanken zur 'Relativität der Zeit' und zur Frage, wie existent der Mensch wohl sei (existieren wir ganz, nur teilweise oder werden wir uns durch Hologramme ersetzen?), die Frage was wir tun würden, wüssten wir um unsere Zukunft... - diese Überlegungen sind durchaus interessant und regen auch ein vertieftes Nachdenken an. Auch die Einbettung dieser gewaltigen Fragestellungen in eine Liebesgeschichte inklusive ihres angekündigten Endes ist durchaus gelungen.
Nur weiß ich nicht so recht, was der Autor mir eigentlich mit all dem sagen will...
Aber vielleicht ist ja genau das auch seine ureigene Absicht, mich mehr mit Fragen als mit Antworten zurückzulassen; schließlich ist (siehe die Geschichte im Buch) nichts im Leben wirklich sicher!
Mein Urteil: Ein solides Werk von jemandem, der sein Handwerk (vermutlich) in einem Kurs für kreatives Schreiben gut gelernt hat.
Appell: Den 'brennenden Hund', die 'Wendeltreppe' und die 'Wiedervereinigungsmaschine' kennenlernen und sich ein eigenes Bild von der Geschichte machen.